#FeesMustFall: Der Aufschwung der Südafrikanischen Studierendenbewegung

05.11.2015, Lesezeit 10 Min.
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Ein südafrikanischer Mai `68?

Südafrika sieht sich momentan mit den größten Studierendenunruhen seit dem Fall der Apartheid konfrontiert. Universitätsstudierende haben einen wichtigen Kampf gegen drastische Erhöhungen von 8% bis 12% der Gebühren für Unterricht, Verpflegung und Unterbringung aufgenommen. Die Studierendenproteste, die am 14. Oktober an der Witwatersrand-Universität in Johannisburg gegen einen Anstieg der Zulassungsgebühren um 10,6% sowie der Bewerbungsgebühren um 6% stattfanden, waren der Funke, der ein rasendes Feuer der Mobilisierung im ganzen Land auslöste. Diese Aktionen kulminierten in nationalen Protesten am 21. Oktober, bei denen mehr als dreitausend Studierende der Universität Kapstadt zum Parlament zogen. Während der Demonstration feuerte die Polizei in einer Szenerie, die an die Apartheid erinnerte, mit Betäubungsgranaten in die Menge, um die Studierenden davon abzuhalten, in die Nationalversammlung einzudringen. Diese hatten verlangt, vom Bildungsminister Blade Nzimanade, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Südafrikas, empfangen zu werden. Mehrere Studierende wurden verhaftet: Die Anklagen wegen Hochverrats, die gegen sie erhoben wurden, hatten einen entzündenden Effekt auf die Bewegung, vergleichbar mit den Vorwürfen gegen die Überlebenden des Marikana-Massakers 2012, denen die Ermordung ihrer eigenen Genoss*innen durch die Polizei zur Last gelegt wurde. Diese stützte sich damit auf ein Gesetz aus der Apartheid, durch das alle an einer Schießerei mit der Polizei beteiligten Personen festgenommen werden können. Am folgenden Tag wurden die Überlebenden als Held*innen von ihren Kampfgenoss*innen empfangen.

In der Folge, fand am Freitag, dem 23. Oktober, die größte Demonstration vor den Union Buildings, dem offiziellen Sitz der südafrikanischen Regierung und dem Büro des südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma, statt. Mehr als zehntausend Menschen versammelten sich unter der Forderung, die geplanten Gebührenerhöhungen aufzuhalten. Die Studierenden forderten, dass Zuma heraustrete und sich den Konsequenzen stelle, doch die Regierung zögerte nicht, ihren Repressionsapparat zu entsenden, der mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Demonstrierenden vorging.

Es handelt sich hierbei um den größten Studierendenprotest seit dem Aufstand in Soweto 1976. Die Kampflust der Studierenden zwang Zumas Regierung einzulenkenund anzukündigen, dass die Gebühren nicht erhöht werden. Allerdings blieben mehrere Universitäten trotz dieses Rückzugs am Montag mobilisiert. Wie sie selbst bestätigten: „Phase 2 besteht nun darin, die Verringerung der Universitätsgebühren zu erreichen. Die Einschreibung hat noch immer denselben Preis. Das ist kein Grund zu feiern.“ Ein weiterer Student fügte hinzu: „Wir kämpfen nicht nur gegen diese Erhöhung der Gebühren. Wir bekämpfen jede der Erhöhungen, die seit 2011 stattfanden, die für einzelne Module eingeschlossen.“ Diese Forderung ist keine zweitrangige in einem Land, wo die Zulassungsgebühren je nach Universität zwar variieren, doch für Medizinstudierende bis zu 60.000 Rand (4000 Euro) betragen, und wo weiße Familien offiziellen Zahlen zufolge sechsmal so viel verdienen wie schwarze Familien. All das in einem Kontext eines geringen Wirtschaftswachstums seit 2009, in dem die Rezession und die Austeritätsmaßnahmen der Regierung das Budget für öffentliche Hilfe für Studierende zunehmend reduziert haben.

Hinter den Forderungen der Studierenden steht die Ungleichheit von schwarzer und weißer Bevölkerung

Der Unmut der Studierenden kommt nicht von ungefähr. Er ist die Krönung von Jahren des Protests und der Frustration, insbesondere an den mehrheitlich schwarzen Universitäten.

1996 gab der ANC seine GEAR-Kampagne bekannt (ein Apronym für Wachstum, Beschäftigung und Umverteilung), welche die Stärkung wirtschaftlicher Orthodoxie (Liberalisierung und Öffnung des Landes für internationales Kapital nach einer halb-autarken Periode als Folge der internationalen Sanktionen gegen die „Apartheid“), die Bekämpfung der Armut und Rassenungleicheit sowie der Entwicklung von „Affirmative Action“-Programmen zum Ziel hatte, die Quotenregelungen in Unternehmen einer gewissen Größe einführen sollten. Die Maßnahmen hatten darüber hinaus die Fusion historisch schwarzen und historisch weißen Universitäten zur Folge. In Wirklichkeit blieben den Universitäten mit vornehmlich schwarzer Studierendenschaft weiterhin nur geringe Ressourcen und waren so eine Art der Bantustan-Universität und bis vor Kurzem der Schwerpunkt von Studierendenprotesten.

