„Der Imperialismus ist die Grundlage der ökologischen Krise“ – Interview mit Hannah Holleman

22.07.2017, Lesezeit 10 Min.
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Welche Beziehung haben Kolonialismus, Rassismus und Umweltzerstörung? Wieso ist der Imperialismus und der Kapitalismus die Grundlage sozialer und ökologischer Krisen? Ein Interview mit Hannah Holleman, Aktivistin und Professorin der Soziologie am Amherst College in Massachusetts, USA.

Ihre Arbeiten zu Themen wie Imperialismus und Kolonialismus, politischer Ökonomie und Ökologie, Umweltgerechtigkeit, Feminismus, Werbung und Propaganda, Finanzialisierung, Massen-Inhaftierung und Sozialtheorie erschien bereits in zahlreichen Publikationen.

In einem vor kurzem veröffentlichten Artikel argumentierst du, dass die vorherrschenden Vorstellungen von Umweltgerechtigkeit zu flach sind und dass die Umweltbewegung ein tieferes Verständnis und ein klares Bekenntnis zu wirklicher Umweltgerechtigkeit braucht. Kannst du erklären, was du damit meinst und warum das so wichtig ist?

Viele konzentrieren sich auf Umwelt-Ungerechtigkeit als die ungleiche Verteilung von Umweltschäden. Die Menschen in heutigen und ehemaligen Kolonien werden homogenisiert und als Interessensgruppen in umweltbezogenen Konflikten betrachtet. Die großen Umweltorganisationen des Mainstreams, die sich auf der privilegierten Seite der global zweigeteilten Umweltbewegung befinden und größere Einflussmöglichkeiten haben, werden dazu aufgerufen, ihre Mitarbeiter*innen und Mitglieder zu diversifizieren und dabei auf „Gerechtigkeit“ zu achten. Dabei werden allerdings die tieferen Aspekte der sozialen Herrschaft, die nötig ist, um den ökonomischen, sozialen und ökologischen Status Quo aufrecht zu erhalten, geleugnet, heruntergespielt oder schlichtweg ignoriert.

Indem die systemische und historische Ungerechtigkeit ignoriert wird, die zu der heutigen Ungleichheit geführt hat, wird es Umwelt- und anderen Aktivist*innen möglich, in der Diskussion über aktuelle, wechselwirkende ökologische und soziale Probleme „die Verantwortung für den fortgesetzten Schaden, der durch diese Vergangenheit verursacht wird, genauso wie Fragen nach Entschädigungen, Wiedergutmachung und Neuordnung der Gesellschaft, getrost beiseite zu schieben“. (Roxanne Dunbar-Ortiz)
 Oberflächliche Ansätze zur Bewältigung von Rassismus, Unterdrückung von indigenen Völkern und anderen Formen der sozialen Herrschaft schließen die Möglichkeit einer tieferen Solidarität über historische soziale Spaltungen hinweg aus. Diese Solidarität ist aber genau was wir brauchen, um eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage ist, den Status Quo herauszufordern und dauerhafte systemische Veränderung zu schaffen, die sozial und ökologisch gerecht ist.

In einem Artikel, den du gemeinsam mit John Bellamy Foster veröffentlicht hast, schlagt ihr einige Elemente für eine Theorie des ökologischen Imperialismus vor, an der wir uns orientieren können. Wofür brauchen wir eine solche Theorie?

Das Tempo und das Ausmaß des ökologischen Abbaus, daswir heute erleben, kann nicht ohne das Vermächtnis und die bis heute anhaltende Realität des ökologischen Imperialismus verstanden werden. Der Rest der Welt hat seine Ressourcen nicht freiwillig an die reichsten Länder abgetreten, so dass heute 16% der Weltbevölkerung mehr als 80% der weltweiten Ressourcen verbrauchen (die Zahlen sind heute vielleicht andere, aber du verstehst, worauf ich hinauswill). Genauso wenig hat sich der Rest der Welt bereit erklärt, den reichen Ländern ihre Abfälle abzunehmen oder als Kohlenstoffsammelstellen für den Ausfluss der Überflussgesellschaft zu dienen.

Vielmehr ist dieses Ungleichgewicht das Ergebnis der zutiefst antidemokratischen, imperialistischen Natur des globalen Kapitalismus; von der frühsten Kolonialzeit bis heute. Die politischen und wirtschaftlichen Eliten der wohlhabendsten und mächtigsten kapitalistischen Länder haben, Hand in Hand mit nationalen und lokalen Eliten rund um den Globus, der Welt ein Modell der wirtschaftlichen Entwicklung aufgezwungen, das auf dem Abbau des ökologischen Reichtums und der Ausbeutung, Vertreibung und Unterwerfung von Völkern beruht.

