Debatte: Warum wir in den USA eine revolutionär-sozialistische Partei brauchen
Nicht nur Trumps Wahlerfolg und der Aufstieg der Alt-Right-Bewegung sorgen für turbulente Zeiten. Letztes Jahr wurden tausende Menschen im Umfeld der Präsidentschafts-Kampagne von Bernie Sanders politisch aktiv und traten linken Organisationen bei, wie den Democratic Socialists of America (DSA), der International Socialist Organization oder der Socialist Alternative. Deshalb stellt sich heute die Frage erneut, was für eine Partei wir Revolutionär*innen aufbauen müssen, um zu siegen.
Foto von Luigi Morris
Vor zehn Jahren hätte man diese zwei Bewegungen für unmöglich gehalten. Jetzt sehen wir nach Jahren des Rückzugs die Möglichkeit für eine Umwälzung der politischen Landschaft und das Erstarken von Revolutionär*innen.
Daher müssen wir uns also die Partei als politisches Werkzeug für den Sozialismus erneut ansehen. Was braucht es, um erfolgreich für den Sozialismus zu kämpfen?
Der Redakteur des linken Online-Magazins „Jacobin“ legte kürzlich einen „Entwurf“ für eine Partei vor. Dieser hat zwar einige Stärken, verfehlt allerdings die Hauptfragen, die Sozialist*innen sich heute stellen sollten.
Von Null müssen wir nicht anfangen
Eine Partei für die Arbeiter*innenklasse muss frühere Erfahrungen berücksichtigen. Aufstieg und Abdriften der sozialdemokratischen Parteien Europas und die degenerierten kommunistischen Parteien (Spanien, Frankreich, Deutschland, usw.) sind wertvolle Lehrbeispiele. Das gleiche gilt für die kurzen aber umfangreichen Erfahrungen mit neo-reformistischen Strömungen wie Syriza und Podemos.
Jede Partei hat ein Programm, ob verschriftlicht oder nicht. Und jede Partei vertritt entweder die Interessen der Arbeiter*innenklasse oder der Bourgeoisie. Kapitalistische Parteien, wie die Demokraten und Republikaner haben zwar leicht unterschiedliche Programme, dienen jedoch unterschiedlichen aber überlappenden Segmenten der Bourgeoisie. Obwohl Bernie Sanders ein viel radikaleres Programm als Hillary Clinton hatte, war sein ausdrückliches Ziel noch immer die Reform des Kapitalismus, nicht seine Abschaffung. Er wollte sozusagen den Kapitalismus vor sich selbst retten.
Für Arbeiter*innenparteien ist das Programm das wichtigste Werkzeug der Partei. Gleichzeitig muss dem Programm eine Strategie zugrunde liegen. Wahlkampagnen oder Streiks gegen Massenentlassungen sind zwar Taktiken für bestimmte Kämpfe, aber die Gesamtstrategie ist die Summe dieser Kämpfe, das Endziel der Sturz des Kapitalismus.
Die sozialdemokratischen Parteien Europas (und die kurzlebige Socialist Party in den USA) traten dafür ein, den Sozialismus durch parlamentarische Reformen zu erreichen. Dazu mussten sie an Wahlen teilnehmen und im Parlament Gesetze vorlegen, die den Arbeiter*innen dienen. Allerdings hatten die sozialdemokratischen Parteien Europas keine einheitliche Strategie zur Erreichung des Sozialismus. Letztendlich trennte sich der Einsatz für das Machbare (ihrer Ansicht nach das Minimalprogramm) vom Kampf für den Sozialismus (das Maximalprogramm).
Arbeiter aller Länder?
Die SPD war eine der größten sozialdemokratischen Parteien überhaupt. Sie wuchs zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts exponentiell, erhielt 1912 über vier Millionen Stimmen und hatte 1914 bereits mehr als eine Million aktive Mitglieder.
