Degrowth vs. Luxuskommunismus: Die Grenzen einer vereinfachten Perspektive

15.08.2024, Lesezeit 20 Min.
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Warum die Konzepte des Degrowth-Kommunismus und des Luxuskommunismus zu kurz greifen und welche Perspektive die Debatte über Ökosozialismus braucht.

Der Kapitalismus bringt den sozio-ökologischen Stoffwechsel unaufhaltsam aus dem Gleichgewicht. Dies zeigt die Notwendigkeit, diese Produktionsweise zu überwinden. Ihr Fortbestehen bedroht das Überleben der Menschheit und vieler anderer Arten. Viele negative Ereignisse, oft verbunden mit dem Klimawandel, sowie andere Umweltveränderungen, verursacht durch die exzessive Kapitalakkumulation, machen es dringend erforderlich, die „Notbremse“ zu ziehen. Die Erkenntnis, dass es keinen „Planeten B“ gibt und unser einziger Planet durch den Kapitalismus in immer schnellerem Tempo zerstört wird, bringt vor allem die Jugend zu kritischen antikapitalistischen Positionen.

Das Projekt des „grünen Kapitalismus“ behauptet, eine Energiewende unter der Führung von Unternehmen sei möglich und das System könne auf einen ökologisch „nachhaltigen“ Weg gebracht werden. Diese Behauptungen stehen jedoch auf wackligen Beinen. Trotz der profitablen Geschäfte mit „sauberen“ Energien entstehen neue Umweltkatastrophen wie der hochinvasive Lithiumabbau. Überall, wo dieser Abbau stattfindet, gibt es zahlreiche negative Folgen. Gleichzeitig haben diese erneuerbaren Energien nicht zu einer Verringerung des Einsatzes von Kohlenwasserstoffen geführt, sondern zu einem Anstieg des Gesamtenergieverbrauchs.

Diese Dynamik erklärt der Ökosozialismus, eine der wichtigsten Strömungen der heutigen antikapitalistischen Kritik. Der Ökosozialismus ist jedoch keine homogene Bewegung. Im Gegenteil: Es gibt verschiedene Ansätze, um auf die ökologischen Krisen des Kapitalismus zu reagieren und eine postkapitalistische, genauer gesagt, kommunistische Gesellschaft zu gestalten. Zwei Positionen polarisieren die Debatte innerhalb des ökosozialistischen Lagers: Auf der einen Seite stehen die Degrowth-Anhänger:innen, die eine allgemeine Verringerung von Produktion und Konsum fordern. Auf der anderen Seite stehen die „Ökomodernist:innen“, die optimistisch auf technologische Lösungen setzen und eine Steigerung von Produktion und Konsum befürworten. Als Kontrast zu diesen Positionen werden wir einige Koordinaten vorschlagen, um, angesichts der Notwendigkeit, auf die vom Kapitalismus verschärfte Störung des sozialen und natürlichen Stoffwechsels zu reagieren, über die kommunistische Perspektive nachzudenken.

Vollautomatisierter Luxus?

Für einen ökomodernistischen Blick auf den Kommunismus liegt die Antwort in der Beschleunigung technologischer Entwicklungen. Die zentrale Diagnose lautet, dass Innovation im Kapitalismus nur begrenzt Potenzial entfalten kann, da es immer schwieriger wird, sie in rentable Geschäftsmodelle zu integrieren, die Investitionen rechtfertigen. Dies ist die Diagnose von Aaron Bastani, Autor von „Fully Automated Luxury Communism“. Bastani argumentiert, dass die Befreiung technologischer Entwicklung von kapitalistischen Zwängen es ermöglichen würde, Produktionsprozesse vollständig zu automatisieren. Diese Form der kommunistischen Automatisierung könnte seiner Meinung nach mit der Lösung ökologischer Probleme vereinbar sein. Überfluss, verstanden als unendlicher Zugang zu Gütern, und Nachhaltigkeit könnten Hand in Hand gehen, dank vieler großer und kleiner Veränderungen, die teils bereits im Gange sind und unter neuen kommunistischen Produktionsverhältnissen beschleunigt werden könnten. Diese Initiativen umfassen die weitreichende Einführung erneuerbarer Energien, bessere Isolierungstechniken zur Temperaturregulierung ohne Heizung, die effiziente Nutzung von Sonnenwärme und die Ersetzung von Massentierhaltung durch Laborfleisch.

