Der Funke ist nicht übergesprungen

08.02.2023, Lesezeit 30 Min.
Gastbeitrag

Urknalltheorie, Venezuela und Feminismus: Warum ich aus der International Marxist Tendency ausgetreten bin.

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Foto: Simon Zinnstein / Klasse Gegen Klasse

Ich war sechs Jahre Teil vom Funken und ihrer internationalen Strömung, der International Marxist Tendency (IMT). Die Entscheidung, die Organisation im August 2022 zu verlassen, war dabei keine spontane Aktion, sondern Ergebnis eines längeren Prozesses der Entfremdung mit der ideologischen und praktischen Ausrichtung der Organisation. Wenngleich ich innerhalb der sechs Jahren nicht durchgängig aktiv war (das ist mehrheitlich meiner psychischen Verfassung geschuldet), verstand ich mich immer aufrichtig als Teil und Vertreterin der Ideologie und Tradition, die auf den südafrikanisch-britischen Trotzkisten Ted Grant zurückgeht. Der Bruch war kein Resultat eines losgelösten Ereignisses, sondern verschiedener objektiver als auch subjektiver Entwicklungen, die mir erst retrospektiv – nach dem Bruch – deutlich machten, weshalb die IMT für mich keine politische Heimat mehr ist.

Meine psychische Verfassung, die besonders im vergangenen Sommer einen drastischen Tiefpunkt erreichte, ist von meiner Entscheidung abgekoppelt. Auch geht es hier nicht darum, mit einzelnen Genoss:innen abzurechnen, sondern eine Bilanz zu ziehen, welche Fehler die IMT machte und immer noch macht, die nicht nur von politischer Natur sind, sondern auch in intersubjektiven Auseinandersetzungen, in denen die Führung der IMT nicht nur moralisch, sondern auch politisch falsche Entscheidungen und Prioritäten setzt. Anstatt eine oberflächliche Kritik zu formulieren, will ich meine Entscheidung des Bruches an zentralen Punkten festmachen, die für meinen Schritt elementar waren. Einige dieser politischen Auseinandersetzungen sind dabei nicht nur Debatten innerhalb der Organisation, sondern auch in einer dialektischen Beziehung mit anderen trotzkistischen Organisationen, wie ich später darlegen werde.

Grantismus

Bevor ich Teil der IMT wurde, habe ich eine politische Entwicklung durchgemacht, die mich von einer rechtsliberalen Einstellung über den Maoismus zum Trotzkismus brachte. Um als Kommunist:in etwas bewegen zu können, ist es unabdingbar, sich zu organisieren. Im deutschsprachigen Raum gibt es verschiedene trotzkistische Organisationen, die sich auf verschiedene Strömungen beziehen. Weshalb ich mich für die grantistische Tradition entschied, war einem naiven Umstand geschuldet: Ich suchte für mich die „Internationale“ aus, die die meisten Sektionen besitzt, woraufhin meine Entscheidung auf das Komitee für eine Arbeiter:inneninternationale (altes CWI) fiel. Aufgrund meiner heimatlichen Lage gab es jedoch keine ausgebauten CWI-Strukturen, allerdings in unmittelbarer Nachbarschaft eine Ortsgruppe der IMT. Da die IMT und CWI eine gemeinsame Geschichte teilen, schien es für mich nicht problematisch, mich der IMT anzuschließen. Den Marxismus mir autodidaktisch angeeignet, konnte ich mein Wissen in der IMT freilich vertiefen und auch einen größeren Überblick über weltpolitische Fragen erlangen, die für die aktuelle Situation wichtig waren.

Der Grantismus ist für seine Strategie des Entrismus bekannt, das heißt die Arbeit in reformistischen Arbeiter:innenparteien, um dort für das eigene Programm zu werben und die „ones and twos“ für sich zu gewinnen. Begründet wird das damit, dass sich das Proletariat zuerst in den „Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse“ radikalisieren würde. Diese Strategie wurde im Zuge der Nachkriegszeit entwickelt; anstatt eigene revolutionär-sozialistische Parteien aufzubauen, so argumentierte Ted Grant, sollten Trotzkist:innen innerhalb von reformistischen und stalinistischen Organisationen arbeiten. Dass einige Sektionen der IMT heute die Strategie des Entrismus aufgeben, ist dabei nicht Resultat einer Einsicht in die Notwendigkeit, sondern durch die Schwäche der reformistischen (und stalinistischen) Parteien erklärbar. Ihr Ziel ist es nicht, eine unabhängige kommunistische Partei aufzubauen, sondern innerhalb von „Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse“ für ihr Programm zu werben, ohne den Anspruch zu erheben, die reformistische (oder stalinistische) Partei zu übernehmen. Diese Strategie wird in vielen Ländern – darunter in der Schweiz, dem Spanischen Staat, England, Österreich – weiter praktiziert, obwohl seit Jahrzehnten kein nennenswertes Ergebnis erzielt werden konnte, das diesen Weg weiter begründen könnte. In Deutschland entstand dadurch eine inkonsequente Situation: während einige deutsche IMT-Genoss:innen innerhalb der Linkspartei und der Solid Entrismus betreiben, arbeiten andere außerhalb der reformistischen Partei. Die Führung des Funken steht so zwischen den Stühlen und kann sich nicht entscheiden, ob sie weiter entristisch arbeiten sollen oder nicht. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der Entrismus an sich keine von Grund auf falsche Taktik ist: Trotzki argumentierte 1934, dass der temporäre „Eintritt“ in reformistischen Parteien kein Verbrechen, sondern sogar nützlich sei, wenn Revolutionär:innen keine andere Möglichkeit haben, Zugang zur Arbeiter:innenklasse zu gelangen.