Am 4. August 1914, nur wenige Tage nachdem sie versprochen hatte, dem Krieg zu widerstehen und gemeinsam mit Arbeiter*innen anderer Länder für den Sozialismus zu kämpfen, gaben die SPD – sowie sozialistische Parteien in Österreich-Ungarn, Frankreich, Belgien und Großbritannien – dem nationalistischen Druck nach und stellten sich im Ersten Weltkrieg hinter ihre Regierungen. So gaben die sozialdemokratischen Parteien jeden Internationalismus auf und wurden zu Komplizen der Kapitalist*innen, indem sie ihre Basis zum Krieg gegen die Arbeiter*innen anderer Länder aufriefen. Daran zerbrach die Zweite Internationale.
Im weiteren Verlauf des 20. Jahrhunderts kämpften sozialdemokratische Parteien weiter für die Verwandlung des Kapitalismus von innen, unter der Illusion, dass jede Reform ein Schritt in Richtung Sozialismus wäre. Allerdings kam dieser nie. Der Spätreformismus gab letztlich alle Hoffnungen auf ein Ende des Kapitalismus auf und konzentrierte sich auf das Minimalprogramm.
Das Hoffen auf den Parlamentarismus ist ein Hauptgrund, warum Sozialdemokratien uns dem Sozialismus kein Bisschen näher gebracht haben.
Am Ende des 19. Jahrhunderts behauptete ein revisionistischer Flügel unter Führung von Eduard Bernstein, eine „zivilisierte“ Regierungsform auf Basis der parlamentarischen Demokratie gefunden zu haben, welche den „Despotismus der Klassendiktatur“ ablösen könne. Karl Kautsky folgte später dieser taktischen Wende und entwickelte eine „Ermattungsstrategie“, welche Rosa Luxemburg später als „reinen Nur-Parlamentarismus“ bezeichnete.
Laut Kautsky könnte die deutsche Arbeiter*innenklasse einen Stellungskrieg gegen die Bourgeoisie führen, ihre Macht untergraben und nach und nach den Staat übernehmen. Der Glaube an die bürgerliche Demokratie und die Akzeptanz des Parlamentarismus als einziges Mittel zur Interessenvertretung der Arbeiter*innen erwies sich an wichtigen historischen Wendepunkten als Katastrophe für das Proletariat.
In revolutionären Situationen beschränkten sich die sozialistischen Parteien, zu unentschlossen und unvorbereitet für die Ergreifung der Macht, stets auf das unter dem Kapitalismus Mögliche. Dies geschah in Deutschland 1919 und 1923, im Spanischen Bürgerkrieg 1936-39 und in Chile 1973, als Salvador Allende sich weigerte, die Arbeiter*innen zu bewaffnen, um die Konterrevolution aufzuhalten. In allen drei Fällen folgte ein Massaker an militanten Arbeiter*innen und Revolutionär*innen.
Das Rennen zur Mitte
Als der Neoliberalismus Oberhand gewann, gaben auch die Sozialdemokratien seinen Verlockungen nach. Im letzten Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts, folgten die sozialdemokratischen Parteien Westeuropas und andernorts dem Dritten Weg und setzten Sparpolitik im Auftrag des Kapitals durch. Sie verwandelten sich von angeblichen Vorkämpfern der Interessen der Arbeiter*innen in Agenten des Finanzkapitals.
Schauen wir uns heute oberflächlich die Parteien der Sozialistischen Internationale an, scheint es wie ein Gruselkabinett: Hollandes Partie Socialiste, Enrique Peña Nietos PRI in Mexiko, die UCR in Argentinien – aktuell in einer Koalition mit Präsident Mauricio Macris republikanischer PRO. Auch die DSA in den USA ist weiterhin Vollmitglied der Zweiten Internationale.
Nicht nur die Sozialdemokratie rückte Richtung Mitte. In den späten 1970ern brachen die KPs in Europa – besonders in Spanien, Italien und Frankreich – mit der Sowjetunion und schmissen die „Diktatur des Proletariats“ aus dem Programm. Ohnehin hatten sie längst alle Aussichten auf eine sozialistische Revolution aufgegeben. Diese Bewegung, der sog. Eurokommunismus, wählte den Parlamentarismus als Weg zum Sozialismus im Zentrum. Praktisch ließen sie sowohl das Ideal als auch den Kampf für den Sozialismus fallen.
