Der Bundeslockdown: Eingesperrt zu Gunsten der Wirtschaft

13.04.2021, Lesezeit 7 Min.
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Foto: trabantos / Shutterstock.com

Die einheitlichen Coronamaßnahmen für Deutschland, auf die sich das Bundeskabinett heute geeinigt hat, beinhalten neben Ausgangssperren weitere Angriffe auf das Privatleben während die Wirtschaft fast unangetastet bleibt.

Heute hat sich das Bundeskabinett auf einheitliche Coronamaßnahmen, eine Art “Bundesnotbremse”, geeinigt. Diese Vorlage soll nun in den Koalitionsfraktionen beraten und dann schnellstmöglich vom Bundestag beschlossen werden und soll vorläufig bis zum 30. Juni gelten.

Die festgelegten Maßnahmen haben es in sich: das Privatleben wird weiter massiv eingeschränkt, während die Wirtschaft auf Kosten der Gesundheit der Arbeiter:innen erneut nicht angetastet wird. Ein gewaltiger Schlag ins Gesicht aller, die seit nun einem Jahr Pandemie psychisch gewaltig unter den massiven Angriffen auf das Privatleben leiden, während sie weiterhin arbeiten müssen um Profite für Kapitalist:innen zu schaffen und an ihren Arbeitsplätzen tagtäglich ihre körperliche Gesundheit durch Ansteckungen mit dem Coronavirus gefährden.

Die Maßnahmen spiegeln das Prinzip des kapitalistischen Systems deutlich wieder: unsere Leben sind weniger wert als ihre Profite. So gibt es beispielsweise ab einer Inzidenz von 100 nächtliche Ausgangssperren in Deutschland zwischen 21 Uhr und 5 Uhr, während sich auf Grund der fehlenden Homeoffice Pflicht und des fehlenden Wirtschaftslockdowns tagtäglich Menschen auf dem Arbeitsweg und an ihren Arbeitsplätzen weiterhin anstecken werden.

Außerdem stellt sich die Frage, wie die Regierung die neuen Maßnahmen umsetzen möchte. Am Beispiel Berlin, wo sich seit einer Woche nur noch zwei Personen zusammen nach 21 Uhr draußen aufhalten dürfen, lässt sich beobachten, dass es zu einer wesentlich höheren Polizeipräsenz vor allem in migrantischen Vierteln kam. Wozu diese neue Macht der Polizei führen wird, lässt sich nur erahnen, jedoch wäre es kaum verwunderlich, wenn es in nächster Zeit zu vielen rassistischen Übergriffen unter Vorwand der Ausgangsbeschränkungen kommt. Das Gesetz ist auch eine Maßnahme, die der Bundesregierung ein konsequenteres Handeln gegenüber den Ländern ermöglichen soll, wie Baran Serhad schreibt:

Die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um die Bundesregierung zum Erlass der Rechtsverordnungen zu ermächtigen, ist nur eine Formalie, deren Konsequenzen aber weit über dieses Gesetz hinaus gehen. Denn der Föderalismus und das austarierte System haben dem deutschen Imperialismus in “ruhigeren” Zeiten lange eine hohe Stabilität gegeben. In Krisen erweist es sich als Bremsklotz. Die heutige Situation zeigt daher die Risse des “heiligen Föderalismus” in Deutschland.

Sichere Schulen? Fehlanzeige!

Anstatt einer sicheren Öffnung von Schulen wird auf eine illusorische Test- und Impfstrategie gesetzt, die Schüler:innen und Beschäftigte gefährdet. Als Notbremse wird die Inzidenz 200 festgemacht, bei der Schulen, Kindergärten und Kitas schließen sollen, letztere aber noch Notbetreuung anbieten können. Dabei sind Erzieher:innen die Berufsgruppe, die mit am meisten mit Corona erkranken. Auch Beschäftigte in Schulen fühlen sich absolut nicht sicher, weil sich täglich einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sehen und das ohne die geringsten Schutzmaßnahmen.

Einige Tage vor meiner Impfung wurde die Freigabe des Astra Zeneca Impfstoffes an unter 60-jährige verboten. Die Alternative der Regierung bezüglich dieser Umstände ist ganz einfach – die Impfungen des Schulpersonals an weiterführenden Schulen zu unterbinden und trotzdem die Schulen zu öffnen. Wieso gibt es keine Impfstoffe für uns 40.000 Mitarbeitende?! Und wenn es diese aktuell nicht gibt, dann dürfen die Schulen partout nicht geöffnet werden. Ich verstehe diese Vorgehensweisen der Regierungen nicht und merke, dass schlichtweg im Sinne des Kapitalismus und Konsums anstatt unserer Gesundheit gehandelt wird. – Zitat einer Beschäftigten an einer Schule.