Dass sich das Proletariat jedoch nur innerhalb von reformistischen Parteien radikalisieren und organisieren würde, verkennt nicht nur den dialektischen Prozess der Entwicklung des Bewusstseins der Arbeiter:innenklasse, sondern auch die Realität von Massenbewegungen und Klassenkämpfe außerhalb dieses Rahmens. Statt revolutionäre Kräfte in einer Front zu vereinen und für den Aufbau einer unabhängigen kommunistischen Partei einzustehen, ruft die IMT zur „kritischen Unterstützung“ für Reformist:innen wie Jeremy Corbyn, Jean-Luc Mélenchon und Bernie Sanders auf. Am bekanntesten wird die Nähe zum Bonapartisten Hugo Chávez und seines Nachfolgers Nicolás Maduro sein, zu denen der „Chefideologe“ der IMT – Alan Woods – selbst persönliche Beziehungen pflegt(e). Besonders in Hinblick auf die Haltung zu Staaten wie Venezuela und Kuba zeigt sich die zentristische und konservative Haltung der IMT, die ich anfangs bedenkenlos mittrug, aber retrospektiv für völlig falsch halte.

Venezuela und Kuba

Venezuela und Kuba haben unterschiedlichen Klassencharakter. Während ersteres ein bonapartistisches Regime ist, dessen faktische Staatsideologie „Chavismus“ jeden Klassenkampf ablehnt und das ein Freund der Märkte und des Kapitals ist, handelt es sich bei Kuba um einen bürokratisch-deformierten Arbeiter:innenstaat. Dennoch werden in der IMT die Revolutionen von Venezuela und Kuba ähnlich eingeordnet, die es beide gleichermaßen zu verteidigen gilt. Dass die Errungenschaften der Kubanischen Revolution von Trotzkist:innen verteidigt werden müssen, steht hier nicht zur Diskussion. Doch die IMT geht dabei noch einen Schritt weiter und stellt sich nicht gegen das stalinistische Regime, sondern bekundete immer wieder ihre Solidarität mit Fidel Castro – zuletzt in einem Schreiben, als Castro starb. Die Kubanische Revolution wird mit dem Castro-Regime gleichgesetzt, was auch durch ihre „kritische Haltung“ zur innenpolitischen Lage nicht wettgemacht werden kann. Anstatt für den Sturz des stalinistischen Regimes einzutreten, propagiert die IMT eine nicht näher definierte „proletarische Demokratisierung“.

Dass das Castro-Regime sich mit der Russischen Föderation, Belarus und dem Iran freundschaftlich verbunden fühlt, scheint für die IMT kein Anlass zu sein, diese politische Haltung zu überdenken. So ist es auch mit Venezuela und Hugo Chávez, bei der die IMT die „Bolivarische Revolution“ mit einer ähnlichen Argumentation wie bei Kuba verteidigt und in diesem Prozess einen Weg zum Sozialismus sieht. Dass Chávez keinen Hehl daraus machte, die Bourgeoisie nicht enteignen zu wollen und gegen die Diktatur des Proletariats opponierte, hinderte die IMT ebenso wenig daran, ihre Haltung aufzugeben, wie die Tatsache, dass das Chávez-Regime wie Castro im Iran einen engen Freund sieht, wodurch ein stalinistischer Antiimperialismus reproduziert wird, der von der IMT nur schwach zurückgewiesen wird. Weshalb man als Trotzkist:in stalinistische und bonapartistische Regime verteidigen soll, und nicht die Notwendigkeit erkennt, dass es eine unabhängige kommunistische Partei braucht, bleibt dabei ebenso fraglich wie die Tatsache, dass ich diese Politik so lange unkritisch mitgetragen habe.

