Dem Kampf der Kurd*innen Öffentlichkeit verleihen

19.11.2018, Lesezeit 5 Min.
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Gerade laufen in Bayern Gerichtsprozesse wegen dem Zeigen der YPG-Fahne. Laut der bayrischen Staatsanwaltschaft fällt die YPG als Tarn- und Nachfolgeorganisation der PKK unter das Vereinsverbot der kurdischen Widerstandsorganisation, der Kurdischen Arbeiter*innenpartei (PKK). Wir sprachen mit Anselm Schindler über seinen Prozess.

Der deutsche Staat kooperiert schon länger mit dem türkischen AKP-Regime. Neben wirtschaftlicher und militärischer Zusammenarbeit soll die türkische Regierung unter Erdogan die Migration aus West-Asien nach Europa zurückhalten. Im Gegenzug verfolgt die deutsche Regierung die kurdische Bewegung und Erdogan-Kritiker* in Deutschland. Die deutsche Justiz verfolgt somit die Interessen des deutschen Imperialismus.

Ein prominentes Beispiel ist Adil Yigit, ein türkischer Journalist, der seit Jahren in Deutschland lebt. Dieser war als Journalist für die Pressekonferenz akkreditiert, anlässlich des Erdogan-Besuchs bei der deutschen Bundesregierung. Auf dieser trug der Journalist ein Erdogan-kritisches T-Shirt und wurde aus der Pressekonferenz verwiesen. Nach diesem Vorfall wurde ihm die Aufenthaltsgenehmigung entzogen und es drohte die Abschiebung in die Türkei.

Unter den Angeklagten befindet sich auch Anselm Schindler, ein pro-kurdischer Aktivist, der kürzlich ein Buch über Kurdistan geschrieben hat. Während seiner Reise in die kurdischen Gebiete gab er an dieser Stelle ein Interview über seine Erfahrungen.

Am 13. November ist Anselm Schindler für das Zeigen der YPG-Fahne zu einer Geldstrafe  von 4.400 Euro verurteilt worden. Gegen das Urteil hat er Revision eingelegt. Gegenüber Klasse Gegen Klasse sprach er über den Prozess, das Urteil und den kurdischen Widerstand in Deutschland.

Klasse gegen Klasse: Du wurdest von einem bayrischen Gericht für das Zeigen der YPG-Fahne verurteilt. Du hast angekündigt, gegen das Urteil Revision einzulegen. Was erwartest du dir davon?

Anselm Schindler: Zum einen geht es darum, das nicht einfach hinzunehmen: Es ist nach wie vor richtig und wichtig, sich mit der Freiheitsbewegung in Kurdistan und Nordsyrien zu soldarisieren. Gerade auch in diesen Tagen, wo Erdogan wieder Anstalten macht, die Region Kobane anzugreifen. Die Gerichtsprozesse sind eine Steilvorlage für uns, das ist der zweite Punkt – an ihnen lässt sich sehr gut aufzeigen, wie stark der deutsche Imperialismus mit dem Regime in der Türkei verbandelt ist, was dann soweit geht, dass Linke vor Gericht gezerrt werden, weil sie sich gegen Erdogans Angriffskriege und deren deutsche Unterstützung stellen. Wir gehen in Revision, weil wir für das, was da passiert, Öffentlichkeit wollen und natürlich auch, dass die Repression aufhört. Wir plädieren für Freispruch.

Klasse gegen Klasse: Neben dir sind noch weitere Aktivist*innen von Repression betroffen. Gibt es eine Vernetzung unter den Betroffenen? Was sind deine Vorschläge für ein gemeinsames Vorgehen und wie kann man euch unterstützen?

Anselm Schindler: Es gibt eine Vernetzung und regelmäßige treffen. Die Rote Hilfe und auch einige andere Organisationen engagieren sich da gerade stark, es geht darum aufzuzeigen, dass alle diese Verfahren politisch motiviert sind. Und in den nächsten Wochen und Monaten zum einen über Presse, zum anderen über Proteste die Hintergründe der Verfahren einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen und klar zu machen, dass die Betroffenen nicht alleine sind. Es trifft einzelne, aber gemeint sind alle! Unterstützen kann man uns, indem man zu den Prozessen kommt und sich solidarisiert.

Während das Gericht in Aachen einen Angeklagten bei einem Prozess über das Zeigen von YPG/YPJ-Fahnen freisprach, laufen in Bayern Prozesse gegen viele Aktivist*innen. Wie erklärst du, dass die bayrische Justiz härter gegen Aktivist*innen vorgeht?

Anselm Schindler: Bayern ist in der Bundesrepublik Vorreiter des autoritären Umbaus von Staat und Gesellschaft. Und ist in Sachen Repression immer wieder auch Experimentierfeld – beispielsweise was neue Polizeigesetze betrifft. Außerdem hat gerade die bayerische Landesregierung ein Interesse an guten Beziehungen zum türkischen AKP-Regime. Ein großer Teil der deutschen Firmen, die in der Türkei investieren, dorthin exportieren oder dort produzieren lassen, stammt aus Bayern. Da dreht man dann die Daumenschrauben im Dienste Erdogans gerne mal noch ein wenig enger.

Klasse gegen Klasse: Der Fall von Adil Yigit hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Wie bewertest Du das Geschehen angesichts der Prozesse gegen Dich und andere Aktivist*innen?

Anselm Schindler: Es kommt leider immer auch darauf an, wie bekannt die jeweiligen Aktivist*innen und Journalist*innen sind, gegen die der deutsche und der türkische Staat vorgehen. Der Fall Adil Yigit hat große Aufmerksamkeit erlangt, deshalb ist die Hamburger Ausländerbehörde eingeknickt. Sobald aber niemand hinschaut hat der deutsche Staat kein Problem damit, gemeinsam mit Erdogan Kritiker*innen zu verfolgen. Und es gibt eben leider viele Fälle, die kaum bekannt werden. Gerade wenn es um die Abschiebung kurdischer Aktivist*innen in Drittstaaten geht, die Leute an die Türkei ausliefern. Wie im Fall von Bulgarien. Der deutsche Staat hat in den vergangenen Monaten immer wieder versucht, Kurd*innen dorthin abzuschieben. Dabei wissen die Behörden, dass sie diese Leute damit den türkischen Behörden ausliefern.

Danke für das Interview, Anselm!

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