In diesem System profitieren die Investor*innen, denen die größten Firmen der Welt gehören, indem sie die Naturressourcen so billig wie möglich abbauen und die ökologischen Kosten, die durch den Abbau, die Produktion, den Transport der Waren und die Müllentsorgung anfallen, auf den Rest der Bevölkerung abwälzen. Sie stellen CEOs ein, um ihre Profite zu steigern, indem sie die Kosten für Arbeitskraft minimieren – indem sie den Arbeiter*innen so wenig wie möglich zahlen, indem sie Leistungen kürzen oder erst gar keine anbieten, indem sie Arbeiter*innen zwingen, mehr für weniger Geld zu arbeiten oder indem sie sie durch Maschinen oder noch billigere Arbeitskräfte ersetzen.


Firmen und ihre Aktionär*innen vermeiden es systematisch, Steuern zu zahlen und zerstören somit das grundlegende Mittel, welches der Gesellschaft zur Verfügung steht, um die sozialen und ökologischen Konsequenzen eines solchen Wirtschaftssystems in den Griff zu bekommen. Und zu guter Letzt greifen Unternehmen und die kapitalistischen Staaten in ihrem Dienst undemokratisch in die Weltpolitik ein um ihre Geschäfte am Laufen zu halten, bei Bedarf auch militärisch.

Diese routinierten Praktiken bilden die Grundlage unserer gegenwärtigen sozialen und ökologischen Krisen. Eine Theorie des ökologischen Imperialismus hilft dabei, die treibenden Kräfte und Mechanismen zu verstehen, die zu den wechselwirkenden Problemen der Ungleichheit, Ungerechtigkeit und der ökologischen Degradierung führen, die wir heute sehen. Eine solche Theorie ermöglicht es auch zu verstehen, warum Gemeinschaften auf der ganzen Welt, von der frühen Kolonialzeit bis heute, im aktiven Kampf Land, Lebensgrundlagen, ja sogar Leben gegen die Übergriffe des Kapitals verteidigen.

Was bedeutet eine Analyse des ökologischen Imperialismus‘ für unseren Aktivismus?

Die Erkenntnis, dass der Imperialismus die Grundlage unserer gegenwärtigen ökologischen und sozialen Krisen ist, führt uns zu der Notwendigkeit, das imperialistische System des Kapitals als Ganzes anzugreifen.
 Der Mainstream der Umweltbewegung wurde seiner Handlungsfähigkeit beraubt durch irreführende Behauptungen, der Kapitalismus könnte die ökologische Krise lösen; durch den unangebrachten Glauben an „gute Kapitalist*innen“ die mit grünen Technologien oder fair gehandelten Produkten die Welt verändern und durch das Vertrauen in internationale Klimaabkommen wie zum Beispiel das Pariser Abkommen 2015.

Indem sie bei politischen und wirtschaftlichen Eliten ihr Heil suchen (und oft finanziell von ihnen abhängig sind), befinden sich maßgebliche Teile der Umweltbewegung abgeschnitten von jenen, die das größte Interesse haben, das System zu verändern: Der weltweiten Klasse der Arbeiter*innen und Enteigneten. Das heißt, diese Kräfte sind kein Teil der der mühseligen Aufgabe die historischen Spaltungen zu überwinden, die durch die rassifizierte Trennung von Mensch und Natur entstanden sind und das Herz des ökologischen Spalts des Kapitalismus darstellen.

In einigen deiner Texte geht es um das Thema des „ungleichen ökologischen Austausches“. Kannst du dieses Konzept kurz beschreiben?

„Ungleicher ökologischer Austausch“, (oder auch „ökologisch ungleicher Austausch“) ist ein Konzept, welches sich auf die ökologischen Ungleichheiten bezieht, die dem Welthandel innewohnen. Ungleicher ökologischer Austausch ist eine Form oder ein Mechanismus des ökologischen Imperialismus ́. Es ist ein wichtiges Konzept, um den ökologischen Inhalt und die Konsequenzen des weltweiten wirtschaftlichen Austausches zu verstehen.