Dass die IMT nun mit der Regierungspartei von Maduro brach und Teil des linken Bündnis „Alternativa Popular Revolucionaria“ ist (in der unter anderem auch die stalinistische Kommunistische Partei Venezuelas Mitglied ist), ist nicht als Distanzierung vom Chavismus zu werten, sondern deren Verteidigung. Denn dieses Bündnis bekennt sich ausdrücklich zum Chavismus, welcher auch von der IMT weiterhin verteidigt wird.

Der Sektenbegriff

Für Ted Grant und die IMT sind all jene marxistischen Organisationen, die außerhalb der „Massenorganisationen der Arbeiter:innenklasse“ stehen, Sekten. Gerne wird dabei das Attribut „linksradikal“ oder „ultralinks“ benutzt, um in Anlehnung an Lenins Werk „Der linke Radikalismus: die Kinderkrankheit des Kommunismus“ eine Kontinuität zu erzählen, die bis auf die bolschewistische Partei zurückreicht. Es ist dabei richtig, dass sich Lenin gegen ultralinke Abenteuer stellte und dabei unter anderem die Kommunistische Arbeiter:innenpartei Deutschlands oder die Holländischen Kommunist:innen meinte, die sich beispielsweise dagegen entschieden, an parlamentarischen Wahlen teilzunehmen. Es lohnt sich auf jeden Fall, dieses Werk zu studieren. Während meiner Zeit in der IMT bezeichnete ich dieses Werk als das faktische „Gründungsdokument der IMT“, weil ich es in der Lesart von Ted Grant und Alan Woods studierte, wonach jede Arbeit außerhalb von reformistischen Parteien unweigerlich ein „ultralinkes Abenteuer“ sei. Besonders populär wurde es, als sich 1990/1991 das CWI spaltete und den sogenannten „open turn“ vollzog, das heißt die Abkehr von den reformistischen Parteien und für den Aufbau unabhängiger sozialistischer Parteien eintrat. Eine Minderheit um Ted Grant, Alan Woods und Rob Sewell opponierte dagegen und argumentierte, dass sie die „geduldige Arbeit” in der Labour Party nicht wegwerfen werden, woraufhin sie eigene Strukturen aufbauten und die IMT gründeten (die 2006 so benannt wurde).

Doch was hat es mit diesem Begriff auf sich? Erfüllt er wissenschaftliche Standards oder entspringt es einem ideologischen Mechanismus, um sein eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen? Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass es gerade Ted Grant war, der zu verstehen gab, dass es nicht schlimm sei, politische Fehler zu machen; es sei jedoch schlimm, sich diese nicht einzugestehen und entsprechend zu ändern. Dass die IMT in den vergangenen zwanzig Jahren kaum etwas änderte, entspricht dabei einem eher mechanischen Verhältnis der Entwicklung objektiver und subjektiver Bedingungen; sie müssen das grantistische Dogma verteidigen, denn ein Bruch damit würde sie selbst in Erklärungsnot bringen. Interessanterweise gab es tatsächlich eine Korrektur ihrer politischen Haltung – 2006, als Kuba nicht mehr als stalinistisches Regime bezeichnet wurde, sondern die Solidarität mit Fidel Castro verabschiedet wurde. Der Marxismus und Bolschewismus sind dabei kein festes Dogma, sondern eine Methode, das Weltgeschehen zu analysieren und angesichts der Klassenkämpfe Strategien und Taktiken zu entwickeln. Sowohl Lenin als auch Trotzki haben ihre Positionen immer wieder korrigiert und angepasst: Sie verachteten die sogenannten „orthodoxen Marxist:innen“, die wie Gelehrte zwar ihren Marx und Engels kannten, aber nicht verstanden.

