Day Zero ist bereits da für die Armen in Kapstadt
Kapstadt, Südafrika, erlebt eine so schwere Dürre, dass die lokale Regierung angekündigt hat, die Wasserhähne der Stadt 2019 auf unbestimmte Zeit zu schließen. Für die schwarzen und armen Bewohner*innen der Stadt ist der Wassernotstand jedoch schon seit Jahren Realität. Dieser Beitrag erschien zuerst auf unserer englischsprachigen Schwesterseite Left Voice.
Wir müssen nicht mehr über die möglichen Auswirkungen der globalen Erwärmung spekulieren. Ihre Auswirkungen sind bereits für Millionen von Menschen auf der ganzen Welt spürbar. Von immer stärkeren Stürmen in der Karibik bis hin zu den tödlichen Waldbränden, die den amerikanischen Westen im vergangenen Winter heimsuchten, hat das Klima der anthropozänen Epoche begonnen, Zerstörungen in einer Weise zu entfesseln, die in der modernen Geschichte bislang nicht zu beobachten waren.
Nirgendwo ist dies offensichtlicher als in Kapstadt, der zweitgrößten Stadt Südafrikas mit rund 4 Millionen Einwohner*innen. Die Stadt erlebt einen Wassernotstand, der so schwerwiegend ist, dass die Stadtverwaltung Pläne für einen „Day Zero“ im Jahr 2019 angekündigt hat, bei dem alle privaten Wasserhähne der Stadt geschlossen werden.
Was passiert, wenn die Wasserhähne trocknen fallen?
Eine dreijährige Dürre hat die Dämme, die das Western Cape mit Wasser versorgen, auf rund 19 Prozent ihrer Kapazität reduziert und der Wasserstand sinkt schnell noch weiter. Wenn die Wasserressourcen 13 Prozent erreichen, werden die Behörden die Wasserhähne auf unbestimmte Zeit versiegeln.
Die Bewohner*innen Kapstadts sind derzeit beschränkt auf den Verbrauch von 50 Litern Wasser pro Tag pro Haushalt. Dies ist ein Betrag, den die Weltgesundheitsorganisation als Minimum für „grundlegende Hygiene und Lebensmittelzubereitung“ einschätzt. Wenn Day Zero eintrifft, wird das Limit auf 25 Liter pro Tag reduziert, die die Anwohner*innen an Sammelstellen in der Stadt entgegennehmen müssen. Zum Vergleich: eine 90-Sekunden-Dusche benötigt ca. 15 Liter Wasser.
Die Leiterin der Provinzregierung, Helen Zille, hat die Kapstädter*innen bereits angewiesen, „die Hähne zu den Spülkästen ihrer Toiletten abzudrehen… Niemand sollte zu diesem Zeitpunkt mehr als zwei Mal pro Woche duschen. Du musst Wasser sparen, als ob dein Leben davon abhängen würde, denn das tut es.“ Warteschlangen haben sich an natürlichen Quellen und Sammelstellen in der Stadt gebildet, wo die Bewohner*innen versuchen, ihre zugeteilte Wassermenge zu ergänzen.
Ursprünglich für April dieses Jahres geplant, wurde der Termin für den Tag Null nun auf das nächste Jahr verschoben, weil die Stadtbehörden sagen, dass die Wasserschutzmaßnahmen die Krise etwas gemildert haben. Einige sagen jedoch, dass diese Verschiebung nicht auf eine Verbesserung der Situation zurückzuführen ist, sondern vielmehr auf die Befürchtung der Stadtverwaltung, dass der Wassernotstand die Tourist*innen verschrecken würde. Der Tourismus steuerte 2016 402,2 Milliarden ZAR (27,2 Milliarden Euro) zur südafrikanischen Wirtschaft bei, was über 9 Prozent des BIP des Landes entspricht.
Aber nicht einmal die optimistischsten Beamt*innen wagen zu sagen, dass ein Day Zero lange abgewendet werden wird. Es wären überdurchschnittliche Niederschläge über drei bis vier Regenzeiten hintereinander erforderlich, um die Dämme wieder auf ein ausreichendes Niveau zu bringen.
