Der beste Plan für 4/20: Cannabisfreigabe unter Arbeiter*innenkontrolle!
Die Cannabisprohibition ist ein Kapitel in der langen Geschichte des Imperialismus. Die Alternative dazu wäre die Freigabe unter Arbeiter*innenkontrolle.
Hast du 4/20, den weltweiten Feiertag der Cannabis-Freund*innen, gebührend zelebriert?
Wer das Glück hat, in Kalifornien, Colorado oder einem der neun anderen Bundesstaaten der USA zu leben, in denen Cannabis bereits legalisiert wurde, durfte in einer offiziellen Abgabestelle feiern. In anderen Bundesstaaten, die mittelfristig eine Legalisierung planen – wie New York und New Jersey – feierte man große Veränderungen der US-amerikanischen Cannabis-Kultur.
Ein wichtiger Hinweis darauf, wie schnell die Cannabis-Industrie Anerkennung erfahren hat, ist die Öffnung mancher Abgabestellen während des Lockdowns – sie wurden als Grundversorgung anerkannt (obwohl man sich in diesem Jahr eher an rauchfreien Konsumformen erfreuen sollte, weil das Rauchen anfälliger für die Covid-19-Erkrankung macht).
Die USA befinden sich in einem Wahljahr, in dem sogar die Demokratische Partei, die lange Zeit an der Spitze des “War on Drugs” ( “Krieg gegen Drogen”: Maßnahmen der US-Regierung gegen Drogenkonsum, -handel, -herstellung, verbunden mit rassistischer Polizeigewalt und Kriminalisierung von PoC-Communities) stand, die Legalisierung befürwortet. Die wichtige Frage lautet nun: Ist legales Gras genug? Inwieweit eignet sich eine Legalisierung unter kapitalistischen Voraussetzungen, um die jahrzehntelangen Qualen, die der “War on Drugs” Schwarzen und lateinamerikanischen Arbeiter*innen angetan hat, wieder gut zu machen? Sollte es ein sozialistisches Ziel geben, jenseits der Repräsentation marginalisierter Menschen in einer kapitalistischen Cannabis-Industrie?
Um diese Fragen zu beantworten, machen wir zunächst einen Spaziergang durch die Cannabis-Geschichte. Dabei beleuchten wir, wie die Droge in den USA und weltweit rassifiziert und kriminalisiert wurde.
Die Geschichte des „War on Drugs“
1937 sprach Henry Anslinger, Präsident des neuen US-amerikanischen Federal Bureau of Narcotics, vor dem US-Kongress über die Gefahren einer skandalösen neuen Droge: Marihuana.
Anslinger erzählte schaurige Gruselgeschichten über ein Kraut, das die Macht hat Wahnsinn, Vergewaltigungstriebe und Mordlust auszulösen und – schlimmer noch – von unterdrückten Menschen genossen wird. Noch gefährlicher als die Droge selbst waren laut Anslinger ihre Konsument*innen: Jazzmusiker*innen, mexikanische Einwanderer*innen und Kommunist*innen.
Es gab nur ein Problem mit Anslingers These: Marihuana-Konsum war überhaupt nicht neu. Tatsächlich verwendet die Menschheit Cannabis fast so lange, wie sie in Städten lebt. Mündliche Überlieferungen aus China über die berauschende Kraft von Hanf reichen bis mindestens ins Jahr 2700 v. Chr. zurück.
Historische medizinische und spirituelle Texte aus Südasien benennen Cannabis als eine der fünf wichtigsten heiligen Pflanzen. Die arabische Literatur des Mittelalters führte eine symbolische Debatte über die Tugenden und Lastern von Alkohol und Haschisch, Marihuana-Konsum wird seit langem mit Sufi-Mystikern in Verbindung gebracht. Cannabis hatte in jedem dieser Kontexte komplexe und manchmal widersprüchliche Rollen, und die lokalen Regierungen regulierten Cannabis auf unterschiedlichen Ebenen.
Als der europäische Kolonialismus Cannabis nach Amerika brachte, war die Verwendung der Pflanze in anderen Erdteilen bereits Tradition. Für Anslinger und seine Rede auf dem Kongress in den 1930er Jahren spielte sie aber – wie auch die Tatsache, dass Wissenschaftler*innen die Pflanze wiederholt als relativ harmlos eingestuft hatten – keine Rolle.
Das lag daran, dass Ängste vor Cannabis wenig mit der Droge selbst zu tun hatten – sondern mit der Kontrolle von Land und Arbeit, die den US-amerikanischen und europäischen Imperialismus charakterisierte.
Der imperialistische Weg zur Cannabis-Kriminalisierung
Die flächendeckende Kriminalisierung von Cannabis in der westlichen Welt begann, wie einige der schlimmsten globalen Trends, mit dem Britischen Imperium. Zwar gibt es Hinweise auf historischen Cannabis-Gebrauch auf dem europäischen Festland, in England war die Droge in der frühen Neuzeit jedoch relativ unbekannt. Die Pflanze Hanf allerdings war, aufgrund der Verwendung ihrer Faser, bereits seit langem ein wichtiger Rohstoff und Handelsgut der Europäer.