So ähnlich verhält es sich auch mit der IMT – und besonders Ted Grant und Alan Woods. Als selbsternannte „orthodoxe Trotzkist:innen“ haben sie zwar ihren Lenin und Trotzki gelesen, aber scheinbar nicht komplett verstanden. Das ist keine dialektische Methode, sondern ein starres Dogma, das nach dem Tod Ted Grants von Mitgliedern der IMT auf Alan Woods projiziert wird. Das, was er schreibt und sagt, gilt als gesetzt und widersprechen oder kritisieren sollte man möglichst nicht. Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass ich bei meiner (vorsichtigen) Kritik an bestimmten Positionen der IMT doch einfach mal Alan Woods lesen sollte, dann löse sich alles auf. Hier wird besonders das hierarchische Gefälle deutlich, das eine wirklich demokratische Diskussion innerhalb der Organisation erschwert. Alan Woods wird als unanfechtbare Autorität akzeptiert, die über jede Kritik erhaben ist. Das hat auch zur Folge, dass gepaart durch die undemokratische Hierarchie und der grantistische Sektenbegriff ein gemeinsamer Kampf mit anderen Massenbewegungen nahezu unmöglich erscheint. Anstatt sich mit anderen Ideen und Theorien (beispielsweise des Klimastreiks oder der feministischen Bewegung) auseinanderzusetzen, die Diskussion zu suchen und das Programm des Marxismus in die Massen zu tragen, verfallen sie selbst in ein Sektierer:innentum: sie intervenieren vereinzelt in den Bewegungen, doch bleiben am Rand stehen und schaffen es nicht den Kontakt zu den Massen herzustellen. (Vergleich auch hier das Statement von Schweizer Genoss:innen, die die IMT vor wenigen Jahren ebenfalls verließen)

Dieses sektiererische Phänomen sieht man auch in der Naturwissenschaft, besonders im Umgang mit der Astronomie (dazu später mehr). Was wichtig ist zu unterstreichen: dadurch, dass ich mich dem Dogma unterwarf, dass alle trotzkistischen Organisationen, die nicht die IMT sind, Sekten, also faktisch antimarxistische Organisationen, sind, hatte ich auch nie das Bedürfnis oder das politische Interesse, mich mit anderen Organisationen auseinanderzusetzen. Dadurch hatte ich keinen außenstehenden Blick auf die IMT und den Grantismus, sondern folgte gehorsam der Ideologie und winkte jede Kritik ab – denn Alan Woods und Ted Grant müssen schon recht (gehabt) haben.

Einblick in meine politische Arbeit

Während meiner Zugehörigkeit zur IMT war ich Teil der Schweizer Sektion. In der Schweiz betreibt die IMT Entrismus bei den Jungsozialist:innen (JUSO), die Teil der Sozialdemokratischen Partei (SP) sind. In meiner ehemaligen Ortsgruppe spielte die Arbeit innerhalb der JUSO eine zentrale Rolle. So waren IMT-Genoss:innen über mehrere Jahre im Vorstand oder dem Präsidium der Organisation. Es wurden zwar einige JUSO-Genoss:innen für den Marxismus gewonnen, allerdings wurde die Frage, ob man sich außerhalb der JUSO organisieren sollte, nie zur Debatte. Die JUSO war das Hauptarbeitsfeld: man ist bei den Parteikonferenzen, macht Wahlkampf und kämpft für einen „Linksruck“ innerhalb der JUSO und der SP. An die SP adressiert fordert man, dass sie in die Opposition gehen soll, um nicht Teil einer bürgerlichen Regierung zu sein. Die Krise des Reformismus ist auch in der Schweiz zu beobachten: umso erstaunlicher ist es, dass der Schweizer Funken die Strategie des Entrismus nicht überdenkt, sondern daran festhält. Anstatt eine unabhängige kommunistische Partei aufzubauen, die konsequent mit dem Reformismus bricht, bleibt man Teil der reformistischen Organisationen. Man bezieht sich da klar auf Ted Grant: würde man sich von den JUSOs abwenden, betreibe man eine „sektiererische“ Politik, die sich von der Arbeiter:innenklasse entfremdet.

Die Ortsgruppe befindet sich in Kreuzlingen (Schweiz), das direkt an Konstanz (BRD) angrenzt. So haben wir sowohl auf Schweizer als auch deutscher Seite interveniert. Während in der Schweiz der Fokus bei den JUSOs lag, gab es in Deutschland das Arbeitsfeld an der Universität Konstanz. Dort hatten wir eine Gruppe der Marxistischen Studierenden, und boten in den Semestern verschiedene Diskussionen zu marxistischer Theorie und Praxis an. Der Erfolg, dort Student:innen für den Aufbau einer revolutionären Partei zu finden, hielt sich allerdings stark in Grenzen. Das lag vor allem daran, dass an den Veranstaltungen nicht deutlich gemacht wurde, dass es nicht nur darum geht, über Politik zu diskutieren, sondern es das Ziel ist, das kapitalistische System zu zerschlagen. Dass es dafür eine unabhängige kommunistische Partei braucht, wurde nur unzureichend klargemacht. In den vergangenen Jahren hat sich die IMT zwar verstärkt den Universitäten zugewandt, allerdings fehlt eine Taktik, die Student:innen für die Revolution zu gewinnen. In Konstanz konnte jedenfalls nach etwa drei Jahren keine:r langfristig gewonnen werden.

