Der Hafenstreik, der Kampf gegen die Inflation und die Rückkehr der Frage der Strategie
Die Streiks an den norddeutschen Häfen sind eine Speerspitze im Kampf gegen die Inflation. Welche Strategie ist nötig, um sie zum Sieg zu führen?
Vor knapp zwei Wochen legten tausende Hafenarbeiter:innen in den norddeutschen Häfen zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen die Arbeit nieder. Der 48-stündige Ausstand für einen realen Inflationsausgleich war dabei die längste Arbeitsniederlegung in den Häfen seit über 40 Jahren. Grund genug für die Bosse im Hafen – und darüber hinaus –, um ihre Profite zu zittern und das Streikrecht zu attackieren. 17 einstweilige Verfügungen wurden vor den Arbeitsgerichten beantragt, um den Streik zu stoppen. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte gar die Einführung eines „nationalen Notstands“, um Streiks künftig einfacher brechen zu können. Auch wenn die Führung der Gewerkschaft ver.di sich gegen diese Angriffe aussprach, akzeptierte sie letztlich in Hamburg einen außergerichtlichen Vergleich, mit dem sie weitere Streiks bis zum 26. August ausschloss. Diese Selbstknebelung war nicht nur völlig unnötig – schließlich wurden die einstweiligen Verfügungen vor anderen Gerichten abgeschmettert und auch im Hamburger Fall war der juristische Weg längst nicht ausgeschöpft. Sie wirft auch die Frage auf, welche Strategie notwendig ist, um den Kampf im Hafen tatsächlich zu gewinnen.
Dass der Angriff auf das Streikrecht von Seiten der Bosse, aber auch das Einknicken der ver.di-Führung auf großen Unmut stößt, zeigt dabei zum Einen eine Petition, die wenige Tage nach dem Start bereits mehrere tausend Unterschriften trägt – ein Großteil davon von Hafenarbeiter:innen selbst. Zum Anderen drückte sich der Kampfwille der Kolleg:innen in verschiedenen Aktionen aus. So nahmen am Tag nach dem außergerichtlichen Vergleich in Hamburg 5.000 Arbeiter:innen an einer Streikdemonstration teil und wurden von der Polizei mit Pfefferspray attackiert. Ein Bummelstreik beim Terminalbetreiber Eurogate in Hamburg am folgenden Wochenende führte dazu, dass kaum Schiffe abgefertigt werden konnten, wie Beschäftigte des Unternehmens gegenüber Klasse Gegen Klasse berichteten. Diese ersten fortschrittlichen Reaktionen zeigen das enorme Potenzial, welches sich im Kampf der Hafenarbeiter:innen entfalten könnte.
Die Gründe für die Kampfbereitschaft der Kolleg:innen sind vielfältig, wie Jana Kamischke, Vertrauensleutesprecherin im Hamburger Hafen, berichtet: „Die Arbeit wird immer weiter verdichtet, es herrscht Personalmangel. 60 Überstunden und mehr pro Monat sind Normalität. Durch die Automatisierung werden gutbezahlte Arbeitsplätze vernichtet, es entstehen zunehmend prekäre Jobs. Die Gesamthafenbetriebe in Bremerhaven und Hamburg haben neben ihren festen Beschäftigten Hunderte unständige Beschäftigte, sprich: moderne Tagelöhner. Insgesamt bewegen sich Stundenlöhne in einer Spanne zwischen 14 und 28 Euro. Diese Spirale hat sich jahrelang abwärts gedreht. Aber mit der Inflation lassen wir uns das nicht mehr gefallen.“
Bei den sogenannten „unständigen Beschäftigten“ handelt es sich um eine legale Konstruktion, die es den Hafenbetrieben ermöglicht, hunderte oder tausende Arbeiter:innen jeden Tag ultraflexibel als Leiharbeiter:innen einzusetzen – oder eben nicht. Die unständige Beschäftigung hat dabei in der Hafenarbeit eine lange Tradition. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war sie vielerorts die Regel. Gerechtfertigt wurde diese Form der Anstellung mit den saisonalen Schwankungen in der Schifffahrt sowie der schwer kalkulierbaren Ankunft der Schiffe. Heute sind die Unständigen über den Gesamthafenbetrieb (GHB) beschäftigt, der nichts anderes als eine Leiharbeitsfirma ist und sie jeden Tag aufs Neue an die einzelnen Mitgliedsbetriebe ausleiht. Die Gesamthafenarbeiter:innen genannten Beschäftigten haben zwar einen Arbeitsvertrag mit Urlaubsansprüchen und Sozialversicherung, aber keine garantierten Arbeitsstunden. Sie erhalten vom GHB einen garantierten Lohn. Ob sie aber arbeiten dürfen oder nicht unterliegt der Willkür der Bosse.