Als die Briten im 17. Jahrhundert Südasien erreichten, fanden sie eine reiche medizinische Cannabis-Kultur vor. Auch Vorläufer der auch heute beliebten Bhaang-Getränke und hanfhaltigen Süßigkeiten wurden entdeckt. Kolonialwissenschaftler*innen untersuchten Cannabispräparate auf ihre mögliche Verwendung in der westlichen Medizin und ihr Potential als Handelsgut – als Fragment der umfassenden Ausbeutung der botanischen und wissenschaftlichen Ressourcen britischer Kolonien.
Ende des 19. Jahrhunderts leiteten die Briten, teils als Reaktion auf die schwelende antikoloniale Stimmung, mehrere intensive Untersuchungen des Einflusses von Cannabis auf „kolonialen Ungehorsam“ ein. Lebhafte Berichte über tollwütige, aufständische Untertan*innen im Rausch füllten die Boulevardzeitungen – und lösten bei den Behörden Angst und Regulierungsdruck aus.
“Mörderische Attacken unter Einfluss von indischem Hanf häufen sich”, titelte 1885 eine Zeitung in Bombay.
Die Assoziation von Wahnsinn, Cannabis und Kontrolle war so stark, dass Beamte in kolonialen „Irrenanstalten“ die Finger der Inhaftierten auf Schwielen untersuchten – angebliche Anzeichen für häufigen Marihuana-Konsum.
In den Vereinigten Staaten zeichnete sich inzwischen eine ähnliche Politik in Bezug auf Land, Arbeit, “Rasse” und Cannabis ab. Im 19. Jahrhundert forderten die Baumwollbauern die US-Regierung auf, Cannabis zu kriminalisieren. Sie fürchteten die Konkurrenz: Textilien aus Hanffasern. Dieser Vorstoß weißer Baumwollbarone und die Assoziation von Marihuana mit Kolonialisierten trugen wahrscheinlich zu den rassistischen Ängsten des frühen 20. Jahrhunderts bei: Als drogenvernebelte Irre wurden Schwarze Amerikaner*innen – insbesondere Jazzmusiker und andere Kulturschaffende – diskreditiert.
Das erste Cannabisverbot in den USA sprach El Paso im Jahr 1914 aus. Einige Historiker argumentieren mit seiner Nähe zu Mexiko. Es gäbe eine Verbindung zu den sich ständig verändernden Grenzen und Bevölkerungsgruppen der Region, einem Ergebnis der aggressiven imperialen Expansion der USA. Regionale Versuche, Cannabis zu regulieren, gingen mit der Verabschiedung von Anslingers Marihuana Tax Act von 1937 einher, mit dem Cannabis endgültig kriminalisiert wurde.
In den folgenden Jahrzehnten exportierten die Vereinigten Staaten die Kriminalisierung – als Fortsetzung der britischen imperialen Praxis. Das Suchtstoffübereinkommen der WHO von 1961 listete Cannabis als kontrollierte Substanz auf und stellte damit westlichen Einfluss auf Regionen sicher, in denen der medizinische, spirituelle und kulinarische Cannabis-Konsum historisch weit verbreitet war. Einige Länder, wie Indien, haben sich gegen die Kriminalisierung von Cannabis gewehrt und traditionelle Formen des Konsums anerkannt.
Heute ist die Kriminalisierung von Cannabis (und anderen Substanzen) ein wesentlicher Bestandteil der halbkolonialen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen den USA und einem Großteil Lateinamerikas. Zwar sind Splatter-Filme im Reefer-Madness-Stil, in denen drogenpsychotische Mörder die Hauptrollen spielten, größtenteils verschwunden. Moderne Darstellungen von Cannabis in der Popkultur sind jedoch ebenso rassifiziert und klassifiziert. Der Drogenschmuggel dient als Symbol für eine fiktive „Bedrohung“ der weißen Amerikaner*innen durch lateinamerikanische Migrant*innen – etwa in der Fernsehserie „Weeds“.
Die ambivalenten Effekte der Legalisierung
Nach Jahrzehnten der Kriminalisierung und Jahrhunderten des Rassismus werden Schwarze Amerikaner*innen vier Mal häufiger als Weiße wegen ihres Cannabiskonsums inhaftiert – obwohl Cannabis in beiden Bevölkerungsgruppen ähnlich weit verbreitet ist.
Marihuana ist nach wie vor ein Hauptgrund rassistischer Kontrollen und Verurteilungen – und sichert den traurigen Status der USA als der Staat mit den weltweit meisten Inhaftierten. In Kontrast zur im vergangenen Jahrhundert geschürten Massenpanik steht heute die breite Unterstützung der Cannabis-Legalisierung: zwei Drittel der US-Einwohner*innen befürworten sie, sogar ehemalige „Generäle“ des “War on Drugs” setzen sich für sie ein. Die Präsidentschaftskandidat*innen der Demokratischen Partei fordern verschiedene Legalisierungskonzepte – zum Beispiel Kamala Harris, die sich in ihrer Rolle als Staatsanwältin heftiger Kritik aussetzt. Selbst Joe Biden – traditionell ein großer Freund rassistischer Verhaftungen – äußerte, dass Cannabis „im Grunde“ legalisiert werden sollte.