Dadurch, dass sich der Funke in der Schweiz als Strömung innerhalb reformistischer Parteien sieht (namentlich der JUSOs), wird nicht klar kommuniziert, dass man eigentlich eine unabhängige Organisation ist. Und da der Anspruch ist, die Organisation, in der gearbeitet wird, nach „links“ zu rücken, ohne damit zu brechen, um unabhängige kommunistische Parteien aufzubauen, scheint das auch kein großes Problem zu sein. Dennoch intervenieren sie in verschiedenen sozialen und politischen Kämpfen: beim Klimastreik, der feministischen Bewegung (auch wenn sie den Begriff „Feminismus“ ablehnen) oder den Gewerkschaften. Dort wird zwar mit der Zeitung und Ständen stets die Notwendigkeit betont, dass man den Kapitalismus überwinden muss, um diese Ziele zu erreichen, allerdings bleibt es immer sehr vage. So wird zwar immer gesagt, dass man sich marxistisch organisieren solle, allerdings wird kein konsequenter Bruch mit den Reformist:innen noch der Aufbau einer kommunistischen Partei gefordert. Das Angebot an Streikenden ist vielmehr: organisiert euch beim Funken und tretet den reformistischen Parteien bei.

Die Sache mit dem Urknall

Hätte ich davor gewusst, dass die IMT einen Fetisch daraus macht, dass die Urknalltheorie nur falsch sein kann, da nicht „dialektisch“, hätte ich es mir womöglich zweimal überlegt, Teil davon zu werden. Doch das spielte anfangs keine Rolle. Ich habe zwar im Laufe der Zeit immer wieder diese Position zu hören bekommen, aber ich hielt es für keine nennenswerte Auseinandersetzung. Das war freilich ein Fehler, denn hinter dieser Position versteckt sich nicht nur ein falsches Verständnis von der Astronomie und der Astrophysik selbst, sondern auch eine eklektische Anwendung des dialektischen Materialismus auf die Naturwissenschaft. Trotzkist:innen sind wissenschaftliche Sozialist:innen, das heißt, sie lehnen jeden Idealismus und Mystizismus ab, sondern arbeiten mit dem, was es in der Welt gibt. Wir verstehen die Biologie, die Chemie und die Physik und verteidigen diese Erkenntnisse gegen jeden Versuch, sie aus dem Zusammenhang zu reißen oder für eigene Interessen zu instrumentalisieren. Dass jedoch selbst Trotzkist:innen Erkenntnisse entstellen oder aus einem falschen Verständnis heraus beurteilen, zeigt die IMT beispielsweise an Theorien der Astronomie (doch auch der Geschlechterfrage, dazu unten mehr). Der dialektische Materialismus ist dabei das wichtigste marxistische Werkzeug.

Das Universum ist eine unvorstellbare Entität, deren Verständnis uns noch längst nicht vollkommen erschlossen ist. Wie die traditionelle Wissenschaftstheorie uns lehrt, muss sich jede Theorie an messbaren Ergebnissen orientieren: stimmen die Ergebnisse nicht mit der Theorie überein, ist sie falsch. Doch ist das Ergebnis nicht eindeutig, gilt es, die Theorie auszubauen oder zu revidieren. Der Urknall ist eine von der Mehrheit der Wissenschaft akzeptierte Theorie, wie das Universum vor knapp 14 Milliarden Jahren entstand. Dass nichts aus nichts entstehen kann, lehrt der dialektische Materialismus, allerdings schließt diese Theorie den Urknall nicht zwingend aus. Die IMT freute es jüngst ungemein, dass das James Webb Space Telescope (JWST) die Urknalltheorie vermeintlich widerlegte. Dabei stützen sie sich auf einen notorischen Leugner der Theorie und bezogen sich auf aus dem Kontext gerissene Aussagen von Astrophysiker:innen. Das JWST hat die Urknalltheorie allerdings nicht widerlegt, sondern stellt uns vor die Aufgabe, sie anzupassen, denn Bilder, die das JWST zeigte, bieten durchaus Daten, die die Theorie stützen. Anstelle der Urknalltheorie formuliert die IMT keine neue Theorie, sondern bezieht sich eklektisch auf Engels und argumentiert, dass das Universum einfach schon immer war und unendlich sei.

