Debattenbeitrag Linksjugend Leipzig Ost
Debattenbeitrag anlässlich der Konferenz "15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?" | von der Linksjugend Leipzig Ost
Anders als viele andere Anhänger*innen des linken Flügels der Linksjugend haben wir als Linksjugend Leipzig Ost, den ‚Aufruf für einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid‘ nicht unterzeichnet. Trotzdem sympathisieren wir mit vielen der geäußerten Schwierigkeiten und halten Solid wie Linkspartei ebenso für nicht erneuerbar. In diesem Artikel wollen wir unsere Abweichungen von den Argumenten des Aufrufs kurz darstellen, um Raum für eine Debatte zu eröffnen.
Die wesentliche Differenz, die zwischen uns und den Autor*innen des Aufrufs steht, ist unsere Ablehnung eines traditionellen Verständnisses der Linken, das diese im wesentlichen als revolutionär-antikapitalistisch interpretiert und bruchlos an die Traditionen der Arbeiter*innenbewegung anschließt. Auch wir verstehen uns als revolutionär und antikapitalistisch und setzten uns auch in die Tradition der Arbeiter*innenbewegung. Allerdings verstehen wir diese Aspekte nicht als das schlechthin Linke. Ob der Begriff einer Linken überhaupt zu retten ist, ist in unserer Gruppe ein kontroverses Thema. Wenn wir ihn aber weiterhin verwenden, dann nicht im Sinne einer revolutionär-antikapitalistischen Arbeiter*innenbewegung, sondern im Sinne eines intersektionalen Bündnisses der Marginalisierten. In diesem Sinne ist die Überwindung des Nationalstaats und des Hetero-monogamen-Komplexes für uns genauso wesentlich, wie die Eliminierung des Kapitalismus. In Texten von ‚Rio‘ und ‚Klasse gegen Klasse‘, denen zumindest einige der Autor*innen des Aufrufs nahestehen, wird versucht zwischen der Interpretation der Linken als revolutionär-antikapitalistischer Arbeiter*innenbewegung und der Interpretation als intersektionalem Bündnis der Marginalisierten ein Kompromiss zu finden. Dieser Kompromiss tritt unter der Bezeichnung „hegemoniale Klassenpolitik“ auf und besagt kurzgefasst, dass die Arbeiter*innenbewegung auch die Aufhebung der übrigen Muster von Unterdrückung leisten kann und dies auch muss, wenn sie gesellschaftliche Macht etablieren will. Häufig wird dabei auf eine besondere strategische Bedeutung der Arbeiter*innenklasse verwiesen. Diese Analysen teilen wir nicht. Wir halten die Arbeiter*innenklasse für eine marginalisierte Gruppe unter anderen, der kein besonderer Vorrang zukommt. Wie für jede marginalisierte Gruppe ergeben sich auch für die Arbeiter*innenklasse spezifische Strategien der politischen Arbeit, aus denen sich verschiedene Forderungen radikaler gesellschaftlicher Veränderung ableiten lassen. Aus den Konflikten der Arbeiter*innenklasse allein lässt sich beispielsweise die Überwindung des Hetero-monogamen-Komplexes aber nicht denken. Diese Forderung entspringt anderen gesellschaftlichen Konflikten, die sich zwar mit dem Klassenkampf überschneiden, mit diesem aber weder identisch sind noch sich aus diesem ableiten lassen.
Die theoretischen Versuche Probleme, wie den Nationalstaat und den Hetero-monogamen-Komplex, durch die Terminologie des Klassenkampfes zu erfassen, halten wir für einen linken Konservativismus, der das Niveau der Analyse dieser Probleme notwendigerweise verringert. Symptomatisch dafür ist beispielsweise die Übernahme radikalfeministischer Argumentationsmuster bezüglich Sex-Arbeit, unter dem Vorwand damit eine antikapitalistische Position einzunehmen, wie sie sich in der Verbreitung von Texten der TERF Huschke Mau, durch die Solid Nord-Berlin ereignete. Auch die Reduktion des Feminismus auf eine handvoll Texte weiblicher Sozialist*innen wie Zetkin oder Kollontai gehört in diesen Kontext.
Produkt dieses linken Konservativismus ist auch der Versuch die Friedensrhetorik der kommunistischen Parteien Anfang und Mitte des 20. Jahrhunderts, auf die gegenwärtige Lage in der Ukraine zu Übertragen. Die Forderung nach Frieden von links zu stellen, setzt voraus, dass man einen gewissen gesellschaftlichen Rückhalt besitzt und eine Friedensordnung revolutionär etablieren oder dies zumindest vorstellbar machen kann. Wo dies nicht der Fall ist, tritt die Forderung nach Frieden als bloße Forderung an die Herrschenden auf, die Friedensverhandlungen zu beginnen, was diese in ihrer Rolle weiter legitimiert. Die Kritik an der Kriegsverherrlichung, wie sie von Grünen und Antideutschen betrieben wird, ist nichtdestotrotz angemessen.
Aus dem genannten ergibt sich auch, dass wir die Kritik des Aufrufs an der sogenannten Bewegungslinken in dieser Form nicht teilen. Trotzdem halten wir die Bewegungslinke für problematisch und sehen relevante Differenzen zu unseren Positionen. Unsere Kritik an der Bewegungslinken besteht vor allem darin, dass sie sich den sogenannten Bewegungen von außen andienen will, um sie dadurch zu vereinnahmen. Partei und sogenannte Bewegungen sind hier grundsätzlich voneinander geschieden. Wobei die Partei die privilegierteren und moderateren Gruppen dazu organisiert sich als Repräsentant*innen der marginalisierteren und radikaleren Gruppen (Bewegungen) zu etablieren. Diese Methodik lehnen wir ab. Wir alle sind Aktivist*innen, die auch unabhängig von Parteiinstitutionen aktiv sind und auch ohne Partei aktiv bleiben würden. Institutionen wie die Solid oder die Linkspartei dienen uns im besten Falle dazu Solidarität zwischen verschiedenen Kämpfen herzustellen (auch wenn diese Funktion gegenwärtig nur sehr mäßig realisiert werden kann). Eine Rolle der Repräsentation von Kämpfen durch eine Partei lehnen wir ab.
Unsere gegenwärtige Strategie ist weder ein Versuch Solid oder Partei zu reformieren noch eine neue Partei an deren Stelle zu setzen. Wir arbeiten am Aufbau eines Netzwerks von Organisationen der Marginalisierten, die sich in den politischen Kämpfen, die sie selbst betreffen und in Solidarität mit den Kämpfen anderer, dem herrschenden Unrecht entgegenstellen. Sollte die Linkspartei bei der nächsten Wahl aus dem Parlament fliegen, wäre dieses Netzwerk allerdings ein Milieu, dass für die Gründung einer neuen Partei links der Grünen sehr günstig sein könnte.
Debatten über einen revolutionären Bruch mit der Linkspartei und Solid
Zur Vorbereitung der Konferenz „15 Jahre Solid und Linkspartei – Welche Organisation für den Klassenkampf?“ am 14./15. Januar 2023 wurden von verschiedenen Organisationen und Einzelpersonen Debattenbeiträge geschrieben. Hier geht es zu allen Beiträgen.