Das Problem mit Abkürzungen
Wenige Jahre nach der Wirtschaftskrise von 2008 erschütterte eine Reihe Aufstände die arabische Welt. Auch in den USA (Occupy) und in Europa gab es Massenproteste. Nach dem Bankrott der klassischen reformistischen Parteien, stiegen Syriza und Podemos auf der Basis starker Anti-Austeritätsbewegungen auf.
Linke Parteien und radikale Aktivist*innen weltweit schauten mit großen Hoffnungen auf diese neuen Bewegungen. Es schien als hätte die Linke nach langem Rückzug endlich wieder eine Massenbasis.
Im Januar 2015 kam Syriza an die Macht mit dem Versprechen, den Austeritätszwang der EU zu bekämpfen. Einige sahen den Wahlsieg als Bekräftigung für den parlamentarischen Weg zum Sozialismus. Allerdings unterschrieb Tsipras‘ Regierung wenige Monate später eine drakonische Vereinbarung mit der EU – gegen ein Referendum, bei dem sich 60 Prozent der Bevölkerung gegen dieses Abkommen ausgesprochen hatte. Darin wurde der größte Hafen (Piräus) verkauft und die Renten gekürzt. Gleichzeitig wurden Demonstrant*innen und streikende Arbeiter*innen unterdrückt.
Podemos in Spanien zeigte sein wahres Gesicht schon vor dem Aufstieg in die Landespolitik. Zuerst strichen sie die radikalsten Forderungen, wie eine öffentliche Überprüfung der Auslandsschulden. Diese ersetzten sie durch eine Umstrukturierung der Schulden. Dann versuchten sie eine Koalition mit der sozialdemokratischen PSOE einzugehen, welche sie vorher stets als Teil der „politische Kaste“ angegriffen hatten. Podemos regiert nun schon seit fast zwei Jahren in fünf wichtigen Städten (darunter Madrid und Barcelona) und hat keine Lösungen für Zwangsräumungen, Arbeitslosigkeit und die Energiekrise.
Syriza und Podemos setzten beide auf Institutionalisierung statt „Straßenkampf“. Ihr Rezept hieß wählen und auf der Couch abwarten. Podemos’ kümmerliche Erfolge in der Lokalpolitik und ihr Streben nach dem Präsidentschaftsposten um jeden Preis enthüllen ihren politischen Bankrott.
Ohne Massenbasis in der Arbeiter*innenschaft kämpfen diese neuen Reformparteien bloß um die Macht, um der Austerität entgegenzutreten. Der Sozialismus ist keins ihrer Ziele. Auch sehen wir am Beispiel Syriza, dass die andauernde Wirtschaftskrise auch der spendierfreudigsten Regierung einen Strich durch die Rechnung macht; so ist ihr sozialdemokratisches Programm bloß eine ausgediente Utopie.
Eine Partei der Arbeiter*innen
Heute ist es nicht anders als früher – der Hauptkonflikt bleibt die Ausbeutung einer Klasse durch die andere, mit ein paar Zwischenstufen. Nichts definiert unser Leben stärker als unsere soziale Klasse. Eine Partei, die Arbeiter*innen und Kapitalist*innen aufnimmt, wird immer durch das Kapital gelenkt sein. Daher brauchen Arbeiter*innen ihre eigene politische Interessenvertretung.
Die Partei, die wir brauchen, besteht aus Arbeiter*innen und wird durch sie gelenkt und finanziert. Parteien, die auf Spenden liberaler Stiftungen oder Großspender*innen angewiesen sind, brauchen gar nicht so zu tun, als würden sie für eine unabhängige Arbeiter*innenklasse eintreten.
Soziale Aktivist*innen und Liberale arbeiten viel zu oft mit der Demokratischen Partei – einer reinen Kapitalist*innenpartei. Je nach Gemengelage fördern sie das Entstehen eines progressiven Flügels, übernehmen die Partei komplett oder wählen für die Demokraten als das geringere Übel. Dieser Weg ist eine Sackgasse.