Warum ist es wichtig, darüber zu reden? Weshalb ist es für eine trotzkistische Organisation relevant, über die Urknalltheorie zu debattieren? Es ist tatsächlich unwichtig, ob die Urknalltheorie wahr oder falsch ist, denn sie steht hier nur als Beispiel für eine Auseinandersetzung, wie mit der Wissenschaft im bürgerlichen Staat umzugehen ist. Ich selbst habe die Urknalltheorie immer verteidigt (woraufhin mir zuletzt mit Hinweis auf den demokratischen Zentralismus vermittelt wurde, dass es falsch wäre, dies so nach außen zu kommunizieren) und auch die Erkenntnis, dass Zeit in nur eine Richtung geht, wurde mit dem Satz „das ist undialektisch“ abgewehrt. Alan Woods spielt dabei eine relevante Größe: mit seinem Werk „Aufstand der Vernunft“, welches er zusammen mit Ted Grant schrieb, wird der Astronomie attestiert, eine „Schöpfungsideologie“ zu etablieren, was als Angriff auf die Wissenschaft per se zu werten ist. Es ist dabei bezeichnend, dass vieles, was Woods und Grant der Astronomie als undialektisch vorwarfen, sich als richtig beziehungsweise als sehr plausibel herausstellte. Für die Wood’sche Dialektik wird besonders das Schwarze Loch ein Problem. In „Aufstand der Vernunft”, dessen Erstveröffentlichung 1995 erschien, schrieben Woods und Grant, dass die Existenz von Schwarzen Löchern undialektisch und reiner Idealismus sei. Das erste Schwarze Loch wurde allerdings 1971 entdeckt, also 24 Jahre vor dem Werk. Schwarze Löcher sind uns immer noch ein Rätsel, doch was wir wissen, ist, dass ihre Gravitation nicht nur so stark ist, dass selbst Licht nicht entfliehen kann, sondern auch, dass Schwarze Löcher in ihre Singularität auch Zeit und Informationen hereinziehen. Ist das undialektisch? Nach Woods und Grant schon.

Die IMT betreibt keine Wissenschaftsfeindlichkeit, allerdings hat sie immer dann, wenn die wood’sche Dialektik nicht greift, ein Erklärungsproblem. Anstatt es wissenschaftlich zu untersuchen, wird es automatisch für falsch erklärt. Denn nach der IMT kann nur Woods recht haben, alle anderen liegen falsch. Und dieses Verständnis von Wissenschaft, die das hierarchische Gefälle innerhalb der Organisation zum Ausdruck bringt, war mitunter einer der wichtigsten Gründe, weshalb ich mit der IMT nicht anders kann als zu brechen. Was meinen politischen Bruch jedoch finalisierte, ist ihre Haltung zu queeren Themen und dem Umgang mit Antifeminismus, Sexismus und sexualisierter Gewalt innerhalb der eigenen Organisation.

Die Haltung zu LGBTQIA* und der kanadische Fall

Ich selbst bin trans weiblich, pansexuell und polyamourös. Als queere Person gehört man innerhalb einer bürgerlichen Gesellschaft einer marginalisierten Gruppe an, die täglich mit Queerfeindlichkeit jeglicher Form zu kämpfen hat. Als Trotzkist:innen ist es unsere Pflicht, diese Feindlichkeit und diesen Hass zu bekämpfen, was nur über die Zerschlagung des Kapitalismus gewonnen werden kann. Es wirkt dabei folgerichtig, dass man als queere Person in einer trotzkistischen Organisation keine Anfeindung erleben sollte. Ich selbst habe in meiner Ortsgruppe nie Queerfeindlichkeit erlebt oder mit ansehen müssen. Ich war auch lange Zeit davon überzeugt, dass aus diesem Grund die IMT die „queerfreundlichste“ Organisation sei, die es gibt. Doch hier handelt es sich um einen klassischen Deduktionsfehler. Bereits Alan Woods und Ted Grant sind im 20. Jahrhundert mit homophoben und klassenreduktionistischen Positionen aufgefallen, die queere Menschen nicht nur ausschließen, sondern ihre Existenz auch idealistisch verbrämen. Wenn auf diese Äußerungen und Texte verwiesen wird, gesteht die IMT nicht ein, dass es sich um einen politischen Fehler und eine queerfeindliche Aussage handelt, sondern es wird als „politischer Angriff“ umgedeutet. Anstatt diese Vergangenheit aufzuarbeiten, wird das Wort Ted Grants gegen jeden Angriff verteidigt. Dass sich darin in den vergangenen Jahren etwas änderte, widerlegte beispielsweise Fred Weston, der sich in einer Rede darüber lustig machte, dass es mehr als 64 Geschlechter gebe und die Bezeichnung „Cis” ein beleidigender Ausdruck geworden sei. Freilich ist es berechtigt zu diskutieren, ob es unterschiedliche Bezeichnungen für die gleiche Genderidentität braucht, allerdings war das nicht der Kern der Kritik. Es handelt sich hierbei um eine starke Grenzüberschreitung einer Kritik an der Queer-Theorie, da es plumpe rechte Narrative reproduziert.

