Der 1. Mai in Deutschland: Polizeigewalt, Streit um TVöD-Ergebnis und Antikriegsproteste

03.05.2023, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Ayrin Giorgia

Zehntausende Menschen gingen in ganz Deutschland zum 1. Mai auf die Straßen. Die Forderungen reichten von realem Inflationsausgleich bis zum Stopp der Aufrüstung.

Die Demonstrationen zum 1. Mai standen in diesem Jahr stark unter dem Eindruck der Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst, bei denen die ver.di-Verhandlungsspitze um Frank Werneke einen Abschluss unter der Inflationsrate erzielte. Während in den Reden von den Bühnen das Ergebnis überwiegend gelobt wurde, gab es in einigen Städten Ablehnung aus der Basis.

Daneben thematisierten vor allem linke Gruppen einen Stopp von Aufrüstung und Waffenlieferungen, während sich die Gewerkschaftsführungen eher vage zum Krieg äußerten ohne konkret Forderungen. In verschiedenen Städten gab es als Teil der DGB-Demos klassenkämpferische Blöcke, oder auch eigene revolutionäre 1. Mai-Demos. Auch dort war der Krieg eines der zentralen Themen, zusätzlich zu den Sparankündigungen von Finanzminister Christian Lindner. Dieser kündigt an 20 Milliarden Euro bei Arbeit und Sozialem kürzen zu wollen.

Diese Ansage deutet auf kommende Verteilungskämpfe hin. In den Forderungen zum 1. Mai kamen entsprechend auch die 4-Tage-Woche, höhere Löhne, mehr Geld für Gesundheit, Bildung und den Nahverkehr zur Sprache. Damit diese wichtigen Forderungen erkämpft werden können, braucht es Streiks statt fauler Kompromisse wie aktuell beim TVöD. Ein Vorbild, auf das sich viele Demonstrant:innen in ihren Sprechchören bezogen, sind dabei die Streiks in Frankreich gegen die Rentenreform von Macron. Auch am 1. Mai kam es wieder zu Großdemonstrationen mit Millionen Teilnehmenden, bei der auch der Ruf nach einem Generalstreik wieder laut wurde.

Folgend geben wir eine Übersicht über die Geschehnisse am 1. Mai in verschiedenen Städten Deutschlands:

Berlin

Die DGB-Demo startete mit einer Auftaktkundgebung am Platz der Vereinten Nationen. Aus dem Klassenkampfblock wurde von Beginn an eine klare Positionierung gegen den Krieg und für eine starke, kämpferische Gewerkschaft gesetzt, dass bedeutete Parolen und Redebeiträge gegen die 100 Milliarden für die Bundeswehr, gegen Aufrüstung, für die Aufnahme aller Deserteur:innen und für politischen Streik.

Der neue Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach zwar nicht, er wurde aber bei der Begrüßung durch die Gewerkschaftsbürokratie ausgebuht – ebenso Stephan Weh, Vorsitzender der sogenannten „Gewerkschaft der Polizei“. Teilnehmer:innen der Kundgebung bekundeten lautstark, dass Polizist:innen keine Arbeiter:innen seien und dementsprechend nichts in den Gewerkschaften zu suchen hätten.

Der später stattfindende „Revolutionäre 1. Mai“ mit 20.000 Teilnehmer:innen war laut Polizei einer der friedlichsten seit Jahren. Doch riegelte die Polizei den Oranienplatz weiträumig ab, sodass die Demonstration vorzeitig am Kottbusser Tor abbrechen musste. Dort griff die Polizei wahllos in kleinen Trupps Demonstrant:innen an und prügelte auf Menschen ein, die versuchten, sich zurückzuziehen. Mehrmals mussten Rettungswagen vorfahren. Die Polizei sprach von 58 vorläufigen Festnahmen.