Genau nach diesem Muster haben die Democratic Socialists of America (DSA) durchgehend progressive Galionsfiguren in der Demokratischen Partei unterstützt. Bernie Sanders war nicht der einzige. Die DSA unterstützten auch Keith Ellison als Vorsitzenden der Demokratischen Nationalversammlung (DNC). Dieser lauwarme Liberale unterschied sich programmatisch kaum vom aktuellen Amtsinhaber Tom Perez.
Die Socialist Alternative [Schwesterorganisation der Sozialistischen Alternative, SAV, in Deutschland] hat denselben Fehler gemacht und unterstützt Demokrat*innen in der Lokalpolitik von Seattle – und zwar noch unverfrorener als in ihrer Kampagne für Bernie Sanders in den Vorwahlen, als sie für die Demokratische Partei Wähler*innen registrierten. Als wäre das nicht genug, so nahmen sogar Mitglieder der Socialist Alternative an der DNC 2016 in Philadelphia als Abgeordnete der Demokrat*innen teil. Nach der Abstimmung verließen sie aus Protest die Versammlung, weil Hillary Clinton die Nominierung gewann. Aber wer sich einmal auf eine kapitalistische Partei einlässt, kann nicht mehr so leicht umkehren.
Sobald Bernie Sanders aus dem Rennen war, liefen einige seiner Unterstützer*innen zur Green Party. Auch die Socialist Alternative wechselte das Lager und unterstützte deren Präsidentschaftskandidatin Jill Stein.
Auch die International Socialist Organization (ISO) hat sich häufig hinter die Grünen gestellt, um das Zweiparteiensystem zu überwinden. Gemeinsam stellten sie bereits ein Kandidat*innenteam für die Bundesstaatswahlen in New York 2014 auf (Howie Hawkins und Brian Jones).
In einem Leitartikel im Socialist Worker schreibt Paul D’Amato ausführlich über die Notwendigkeit einer Arbeiter*innenpartei und beruft sich auf Marx und Engels.[https://socialistworker.org/2008/05/09/independent-status-quo] Hier rechtfertigt er allerdings gleichermaßen die Unterstützung für Ralph Naders Wahlkampagne für die Green Party im Jahr 2000 und bezeichnet das Programm als „gegen Großkonzerne gerichtet, wenn nicht gar antikapitalistisch“ und als Mittel zum „Aufbau einer breiteren Linken, die von der Demokratischen Partei unabhängig ist“. D’Amato erwähnt in keiner Weise den Klassencharakter der Grünen. Seine und ähnliche Analysen ersetzen die Klassengrenzen durch eine „breite Linke“, die so breit ist, dass sie sogar umweltfreundliche Unternehmer*innen einbezieht (siehe unten).
Der Widerspruch erreicht den Höhepunkt, als D’Amato die Unterstützung der ISO für die Grünen mit einem Zitat von Engels über die Kandidatur der New York Independent Labor Party von 1886 rechtfertigt: „In einem Land, das gerade erst der Bewegung beigetreten ist, ist der erste Schritt die Schaffung einer unabhängigen politischen Partei durch die Arbeiter, egal wie, so lange sie als Arbeiterpartei erkennbar ist.“ (Hervorhebung durch den Autor dieses Artikels)
Paul D’Amato und die ISO entschieden sich, die letzten Worte einfach zu übersehen.
Obwohl es unter den Grünen ein paar selbsternannte Sozialist*innen gibt, ist die Green Party USA bloß eine Partei der Mittelschicht mit entsprechendem Programm: „Investitionen in grüne Unternehmen (…) mit Schwerpunkt auf kleine, lokal verankerte Unternehmen“, steht in Jill Steins Programm für 2016. Obwohl die Partei eine Ergänzung (#835, Juni 2016) verabschiedete, die das „kapitalistische System“ verurteilt, greift dasselbe Statement auch die Verstaatlichung der Produktionsmittel an, unterstützt kleine Unternehmen und propagiert den Kommunalismus als vage Idee der Dezentralisierung von Macht als Hauptdogmen für die soziale Gerechtigkeit.
