Debatte um Ende des Shutdowns – wird die nationale Einheit von rechts aufgekündigt?

28.04.2020, Lesezeit 8 Min.
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Der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner hat vergangenen Donnerstag im Bundestag die nationale Einheit für beendet erklärt. Nicht nur in der Opposition, auch innerhalb der Regierung gibt es Uneinigkeit im Krisen-Management. Dass die nationale Einheit allein von rechts infrage gestellt wird, ist auch ein Versagen der Linken.

Bild: Geschlossenes Café in Nürnberg, Markus Spiske

Am 23. April wurde im Bundestag über die Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel diskutiert. Sie warnte, wie auch das Robert-Koch-Institut, die Lockerungen der Schutzmaßnahmen gegen die Corona-Pandemie nicht zu weit zu treiben, um keine neue Ansteckungswelle zu riskieren. Dabei wurde sie besonders hart von Christian Lindner (FDP) und Alexander Gauland (AfD) angegriffen, die forderten, die Lockerungen schneller durchzuführen und nicht zu zögerlich zu reagieren. Damit wollen sie die Einheit zwischen Regierung und Opposition aufkündigen, die in den vergangenen Wochen beim Beschluss der Maßnahmen zur Coronakrise im Parlament herrschte.

Schon zuvor hatte es eine Debatte über das weitere Vorgehen in der Coronakrise gegeben. Angesichts sinkender Neuinfektionen steigt der Druck, die Schutzmaßnahmen teilweise aufzuheben. Dies betrifft zum einen die Industrie, die gerne die Produktion wieder in vollem Maße aufnehmen will, zum anderen den Dienstleistungs- und Einzelhandelssektor, der am stärksten von den Einschränkungen betroffen ist. Auch die Schulen sollten, zur Produktion neuer Arbeitskräfte, wieder öffnen, was vor allem in der Debatte um die Abiturprüfungen deutlich wurde. Die Bourgeoisie drängt darauf, ohne Rücksicht auf Verluste, so schnell wie möglich wieder ihre Profite zu machen.

Gleichzeitig sprach Bundesminister Jens Spahn davon, auch das Gesundheitssystem, das gerade so eine Überlastung verhindern konnte, zurück zu einer „neuen Normalität“ zu führen. In Berlin sind aktuell nur 50 Prozent der Krankenhausbetten belegt, statt der üblichen 85 Prozent. Doch aufgrund des deutschen DRG-Systems steigt der Druck, wieder den regulären Betrieb aufzunehmen. Die „Diagnosis Related Groups“ sind ein pauschalisiertes Abrechnungsverfahren, durch das die Krankenhäuser nach dem Fallpauschalenprinzip Gelder erhalten. So ist keine individuelle, auf den Patienten angepasste Versorgung möglich. Dies führt auch dazu, dass die Krankenhäuser in der Coronakrise in eine finanzielle Schieflage geraten, weil viele Behandlungen, besonders die ertragreichen Operationen, nicht stattfinden.

Bundestagspräsident und Merkel-Kritiker Wolfgang Schäuble forderte sogar, dem Schutz des Lebens nicht alles unterzuordnen. Damit meinte er die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals. Diese liegen darin, trotz massiver Geldgeschenke und Angriffe auf Arbeiter*innenrechte (Ausweitung der Kurzarbeit, 12-Stunden-Tag), die Produktion sobald wie möglich wieder aufnehmen, um im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Coronakrise zu begrenzen. Damit nehmen sie bewusst im Interesse der Profite eine zweite Infektionswelle in Kauf.

Auch ein Versagen der Linken

Es gibt also genügend Gründe – wie wir mit unserem Medium Klasse Gegen Klasse auch seit Beginn der Corona-Krise anprangern –, die Stimmung der nationalen Einheit zu durchbrechen. Doch dass die nationale Einheit von rechts im Interesse der Profite infrage gestellt wird, anstatt von links im Sinne der Bedürfnisse der großen Mehrheiten, ist auch auf ein Versagen der Linkspartei zurückzuführen. Die Linkspartei hat sich völlig hinter das Vorgehen der Regierung gestellt. Von den Oppositionsparteien hat sich ein Bündnis von AfD, FDP und Grünen gegen die Regierungserklärung von Angela Merkel gestellt, während die Linkspartei der Großen Koalition den Rücken stärkte. In den Worten der Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei, Amira Mohamed Ali, müsse man in der Krise zusammenstehen und die Maßnahmen „kritisch“ mittragen.

Dabei hätte es genug Ansätze gegeben, die nationale Einheit von links, also gegen die Interessen der Konzerne und ihre Profite, in Frage zu stellen. Die massiven Geldgeschenke an Großunternehmen, die Sparpolitik im Gesundheitswesen und das Kurzarbeitergeld sind nur einige Elemente. Das staatliche Kurzarbeitergeld spart den Unternehmen Millionen von Euro, während die betroffenen Beschäftigten Lohnkürzungen hinnehmen müssen. Die Reform des Kurzarbeitergelds kann problemlos als „Verarsche“ gebrandmarkt werden. Während die Unternehmen entlastet werden, profitiert nur ein kleiner Teil der Beschäftigten von der Anhebung des Kurzarbeitergelds.