Als wäre das nicht genug, versuchen die Bosse, die Spaltung der Beschäftigten auch in den Tarifverhandlungen zu forcieren, wie Jana Kamischke ebenfalls berichtet: „Die Arbeitgeber bieten 12,5 Prozent auf 24 Monate, also 6,25 Prozent auf zwölf Monate, und das ausschließlich für Kolleginnen und Kollegen der Containerterminals an. Die Fläche besteht aber auch in weiten Teilen aus konventionellen Betrieben und Automobilumschlag. Die Löhne für die untersten Gruppen sollen lediglich um 2,78 Prozent steigen. Das ist nicht vertretbar.“
Dass solche Lohnzuwächse unzureichend sind, liegt auf der Hand. Denn während schon die allgemeine Inflationsrate bei knapp acht Prozent liegt, sind die Preissteigerungen für Mieten, Lebensmittel, Strom und Heizung weit über diesem Durchschnitt. Deshalb sind insbesondere Menschen mit geringem Einkommen, Rentner:innen, Studierende, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger:innen von der Teuerungswelle betroffen, da sie einen besonders großen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel, Energie und Mieten ausgeben müssen.
Währenddessen fahren die Reedereien Rekordgewinne ein. So verbuchte die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd allein im ersten Quartal 2022 vier Milliarden Euro Gewinn. Es wurden zwar ungefähr genauso viele Container transportiert wie vor einem Jahr, doch Hapag-Lloyd berechnet eine doppelt so hohe Frachtrate wie noch 2021. Auch die Hamburger Gesellschaft HHLA erzielte im Jahr 2021 228,2 Millionen Euro Gewinn – eine Steigerung von über 80 Prozent. Besonders brisant: Sowohl an der HHLA, die allein für elf der 17 einstweiligen Verfügungen gegen den Streik verantwortlich zeichnet, als auch an Hapag-Lloyd ist die Stadt Hamburg beteiligt, bei der HHLA hält sie sogar die Mehrheit der Aktien. Und auch in Bremen ist der Logistikkonzern BLG mehrheitlich in Landesbesitz. Anders gesagt: Die fortschreitende Prekarisierung im Hafen und die Angriffe auf das Streikrecht sind nicht nur Ausdruck des Profitstrebens einzelner Kapitalist:innen, sondern staatlich gewollte Politik.
Der Hafen als „strategische Position“
Der Grund dafür liegt auf der Hand: Die Logistik in den Häfen ist für den kapitalistischen Profit zentral. Von ihrem Funktionieren hängt nicht nur der Profit der Hafengesellschaften ab, sondern der eines Großteils aller Kapitalist:innen. Je mehr Container umgeschlagen werden können, desto größer nicht nur der Profit für HHLA und Co., sondern für alle Kapitalist:innen, deren Zwischen- und Endprodukte so schneller zirkulieren. Und umgekehrt zeigen die Engpässe in den Lieferketten, die seit der Pandemie bedeutend zugenommen haben und die einer der treibenden Faktoren der Inflation sind, was passiert, wenn die Logistik stockt.