Bastani bleibt dort jedoch nicht stehen. Da für die Automatisierung Materialien und insbesondere Energiespeicherkapazitäten benötigt werden, schlägt er vor, dass der Weltraumbergbau – die Gewinnung von Metallen aus Asteroiden – eine mögliche Lösung darstellen könnte. Zudem könnte der Weltraum als Ziel für den Schrott dienen, der sich in vielen Teilen der Welt zunehmend unerträglich ansammelt, auch wenn Bastani dies nicht ausdrücklich ausführt.

Bastani kommt zu dem Schluss, dass ein vollautomatisierter und ökologisch nachhaltiger Luxuskommunismus möglich ist, wenn die vom Kapital auferlegten Grenzen für technologische Entwicklungen aufgehoben werden. Eine zugrundeliegende Annahme ist, dass sich der „Luxus“ weitgehend von den Umweltauswirkungen entkoppeln kann. Obwohl Bastani dies nicht explizit formuliert, geht er davon aus, dass mit dem zunehmenden Einfluss der Informationstechnologien auf verschiedene Lebensbereiche die Produktionsprozesse entmaterialisiert werden. Dadurch könnte der ökologische Fußabdruck im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum sinken. Einmal produzierte Informationen könnten zu gegen null gehenden Kosten vervielfältigt werden. Überträgt man dieses Prinzip auf alle Produktionsbereiche, in denen Informationen zunehmend die Steuerung übernehmen, lässt sich der Schluss ziehen, dass es tendenziell zu einer allgemeinen oder wenigstens partiellen Entmaterialisierung kommt.

Viele bringen Statistiken vor, die belegen, dass eine solche Entkopplung in den am weitesten entwickelten Ländern stattgefunden hat. Ein Großteil dieser Beweise wird jedoch erbracht, indem außer Acht gelassen wird, wie diese reichen, imperialistischen Länder ihre Reproduktion in zahlreichen materiellen Prozessen außerhalb ihrer Grenzen aufrechterhalten (einschließlich der kapitalistischen Akkumulationsprozesse, die ihre multinationalen Unternehmen von den imperialistischen Zentren aus steuern und für die sie Arbeitskräfte und Ressourcen rund um den Globus ausbeuten). Es findet keine Dematerialisierung statt, sondern eine Verlagerung der materiellen Prozesse in Drittländer, wohin sie die Umweltauswirkungen „outsourcen“. Wenn wir dieses „Offshoring“ des materiellen Fußabdrucks in die Gleichung einbeziehen, findet keine solche Entkopplung statt.

Die Vorstellung, dass uns ein automatisierter Luxuskommunismus auf der Grundlage dieser unzureichenden Annahmen den Weg weise, könnte verheerend sein.

Für Marx, so erinnert uns Terry Eagleton, setzte der Sozialismus die Ausweitung der Produktivkräfte im Kapitalismus voraus,

doch die Erledigung dieser Aufgabe erwartet er nicht vom Sozialismus, sondern vom Kapitalismus. Der Sozialismus schafft den materiellen Wohlstand nicht, sondern macht ihn sich zunutze. […] Der Sozialismus soll diese Kräfte nicht etwa steigern, sondern sie unter vernünftige Kontrolle des Menschen bringen.1

Bastani würde diesen Einschätzungen widersprechen; sein „Luxus-Kommunismus“ sieht ein noch schnelleres Wachstum des Reichtums als im Kapitalismus vor, wenn auch für alle vergesellschaftet.

