Der (Anti-)Amazonas-Gipfel

14.08.2023, Lesezeit 6 Min.
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Im Oktober 2022 protestierten indigine Menschen aus Brasilien gegen den COP27-Gipfel in Brüssel. Bild: Alexandros Michailidis / Shutterstock.com

Am 8. und 9. August trafen sich die Amazonas-Anrainerstaaten, um über den Schutz des Regenwaldes zu debattieren. Proteste dagegen wurden durch Militärpolizist:innen und Sicherheitspersonal der Ölindustrie niedergeschlagen.

Seit 1990 wurden im Amazonasgebiet etwa 400.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt. Das entspricht der Fläche von Deutschland und Dänemark zusammen. Die Abholzung des größten Regenwaldes des Planeten hat nicht nur einen Einfluss auf die Klimakatastrophe, sondern bedeutet auch Landraub und Gewalt gegenüber der indigenen Bevölkerung Brasiliens. Aufgrunddessen fand im brasilianischen Belém der “Amazonas-Gipfel” statt, an dem die acht Anrainerstaaten – Bolivien, Brasilien, Ecuador, Guyana, Kolumbien, Peru, Suriname und Venezuela – des Amazonas zusammenkamen. Am Dienstag und Mittwoch wurde darüber diskutiert, welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden müssten, um den Regenwald zu schützen. Begleitet wurde das Treffen von Umweltschützer:innen und Vertreter:innen der indigenen Bevölkerung. Die unterzeichnete und verabschiedete Abschlusserklärung kommt jedoch über nichtbindende Selbstverpflichtungen nicht hinaus. Das liegt auch an Brasilien und seinem Präsidenten Lula da Silva, der die Erdölförderung voranbringen möchte.

Dialog statt konkrete Verpflichtungen

Zu Beginn des Gipfels betonte Lula da Silva, dass unter seiner Präsidentschaft die Abholzung im Juli um 66 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat zurückgegangen sei. Darüber, dass die Abholzung in Cerrado, einer Feuchtsavanne im Südosten Brasiliens, drastisch anstieg, schwieg er jedoch. Dass da Silva nicht der Retter des Regenwaldes ist, wie er von Teilen der bürgerlichen Presse gefeiert wird, wird auch mit Blick auf seine letzte Präsidentschaft deutlich. So legalisierte er nicht nur Pestizide, sondern gab auch grünes Licht für den Bau des umweltschädlichen Wasserkraftwerk Belo-Monte, das seit 2019 fertiggestellt wurde. Daher wurden in der Abschlusserklärung bewusst keine verbindlichen Punkte festgemacht: statt auf Unterbindungen beziehungsweise Forderungen, etwas zu stoppen, stehe der “Dialog” im Vordergrund.

Ein Dialog, der besonders dem Kapital und der westlichen Welt die Hand reichen soll. Konkret soll es dabei nicht um verpflichtende Maßnahmen gehen, sondern darum, wie die brasilianische Umweltministerin Marina Silva betonte, ein “gutes Beispiel” zu sein: Wenn die Industriestaaten unter anderem Ölförderungen nicht zurückfahren, würde das den Regenwald dennoch zerstören. Es sei nicht nur die Verantwortung der Anrainerstaaten. Stattdessen fordert Brasilien jährlich 100 Milliarden US-Dollar zum Schutz des Regenwaldes sowie jährlich 200 Milliarden US-Dollar für den Erhalt biologischer Vielfalt. Wie der Schutz jedoch aussieht, der wie in der Abschlusserklärung deutlich wird, keine Verbindlichkeit nach sich zieht, bleibt wohl abzuwarten.