Die Arbeiter:innen im Hafen haben – im Sinne der Definition des Historikers John Womack – eine strategische Position inne, „die es einigen Arbeiter:innen ermöglicht, die Produktion vieler anderer zu bestimmen, sei es innerhalb eines Unternehmens oder in der gesamten Wirtschaft“. Auch wenn Womack diese Definition nur auf die Beziehung zwischen Arbeiter:innen und Bossen bezieht, lässt sich daraus etwas Allgemeineres ableiten: Wenn die Arbeiter:innenklasse alle grundlegenden strategischen Positionen in Produktion, Vertrieb und Dienstleistung hält, hat sie ein enormes Potenzial, um das Kräfteverhältnis zwischen Arbeit und Kapital insgesamt zu beeinflussen und auch die Machtfrage im Kampf gegen die Kapitalist:innen und ihren Staat zu stellen. Natürlich können „strategische Positionen“ auf rein ökonomischer Ebene genutzt werden, aber sie können auch eine enorme Kraft sein, um die Hegemonie der Arbeiter:innen im Kampf gegen das kapitalistische System als Ganzes zu entwickeln.
Ob dies geschieht oder nicht, steht jedoch nicht von Vornherein fest. Als Klasse ist die Stellung des Proletariats im kapitalistischen Produktionsprozess bereits gegeben. Ob es diese Stellung einsetzt – für welches Programm und mit welcher Strategie –, steht auf einem anderen Blatt.
Damit kommen wir zu der zentralen Frage dieses Artikels: Die Streiks im Hafen sind gleich in mehrfacher Hinsicht strategisch bedeutsam. In ihnen wird verhandelt, wer die Kosten der inflationären Krise bezahlen soll – die Kapitalist:innen oder die Arbeiter:innen. Dabei gilt es insbesondere, sich gegen die Spaltungsversuche der Bosse zu wehren: Es wäre fatal, nur einen Inflationsausgleich für die höheren Lohngruppen zu akzeptieren, die an den wichtigsten Schalthebeln der Containerterminals sitzen, während die prekären Sektoren im Hafen praktisch leer ausgehen sollen. Es gehthandelt sich also darum, dass diejenigen Hafenarbeiter:innen, die mit ihrem Streik den größten Druck ausüben können, nicht nur im korporativen Sinn für sich selbst streiken, sondern gemeinsam mit den prekären Sektoren wie den unständigen Beschäftigten, die für das Kapital schneller austauschbar sind. Das Argument lässt sich aber auch verallgemeinern: Die Hafenarbeiter:innen stehen vor der Aufgabe, nicht nur selbst den Kampf für einen Inflationsausgleich zu gewinnen, sondern sich mit allen Sektoren der Arbeiter:innenklasse, die sich schon jetzt im Kampf befinden oder in den kommenden Monaten in den Kampf treten, zusammenzuschließen und ein hegemoniales Programm gegen die Inflation, die Krise und den Krieg aufzustellen.
Ein solches Programm muss von der Forderung nach sofortigen Erhöhungen von Löhnen, Gehältern, Renten und Sozialleistungen oberhalb des Niveaus der Inflation sowie einer automatischen Anpassung an die Preissteigerungen ausgehen. Zugleich muss es die staatliche Deckelung der Preise, kontrolliert durch Komitees von Arbeiter:innen und Verbraucher:innen, im Kampf gegen die Steigerung der Lebenshaltungskosten aufwerfen. Das beinhaltet notwendigerweise auch die Frage der Öffnung der Geschäftsbücher der Konzerne, um zu kontrollieren, wohin ihre Profite fließen. Konzerne, die trotz Gewinnen die Preise erhöhen oder beispielsweise Entlassungen und Schließungen vorbereiten, müssen entschädigungslos enteignet und unter Arbeiter:innenkontrolle verstaatlicht werden. Die drohende Krise im Winter macht diese Forderungen für Millionen Menschen dringender denn je. Denn eine verstaatlichte Energieversorgung könnte demokratisch geplant werden. Das würde ermöglichen demokratisch zu entscheiden und zu kontrollieren, dass keine Privathaushalte unter einer drohenden Krise leiden. Eine solche Perspektive ließe sich auch verallgemeinern auf die Verstaatlichung der gesamten Schlüsselindustrien und des Bankensektors unter Kontrolle der Arbeiter:innen.