Der Unterschied zur aktuellen Bewegung liegt darin, dass traditionell weiße Universitäten den Kampf mit aufgenommen haben. Schwarze als auch weiße Studierende haben sich gegen die Gebührenerhöhung verbündet, der Hashtag #FeesMustFall wurde zum Schlachtruf gegen die Anhebung. Als schwarze Demonstrant*innen vom Eastcape Midlands College zum Ziel der Polizei wurden, forderten sie weiße Studierende auf, einen menschlichen Schild um sie zu bilden. In einer Demonstration der Solidarität kamen ihnen weiße Studierende der Rhodes-Universität zu Hilfe und nahmen in der Hoffnung die erste Reihe ein, dass der südafrikanische Staat weniger gewillt war, weiße Studierende zu misshandeln als schwarze. Diese Geste der Solidarität war auch eine Anerkennung des repressiven und rassistischen Charakters des südafrikanischen Staates.

Diese alten Bastionen des weißen Privilegs haben einen wachsenden Einfluss auf insbesondere schwarze Studierende aus der Mittelschicht erfahren – die Söhne und Töchter der neuen schwarzen Mittelschicht, die sich während des Booms der Rohstoffe vom Ende der 1990er bis in die Mitt-2000er entwickelte.

Obwohl weiße Studierende noch immer die Mehrheit an der Universität Stellenbosch bilden – dem akademischen Herzen des afrikanischen Nationalismus wo bis heute teilweise auf Afrikaans unterrichtet wird – machen schwarze Studierende an vormals weiß-dominierten Universitäten 70 Prozent der Studierendenschaft aus. Doch diese Bewegung ist weit davon entfernt, das Problem der Rassenungleichheit zu lösen, auch wenn es diese deutlicher sichtbar gemacht hat. Wie ein Student der New York Times sagte: „Erst mit der Ankunft an der Universität von Kapstadt, einer Bastion des Kampfes gegen die Apartheid, wurde sich Rambina Mahapa seiner Rasse bewusst. Mahapa wuchs in einem Dorf auf, in dem es nur schwarze Südafrikaner*innen gab und er schloss die High-School als Jahrgangsbester ab. Doch als er an die Universität von Kapstadt kam, wurde ihm das Gefälle zwischen schwarzen und weißen Studierenden klar: Von 15 Menschen, die in seinem Wohnheim ein Auto besaßen, war nur einer schwarz. Als die ersten Prüfungsergebnisse bekannt gegeben wurden, standen die schwarzen Studierenden am unteren Ende der Listen. ‚Das ist der Grund, weshalb ich begann, mich schwarz zu fühlen‘, sagte Mahapa, der zwei Jahre vor dem Ende der Apartheid geboren wurde, nun im dritten Jahr Psychologie und Philosophie studiert und Präsident der Studierendenregierung der Universität ist. ‚Selbst wenn ich hin und wieder im Fernsehen Bilder über die Apartheid gesehen habe, internalisierte man sie nicht, dachte nicht darüber nach – bis man in einen Raum kommt, wo man sie tatsächlich erfährt.‘“

Studierende als Resonanzboden der sozialen Frustration aller Schichten der Bevölkerung eines Post-Apartheid-Regimes

Die momentane Welle der Universitätsproteste ist ein neuer Wendepunkt in der Dynamik desjenigen Klassenkampfes, der mit dem Marikana-Massaker begann. Sie zeigen, dass die Mittelschichten der Bevölkerung wie die Studierenden genug haben von hohen Studiengebühren, von ihren Lebensbedingungen, von ihren schlechten Beschäftigungsperspektiven nach dem Abschluss und von der Verschwendung der öffentlichen Gelder durch die brutale Korruption der neuen politischen Post-Apartheid-Elite, dessen erbärmlichste Inkarnation Jacob Zuma ist.

Historisch betrachtet spielte die Studierendenbewegung in Südafrika eine ausschlaggebende Rolle in der allgemeinen Unzufriedenheit, wie es 1960, 1976 und 1985 der Fall war. Das zeigt uns die enorme Unterstützung und die enorme Sympathie, die nicht nur passiv, sondern beizeiten sehr aktiv war, und die in der Bevölkerung von der Überzeugung der Bewegung geweckt wurde, bis zum Letzten zu kämpfen. Die Times berichtete am 23. Oktober, dass, nachdem eine Mutter von der Beteiligung ihres Sohnes an Zusammenstößen mit der Polizei an der Free-State-Universität in Kapstadt erfahren hatte, sie eine Wagenladung an Essen, Küchenutensilien und Suppenpäckchen gepackt hat, um ihn zu unterstützen. Anwohner*innen verbündeten sich mit den Studierenden, indem sie ihnen Essen und Wasser brachten. Der Besitzer einer Wasserversorgungsfirma organisierte einen Konvoi, der den Studierenden Wasser lieferte. In Pretoria brachte eine Pizzeria den Protestierenden 500 Pizzen.