Wenn die Grünen also weder sozialistisch noch eine Arbeiter*innenpartei sind, warum sollte man sie überhaupt unterstützen? Ist das wirklich ein Schritt zur Schaffung einer revolutionären sozialistischen Partei? Die Vergangenheit beweist das Gegenteil. Die Green Party lenkt ab von wirklicher Arbeiter*innenpolitik und wird Arbeiter*innen und Aktivist*innen bloß Verwirrung und Enttäuschung bringen.
In den letzten eineinhalb Jahren hat die Socialist Alternative bis zur Übelkeit wiederholt, dass wir eine „Partei der 99%“ brauchen. Der Slogan selbst ist problematisch, da er Klassenkonflikte verwischt und die Tür öffnet für klassenübergreifende Wahlkoalitionen. Diese großzügig bemessenen 99% würden nur die reichsten Großbürger ausschließen (die mit mehr als 350.000 USD Jahresgehalt oder mit mehr als 8 Mio. USD Privatvermögen), aber das gesamte Kleinbürgertum wäre ausgeschlossen, einschließlich einige der kleineren Kapitalist*innen. Das klingt vielleicht haarspalterisch, aber die Absicht der Socialist Alternative wird klar, wenn wir bedenken, dass sie Bernie Sanders und Jill Stein mit der Schaffung dieser Partei der 99% beauftragt haben.
Kshama Sawant und die Socialist Alternative sind sehr populär geworden, nachdem Sawant als Sozialistin in den Stadtrat von Seattle gewählt wurde. Aber die Einbindung „moderater“ Wähler und der Eifer, mit dem eine Zusammenarbeit mit progressiven Demokraten wie Bernie Sanders angestrebt wird, sind der schnellste Weg, um diese politische Glaubwürdigkeit zu verlieren, die keine andere linke Organisation in den letzten Jahren genossen hat.
Das klingt vielleicht simpel, aber eine klare Distanzierung von der Zusammenarbeit mit klassenübergreifenden oder offen bürgerlichen Wahlalternativen wäre ein großer Schritt voran für die DSA, die Socialist Alternative und die ISO.
Eine kämpferische Partei
In dem halben Jahrhundert seit den 1970er Jahren wurden alle bis dahin erkämpften Errungenschaften revidiert. Gerade ist es so schlimm, dass schon eine reformistische Massenorganisation der Arbeiter*innen ein Fortschritt wäre. Doch wie die Erfahrung mit der Sozialdemokratie zeigt, reicht dies nicht, um den Kapitalismus zu bekämpfen.
Klar ist die kapitalistische Demokratie voller Fehler. Vielfache Einflüsse verfälschen die Wahlergebnisse, unterdrücken unerwünschte politische Kräfte und garantieren letztendlich die Herrschaft des Kapitals durch seiner Handlanger in der Regierung.
Der eine Vorzug von Seth Ackermans Artikel im Jacobin-Magazin ist, dass er zeigt, wie undemokratisch das amerikanische Wahlsystem ist.
Eine Lehre aus der Geschichte ist klar: Wir müssen aufhören, so auf die Aufgaben zuzugehen, als hätten wir die gleichen Probleme wie die Britische Labor-Partei im Jahr 1900 oder die New Democratic Party in Kanada im Jahr 1961. Stattdessen müssen wir erkennen, dass wir in derselben Lage sind wie Oppositionsparteien in weichen Autokratien, wie in Russland oder Singapur.
Allerdings basiert sein enges Politikverständnis bloß auf Wahlstrategien. Seine Empfehlung ist am Ende bloß, mit einem Fuß in und dem anderen außerhalb der Demokratischen Partei zu arbeiten.
Jeder kollektive Kampf für den Sozialismus muss anerkennen, dass wir eine revolutionäre Strategie brauchen.
Der Reformismus ist schon zahllose Male gescheitert. Nur Revolutionen konnten die Ketten der Klassenausbeutung zerschmettern. Trotz der späteren Bürokratisierung und der repressiven Tendenz, brach die Russische Revolution die Macht des Zaren und der Bourgeoisie und brachte sofortige Verbesserungen für Millionen von Arbeiter*innen und Bauern*Bäuerinnen, verteilte das Land, bereitete den Weg für Emanzipation und sexuelle Befreiung und schuf das demokratischste System, das je existierte.