Der eigentliche Grund für die Verschärfung der wirtschaftlichen Krise liegt in der imperialistischen Eskalation in der Ukraine und der Aussicht auf weitere Krisen und neue Kriege. Deshalb kann es nicht darum gehen, tatenlos zuzusehen oder sich darauf zu beschränken, nur für den Erhalt der Löhne zu kämpfen. Im Gegenteil: Die Organisationen der Arbeiter:innenklasse müssen die Führung im Kampf gegen die Kriegsmaschinerie übernehmen und eine unabhängige Mobilisierung gegen die Aufrüstungspläne, die Entsendung von Waffen und Truppen in Auslandseinsätze, den Wirtschaftskrieg mit Sanktionen und die reaktionäre Asylpolitik vorantreiben. Auch hier besitzen die Hafenarbeiter:innen eine strategische Position, da sie direkt die Kriegslogistik unterbrechen und sich damit an die Spitze des Kampfes gegen die militaristische Eskalation, welche das Leben von Millionen Menschen aufs Spiel setzt, stellen können. Es gibt bereits eine Initiative für ein Volksbegehren gegen den Transport und Umschlag von Rüstungsgütern über den Hamburger Hafen. Der aktuelle Arbeitskampf kann den Anlass bieten, diese auszuweiten.
Die Ausgangssituation dafür ist vielversprechend, da sich die Streiks im Hafen in eine allgemeinere Tendenz zu mehr Streiks und Arbeitskämpfen gegen die Inflation und die Krise einreihen, die in vielen europäischen Ländern existiert. Diese Tendenz allerdings ist ungleich, da insbesondere in Deutschland bisher die Lohnstreiks von Seiten der Bürokratie mit Abschlüssen unterhalb der Inflationsrate abgewürgt wurden, wie beispielsweise in der Stahlindustrie. Aber nichtsdestotrotz breitet sich das Bewusstsein aus, dass es einen offensiven Kampf für höhere Löhne braucht, wie sich auch im Streik bei Lufthansa – Teil einer regelrechten Streikwelle im Luftverkehr in ganz Europa –, in der anstehenden Metalltarifrunde und perspektivisch in der TVöD-Runde im Winter zeigen könnte.
Eine Strategie mit Zentrum im Klassenkampf, die die reformistische Vermittlung herausfordert
Um also diese anfänglichen Tendenzen zu einer größeren Aktivität und Protagonismus der Arbeiter:innenklasse zu verallgemeinern und ihre Knebelung durch die bürokratische Kontrolle der Gewerkschaftsapparate zu überwinden, kehrt die Notwendigkeit einer Diskussion über die Frage der Strategie mit voller Wucht zurück.
Der Angriff auf das Streikrecht im Hafen – der jedoch längst nicht alleine steht, wie der Versuch der Unikliniken in NRW zeigte, die dortigen Streiks gerichtlich verbieten zu lassen – wurde von der ver.di-Bürokratie in Hamburg mit einem außergerichtlichen Vergleich beantwortet, ohne jede Absprache mit den Beschäftigten oder der Tarifkommission. Dies fesselt den Hafenarbeiter:innen bis zum 26. August die Hände, während zeitgleich weitere Verhandlungen stattfinden sollen. Die Gefahr eines Abschlusses am Verhandlungstisch unterhalb der realen Kräfteverhältnisse ist somit sehr hoch.
Allein schon deshalb ist es notwendig, eine Strategie der Selbstorganisation der Arbeiter:innen ins Zentrum zu stellen, die über die Verhandlungslösung der Gewerkschaftsbürokratie hinausgeht. Gegen die Verhandlung hinter verschlossenen Türen ohne Einfluss der Basis braucht es die Organisierung von offenen Versammlungen aller Arbeiter:innen des Hafens im Kampf – ob sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht, ob sie feste oder unständige Beschäftigte sind –, um über die Methoden des Kampfes, die Ergebnisse der Verhandlungen und das Weiterführen des Streiks zu entscheiden. Das beinhaltet sowohl die Diskussion über alternative Streikformen wie Bummelstreiks bis hin zur Herausforderung des außergerichtlichen Vergleichs selbst, als auch die Notwendigkeit der Vereinigung der größtmöglichen Kräfte in einer großen Organisierungs- und Kampfkampagne gegen die Inflation und die Auswirkungen der Krise insgesamt. Denn es stellt sich hier nicht nur die Frage des Siegs im Hafen, sondern wie der Kampf im Hafen zu einem Fanal für die Arbeiter:innen in ganz Deutschland und international werden kann.