Das war kein Einzelfall, sondern zieht sich durch die Geschichte der IMT wie ein roter Faden. Zwar wird nach außen kommuniziert, dass man auch für queere Menschen kämpft und vielen IMT-Genoss:innen glaube ich auch, dass sie es ernst meinen. Dennoch gibt es eine Schieflage in der Organisation, die besonders in der Führungsschicht zum Ausdruck kommt. So wird beispielsweise die Existenz von nicht-binären Menschen in Frage gestellt, da es – wie so häufig der Vorwurf – „undialektisch“ sei: mit Bezug auf Heraklit wird argumentiert, dass es nur „Männer“ und „Frauen” geben könnte. Diese konservative Haltung wirkt auf queere Menschen freilich befremdlich, denn es steht in einem krassen Widerspruch zur bolschewistischen Tradition unter Lenin und Trotzki, die sich stark für queere Menschen einsetzten. So war es die junge Sowjetunion, die als erster Staat eine Geschlechtsangleichung und eine einfache rechtliche Gleichstellung ermöglichte sowie die Homosexualität entkriminalisierte. Der stalinistische Rollback in den 1930er Jahren scheint angeblich auch vor einigen Trotzkist:innen nicht haltzumachen, die diese Ideologie zwar nicht verteidigen, sie aber – wie im Falle von Woods und Grant – angesichts der Queer-Theorie und der Existenz von nicht-binären Menschen vor ein Problem stellt.

Doch es bleibt nicht nur bei einer verbalen und theoretischen Diskrepanz zu queeren Themen. Sexismus und sexualisierte Übergriffe kamen in der IMT immer wieder vor. Zuletzt in der kanadischen Sektion, woraufhin 21 Genoss:innen ein Statement veröffentlichten und mit der IMT brachen. Ohne den Fall akribisch zu schildern, fand ein Victim-Blaming statt und der Täter wurde nur ungenügend zur Rechenschaft gezogen (siehe für detaillierte Informationen hier). Dass dieser Fall an die Öffentlichkeit kam, ist dem Umstand geschuldet, dass das kanadische Exekutivkomitee auf die Anschuldigungen katastrophal reagierte. Statt sich ernsthaft mit Sexismus und sexualisierter Gewalt innerhalb der eigenen Organisation auseinanderzusetzen, wird eine politische Verantwortung verneint und der Fall als zwischen zwei handelnden Individuen behandelt. Das Exekutivkomitee entzieht sich einer Verantwortung. Das Vorbringen eines solchen Sachverhalts muss ernst genommen werden. Anstatt die Vorwürfe nicht ernst zu nehmen, hätte das Exekutivkomitee mit der gebotenen Dringlichkeit die Fälle aufarbeiten müssen und sich nicht hinter dem Vorwurf des „politischen Angriffs” verstecken dürfen. Es geschah das absolute Gegenteil: man wollte den Fall schnell schließen. Begründet wurde das, dass der Täter bereits in der Vergangenheit mit „schlechtem Verhalten”(sic!) aufgefallen sei und man mit ihm darüber bereits gesprochen habe. In den Reihen der IMT befindet sich also jemand, der mehrmals Genoss:innen belästigte und sexuell übergriffig wurde. Wenn man einen sexualisierten Übergriff innerhalb einer trotzkistischen Organisation an einer höheren Stelle thematisiert und dadurch auch konservative Strukturen offenlegt, sieht sich die IMT also nicht in der Pflicht, etwas daran zu ändern, sondern startet einen Angriff auf das Opfer und wirft ihm vor, diesen Fall für eine „politische“ Abrechnung zu missbrauchen. Frauen und queere Menschen sollten in unseren Organisationen eine Kultur erleben, die sie ermutigt, sich zu organisieren und gegen Ausbeutung und Unterdrückung zu kämpfen.

Als ich davon erfuhr, war ich geschockt. In meiner Organisation habe ich mit Genoss:innen diesen Fall besprochen, doch auch dort wurde das Narrativ reproduziert, es handele sich um einen „politischen Angriff“ und man stehe eindeutig hinter dem Brief des Exekutivkomitees und wirft dem Opfer vor, diese „Situation“ für eine „politische Abrechnung“ zu instrumentalisieren. Anstatt dem Opfer zu glauben und eine dringende Änderung innerhalb der Strukturen zu veranlassen, die nicht Täter:innen, sondern Opfer schützt, wird von „Fraktionsbildung“ gesprochen, die der IMT nur schade. Hier zeigt sich ein weiteres Mal der hierarchische Charakter, dass die Führung immer unfehlbar sei und das Individuum keine Chance hat, wie in diesem traumatisierenden Fall, etwas zu unternehmen. Die IMT versteckt sich hinter leeren Phrasen und kennt nur „politische Angriffe“ – Sexismus und sexualisierte Übergriffe scheint es nicht zu geben, dafür ist man blind oder ist in seiner patriarchalen Sozialisierung verankert, dass man die Gefahr gar nicht erkennen mag.