Das war nur möglich durch das gezielte Handeln der Arbeiter*innenmassen, gebündelt in selbstorganisierten Strukturen, den Sowjets (Arbeiter*innenräte). Diese Räte bestärkten und kanalisierten die Arbeiter*innenmacht und planten den Aufstand. Die Bolschewiki kämpften in den Räten und gewannen die Mehrheit für eine revolutionäre Strategie.
Natürlich können Revolutionär*innen nicht einfach Revolutionen ausrufen oder, anders als Che Guevara behauptete, die subjektiven Bedingungen dafür schaffen. Dennoch kann eine militante Minderheit der Arbeiter*innen eine wichtige Rolle in einer größeren Bewegung der Ausgebeuteten und Unterdrückten spielen, indem sie Einheitsfrontorganisationen schafft und revolutionäre Politik fördert.
Der Kampf für die Einheitsfront beginnt heute
Die Sowjets waren eigentlich bloß Einheitsfrontorganisationen. Wie Emilio Albamonte und Matías Maiello überzeugend darlegen, werden diese Organisationen, welche in der Defensive gegen Staat und Kapital kämpfen, unter den richtigen Voraussetzungen die Offensive organisieren.
Eine Hauptaufgabe für eine revolutionäre Partei ist also die Entwicklung dieser Organe proletarischer Selbstorganisierung. Das geht nur, wenn die Partei tief in der Arbeiter*innenklasse verwurzelt ist, wenn sie „mit der breitesten Masse der Werktätigen verschmilzt.“
Zudem muss die Partei mit den politisch am weitesten entwickelten Arbeiter*innen gefüllt sein, denjenigen, die aktiv gegen die Bosse und die Gewerkschaftsbürokratie kämpfen, gegen Rassismus und Frauenunterdrückung, und die verstehen, dass der Kapitalismus verschwinden muss. Das ist die traditionelle Bedeutung der Avantgarde unter Kommunist*innen. Der Begriff wird allerdings häufig missbraucht, besonders durch Kleingruppen, die sich als „DIE revolutionäre Partei“ ausgeben, aber keinen realen Einfluss haben und sich auch nicht bemühen, ihre Behauptungen in realen Kämpfen zu testen.
So werden Parteimitglieder ihre Charaktere und Sichtweisen im Kampf stärken. Marxistische Propaganda und Theorie sind das Gerüst, doch der aktive Klassenkampf ist nötig, um Kader heranzubilden. Jeder Streik, jede Fabrikblockade, Straßensperre, jeder Konflikt ist eine Kriegsschule und die Partei schmiedet ihren Charakter in dieser Kampfglut. Sie wird zu einer Partei des Kampfes.
Obwohl die meisten Linken es heute vergessen haben, ist der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie heute unheimlich wichtig. In den USA versuchten die meisten Linken, sich Posten in den Gewerkschaften zu sichern und verwoben so ihre Interessen mit der Bürokratie.
Die Gewerkschaftsbosse sind Agent*innen des Kapitals innerhalb der Arbeiter*innenbewegung. Sie nutzen systematisch Rassismus und Sexismus, um die Wut der Arbeiter*innen zu zügeln und Kompromisse mit den Unternehmer*innen zu erreichen. Diese Bürokratie ist das Haupthindernis, das Arbeiter*innen bekämpfen müssen, um Demokratie in ihren Organisationen zu verwirklichen und ihre Interessen zu fördern.
Da die Gewerkschaftsbürokratie in der heutigen Linken kaum diskutiert wird, versteht kaum jemand, was sie ist und wie sie zu bekämpfen ist. In diesem Artikel kann keine umfassende Analyse geleistet werden, aber wir können eine Führung als bürokratisch bezeichnen, wenn Entscheidungen nicht demokratisch durch Versammlungen getroffen werden, Delegierte nicht abberufen werden können und die Teilnahme der Basis schwach ist, wenn die Führung nicht unnachgiebig gegen Rassismus, Sexismus und Nationalchauvinismus kämpft, oder wenn die Gewerkschaft die Demokraten oder irgendeine andere bürgerliche Partei unterstützt. Das sind alles klare Zeichen dafür, dass die Gewerkschaftsführung nicht auf Seiten der Arbeiter*innen steht.