Es ist nicht nur eine strategische Aufgabe für die Hafenarbeiter:innen selbst, sich aus der Umklammerung der Apparate zu lösen, sondern stellt die gesamte gewerkschaftliche und politische Linke vor eine Richtungsentscheidung: Unterwerfung unter die Strategie der Bürokratien der Gewerkschaften und der reformistischen Parteien – die auf Verhandlungsabschlüsse ohne größere Kämpfe, „konzertierte Aktion“ mit der Regierung und Isolierung der Kämpfe abzielt? Oder das Vorantreiben der Selbstorganisation der Arbeiter:innen im Kampf für ein hegemoniales Programm, damit die Kapitalist:innen die Krise zahlen – angefangen bei der Vereinigung der gesamten gewerkschaftlichen und politischen Linken in einer großen Koordination, die darauf abzielt, diesen und jeden Kampf mit aktiver Solidarität zu begleiten und den Gewerkschaftsbürokratien eine Aktionseinheit für diese Forderungen aufzuzwingen?
Die Aufgabe, diese Koordination voranzutreiben, fällt insbesondere der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften (VKG) zu. Diese hält Anfang Oktober in Frankfurt am Main eine Konferenz zu gewerkschaftlichen Strategien gegen Lohnverzicht, Sozialkahlschlag und Aufrüstung ab. Auch wenn die Unterstützung des Hafenstreiks nicht bis dahin warten kann, muss dieser dort doch eine zentrale Rolle spielen.
Warum es bei dieser Koordination nicht nur um die taktische Unterstützung dieses oder jenen Streiks, sondern um eine zentrale strategische Aufgabe geht, wird an zweierlei Aspekten deutlich:
Zum Einen ist insbesondere in den für die Kapitalakkumulation strategischen Sektoren wie in der Schwerindustrie oder eben im Hafen die Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie über die Kämpfe und ihre Kooptierung hinter die Interessen des Kapitals enorm. Das lässt sich im Falle der Hafenstreiks sowohl daran sehen, dass es seit 40 Jahren keinen derartigen Streik mehr gegeben hat – was nichts anderes bedeutet, als dass die Gewerkschaftsbürokratie 40 Jahre lang Hinterzimmerverhandlungen mit den Bossen ohne aktive Kämpfe der Arbeiter:innen im Hafen durchgesetzt hat –, als auch daran, dass einer der jetzigen Verhandlungsführer:innen der Kapitalist:innen im Hafen Torben Seebold ist. Dieser war zuvor bei ver.di Leiter der Bundesfachgruppe Maritime Wirtschaft. Es gilt also, die Basis der Hafenarbeiter:innen für einen Kampf gegen die Bürokratie zu organisieren – sprich: eine antibürokratische Fraktion innerhalb von ver.di aufzubauen, die die Bürokratie herausfordern und letztlich hinauswerfen kann.