Zwei Kapstädte
Der Wassernotstand betrifft nicht alle Kapstädter*innen gleichermaßen. Die reichsten Bewohner*innen der Stadt, welche fast alle weiß sind, werden Wege finden, um jede schwere Not zu vermeiden. Wie der New Yorker betont, können die Reichen in Kapstadt vor der Schließung Wasser in zusätzlichen Schlafzimmern lagern oder andere anheuern, um für sie in den Warteschlangen zu stehen. Für rund 6.000 Dollar können reiche Familien sogar ein Bohrloch zur Erschließung unterirdischer Wasserreserven machen lassen. Zudem sind die wohlhabendsten Stadtbewohner*innen durch die Krise nicht in großer Gefahr, an Krankheiten zu erkranken oder zu hungern.
Inzwischen haben viele der Ärmsten der Stadt seit Jahrzehnten keinen ausreichenden und zuverlässigen Zugang zu sauberem Wasser. Mehr als die Hälfte der Einwohner*innen Kapstadts lebt im Township Khayelitsha, einer weitläufigen Slumsiedlung. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Einwohner*innenzahl der Gemeinde von 400.000 auf 2,4 Millionen gestiegen. Fast drei Viertel der Erwachsenen sind arbeitslos. Fast 90 Prozent der Familien im Township sind „mäßig bis stark von Ernährungsunsicherheit betroffen“. Mehr als die Hälfte der Haushalte in Khayelitsha haben keinen Wasseranschluss und die Bewohner*innen müssen zu den kommunalen Wasserhähnen gehen, um ihr gesamtes Wasser zum Trinken, Baden, Kochen und Waschen zu bekommen.
Darüber hinaus sind die Ärmsten der Stadt zunehmend von Krankheitsausbrüchen bedroht, die ohne ausreichendes Wasser zum Händewaschen oder Spülen von Lebensmitteln auskommen. Da immer mehr Wasser in kontaminierten Behältern oder in unhygienischen Bereichen gelagert wird, sind wasserübertragene Krankheiten wie Durchfall, Hepatitis A und Typhus ein großes Risiko.
Eine ökologische und eine ökonomische Krise
Das Wohlstandsgefälle in Kapstadt ist beispielhaft für das ganze Land. Erst vor einem Jahrzehnt zum „Emerging Market“ erklärt, steckt Südafrika heute in einer schweren Wirtschaftskrise, in der die schlimmsten Auswirkungen auf den Rücken der Arbeiter*innenklasse und der Armen abgeladen wurden. Die offizielle Arbeitslosenquote Südafrikas liegt bei 27 Prozent, eine höhere Quote als die der USA in den schlimmsten Jahren der Weltwirtschaftskrise von 1929. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 50 Prozent.
Die Kluft zwischen Arm und Reich in Südafrika ist erstaunlich. Nach Angaben der Weltbank hat das Land den höchsten Gini-Koeffizienten der Welt – ein Indikator für das Wohlstandsgefälle. „Die ärmsten 20 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung verbrauchen weniger als 3 Prozent der Gesamtausgaben, während die reichsten 20 Prozent 65 Prozent verbrauchen.“ Mehr als die Hälfte der Bevölkerung – 30 Millionen Menschen – lebt unterhalb der Armutsgrenze, und diese Zahl ist seit 2011 um 3 Millionen gestiegen. Der Kolonialismus und die Apartheid-Ära hinterließen ein Erbe tief rassifizierter Armut, denn die Armen sind überwiegend schwarz.
Die derzeitige Dürre wird die Situation für die Arbeiter*innenklasse und die Armen nur noch weiter verschlimmern. Das Westkap ist eine wichtige Landwirtschaftszone Südafrikas, in der rund 20 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte des Landes wie Wein und Trauben hergestellt werden. Infolge des Wassermangels und geringerer Ernteerträge wurden kürzlich rund 30.000 Saisonarbeiter – rund 15 Prozent der Saisonarbeitskräfte – entlassen.
Wer ist schuld?
Das Westkap erlebt die schlimmste Dürre seit einem Jahrhundert und die Temperaturen im gesamten südlichen Afrika steigen stetig an. Wissenschaftler*innen sagen, dass die Zunahme der Werte in der Region bis zu 1,5 mal mehr als die des globalen Durchschnitts betragen kann. Der Klimaforscher Peter Johnston sagt: „Die erhöhte Temperatur wird die Verdunstung erhöhen. Eine Erhöhte Verdunstung wiederum bedeutet, dass wir weniger Wasser zur Verfügung haben.“
Die großen kapitalistischen Parteien in Südafrika – die Demokratische Allianz (DA) und der Afrikanische Nationalkongress (ANC) – geben sich gegenseitig die Schuld an dem Wassernotstand, den Kapstadt jetzt erlebt. Die Krise, so sagen sie, sei eine Folge der Inkompetenz der jeweils anderen Partei. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Schuld bis zu einem gewissen Grad zutrifft. Dieser Fokus auf Misswirtschaft übersieht jedoch die größeren Quellen der Wasserknappheit.