Linke Parteien in den USA sollten gegen die Gewerkschaftsführungen in Opposition treten, anstatt die Differenzen zu begraben und sich im Postengeschacher hinter die Bosse zu stellen.
Demokratische Forderungen und Hegemonie des Proletariats
Die Mitglieder einer revolutionären Partei müssen nicht nur wirtschaftliche Gerechtigkeit oder Arbeitsrechte einfordern. Auch der individuelle Rassismus und Diskriminierung am Arbeitsplatz müssen auf jeder Ebene bekämpft werden. Noch wichtiger ist es, den Kampf gegen diese Unterdrückungen aus proletarischer Perspektive zu führen. Die Initiativen Strike Against Police Terror und No Cops in Our Unions, die beide aus dem Umfeld von Left Voice stammen, versuchen die Macht der Arbeiter*innen mit dem Kampf gegen Rassismus zu verknüpfen.
Die Mobilisierung von Frauen in den USA und weltweit für das Recht auf den eigenen Körper, Geschlechtergleichheit und gegen alle Formen sexualisierter Gewalt hat die Frage aufgeworfen, was für eine Art der Frauenbewegung wir wirklich brauchen.
Nicht nur aus moralischen Gründen nehmen wir die Forderungen dieser Kämpfe für demokratische Rechte auf. Sie sind auch ein Kernelement revolutionärer Strategie. Arbeiter*innen müssen die sozialistische Revolution vorantreiben, aber dafür müssen sie zeigen, dass sie die Klasse sind, die auch für alle anderen die Gleichberechtigung erreicht: für Arme und Entrechtete, Student*innen, die Mittelschicht; für alle sozialen Schichten, bis zu den am Unterdrücktesten. Der Kampf für ihre Forderungen stärkt die Vorherrschaft der Arbeiter*innenklasse, d.h. ihre Fähigkeit zum Wohle aller zu kämpfen.
Allerdings wird die Partei nur wirklich revolutionär sein, wenn sie radikale Aktivist*innen aus Kämpfen gegen Rassismus, Sexismus und andere Unterdrückungen einbezieht.
Kampf im Überbau
Das heißt nicht, dass der Wahlkampf verworfen oder belächelt werden sollte. Wahlen sind nicht bloß ein Maßstab für die Reife der Arbeiter*innenklasse, wie Marx und Engels es bezeichneten, sondern auch eine Chance für Sozialist*innen, ihre Ideen zu verbreiten, sich politisch zu beweisen und mit denen zu sprechen, die Antworten auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse der Werktätigen suchen.
Sitze im Parlamenten oder in Stadträten sollten dazu dienen, die Forderungen und Kämpfe der Arbeiter*innen lautstark zu verbreiten, als Plattform die Verbrechen des Staates und der Bosse anzugreifen und zur Anklage der kapitalistischen Demokratie.
1920 drückte der zweite Kongress der Komintern klar und deutlich aus, was Kommunisten mit ihren Posten in bürgerlichen Parlamenten machen sollten:
Die Tätigkeit im Parlament, welche hauptsächlich zur revolutionären Aufwiegelei von der parlamentarischen Bühne dient, dazu Gegner zu entlarven, die Massen ideologisch zu einen – da diese besonders in rückständigen Gegenden noch demokratischen Ideen anhängen und auf das Parlament schauen, diese Tätigkeit sollte vollständig den Zielen und Aufgaben des Kampfs der Massen außerhalb des Parlaments unterworfen sein.
In Argentinien hat die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT) vier Sitze im Nationalen Kongress und dutzende Sitze in Provinzparlamenten und Stadträten. Diese Posten dienen nicht nur dazu, viele Gesetzesvorschläge im Interesse der Arbeiter*innen zu machen. Als Beispiele seien genannt das Notfallgesetz, das Entlassungen in Krisenzeiten verbietet oder die Enteignung von MadyGraf, einer Fabrik unter Arbeiter*innenkontrolle. Die Vertreter der FIT sind auch landesweit bekannt für ihren Einsatz bei allen Arbeiterkämpfen. Sie widerstehen der Repression durch die Polizei und verurteilen die bürgerliche Demokratie und ihrer Parteien. In einem von Korruption geplagten Land, wo Parlamentarier fast 10.000 USD pro Monat verdienen, verpflichten sich alle Abgeordneten der FIT, nicht mehr als ein Lehrer zu verdienen (aktuell ca. 650 USD pro Monat). Den Rest spenden sie an Arbeiterkämpfe, Streikfonds und Solidaritätskampagnen.