Was als Protest gegen die Universitätsgebühren begann und weiterhin ein solcher ist, ist rasch auch ein breiterer Protest geworden gegen Ungleichheit, gegen das Monopol über die Ressourcen des Landes durch eine privilegierte Minderheit, während die Mehrheit in Armut lebt.

Der wachsende Unmut der unter Armut leidenden Menschen hat verschiedene Formen von Mobilisierung und Protest angenommen, die Südafrika mit einem Durchschnitt von 35 Kundgebungen und Demonstrationen pro Tag den Titel der „Welthauptstadt des Protests“ eingebracht haben. Sie haben sich selbst organisiert, um gegen ihre furchtbaren Lebensbedingungen zu protestieren, den Mangel an angemessenem Wohnraum, Sicherheit, Elektrizität, Wasser und vernünftigen Sanitäranlagen. Trotz der Tatsache, dass Südafrika ein Land durchschnittlicher Einkommen ist, geht jeden Abend jede vierte Person hungrig zu Bett. Familien kämpfen weiterhin um ihr Überleben, während die Wirtschaft weiter fällt und die Arbeitslosigkeit weiter wächst, besonders unter Jugendlichen. Neben den ärmsten Segmenten der Bevölkerung sind es Arbeiter*innen, die den Angriffen der imperialistischen multinationalen Konzernen und er Regierung widerstanden haben, wie die Bergleute von Marikana, die gegen die imperialistische Anglo American kämpfen oder Arbeiter*innen der Automobilbranche, die kürzlich ihren Bossen entgegengetreten sind.

Das Ende der Illusion der „Regenbogen-Nation“

Der Hintergrund der Studierendenaufruhr ist die schlimmste wirtschaftliche Krise seit Ende der Apartheid. Seit der weltweiten Krise 2007/2008 haben eine Million Arbeiter*innen ihre Jobs verloren und keiner ist wiedergekommen. Nach einer Rezession von 1,3% im zweiten Trimester könnte die Wirtschaft Ende Oktober in die zweite Rezession innerhalb von nur fünf Jahren geschlittert sein. In diesem Kontext liegt nun die Koalition bestehend aus ANC, der Südafrikanischen Kommunistischen Partei und dem größten Gewerkschafts-Dachverband des Landes COSATU, die Zuma an die Macht gebracht hat, in Trümmern. Nach dem Ausschluss ihres Hauptverbündeten, der Metallgewerkschaft NUMSA mit 320.000 Mitgliedern, sieht sie sich gespalten. Die Gewerkschaft hatte sich zuvor entschieden mit dem Dreierbündnis zu brechen und kündigte Pläne an, eine Einheitsfront, eine Sozialistische Partei der Arbeiter*innen (WASP) zu gründen.

Die Studierendenproteste waren ein harter Schlag für die Regierung und das akademische Establishment, 21 Jahre nachdem der ANC angeführt von Mandela den Übergang zu eine multiethnischen parlamentarischen Republik begann, was im Austausch mit einigen wenigen Zugeständnissen das Überleben der weißen Bourgeoisie und ihre wirtschaftliche und politische Vormachtstellung sicherte. Heute sind sich einige Sektoren der Bevölkerung dieses Schwindels bewusst geworden: „Die Mehrheit der Südafrikaner*innen sind sehr naiv gewesen, indem sie die ‚Regenbogen-Nation‘ verteidigt haben, oder wie auch immer sie sie nennen“, behauptet Majaletje Mathume, ein studentischer Aktivist an der Stellenbosch-Universität: „In hohem Grad fühlen sich viele schwarze Südafrikaner*innen noch so, als seien stünden sie im Dienst der Weißen. Der Übergang basierte darauf, ihre Gefühle nicht zu verletzen, damit sie nicht fliehen.“

Mit anderen Worten haben die Aktionen der Studierenden eine breite, landesweite Unzufriedenheit mit dem Grundsatz der gleichen Repräsentation für Schwarze zum Vorschein gebracht. Denn auch im heutigen Südafrika, Ergebnis des Übergangspaktes zwischen ANC und der Apartheidregierung 1994, haben Weiße einen überproportionalen Einfluss auf Wirtschaft und andere Sektoren wie die universitäre Bildung behalten. Die Wirklichkeit ist, dass der Übergang oder die Transformation nur einer kleinen schwarzen Elite mit politischen Verbindungen genutzt hat, während die Mehrheit der Bevölkerung nur sehr wenig profitierte. Die Letzteren beginnen politisch zu erwachen. „Während der Proteste haben viele Leute das Projekt von 1994 infrage gestellt und verurteilt“, erklärt Rekgotsofetse Chikane, 24, eine weitere studentische Anführerin der Universität Kapstadt, der ergänzte, dass die Kritik soweit ging, auch den ehemaligen Präsidenten Nelson Mandela einzuschließen. „Und wenn Mandela nicht sicher ist [vor Kritik], kann es kein Anführer sein.“

Das Erwachen der südafrikanischen Studierendenbewegung und der Sprung ihres politischen Bewusstseins sind ein Schlachtruf für die Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt.

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