Schüler:innen sollen zwar zwei mal die Woche getestet werden, doch in der Realität sieht es oftmals anders aus. Gerade kleine Kinder leiden psychisch enorm unter dem Wegfallen des Alltages und dem Unterricht zuhause – doch wenn Schulen offen bleiben, braucht es gut konzipierte Hygienekonzepte und entsprechende Ausstattung in den Klassenzimmern wie Luftreiniger und geimpften Lehrer:innen und Beschäftigten. Das fordert auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW):

„Präsenzangebote sollten nur von Kolleginnen und Kollegen durchgeführt werden, die ein Impfangebot wahrnehmen konnten und einen ausreichenden Immunschutz haben“, sagte GEW-Geschäftsführer Markus Hanisch am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

Oftmals wurde bei der Kritik an den fehlenden Hygienemaßnahmen an Schulen alles auf die Schulleitungen oder die fehlende Motivation der Lehrkräfte geschoben. Dabei wird völlig übergangen, dass es dem Lehrpersonal durch das konsequente kaputtsparen des Bildungssektors innerhalb der letzten Jahrzehnte schlicht nicht möglich ist Hygienekonzepte umzusetzen. Fehlende Gelder, baufällige Schulgebäude und massiver Personalmangel sind nur ein paar der Probleme.

Maßnahmen im Sinne der Wirtschaft, nicht der Wissenschaft

Dass es bei dem vorgelegten bundesweiten Coronamaßnahmen nicht um den Schutz unserer Gesundheit, sondern einzig und allein um den Schutz der Profite der Kapitalist:innen geht, wird umso deutlicher, wenn man auf die Stimmen der Wissenschaft und Forscher:innen hört und sie nicht, wie die Regierung, zu Gunsten der Wirtschaft ausblendet. So haben zum Beispiel in einem offenen Brief die führenden Köpfe der Gesellschaft für Aerosolforschung die Maßnahmen des Bundesregierung im Umgang mit der Pandemie kritisiert.

Die Maßnahmen gegen Ansteckung müssen dort stattfinden und dort intensiviert werden, wo sich Menschen in geschlossenen Räumen aufhalten, da die Ansteckungen mit Corona fast ausnahmslos in Innenräumen stattfinden. Das bedeutet also in überfüllten Bahnen zu Stoßzeiten auf dem Weg zur Arbeit oder in Großraumbüros und an anderen Arbeitsplätzen. Draußen im Freien, also bei einem jetzt verbotenen Spaziergang nach 21 Uhr zum Beispiel, werde das Virus wesentlich seltener übertragen und führe auch nicht zu breitgefächerten Ansteckungen. Die Verfasser:innen des Briefes sprechen sich dafür aus, dass Menschen draußen zusammen spazieren gehen können und die Möglichkeit brauchen, ihre sozialen Kontakte draußen zu sehen, damit sie nicht durch Treffen zuhause die Ansteckungen in die Höhe treiben.

“Wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen wollen, müssen wir die Menschen sensibilisieren, dass DRINNEN die Gefahr lauert.”
Zitat aus dem offenen Brief der Gesellschaft für Aerosolforschung an die Regierung

Der Virologe Hedrik Steeck wies in dem Zusammenhang auf den Mangel an Fachpersonal hin und betonte, dass dieses durch die zunehmenden Privatisierungen im Gesundheitssektor entstandene Problem ernst genommen werden müsse. Auch sprach er sich gegen eine nächtliche Ausgangssperre aus, denn die Infektionen haben sich von sozial starken Kommunen in sozial schwache verschoben, “wo Menschen sowieso auf engem Raum sind und sich gar nicht aus dem Weg gehen können. […] Wenn wir jetzt noch eine Ausgangssperre machen, die sowieso nur einen Effekt auf die Mobilität von 7,5 % oder 7,6% hat, dann stelle ich die Hypothese auf, dass wir dadurch das Infektionsgeschehen weiter anfeuern. Weil die Menschen ja nicht mehr rausgehen, spazieren gehen können um sich dort zu treffen.” Er spricht sich dafür aus, sichere Treffen draußen ermöglichen, denn das ist gerade für die Menschen in prekären Wohnsituationen wichtig. Nach ihm könnte auch die Öffnung von Außengastronomie sichere Treffpunkte schaffen.

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