Der atmosphärische Tod in Palästina
Die letzten Tage in Palästina zeigen immer wieder die offene Unterdrückung durch den israelischen Staat und die Auswirkungen der Kolonisation. Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch die USA führte zu weiteren aufopferungsvollen Kämpfen, in denen neue Held*innen geboren werden.
The colonized, like all the people in underdeveloped countries and all the dispossessed everywhere, do not see life as blossoming and fruition but as a permanent struggle against atmospheric death. This death, this mort à bout touchant manifests itself as endemic famine, unemployment, the high death rate, the feeling of inferiority, and the absence of future prospects. – Frantz Fanon
Vielleicht weil die Besatzung Palästinas seit nunmehr fast 70 Jahren andauert, sind Kinder das Symbol des Widerstandes in den letzten Kämpfen der Palästinenser*innen geworden. Nationale Unterdrückung manifestiert sich auch darin, dass sie keine Unterscheidung zwischen alt und jung macht. So kommt es, dass der 16-jährige Mohammed Fawzi Al Junaidi zum Kristallisationspunkt eines Kampfes wird, der um die Befreiung aus dem zionistischen Joch geführt wird.
Ein Junge, der von 23 Soldaten der israelischen Armee abgeführt wird, seine Augen zugebunden, fast um zu zeigen, dass die Besatzungsmacht nicht nur Herrin der palästinensischen Körper ist, sondern auch der Sinne dieser jungen Menschen. Mohammed Fawzi Al Junaidi, ein Junge von 16 Jahren, der wehrlos den hochgerüsteten Einsatzkräften ausgeliefert ist und nicht weiß, wohin ihn dieser Weg umgeben von Maschinenpistolen führen wird… Was haben wir damals mit 16 Jahren eigentlich gemacht?
Al Junaidi hatte wie tausende andere palästinensische Jugendliche gegen die Entscheidung Donald Trumps demonstriert, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Da sein Vater seit einem Arbeitsunfall nicht mehr arbeitsfähig ist, musste er schon früh inmitten der besetzten Gebiete arbeiten gehen. Al Junaidi wurde nicht zufällig zum Symbol des Widerstands der letzten Wochen, der weiterhin Menschen auf die Straßen treibt, obwohl sie von scharfer Munition und Tränengasgranaten angegriffen werden.
In Palästina ist der atmosphärische Tod der ewige Begleiter, der einen ganz schnell vereinnahmen kann, wenn die zionistischen Bomben und Schüsse fallen und wie bei den jetzigen Protesten vier Tote verursachen. In Palästina drückt sich dieser unangenehme Begleiter aber auch darin aus, dass der zionistische Staat all diejenigen, die gegen die Besatzung kämpfen, ins Gefängnis stecken kann.
Auch hier sind Kinder die Belege für die Totalität der Repression: Seit dem Jahr 2000 wurden mehr als 12.000 Kinder von den Besatzungskräften festgenommen. In den letzten Tagen kursierten immer wieder Videos von Festnahmen von Kindern, die von schwerbewaffneten Soldat*innen abgeführt werden. Der zionistische Staat versucht gar nicht erst so zu tun, als seien diese Maßnahmen zwar hart, aber gerecht; er legitimiert sie offen und verstärkt sie auch noch.
Dies führt dazu, dass die Palästinenser*innen in der Tat ein Leben in der Kolonisation führen, wie es Frantz Fanon in seinen Untersuchungen über die Kolonisierten beobachten konnte: Das Leben nicht als Aufblühen oder Verwirklichung des Individuums, sondern als permanenter Kampf gegen den atmosphärischen Tod. Hunger, Arbeitslosigkeit und keine Perspektive kennzeichnen diesen Kampf, der in Gaza dramatisch verschärft ist, wenn ein Großteil keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat oder nur drei Stunden Strom per Tag. Ein Leben in permanenter Bedrohung, denn obwohl Al Junaidi erst 16 Jahre alt ist, wird er vor ein israelisches Militärtribunal gebracht werden und sitzt bis heute in Haft.
Die Lage der Palästinenser*innen, die gerade deswegen so schlecht wie noch nie ist, wird nicht zufällig in dieser Zeit von Trump ausgenutzt, um die letzten Reste des Oslo-Prozesses ins Grab zu schaufeln. Damit einher geht auch die Intention des zionistischen Kolonialismus, das palästinensische Volk nicht nur zu unterdrücken, sondern mit dieser Unterdrückung die Vertreibung der Palästinenser*innen zu erreichen. Es verwundert nicht, dass Folge dieser Politik eine Dehumanisierung sondergleichen ist, die selbst Kinder nach ihrer Festnahme in Käfigen einsperrt.
Denn nichts anderes bedeutet es, wenn Jugendliche für angebliche Steinwürfe auf vollausgerüstet Besatzungssoldat*innen bis 90 Tage in Haft bleiben können, ohne dass sie Rechtsbeistand haben. Eine Maßnahme, die einmal verlängert werden kann, sodass es sein kann, dass er insgesamt 180 Tage in Haft bleibt, ohne je eine*n Anwält*in zu sehen. Al Junaidi ist damit nicht alleine, denn derzeit sitzen etwa 350 Jugendliche in israelischer Haft.