Dabei ist jedoch die Haltung der Führungen der Gewerkschaften entscheidend. Sie haben sich von Beginn der Krise an hinter sämtliche Maßnahmen der Regierung gestellt und damit entscheidend dazu beigetragen, ein Klima des „Burgfriedens“ (in Anlehnung an eben jenen Begriff aus dem Ersten Weltkrieg, als die SPD und die Gewerkschaften jeglichen Kampf einstellten, um sich im Krieg hinter das Kaiserreich zu stellen, das für den Tod Millionen von Arbeiter*innen weltweit verantwortlich wurde) herzustellen, indem die Angriffe auf die Arbeiter*innen im Interesse eines gemeinsamen „Durchhaltens“ hingenommen werden müssten. Doch diese gemeinsamen Interessen zwischen den Kapitalist*innen und der arbeitenden Bevölkerung sind ein Trugschluss: Während erstere durch Kredite und Soforthilfen vom Staat gerettet werden und ihre Krise durch Kurzarbeit und Entlassungen auf die Beschäftigten abladen, muss letztere die Konsequenzen am eigenen Leib ertragen. Anstelle die Interessen der Arbeiter*innen durch ein Verbot von Entlassungen und Betriebsschließungen oder einen umfassenden Plan der Umstellung der Wirtschaft zur Bekämpfung der Coronakrise bei Sicherung der Hygienevorschriften zu verteidigen, sichern die Gewerkschaftsführungen so den Bossen ihre Gewinne.

Das Fehlen einer oppositionellen antibürokratischen und klassenkämpferischen Strömung in den Gewerkschaften führt dazu, dass das Klima der nationalen Einheit von den großen Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse widerstandslos mitgetragen wird. Das Fehlen einer Alternative ist auch einer der Gründe, warum die Politik der Bundesregierung eine so große Unterstützung in der Bevölkerung besitzt. Die abweichenden Stimmen werden hingegen von der Rechten kanalisiert, die für eine Öffnung der Wirtschaft wirbt. Statt das Lob für die Pflegekräfte in eine Anklage gegen die Sparpolitik zu verwandeln, wird das Unbehagen in Teilen der Bevölkerung nun benutzt, um Schutzmaßnahmen aufzuheben und im Sinne der Profite die Produktion wieder anzuwerfen.

Wir können hier eine Parallele zu 2015 ziehen, wo sich ein Großteil der Linken hinter Merkel und ihr „Wir schaffen das“ stellte, während die rechten Kräfte offen die Regierungspolitik für eine noch rassistischere eintauschen wollten. Dabei gibt es kein „Wir“ innerhalb einer Klassengesellschaft. Während das Kapital Migrant*innen nur zur Aufstockung ihrer Reservearmee benutzt und ihnen als Geflüchtete einen rechtslosen Status verschafft, hat die Arbeiter*innenklasse kein Interesse daran, dass Migrant*innen als Lohndrücker*innen und Streikbrecher*innen eingesetzt werden. Da breite Teile der Linken es versäumten, der Migrationspolitik von Angela Merkel ein hegemoniales Programm der Arbeiter*innenklasse entgegenzustellen, das also die Einheit der Reihen der Arbeiter*innenklasse – unabhängig von Herkunft oder Status – und den Kampf für gleiche Rechte in den Vordergrund stellt, überließ man es den Rechten, die Regierung zu kritisieren, mit den bekannten Folgen des Rechtsrucks.

Das Ende vom Lied?

Damit sind wir jedoch noch lange nicht am Ende der Geschichte. Weiterhin gibt es keinen Impfstoff gegen Covid-19 und es ist gar nicht klar, ob die Genesenen gegen den Virus immun sind oder ihn nicht doch weiterverbreiten können. Die Möglichkeit einer zweiten, vielleicht sogar viel folgenreicheren Infektionswelle besteht weiterhin und die Auswirkungen könnten schlimmer sein als bei einer Fortsetzung der Schutzmaßnahmen.

Eine zweite Infektionswelle könnte Merkels Position stärken, da sie schon jetzt vor einer solchen und der zu hastigen Lockerung der Schutzmaßnahmen warnt. Jedoch könnte sich auch eine Dynamik nach links entfalten. Die Bosse riskieren nach dem Motto „nach mir die Sintflut“ unsere Gesundheit für ihre Profite. Es wird darauf ankommen, ob die Linken ihre Lehren zieht und mit einem hegemonialen Programm der Arbeiter*innenklasse die nationale Einheit herausfordert. Dazu gehört besonders die Intervention in die fortgeschrittensten Phänomene der Arbeiter*innenklasse, wie an der „vordersten Front“ im Gesundheitswesen oder beim unbefristeten Streik gegen die Betriebsschließung bei Voith im bayerischen Sonthofen. An diesen Kämpfen kann sich ein solches hegemoniales Programm der Arbeiter*innenklasse materialisieren.

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