Zum Weiterlesen: Die DGB-Demo in Berlin

Bremen

Um 9:30 startete die Gewerkschaftsdemo vom Stadion in Bremen. Neben Arbeiter:innen und Jugendorganisationen waren auch reformistische Gruppen wie die Grüne Jugend und die SPD sogar vereinzelte Leute aus der „Gewerkschaft der Polizei“ dabei. In der vordersten Reihe war der sozialdemokratische Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte Seite an Seite mit der Gewerkschaftsführung zu sehen. Um 12 Uhr startete die internationalistische antikapitalistische Demonstration. Verschiedene Organisationen und Zusammenschlüsse waren auf der Demonstration und in den Redebeiträgen vertreten. In diesen wurde sowohl auf kapitalistische Ausbeutung, sexistische und rassistische Unterdrückung und auf Imperialismus eingegangen.

Flensburg

Auf der DGB-Demo in Flensburg waren neben den Gewerkschaften und Vertreter:innen der Parteien auch linke Gruppen wie Revo, SAV, SDAJ, die Grüne Jugend, die Jusos, die FAU und das Frauenforum. Zudem beteiligte sich auch die Flensburger Krankenhausbewegung, die sich gegen die Zusammenlegung des Krankenhauses Diako mit der katholischen Klinik und der damit verbundenen Schließung der Abtreibungsklinik sowie gegen Kürzungen und Kündigungen wehrt. Vor der Diako startete auch die Demo mit einer Kundgebung, dann weiter zum Hafen. Dort versuchte die FDP sich anzuschließen, entfernte sich aber nach der Aufforderung, ihr Material und Banner weg zu packen. Die Demo lief nach der Zwischenkundgebung weiter zum Südermarkt, dort endete die Veranstaltung mit den Redebeiträgen der großen Parteien und Gewerkschaftsfunktionäre.

Frankfurt

In Frankfurt rief der DGB unter dem Motto „100 Milliarden für die Jugend“ zur Demonstration von der Hauptwache zum Römer auf. Auf der Bühne sprach unter anderem der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke über die Tarifrunde im Öffentlichen Dienst. Konsequenterweise hielten Demonstrant:innen ein Transparent mit der Aufschrift: „Reallohnverluste – nicht mit uns!“ in die Höhe. Opposition gegen den Krieg kam zudem von der Jugend der IG Metall, die die Parole „Baerbock, Lindner, Olaf Scholz – der Waffenlobby ganzer Stolz“ rief.

Kassel

„Der 1. Mai in diesem Jahr wird wieder einer „wie früher“ – hoffentlich“, schreibt der DGB Nordhessen in seinem Aufruf für den ersten Mai in Kassel. Die Gewerkschaftsspitzen wollten die oftmals langweilige Routine in aufgewühlten Zeiten einfach so fortsetzen, als ob nichts wäre. Kaum verwunderlich, dass einige Gewerkschaftsbürokrat:innen für ihre Reden vom Klassenkampfblock ausgebuht wurden. Applaus bekam hingegen eine Auzubildende für ihre kämpferischen Worte, die sich nicht wie der DGB mit lauen Verhandlungsergebnissen zufrieden geben wollte.

Zum Weiterlesen: Der 1. Mai in Kassel

Leipzig

Von den rund 1.000 Teilnehmer:innen waren nur circa ein Viertel dem gewerkschaftlichen Block eindeutig zuzuordnen. Die Stimmung auf der Laufdemo dürfte der Gewerkschaftsbürokratie besonders gefallen haben – durch den Verzicht auf Redebeiträge und das laute Abspielen von Musik wurden Sprechchöre oft im Keim erstickt und inhaltliche Beiträge von Beschäftigten aus den streikenden Sektoren verhindert. Dabei gab es während der Warnstreiks gerade in Leipzig viele Kolleg:innen aus dem Nahverkehr und dem öffentlichen Dienst, die ihre Forderungen und Erfahrungen am Arbeiter:innenkampftag teilen hätten können.