Bastanis Vorstellung eines vollautomatisierten Luxuskommunismus zielt eher auf eine Veränderung der Verteilung als auf eine grundlegende Umgestaltung der kapitalistisch geprägten Produktions- und Konsumformen. Es ist bemerkenswert, dass die im Kapitalismus entfremdete Arbeitskraft in seinem Konzept des Kommunismus keine zentrale Rolle spielt. Er denkt nicht an eine tiefgreifende Reorganisation und Neuartikulation von Produktion und Konsum, die im Kapitalismus durch die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware getrennt sind. Im Kapitalismus wird die Arbeitskraft entfremdet und gezwungen, sich im Austausch gegen Lohn zu verkaufen, um den Lebensunterhalt zu sichern. Für Bastani erscheint die Arbeiter:innenklasse nicht als entscheidender Akteur, der die Produktionsverhältnisse verändern könnte, um die erzwungene Trennung zu überwinden. Stattdessen entwirft er eine vollständige Automatisierung der Produktion, bei der die Technologie selbst und nicht die soziale Klasse die Hauptrolle spielt. Gleichzeitig strebt er eine Ausweitung der bestehenden Konsumformen auf die gesamte Gesellschaft an. Dies entspricht einer Art „Vergemeinschaftung“ der kapitalistischen Konsummuster, untermauert durch extravagante Entwürfe einer Ressourcengewinnung, die über die planetarischen Grenzen hinausgeht.

Eine Kritik der entfremdeten Arbeit im Kapitalismus findet sich nicht, stattdessen aber ein Bekenntnis zu dem, was Dave Beech als die „Diskurse der Arbeitsverweigerung, der Anti-Arbeit und der Post-Arbeits-Vorstellungen“2 bezeichnet. Diese Tendenz, die bei den meisten zeitgenössischen Post-Kapitalist:innen zu finden ist, führt dazu, dass „die zeitgenössische politische Tendenz des Postkapitalismus die Abschaffung der Arbeit [einfach als Automatisierung gedacht, Anm. d. Autors] nicht angemessen mit der Überwindung des Kapitalismus in Einklang bringt“, so Beech.3

Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Postkapitalist:innen, die von der „Abschaffung“ der Arbeit träumen, die sie ablehnen, anstatt über ihre tiefgreifende Transformation nachzudenken, die Kontinuität der dieser Produktionsweise innewohnenden Konsumformen über den Kapitalismus hinaus projizieren und damit zu ihrer Naturalisierung und Enthistorisierung beitragen. Da diese nicht auf nachhaltige Weise innerhalb der Grenzen des Planeten verallgemeinerbar sind, ist es nicht verwunderlich, dass man sich intergalaktische Lösungen für die ökologischen Herausforderungen vorstellen muss, wie sie Bastani vorschlägt, der uns eine (luxuriöse) „kommunistische“ Variante der Weltraumphantasien von Elon Musk oder Jeff Bezos anbietet.

Degrowth-Kommunismus?

Kohei Saito entwickelt in seiner Kritik an den ökomodernistischen kommunistischen Ansätzen einen diametral entgegengesetzten Ansatz. Obwohl er in seiner ersten Studie über Marx‘ Spätwerk, „Natur gegen Kapital“, diesen Punkt nicht so explizit ansprach, betont Saito in seinen neueren Büchern wie „Marx in the Anthropocene“ klar, dass der Kommunismus heute Degrowth bedeuten muss – etwas, das er beinahe als eine Frage des gesunden Menschenverstands betrachtet. Mit dieser Haltung reiht er sich in einen wachsenden Trend ein, der von anderen antikapitalistischen Autor:innen unterstützt wird.4 Diese Autor:innen, wie Jason Hickel und bis zu einem gewissen Grad Giorgios Kallis, vertreten die Auffassung, dass Degrowth nur in Verbindung mit einer Variante der Vergesellschaftung der Produktionsmittel realisierbar ist, wie wir bereits in früheren Artikeln besprochen haben. In jüngster Zeit hat sich auch die Monthly Review, in der John Bellamy Foster eine bedeutende redaktionelle Rolle spielt, einer Degrowth-Perspektive zugewandt.