Die Last der Toten
Rückschläge im Klassenkampf werfen auch die Theorie und Politik der Arbeiterklasse und der Linken zurück. Die vielen Niederlagen gegen den Neoliberalismus haben linke Parteien hart getroffen. In den vergangenen 40 und mehr Jahren ohne Revolutionen ist die Aussicht, dass wir noch eine erleben, immer dünner geworden. Aber Revolutionen gab es immer und wird es immer geben. Das Schwierige ist, sie zum Sozialismus zu führen.
Es ist schwer, die konterrevolutionäre Rolle des Stalinismus im 20 Jahrhundert zu überbewerten. Die Säuberungen in der UdSSR zerstörten jede Linke Opposition gegen Stalin. 1934 waren 70 Prozent des Zentralkomitees von 1921 entweder erschossen oder verhaftet. Die Doktrin des „Sozialismus in einem Land“ zerstörte die kommunistische Linke außerhalb der UdSSR, versetzte der Spanische Revolution den Todesstoß und verhinderte weitere sozialistische Revolutionen weltweit.
Als Revolutionsführer zu Exil verdammt schrieb Leo Trotzki die schärfste und überzeugendste Kritik der Bürokratisierung der UdSSR. Bis heute bleibt Trotzki unumgänglich, um die „Vermischung zwischen Stalinismus und Kommunismus zu beenden, die Lebenden von der Last der Toten zu befreien“. (Bensaïd D., Les Trotskysmes, Ed. Presses Universitaires de France, 2002.)
Aktuelle Aufgaben
Im Zeitalter von Trump vermehren sich Angriffe auf Arbeiter*innen und unterdrückte Minderheiten. Einheit im Kampf gegen Rassismus und Sexismus ist lebensnotwendig und kann den Widerstand der Arbeiter*innenklasse einen. Die Einheitsfronttaktik ist immer noch aktuell. Die landesweite Reaktion auf die Einreisesperre für Muslime*a und die breite Mobilisierung für Einwanderer sind vielversprechende Entwicklungen.
Der katastrophale Anstieg von Chauvinismus in den USA und Europa zwingt die Linke, einen radikalen Anti-Imperialismus zu unterstützen, Militäreinsätze im Ausland zu bekämpfen, die Plünderung der Ressourcen und die Unterdrückung in Mexiko und anderswo zu verurteilen und für die Bewegungsfreiheit aller Menschen zu kämpfen.
Das Erstarken der Frauenbewegung hat die Debatte zwischen verschiedenen Strömungen des Feminismus aufleben lassen. Revolutionär*innen müssen hier intervenieren und einen linken Flügel schmieden, der für Geschlechtergleichheit und Sozialismus kämpft. Die Schwarze Bewegung gegen Polizeigewalt ist eine ähnlich chancenreiche Herausforderung für die Linke.
Der Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie ist unumgänglich, um Arbeiter*innenorganisationen für die Arbeiter*innen zurückzuerobern.
Auf parlamentarischer Ebene müssen revolutionär-sozialistische Organisationen für eine Politik der Arbeiter*innen eintreten und sich stark von der Demokratischen Partei und anderen klassenübergreifenden Parteien abgrenzen.
Einhundert Jahre nach der Russischen Revolution sollten wir ihre Errungenschaften von der Asche des Stalinismus und des Opportunismus befreien und sie wieder auf die Tagesordnung setzen. Wir müssen wieder eine revolutionär-sozialistische Partei aufbauen!
Dieser Artikel erschien ursprünglich in Left Voice print edition #2, Frühjahr 2017. Übersetzung aus dem Englischen von Emal Ghamsharick.