An Komplimenten für die sozialpartnerschaftliche Tradition der DGB-Gewerkschaften wurde auch nicht gespart. Der Redner Wolfgang Lamb aus dem Bundesvorstand der IG Metall hob insbesondere das Schlichtungsergebnis im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes positiv hervor und ging so weit, die Ergebnisse als einen „wahren Inflationsausgleich“ anzupreisen.

Zum Weiterlesen: Der 1. Mai in Leipzig

Konstanz

In Konstanz kamen zum 1. Mai 60-70 Demonstrierende zusammen. Auffällig war, dass die revolutionären Gruppen und große Parteien wenig bis gar nicht präsent waren und das obwohl Konstanz unter denselben Problemen wie ganz Deutschland leidet. Die Stadt am Bodensee ist eine der teuersten Mittelstädte Deutschlands und Mietpreise und Inflation machen gerade den vielen Studierenden in der Universitätsstadt zu schaffen. Der Vertreter:innen der bundesweiten TVStud-Kampagne stachen kämpferisch hervor. Auch die Verringerung der Belegschaft und der Löhne bei der lokalen Filiale von Galeria Kaufhof war ein Thema.

Zum Weiterlesen: Der 1. Mai in Konstanz

München

In München zog der Demonstrationszug der Gewerkschaften und Parteien mit 2.000 Menschen von der Arbeitsagentur zum Marienplatz. Bei der dortigen Kundgebung versammelten sich etwa 3.500 Menschen. Hauptrednerin Maike Finnern vom GEW-Bundesvorstand betonte, dass die gemeinsamen Streiks von ver.di und EVG wirksam seien, gleichzeitig vermied sie jegliche Positionierung zum Verhandlungsergebnis im TVöD. Sie wies lediglich darauf hin, dass durch Streiks ein Kompromiss erzielt worden sei, über den in der Mitgliederversammlung abzustimmen sei. Weiterhin sprach sie die Notwendigkeit einer Vermögenssteuer an zur umfangreichen Finanzierung von Bildung, Gesundheit und Nahverkehr, jedoch ohne zu zeigen, wie dies durchzusetzen sei. Dabei stellte sie keinerlei Verbindung zwischen den Streiks und diesen Forderungen her.

Nachdem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) im vergangenen Jahr ausgebuht worden war, übernahm diesmal die dritte Bürgermeisterin und SPD-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat, Verena Dietl, die Rede. Sie präsentierte sich als „Sozialbürgermeisterin“, die gemeinsam mit dem DGB die Interessen der Beschäftigten verwalte, während die Stadt München als Teil der Kommunalen Arbeitgeberverbände kurz zuvor in den Tarifverhandlungen noch auf der anderen Seite stand.

Im Anschluss fand die Demo zum Revolutionären 1. Mai statt mit einer Auftaktkundgebung am Rindermarkt. Dort sprachen unter anderem Auszubildende aus der ver.di Jugend und eine Erzieherin vom Offenen Frauentreffen. Laut Veranstalter beteiligten sich an der Demonstration 1.500 Personen. Mit Schildern und Sprechchören stellten sie sich vor allem gegen Krieg und Aufrüstung. Die Polizei hielt den Demonstrationszug zwei Mal nachdem Rauchfackeln gezündet wurden. Anders als im vergangenen Jahr gab es jedoch keine gewaltsamen Auseinandersetzungen. Auf der Abschlusskundgebung sprachen unsere Genossinnen Charlotte und Leonie über die Sparpolitik der Regierung, ihren Kampf am Kreißsaal und die politische Organisierung.

Zuvor hatte Leonie auch schon bei einer Parallelveranstaltung der FAU gesprochen.

Stuttgart

Besonders in Stuttgart fiel die diesjährige 1. Mai Demonstration durch ein übermäßig hartes Vorgehen der Polizei auf. Diese nahm offenbar Pyrotechnik innerhalb der Demonstration zum Anlass, um wahllos in die Menge einzuprügeln und großflächig Pfefferspray zu versprühen. Entsprechend liest sich die Bilanz der Demosanitäter:innen, die 94 Behandlungen verzeichneten.

Der 1. Mai in Deutschland

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