Zum Anderen erfordert dies einen Bruch mit der vorherrschenden Strategie in der Linken, die darin besteht, Wahlen zu gewinnen und Parlamentssitze zu ergattern, um an der Spitze des bürgerlichen Staates die kapitalistische Misere mitzuverwalten oder erträglicher zu machen. Das gilt natürlich für die SPD, die heute an der Spitze der „Fortschrittskoalition“ mit reformistischen Versprechen die Auswirkungen der Inflation abmildern will, während sie gleichzeitig das größte Aufrüstungspaket seit Jahrzehnten umsetzt und Deutschland zu einer imperialistischen Militärmacht ersten Ranges machen will, die Osteuropa und andere Regionen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch unterwerfen kann. Das gilt aber auch für die Linkspartei und die mit ihr direkt oder indirekt verbundenen Organisationen der außerparlamentarischen Linken: Während wir heute in ganz Europa anfängliche Tendenzen zu mehr Klassenkampfphänomenen sehen, befindet sich DIE LINKE in der tiefsten Krise ihrer Geschichte und spielt in den jetzigen Kampfprozessen gar keine Rolle, sondern hangelt sich von einer Wahlniederlage zur nächsten. Zwar hat der ehemalige Vorsitzende der Partei, Bernd Riexinger, ebenso wie einige Ortsgruppen der linksjugend [‘solid], die Unterschriftensammlung der Hafenarbeiter:innen zur Verteidigung ihres Streikrechts unterstützt. Eine sichtbare Politik ist daraus jedoch noch nicht entstanden. Und mehr noch: Immer wieder ist DIE LINKE auf der anderen Seite der Barrikade zu finden. Um nur ein Beispiel zu nennen: In den Streiks der Krankenhausbewegung in Berlin war die Partei Teil des Berliner Senats, gegen den sich die Streiks in letzter Instanz richteten. Und auch in Bremen, wo die Stadt Mehrheitseignerin des Logistikkonzerns BLG ist, gegen den sich der Arbeitskampf der Hafenbeschäftigten richtet, ist die Linkspartei an der Regierung.
Rund um den Bundesparteitag von DIE LINKE im Juni haben wir an die kämpferischen Teile der Partei und die Organisationen der radikalen Linken darüber hinaus den Aufruf zu einer sozialistischen Konferenz gerichtet, um eine Bilanz des Parteitags zu diskutieren. An das Beispiel der Hafenstreiks anschließend wollen wir den Vorschlag konkretisieren, dort inbesondere über die Inflation, die sich dagegen richtenden Kämpfe und eine klassenkämpferische Perspektive der Linken zu sprechen.
Eine klassenkämpferische Perspektive muss aber gerade davon ausgehen, die Selbstorganisierung der Arbeiter:innen unabhängig von und im Kampf gegen die Bürokratien ihrer eigenen Massenorganisationen – der Gewerkschaften – und gegen den Staat voranzutreiben. Das ist nur möglich im Bruch mit der reformistischen Strategie der Fokussierung auf Wahlen und die Integration in den bürgerlichen Staat.
Was ist die Alternative? Für Leo Trotzki war Strategie „die Kunst zu siegen, das heißt: die Eroberung der Macht“. Ihm ging es darum, alle Elemente zu kombinieren, um die Führung zu erobern, um zu gewinnen. Das heißt, es geht darum, Kräfte zu sammeln, die es uns erlauben, alle Kräfte im richtigen Moment zu vereinen, um sie gegen die herrschende Klasse zu wenden, ihren Willen zu brechen und den Willen der Ausgebeuteten durchzusetzen.
Heute will die herrschende Klasse uns für die Kosten der Pandemie, der Wirtschaftskrise und des Ukrainekriegs zahlen lassen. Der Kampf für Lohnerhöhungen in diesem oder jenen Betrieb ist deshalb nicht von dieser strategischen Perspektive zu trennen, den Willen der Ausgebeuteten gegen den Willen der Herrschenden durchzusetzen. Das heißt, der Kampf im Hafen ist einerseits ein Kampf gegen die Auswirkungen der Inflation, also für höhere Löhne, und andererseits dafür, dass die Hafenarbeiterinnen das Heft selbst in die Hand nehmen und eine hegemoniale Alternative für die Gesamtheit der Ausgebeuteten und Unterdrückten durchsetzen.
Das ist jedoch nur möglich, wenn die Hafenarbeiter:innen die Grenzen überwinden, die ihnen die Gewerkschaftsbürokratie aufzwingt. Und das wiederum hängt davon ab, ob die (revolutionäre) Linke des geringeren Übels der Pakte mit den Gewerkschaftsführungen und der Mitverwaltung des kapitalistischen Staates überwindet und stattdessen ihr strategisches Zentrum im Klassenkampf sucht und sich vornimmt, die strategischen Positionen zu besetzen und sie im Kampf gegen die Bosse und die Regierung einzusetzen.