Der kommunistische Degrowth-Ansatz unterscheidet sich von der allgemeineren (und weiter verbreiteten) Strömung des Degrowth. Während letzterer eine drastische, geplante Reduzierung der gesellschaftlichen Produktion fordert, um den Druck auf die Ressourcen des Planeten zu verringern, bleibt oft unklar, welche gesellschaftlichen Transformationen dafür notwendig sind. Die meisten Degrowth-Beiträge verknüpfen die Reduzierung des gesellschaftlichen Stoffwechsels mit einer Veränderung der Produktionsweise. Es wird jedoch selten konkretisiert, wie die gesellschaftliche Produktion alternativ zum Kapitalismus organisiert werden sollte. Auch die sozialen Akteur:innen, die in der Lage wären, die postulierten „qualitativen Veränderungen“ umzusetzen, bleiben unklar. Trotz dieser Schwierigkeiten, eine kohärente Perspektive aufzuwerfen, gewinnt die Vorstellung, dass die Lösung der aktuellen Probleme in einer Form von Degrowth liegt, in kapitalismuskritischen Kreisen der Umweltbewegung zunehmend an Unterstützung. Dies gilt besonders für die entwickelten imperialistischen Länder.5

Diejenigen, die den Degrowth-Ansatz mit der Perspektive des Kommunismus verbinden, wie Kohei Saito, sind in diesen Fragen eindeutig. Sie machen klar, dass Degrowth nur durch die Abschaffung des Kapitalismus sozial gerecht und theoretisch umsetzbar sein kann. Diese Position betont, dass Kommunismus und Degrowth weitgehend ohne größere Widersprüche miteinander vereinbar sind, auch wenn sie oft die Aspekte einiger führender Degrowth-Anhänger herunterspielen oder ignorieren, die einem sozialistischen Horizont widersprechen oder diesen ablehnen. Natürlich reicht es nicht aus, dass einige Degrowth-Anhänger:innen dem Kommunismus kritisch gegenüberstehen, um zu behaupten, dass eine kommunistische Strategie Degrowth-Ansätze nicht berücksichtigen oder deren Koordinaten nicht integrieren sollte.

Es gibt Aspekte, die die Autor:innen dazu bewegen, für einen Degrowth-Kommunismus einzutreten, und diese müssen ernst genommen und können nicht leichtfertig abgetan werden. Der Grad der ökologischen Zerstörung, den der Kapitalismus erreicht hat, ist erheblich. Dies zeigt sich nicht nur in der globalen Erwärmung und anderen Umweltveränderungen, sondern auch darin, dass heute jährlich doppelt so viele Ressourcen verbraucht werden, wie der Planet regenerieren kann. Dieser Zustand beeinflusst, wie wir heute über den Kommunismus nachdenken können. Wenn es der revolutionären Aktion der Arbeiter:innenklasse gelingt, das Kapital zu enteignen und den Übergang zum Kommunismus in großen Teilen der Welt einzuleiten, wird sie sich mit dem Erbe der vom Kapitalismus verursachten Schädigung des sozio-ökologischen Stoffwechsels auseinandersetzen müssen. Wie können wir unter diesen Bedingungen die Möglichkeit verstehen, eine Welt zu erreichen, in der das Prinzip „Jedem nach seinen Bedürfnissen“ tatsächlich verwirklicht werden kann?

Doch die angestrebte Synthese der Perspektiven im „degrowth-kommunistischen“ Ansatz verengt letztlich den Horizont der Möglichkeiten. Wenn wir der kapitalistischen Minderheit die Kontrolle über die Produktionsmittel entreißen und sie kollektiv verwalten, um einen ausgewogenen sozio-ökologischen Stoffwechsel herzustellen, werden hauptsächlich Varianten in Betracht gezogen, die mit den Degrowth-Postulaten vereinbar sind. Dies könnte die Vielfalt der möglichen Lösungen einschränken, die für die Schaffung eines nachhaltigen und gerechten kommunistischen Systems in Betracht kommen könnten.