Forscher*innen, die zu dem Thema arbeiten, konnten zeigen, dass die Regeln des globalen Handels welche die wohlhabenden Länder (und wohlhabende Gegenden innerhalb von Ländern) bevorzugen, es ermöglichen, den ökologischen Reichtum armer Länder (und armer Gemeinschaften innerhalb wohlhabender Länder) abzuschöpfen.

Weil diese „abgeschöpften“ Regionen wirtschaftlich und politisch weniger Einfluss haben, sind sie nicht in der Lage, eine Entschädigung für diesen ökologischen Austausch zu fordern, die angemessen wäre, um die nötige Umwelt-Restauration zu finanzieren. Auch haben sie nicht die wirtschaftliche Macht, um im Gegenzug Ressourcen der wohlhabenden Länder abzuschöpfen.

Der unausgeglichene Transfer von ökologischem Reichtum hat zahllose Konsequenzen – etwa dass er die benachteiligten Regionen in einem Teufelskreis von Armut, Schulden und Umweltzerstörung gefangen hält, dem nur schwer zu entrinnen ist. Forscher*innen und Aktivist*innen bezeichnen die Summe dieses ökologischen Transfers, angestaut von der Kolonialzeit bis heute, als die ökologischen Schulden des Globalen Nordens gegenüber dem Globalen Süden.

In deinem neuen Buch „Dust Bowls of Empire“ und einem kürzlich erschienenen Artikel stellst du eine wichtige Neudeutung der Dürren und Sandstürme vor, die in den 1930er Jahren die nordamerikanischen Prärien heimsuchten. Darin zeigst du, dass diese sogenannten „Dust Bowls“ keine regionale Katastrophe waren, sondern das erste globale Umweltproblem – zurückzuführen auf Kolonialismus, Imperialismus und die Ausbreitung der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Warum ist deine Neudeutung dieser berüchtigten sozialen und ökologischen Katastrophe interessant für Aktivist*innen?

Die Wichtigkeit, aus der Geschichte zu lernen, kann nie überbetont werden. Gegenwärtige Debatten über Lösungen für weltweite ökologische Krisen wie etwa den Klimawandel verlaufen viel zu oft so, als hätten wir keine eindeutigen historischen Erfahrungen, die uns zeigen, was funktioniert und was nicht.


Ich lege dar, dass die „Dust Bowls“ der 30er Jahre eine der dramatischsten regionalen Manifestationen der weltweiten ökologischen und sozialen Krise waren; hervorgerufen durch die Realität des Siedler-Kolonialismus und Imperialismus. Dieser Fall verdeutlicht die enormen Konsequenzen davon, wenn wir uns bei dem Versuch, das „business as usual“ zu verändern, auf die imperialistische „Politik as usual“ verlassen.

Genauso, wie sich die Vereinten Nationen seit Jahrzehnten zu (zumindest vom sozialen und ökologischen Standpunkt aus) wirkungslosen Klima-Konferenzen treffen, konnten die Staatsoberhäupter das Problem der Erderosion in den 30ern nicht endgültig lösen, weil sie sich zur Aufrechterhaltung des globalen sozialen und wirtschaftlichen Status Quo bekannten – zum rassifizierten Klassensystem, in dem wir auch heute noch leben.

Die Dust Bowls traten nicht auf, weil es an Aufmerksamkeit für das Thema oder an technischen Möglichkeiten der Eindämmung gemangelt hätte. Genau wie heute beim Klimawandel war die eigentliche Ursache der Krise keine technologische, sondern eine gesellschaftliche, die in den Griff zu bekommen massiver gesellschaftlicher Veränderung bedurft hätte.

In meinem Buch wird es noch um vieles mehr gehen, da die Geschichte der Dust Bowls und ihr Einfluss auf Umwelt, menschliche Gemeinschaften und Politik von den 30ern bis heute bearbeitet wird.


Die Recherche für dieses Buch hat mich viel Arbeit gekostet, aber ich denke es wird interessant für alle Kämpfenden in Bewegungen, die sich bemühen, die in der westlichen Gesellschaft verbreitete „Neigung, sich an das Unrecht anzupassen“ (Dr. Martin Luther King Jr.) zu überwinden und sich von dem zu befreien, was Karl Marx als „die Tradition aller toten Geschlechter“ bezeichnet, die in Zeiten der Veränderung „wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden“ lastet.

Das Interview wurde von David Kiely, sozialistischer Jugend-Aktivist aus Connecticut geführt und erschien zuerst auf Left Voice.

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