Aber welche konkreten Auswirkungen hat die Legalisierung auf die Schwarzen und lateinamerikanischen Arbeiter*innen, die “Krieg gegen Drogen” am schlimmsten traf?
Freilich ging die Entkriminalisierung mit einem Rückgang an Verhaftungen wegen Drogendelikten einher. 2010 fanden 52 Prozent aller Verhaftungen im Zusammenhang mit Cannabis statt, 2018 lag der Anteil bei 40 Prozent. Doch gleichzeitig werden satte 92 Prozent dieser Prozesse mit dem bloßen Besitz von Marihuana begründet. Es werden also immer noch Menschen – größtenteils Schwarze und lateinamerikanische Arbeiter*innen – verhaftet, mit Bußgeldern belastet und in einem Teufelskreis der Kriminalisierung gefangen gehalten – alles nur wegen des Besitzes einer Substanz, die in 11 Bundesstaaten völlig legal erhältlich ist. In der Tat hat die Legalisierung in Colorado zu vermehrten Verhaftungen Schwarzer und lateinamerikanischer Teenager wegen Cannabis-Gebrauch geführt.
Abgesehen von alldem: Gegenwärtig bedeutet Legalisierung Privatisierung. Sie spülte Wohlstand in die Taschen aufstrebender Cannabis-Start-Ups – nämlich ungefähr 160 Billionen Dollar. Der neue Cannabis-Markt ist das, als was er von einigen Bourgeois bezeichnet wird: eine „gute Gelegenheit“.
Als die Bundesstaaten mit der Regulierung begannen, wurden die Arbeiter*innen des inoffiziellen Cannabismarktes systematisch außen vor gelassen – auch hier sprechen wir wieder einmal von mehrheitlich Schwarzen und lateinamerikanischen Menschen. Einerseits geschah das durch einzelne Gesetze, wie etwa das Verbot der Vergabe einer Cannabis-Lizenz an Vorbestrafte. Andererseits mangelt es den Betroffenen schlicht am Kapital für den Einstieg in die neue Billionen-Dollar-Industrie. Als erschwerender Faktor kommt die übrige Diskriminierung hinzu – sowie die Tatsache, dass in Folge der traumatischen Erfahrungen durch den “War on Drugs” sich viele schlicht nicht trauen, aus der Illegalität heraus zu kommen.
So verwundert es nicht, dass die meisten Cannabis-Unternehmen in Colorado fest in weißer Hand sind. Als Reaktion darauf haben sich in Städten wie Somerville (Massachusetts) oder Oakland (Kalifornien) Initiativen zur Förderung von Schwarzen, Lateinamerikaner*innen und Vorbestraften innerhalb der Cannabis-Industrie gebildet. In Selbstorganisation setzt man sich dort „von unten“ für die Unterstützung jener ein, denen die Cannabis-Verfolgung am meisten geschadet hat.
Power, Pleasure, and Pot to the People
(Macht, Vergnügen und Gras für die Leute)
Es ist nicht genug, die Diversität zu fördern und wirtschaftliche Hindernisse für die Teilhabe am neuen Markt zu beseitigen. Solange die Cannabis-Industrie privatisiert ist, gibt es keine Gerechtigkeit – weder für die Arbeiter*innen, noch für die rassistisch und imperialistisch unterdrückten Menschen, denen der “War on Drugs” am meisten geschadet hat.
Eine wirklich gerechte Cannabis-Industrie wird von ihren Arbeiter*innen kontrolliert und ist Teil eines sozialistischen Gesamtgefüges.
Die Kriminalisierung von Cannabis ist ein Mittel rassistischer Gewalt und der Unterdrückung von Arbeiter*innen. Zeitgleich ist sie eine Form der Diskriminierung gegenüber (Halb-)Kolonien, die einen spirituellen, medizinischen oder kulinarischen Cannabis-Bezug haben.
Wie bei der kapitalistischen Kontrolle landwirtschaftlicher Systeme – wie Monsantos Massenpatentierung und Privatisierung von Saatgut – entfremdet die Umwandlung von Nahrungsmitteln und Pflanzen in Waren die Menschen von ihrer eigenen Arbeit, Kultur und Natur.
Wenn Sozialist*innen über die Kontrolle der Produktion durch die Arbeiter*innen sprechen, meinen wir nicht nur Grundbedürfnisse. Wir meinen kollektivierte Formen eines erfüllten Lebens. Wir meinen die gemeinschaftliche Produktion von und gleichberechtigten Zugang zu allem, was uns Sinn und Freude bereitet: gutes Essen, bedeutungsvolle Gegenstände und kulturell bedeutsame Rauschmittel wie Cannabis, das seit 5000 Jahren die Menschheitsgeschichte begleitet.
Dieser Artikel von Reina Gattuso wurde zuerst als Gastbeitrag auf Left Voice veröffentlicht.