Bei Saito ist festzustellen, dass sein „degrowth-kommunistischer“ Ansatz gelegentlich einseitige Ansichten zur Rolle der technologischen Entwicklung aufweist. Er kritisiert zu Recht den despotischen Charakter der technologischen Entwicklung im Kapitalismus, der durch „den undemokratischen und hierarchischen Charakter des Produktionsprozesses mit der Konzentration der Macht in den Händen Weniger“ geprägt ist.6 Von dieser wichtigen Warnung ausgehend scheint Saito gelegentlich die Bedeutung der Weiterentwicklung der Produktivkräfte in einer kommunistischen Gesellschaft, in der ein ausgewogener Stoffwechsel mit der Natur ein zentrales Ziel ist, zu unterschätzen. Er betont, dass „für Marx in den 1870er Jahren eine Post-Mangelgesellschaft nicht auf der technokratischen Entwicklung der Produktivkräfte aufbauen“ musste.7

Manchmal vermittelt Saito den Eindruck, dass er jede Produktivitätssteigerung mit einer Erhöhung des Produktionsvolumens gleichsetzt. In Wirklichkeit kann eine Steigerung der Produktivität auch durch eine Verkürzung der Produktionszeit erreicht werden, um gesellschaftliche Arbeit einzusparen – ein Ziel, das in einer Gesellschaft, die nicht auf der Ausbeutung der Arbeitskraft wie der Kapitalismus basiert, angestrebt werden könnte. Indem er diese Identifikation vorschlägt, betont Saito eher, dass Überfluss auch durch eine Senkung der Produktivität erreicht werden kann. Dies mag in gewisser Hinsicht richtig und notwendig sein, aber es sollte nicht als allgemeine Norm betrachtet werden.

Wir sollten uns der Möglichkeit der Entwicklung neuer und produktiverer Technologien in einer kommunistischen Gesellschaft nicht verschließen. Wenn diese Technologien nicht wie im Kapitalismus als Selbstzweck immer mehr produzieren sollen, sondern darauf abzielen, die Arbeitsleistung zu steigern und zu rationalisieren, könnten sie nützlich sein. Bestimmte technologische Entwicklungen können Verbündete einer Gesellschaft sein, die versucht, die notwendige Arbeit zu reduzieren, solange das Ziel eines ausgewogenen Verhältnisses zum natürlichen Stoffwechsel stets berücksichtigt wird.

Gleichzeitig können „technologische Lösungen“ für die Umweltprobleme, die der Kapitalismus seiner nachfolgenden Gesellschaft hinterlässt und die sich als Strategie zur Abschwächung des ungebremsten Wachstums des grünen Kapitalismus als falsch erweisen könnten, Teil des notwendigen Arsenals einer Gesellschaft im Übergang zum Kommunismus sein. Man sollte sich nicht allein auf die Technik verlassen, um die Probleme der kapitalistischen Entwicklung zu lösen, da Technik niemals neutral ist und ihre Entwicklungen von der gesellschaftlichen Einbettung abhängen. Gleichzeitig sollten wir uns auch nicht der Möglichkeit verschließen, unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen auf der Grundlage der größtmöglichen Entfaltung des Einzelnen und der Suche nach einem Gleichgewicht mit dem natürlichen Stoffwechsel technologische Verbesserungen einzuführen. Diese könnten zur Verwirklichung jener Ziele beitragen und die vom Kapitalismus hinterlassenen Belastungen umkehren.

