Der Druck auf die Familie von Adama Traoré steigt: „Sag deiner Schwester, sie macht zu viel Krach“
Adama Traoré ist einer von zahlreichen Opfern der Polizeigewalt in Frankreich. Im Juli wurde der junge Mann in Polizeigewahrsam umgebracht. Seitdem kämpft seine Familie um Gerechtigkeit und Wahrheit.
Ein Polizeimord
Am 19. Juli wird der 24-jährige Adama Traoré in Beaumont-sur-Oise – eine Gemeinde im Norden von Paris – von der Polizei ermordet. Bei seiner Festnahme wird er unter dem Gewicht von drei Polizisten auf den Boden gedrückt. Mehrmals klagt er darüber, dass er nicht mehr atmen kann, und fällt im Streifenwagen in Ohnmacht. In der Polizeiwache wird erauf dem Boden liegen gelassen. Dem Rettungsdienst wird es nicht mehr gelingen, ihn wiederzubeleben. Heute noch bleiben die Umstände seines Todes unklar. Höchstwahrscheinlich haben ihn die Techniken der Fastnahme getötet, wie die Strangulation, die schon den Tod von mehreren Menschen verursachte. Schon am Anfang gab es Unregelmäßigekeiten in dem Justizverfahren, die dazu dienen sollten, die Verantwortung der Polizisten auszuschließen.
In den folgenden Wochen wurde in den Medien viel über den Mord von Adama berichtet. Große Mobilisierungen gegen die Straffreiheit der Polizei entstanden. Am 5. November sind 3.000 Menschen unter dem Motto „Gerechtigkeit und Wahrheit“ für Adama auf die Straße gegangen. Sowohl Verwandte, als auch zahlreiche Aktivist*innen waren dabei. Allerdings versuchen die Behörden immer wieder, jede Art von Mobilisierung und Protest zu verhindern.
Immer mehr Druck auf Adamas Familie
Vor Kurzem hat die Bürgermeisterin Nathalie Groux gegen Assa Traoré wegen angeblicher „Verleumdung“ Beschwerde eingelegt. Die Schwester von Adama Traorée hatte nämlich im September in einer Fernsehsendung erklärt, die Bürgermeisterin hätte ihr „Lager gewählt – das der Polizei. Das heißt, das Lager der Polizeigewalt“.
Am 17. November sollte der Gemeinderat in Beaumont-sur-Oise zustimmen, ob er finanziell die Klage der Bürgermeisterin unterstützen würde. An diesem Abend versammelten sich mehrere Anwohner*innen vor dem Rathaus, um Assa zu unterstützen. Als Antwort wurden sie von den Ordnungskräften mit Kampfhunden bedroht und sie wurden brutal mit Tränengas angegriffen.
Einige Tage wurden die zwei Brüder von Adama, Bagui und Youssef, aufgrund von vermeintlicher „Beleidigung“ und „Gewalt gegen die Staatsmacht“ festgenommen. Nachdem das Schnellverfahren abgelehnt wurde, bleiben Youssef und Bagui bis zu ihrem Prozess am 14. Dezember in Untersuchungsschaft. Aus Protest dagegen kam es in Beaumont-sur-Oise zu Unruhen. Ein Bus und fünf Autos wurden angezündet.
Währenddessen üben die Behörden immer mehr Druck auf die Familie von Adama aus und versuchen, ihr alle Möglichkeit zum Kämpfen zu entziehen. Die Polizist*innen haben versucht, Bagui einzuschüchtern, indem sie ihm sagten, Assa mache zu viel von sich selbst reden: „Sag deiner Schwester, sie macht zu viel Krach“. Des Weiteren hat der Innenminister Bernard Cazeneuve seine Solidarität mit der Bürgermeisterin erklärt, obwohl diese schon rassistische Facebook-Posts verbreitete, in denen sie die “Staatsbürger französischer Abstammung“ dazu aufrief, sich zu bewaffnen, um den “mittellosen armen Polizisten“ zur Hilfe zu kommen. Auch hat Bernard Cazeneuve 170 zusätzliche Polizist*innen für die Gemeinde mobilisiert und „zur Ruhe“ aufgerufen.
Staatliche Repression
Amnesty International zufolge ist die französische Polizei die brutalste in ganz Europa. Im Durchschnitt sterben in ihren Händen jedes Jahr 15 Personen. Im Allgemeinen sind es junge Männer, die in den Arbeiter*innenvierteln in den Vororten wohnen. Techniken wie die Strangulation, die die Polizist*innen für die Festnahmen verwenden, werden in vielen anderen Länder als Folter betrachtet. Solche Methoden stammen aus der Zeit des Kolonialreichs und wurden benutzt, um die Aufstände anfangs und während des Algerienkrieges niederzuwerfen. Deswegen betrifft die Polizeigewalt insbesondere die Nachkommen der Migrant*innen und bezieht sich dadurch auf das koloniale Erbe. Es handelt sich darum, diese Bevölkerungen geographisch in ihren Bezirken zu halten – und auf sozialer Ebene auf ihrem Platz in der Gesellschaftsordnung. Zu diesem Zweck sind spezielle Einsatzkräfte geschaffen worden, wie die berüchtigte BAC (Anti-Kriminalitäts-Brigade). Diese mobilen Beamt*innen in Zivilkleidung erfüllen die Aufgabe, diese junge Menschen zu überwachen und zu hetzen.
Seit dem Anfang des Ausnahmezustands verschärft sich die staatliche Gewalt immer mehr. Dies hatte sich schon in der Bewegung gegen das Loi Travail – die Arbeitsmarktreform – veranschaulicht. Vor einigen Wochen hat jedoch der Angriff auf den Sorbonne-Dozenten Guillaume Vadot, gezeigt, dass diese jetzt alle Schichten der Bevölkerung betreffen kann. Außerdem gehen seit einigen Wochen Polizist*innen regelmässig auf die Straße und können ganz ungestraft bewaffnet demonstrieren, manchmal an der Seite von rechtsextremen Gruppen. Sie verlangen unter anderem die Ausbreitung der rechtlichen Möglichkeiten der „Selbstverteidigung“, was praktisch eine Erlaubnis zum Töten bedeutet.
Die Polizei ist nicht neutral. Sie beschützt die Interessen der herrschenden Klasse. Deswegen müssen wir für demokratische Rechte gemeinsam kämpfen, mit allen Opfern der staatlichen Repression, seien es die Arbeiter*innen von der Fabrik Goodyear, oder diejenigen, die die tägliche Polizeigewalt in den Vororten erleiden.