Im Zentrum der Krise in Kapstadt steht die kapitalistische Produktionsweise. Unternehmen, von lokalen Marken bis hin zu multinationalen Konzernen wie Nestlé, bedienen sich weiterhin an den Wasserressourcen des Westkaps, um es abzufüllen und als Ware zu verkaufen. Während Hunderttausende von Einwohner*innen der Stadt aufgrund des Mangels an sauberem Wasser mit Krankheiten konfrontiert sind, profitieren die Unternehmen weiterhin immens. Hentie De Witt, CEO des südafrikanischen Getränkekonzerns Hentie, sagt, er habe keine Bedenken, dass dem Unternehmen trotz der Day Zero-Drohung das Wasser ausgeht: „Die Nachfrage nach unserem Flaschenwasser hat ihren Höhepunkt erreicht, und wir schätzen uns glücklich, Wasser für unsere Kund*innen liefern zu können“. Schlimmer noch: Unternehmen wie Coca Cola verwenden jährlich Milliarden Liter an Trinkwasser aus lokalen Reservoirs, um Erfrischungsgetränke herzustellen, die den Südafrikaner*innen keinerlei gesundheitlichen Nutzen bringen.
Bergbaukonzerne, insbesondere in der Gold- und Kohleindustrie, und die Großlandwirtschaft haben ebenfalls viele Reserven an sauberem Wasser ungestraft verschmutzt. Der World Wildlife Fund (WWF) stellt fest, dass ein Viertel der großen Flüsse Südafrikas derzeit durch saure Minenentwässerung, Verschmutzung durch Düngemittel und Pestizide, sowie Abfluss und Dürre „stark gefährdet“ sind.
Und selbst das beste Management der lokalen Regierungen wird nicht verhindern, dass sich die Wasserkrise in den kommenden Jahren verschärft und im gesamten Süden ausbreitet, wenn in den zentralen Ländern nicht unverzüglich Maßnahmen zur Emissionsreduzierung ergriffen werden. Es sind die größten Verschmutzer*innen der Welt, insbesondere die USA und China, die seit der Zeit der kapitalistischen Restauration den größten Anteil an der Wasserknappheit in Kapstadt haben.
Der Wassernotstand ist global
Die Kapstädter sorgen sich nicht nur darum, ob sie Zugang zu sauberem Wasser haben. Die UNO sagt, dass in Afrika südlich der Sahara nur 40 Prozent der Menschen Zugang zu Leitungswasser in ihren Häusern haben. Mehr als ein Viertel der Bewohner*innen dieser Region der Welt muss mindestens eine halbe Stunde hin und zurück fahren, um an eine verbesserte Wasserquelle zu gelangen.
Was Kapstadt einzigartig macht, ist, dass es eine Großstadt ist, in der Wasserknappheit vermeintlich der Vergangenheit angehören sollte. In einer Zeit rapide steigender Temperaturen und starker Dürre bietet die südafrikanische Stadt jedoch nur einen Ausblick auf die Zukunft anderer Städte auf der ganzen Welt. Sao Paulo, Brasiliens größte Stadt und eine fünfmal so große Stadt wie Kapstadt, könnte die nächste sein. Die massive Abholzung im Amazonasgebiet in den letzten Jahrzehnten hat den natürlichen Wasserkreislauf unterbrochen und mehrere Wasserquellen der Stadt zum Austrocknen gebracht. In den Jahren 2014-15 erlebte Sao Paulo nicht nur die schlimmste Dürre seiner Geschichte, sondern auch eine, in der die Niederschläge die Hälfte des bisherigen Rekordtiefs ausmachten.
Millionen Menschen auf der ganzen Welt befinden sich heute in einem Wassernotstand oder werden es bald sein. Ein geplantes System, das menschliche Bedürfnisse und ökologische Nachhaltigkeit über den Profit stellt – eine sozialistische Produktionsweise – ist der einzige Ausweg.