Wenn uns vorgeschrieben wird, dass der Kommunismus zwingend Schrumpfung bedeuten muss, schränkt man damit die umfassenderen Antworten auf die Fragen ein, die sich einer Gesellschaft stellen, die auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel basiert. Sie könnten dazu beitragen, den materiellen Wohlstand für die gesamte Gesellschaft zu sichern und gleichzeitig mit dem Erbe der Klimakrise umzugehen. Dabei wäre das Ziel, einen ausgewogenen sozio-ökologischen Stoffwechsel anzustreben und aufrechtzuerhalten, ohne die Idee aufzugeben, das Wohlbefinden zu sichern. Das „Erbe“ der Umweltkatastrophen, das der Kapitalismus hinterlassen hat, schränkt zwar die Möglichkeiten ein, aber sie sind weit größer als das, was mit Degrowth – selbst in seinen „kommunistischeren“ Varianten – vereinbar ist.

Planung des sozial-ökologischen Stoffwechsels

In den Debatten zwischen den Vertreter:innen der oben genannten Positionen neigt man dazu, die Komplexität hinter der Polarisierung zu ignorieren, wie Ståle Holgersen richtig feststellt. Die kritisierten Positionen werden oft vereinfacht, was von den wertvollen Beiträgen ablenkt, die jede Perspektive leisten kann. Die Diskussion verheddert sich in Binarismen darüber, ob eine postkapitalistische Gesellschaft „weniger“ oder „mehr“ anstreben sollte. „Für Sozialist:innen“, so Holgersen, „ist jedoch die zentrale Frage nicht, ob wir für oder gegen Wachstum sind. Diese Diskussion sollte nicht die Trennlinie sein, die die Bewegungen von vornherein spaltet.“8

Was wir brauchen, so Holgersen, sind

ökosozialistische Übergangsprogramme, um eine neue Hegemonie zu planen, aufzubauen und zu organisieren, und eineökosozialistische Bewegung, um sie zu verwirklichen, für eine Welt, die den menschlichen Bedürfnissen innerhalb der ökologischen Grenzen Priorität einräumt. Das können wir tun, ohne im ‚Wachstum‘ stecken zu bleiben.9

Welche Kriterien könnten eine „Welt, die menschlichen Bedürfnissen innerhalb ökologischer Grenzen Vorrang einräumt“ leiten? Troy Vettese und Drew Pendergrass geben in ihrem Buch „Half-Earth Socialism“ einige interessante Hinweise. Die Autoren zeigen eine deutliche Tendenz zu Degrowth und müssen dafür kritisiert werden, Marx eine rein prometheische10 Sichtweise zuzuschreiben und dabei die Nuancen und Zwischentöne herunterzuspielen, die Marx‘ Werke prägen. Dies führt dazu, dass die zentrale Bedeutung der Marx’schen Beiträge zur ökologischen Kritik unterbewertet wird und Ideen, die klar dem Marx’schen Denken zuzuordnen sind, nicht angemessen gewürdigt werden.

Trotz dieser Kritikpunkte betonen Vettese und Pendergrass zu Recht die Stärken der sozialistischen Planung sämtlicher Ressourcen. Sie argumentieren, dass eine solche Planung notwendig ist, um die ökologische Notlage schnell zu bewältigen, einschließlich der Zuweisung großer Flächen des Planeten für die Regeneration der Tierwelt. Daher vertreten sie die Idee des „halben Planeten“, die sie von dem Biologen Edward Osborne Wilson übernommen haben. Diese Idee ist wesentlich, um die biologische Vielfalt zu bewahren und dem fortschreitenden sechsten Massenaussterben entgegenzuwirken.

Die Autoren betonen, dass die einzige Möglichkeit, die Ziele „allen Menschen die materielle Grundlage für ein gutes Leben – Nahrung, Unterkunft, Bildung, Kunst, Gesundheit – zu bieten und gleichzeitig die Biosphäre vor Destabilisierung zu schützen“11, miteinander zu vereinbaren, darin besteht, diese Ziele innerhalb des Kapitalismus zu hinterfragen. Vettese und Pendergrass argumentieren, dass die Untersuchung der „planetarischen Grenzen“ unvollständig bleiben müsse, „wenn sie die Unmöglichkeit nicht anerkennt, diese Ziele innerhalb des Kapitalismus zu erreichen.“12