Indigener Widerstand

Dabei ist deutlich, was getan werden muss. Während des Gipfels gab es Widerstand und Proteste von Umweltschützer:innen, Indigenden und Menschenrechtler:innen, die sowohl von der Militärpolizei als auch Sicherheitspersonal der Palmölfirma Brasi Biofuels blockiert und teils niedergeschlagen wurde. Mehrere junge Indigene wurden dabei angeschossen. Ihr Protest richtet sich gegen den andauernden Landraub, die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage und der permanenten Bedrohung, der sie vom Staat und der Ölindustrie ausgesetzt sind. Gegenüber dem Sender “Globo” betonte die indigene Aktivistin Alessandra Munduruku, dass es “Demarkierungen”, dass heißt eine Grenze ihrer Territorien geben müsse.
Die Staaten könnten schlecht für den Schutz des Regenwaldes eintreten, wenn gleichzeitig Unternehmen und Kapitalbosse die indigene Bevölkerung brutal verfolgt und entrechtet. Eine Wende in der nationalen und internationalen Klimapolitik ginge nur gemeinsam mit den indigenen Menschen , nicht gegen sie. Zentral wird auch der Kampf gegen den Produzenten Agropalma betont, der unter anderem Palmöl an Ferrero und Nestlé verkauft. Von der EU und den US-Landwirtschaftsministerium wird das Öl als “biologisch, fair und nachhaltig” zertifiziert; für die indigene Bevölkerung bedeutet das jedoch schwere Menschenrechtsverletzungen. Die Kleinbäuer:innen und Einwohner:innen leiden unter starker Ausbeutung, Knebelverträgen und sie werden unter Androhung von Gewaltanwendung durch die Konzerne daran gehindert, öffentliche Orte zu betreten.

Kein Schutz des Regenwaldes in diesem System

Der “Amazonas-Gipfel” zeigt deutlich, dass weder die Anrainerstaaten noch die Industrienationen ein ernsthaftes Interesse daran haben, die Klimakatastrophe im Amazonas zu stoppen. Die Hoffnung, die viele Linke (erneut) in Lula da Silva steckten, wurden abermals mit harten Fakten konfrontiert. Die “progressive” brasilianische Regierung führt die Entrechtung der indigenen Bevölkerungen fort und steht hinter der Palmöl- und Erdölindustrie, die von der Abholzung des Regenwaldes profitiert. Dabei rennt uns die Zeit regelrecht davon. Einer aktuellen Studie zufolge nähert sich der Amazonas dem Kipppunkt, der Wüsten und eine weltweite Zunahme von Dürren und Überschwemmungen zur Folge hätte.

Um die Widerstandsfähigkeit des Amazonas-Gebietes zu fördern und den Regenwald zu schützen, genügen keine unverbindlichen Reformen, die den Konflikt mit den Hauptverursacher:innen der Klimakatastrophe nicht suchen. Um die Klimakatastrophe einzudämmen, muss der Abbau und die Förderung von dreckiger Energie wie Öl gestoppt werden. Daran war beim “Amazonas-Gipfel” gar nicht zu denken. Ganz im Gegenteil. Weder gab es Fristen oder Ziele zur Beendigung der Entwaldung noch wurde nirgends festgelegt, ob und wann die Ölförderung eingestellt wird. Es wirkt dabei wie ein schlechter Witz, wenn Lula da Silva vor einem “grünen Neokolonialismus“ warnt und fordert, dass der Beitrag zum Erhalt des Regenwaldes “fair und gerecht” aufgeteilt werden muss und gleichzeitig indigene Stämme im brasilianischen Urwald entrechtet, verfolgt und ermordet werden.

Der “Amazonas-Gipfel” zeigt eindrucksvoll, dass im Kapitalismus die Klimakatastrophe nicht gestoppt werden kann. Keine internationale Klimakonferenz hat es geschafft, über unverbindliche Forderungen hinaus die weitere Entwicklung der Klimakatastrophe zu stoppen. Statt Treffen von bürgerlichen Staatschefs, die kein langfristiges Interesse haben, etwas gegen die Katastrophe zu unternehmen, braucht es eine internationalistische und antikapitalistische Klimabewegung, die zusammen mit der Arbeiter:innenklasse den Kapitalismus an der Wurzel angreift.

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