Wie geht es perspektivisch weiter?

Man liest also, dass für meinen Bruch mit der IMT mehrere Faktoren eine Rolle spielen: eine politisch falsche Haltung zu Kuba und Venezuela, der zentristische Charakter in Form vom Grantismus als solchem, das wood’sche „Verständnis“ der Wissenschaft, die Haltung zu queeren Menschen und der Umgang mit Sexismus und sexualisierten Übergriffen innerhalb der Organisation. Weshalb ich als queere Person so lange in der Organisation war, ist dem oben erwähnten Umstand geschuldet, dass meine Ortsgruppe queerfreundlich war und es keinerlei Vorkommnisse gab. Eine Mehrheit der IMT-Genoss:innen ist selbst queer. Doch diese Erkenntnis ersetzt nicht die Tatsache, was außerhalb meiner Ortsgruppe geschah und geschieht. In der IMT gibt es wahrhaftige Trotzkist:innen, die es mit der Revolution ernst meinen und gegenüber denen ich keinerlei Groll hege. Ich sehe nur, dass ich kein Teil der IMT mehr sein kann, da die Diskrepanz zu groß ist und ich mich vom Grantismus lösen möchte.

Mittlerweile sind sechs Monate vergangen. Nach einer politischen Orientierungslosigkeit baute ich jedoch neue Kontakte zu Genoss:innen auf, die ich über die Fraktion Revolutionärer Bruch in der Solid kennenlernte. Als Trotzkistin komme ich um eine Organisierung nicht herum, was mich in der kurzen Zeit sowohl politisch als auch organisatorisch näher zur Revolutionären Internationalistischen Organisation (RIO) – die deutsche Sektion der Trotzkistischen Fraktion für die Vierte Internationale (FT) – brachte. Als ich noch Mitglied der IMT war, war die RIO für mich nur eine „ultralinke Sekte“, die keinerlei Bezug zur Arbeiter:innenklasse hätte. Das ist das nicht zu unterschätzende Werk der IMT, ihre Genoss:innen von anderen Gruppierungen zu isolieren, um so auch einer potenziellen Wahlfront entgegenzustehen. Natürlich war ich zu Beginn, da ich durch den Grantismus geprägt wurde, unsicher, ob die RIO die Organisation ist, die mir politisch nahesteht. Der Austausch und immer näherer Kontakt mit RIO-Genoss:innen zeigen mir jedoch, dass es sich hierbei um eine Organisation handelt, die es mit dem Trotzkismus ernst meint und alles andere als eine ultralinke Position vertritt. Dass sie nicht in reformistischen (oder stalinistischen) Parteien arbeitet, ist dabei keine Schwäche, sondern die logische Konsequenz aus der Analyse der objektiven Bedingungen, dass man mit dem Reformismus brechen muss. Sie isoliert sich nicht von der Arbeiter:innenklasse, sondern ist mitten in den Klassenkämpfen, sei es bei Gewerkschaften, den Hafenarbeiter:innen oder Kämpfe zur Umsetzung des Volksentscheid DW & Co. enteignen.

Die Stärke der RIO liegt für mich in dem Bekenntnis eines sozialistischen Feminismus und die Einheit des Kampfes der Migrant:innen, queeren Menschen, Jugend und der Arbeiter:innenklasse. Wie viele Sektionen eine Internationale hat, ist kein Gradmesser, wie relevant oder notwendig sie ist. Es geht um den Aufbau der unabhängigen kommunistischen Partei, um für die Überwindung des Kapitalismus zu kämpfen. Meine Zweifel wurden über die Zeit aus dem Weg geräumt und durch diese Entscheidung, lernte ich nicht nur die RIO kennen, sondern auch Genoss:innen anderer trotzkistischer Organisationen, die Teil der Fraktion Revolutionärer Bruch sind. In den Augen der IMT alles „ultralinke Sekten“, doch in Wahrheit ehrhafte Kämpfer:innen für den Kommunismus – der Bruch mit der IMT hat mir wortwörtlich die Augen geöffnet und die kritische Selbstreflexion ermöglicht, wie ich sie in diesem Schreiben darlegte. Man wird mich zwar nicht mehr in den Reihen der IMT sehen, aber ich bleibe Teil der sozialistischen Bewegung und perspektivisch wird die RIO meine politische Heimat werden, die meinen Positionen am nächsten ist und ich auch ihren Positionen näherkomme.

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