Die Autoren bauen ihre Argumentation auf einer direkten Kritik des Mainstream-Umweltschutzes auf, der oft die Grenzen dessen ignoriert, was im Kapitalismus möglich ist. Dabei berücksichtigen sie nicht die feinen Unterschiede zwischen marktwirtschaftlichen und keynesianisch geprägten politischen Ansätzen, deren Wirkung durch die Vereinbarkeit mit dem Kapitalismus eingeschränkt wird. Vettese und Pendergrass argumentieren, dass das Kapital, als unpersönliche Instanz, die nur dem Streben nach immer größerer Akkumulation folgt, „das Schiff der Narren blindlings in die ökologische Katastrophe steuert.“13 Sie betonen, dass das Kapital nur Preissignale wahrnehmen kann, um seinen Kurs zu steuern. Diese Passage verweist direkt auf Marx’ Analyse des Warenfetischismus in „Das Kapital“, der beschreibt, wie soziale Beziehungen vergegenständlicht werden und wie die Individuen, die diese Beziehungen verkörpern, diese nicht verändern können, ohne ihre sozialen Grundlagen zu verändern.

Wenn der Kapitalismus eine Gesellschaft ist, die durch unbewusste Kontrolle gekennzeichnet ist, dann muss der Sozialismus die Wiederherstellung des menschlichen Bewusstseins als historische Kraft sein. In der Praxis bedeutet dies, dass der Markt durch Planung ersetzt werden muss.14

„Half-Earth-Socialism“ stellt die Hypothese auf, wie eine Planung in natura, das heißt materiell, also ohne Rückgriff auf Wertmaßstäbe, durchgeführt werden könnte. Dabei stützen sich die Autoren auf die Vorschläge von Otto Neurath, einem österreichischen Sozialdemokraten, der 1919 als Leiter des Zentralwirtschaftsamt ernannt wurde, um die vollständige Sozialisierung der bayerischen Wirtschaft voranzutreiben. Wenn das Ziel des Sozialismus darin besteht, „der Menschheit zu ermöglichen, sich selbst und ihren Austausch mit der Natur bewusst zu regeln“, dann sei der beste Weg, dieses Ziel zu erreichen, zwischen alternativen Plänen auszuwählen, von denen jeder „eine bestimmte Vorstellung davon repräsentiert, wie die produktiven Kapazitäten der Gesellschaft eingesetzt werden können.“15

„Half-Earth-Socialism“ zieht die von dem sowjetischen Ökonomen und Mathematiker Leonid Kantorowitsch entwickelte lineare Programmierung als Methode heran, um unterschiedliche Alternativen zu evaluieren. Diese Alternativen berücksichtigen die „zwei wesentlichen Beschränkungen“, die sich aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen der planetarischen Grenzen ergeben: „die Extraktion zu begrenzen, um die Biosphäre gesund zu erhalten, und gleichzeitig ausreichend natürliche Ressourcen gerecht zu verteilen, um menschliche Bedürfnisse zu befriedigen.“16 Diese allgemeinen Ziele können in vielfältige Kombinationen übersetzt werden, die mithilfe der linearen Programmierung in alternative Pläne umgewandelt werden können. Die sozialistische Planung „kann verschiedene Wege zu einem egalitären und nachhaltigen Planeten aufzeigen.“17

Zusätzlich trägt die Kybernetik – vertreten durch Forscher wie Norbert Wiener, Andrey Kolmogorov und Anatoly Kitov – sowie das Cybersyn-Projekt von Stafford Beer während der Regierung von Salvador Allende in Chile zur Entwicklung von Planungsmechanismen bei, die notwendige Korrekturen im laufenden Betrieb ermöglichen. Vettese und Pendergrass zeigen auch, wie neuere Entwicklungen, wie die von Klimawissenschaftlern verwendeten integrierten Bewertungsmodelle, die Planungsmechanismen weiter bereichern können.

Das Interessante an „Half-Earth Socialism“ ist, dass es sich von der dichotomen Diskussion zwischen Ökomodernismus und Degrowth abhebt. Anstatt sich auf das technisch-optimistische Versprechen des „vollautomatisierten Luxuskommunismus“ zu stützen oder sich den Zwängen des Degrowth zu unterwerfen, ermöglicht die Konzentration auf sozialistische Planung eine nüchternere Diskussion darüber, wie eine Gesellschaft, die auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel basiert – derzeit in den Händen einer kleinen Gruppe von Ausbeuter:innen –, die Ziele einer Wiederherstellung eines ausgewogenen sozio-ökologischen Stoffwechsels und die umfassende Befriedigung sozialer Bedürfnisse miteinander vereinbaren kann.

Dieser Artikel erschien zunächst am 5. November 2023 in Ideas de Izquierda.

Fußnoten

  1. 1. Terry Eagleton: Warum Marx recht hatte, Aus dem Englischen von Hainer Kober, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2018, S. 268.
  2. 2. Dave Beech: Art and Labour. On the Hostility to Handicraft, Aesthetic Labour and the Politics of Work in Art, Brill, London 2020, S. 13, eigene Übersetzung.
  3. 3. Ebd., S. 245
  4. 4. Saito unterscheidet sich von ihnen, indem er behauptet entdeckt zu haben, dass Karl Marx selbst in seinen letzten Lebensjahren die Perspektive eines „Degrowth-Kommunismus“ vertreten habe. Dies sei seiner Meinung nach den letzten handschriftlichen Texten des deutschen Revolutionärs zu entnehmen. Wir haben , wie sehr sich Saito bemühen muss, um diese Erkenntnisse, die er in Marx‘ theoretischer Entwicklung zu finden behauptet, zu belegen.
  5. 5. In den abhängigen Ländern findet Degrowth seine Entsprechung in einigen ökologischen Strömungen, die die extraktivistischen Projekte zu Recht als falschen Entwicklungsweg ablehnen. Wie in den reichen Ländern ist auch in diesem Fall ihr Vorschlag eines notwendigen Übergangs zum Postextraktivismus nicht Teil einer ausgearbeiteten Strategie zum Bruch mit dem Imperialismus und seinen lokalen Verbündeten. Ohne eine solche Strategie ist es jedoch nicht möglich, die Grundlagen für eine Alternative zu den kapitalistisch-imperialistischen „Modernisierungs“-Projekten zu schaffen.
  6. 6. Kohei Saito: Marx in the Anthropocene. Towards the Idea of Degrowth Communism, Cambridge University Press, Cambridge 2022, S. 241, eigene Übersetzung.
  7. 7. Ebd., S. 249.
  8. 8. Ståle Holgersen: Neither Productivism nor Degrowth. Thoughts on Ecosocialism, Spectre, 4. September 2023, https://spectrejournal.com/neither-productivism-nor-degrowth/ [22. August 2024].
  9. 9. Ebd., Hervorhebungen im Original.
  10. 10. Anm. d. Ü.: Anspielung auf den Titanen Prometheus in der griechischen Mythologie, der darin den Menschen das Feuer brachte und deshalb als Urheber der Zivilisation galt. Vettese und Pendergrass schreiben diese Perspektive G. W. F. Hegel zu, von dem Marx und seine Anhänger:innen sie übernommen hätten. Vgl. Troy Vettese und Drew Pendergrass: Half-Earth Socialism. A Plan to Save the Future from Extinction, Climate Change, and Pandemics, Verso, London 2022, S. 18.
  11. 11. Ebd., S. 96, eigene Übersetzung.
  12. 12. Ebd., eigene Übersetzung.
  13. 13. Ebd., S. 42, eigene Übersetzung.
  14. 14. Ebd., eigene Übersetzung.
  15. 15. Ebd., S. 100, eigene Übersetzung.
  16. 16. Ebd., S. 101, eigene Übersetzung.
  17. 17. Ebd., S. 109, eigene Übersetzung.

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