Das Zentrum für Israel-Studien der LMU München und die deutsche Staatsräson

23.11.2023, Lesezeit 15 Min.
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Haupteingang der LMU-Universität an einem Regentag am Professor-Huber-Platz München, Deutschland-05.04.2022 Foto: Maddie A @Shutterstock.com

Am Zentrum für Israel-Studien (ZIS) in München wird zur Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur Israels geforscht. In der bürgerlichen Presse vertreten mit dem ZIS verbundene Professoren die herrschenden ideologischen Narrative der deutschen Staatsräson.

Im Jahr 2015, dem 50. Jubiläumsjahr der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, wie es auf der eigenen Website heißt, eröffnete an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) das Zentrum für Israel-Studien (ZIS). Organisatorisch ist es an den Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur von Prof. Dr. Michael Brenner angeschlossen und bildet das erste Zentrum dieser Art an einer deutschen Universität. Hierbei bündelt es durch seine interdisziplinäre Ausrichtung Personen und Projekte an der LMU, die zum Thema Israel arbeiten; zusätzlich verfügt es über eine Gastprofessur, die mit israelischen Professor:innen sowie israelischen Diplomat:innen besetzt wurde und wird. Inhaltlich umfasst das Zentrum die Geschichte, Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur des Staates Israel. Neben Forschung und Lehre werden beispielsweise Workshops, Tagungen, Konferenzen, Exkursionen und Sommeruniversitäten veranstaltet, um die professionelle Auseinandersetzung mit diesen Themen in Deutschland und Europa zu stärken.

Darüber hinaus ergibt sich die Besonderheit, dass über das „Themenfeld ‚Nahostkonflikt‘ […] die Geschichte des Staates Israel fest im bayerischen Schullehrplan verankert [ist].“ Lehramtsstudierende haben daher die Möglichkeit, durch das ZIS eine umfassende Ausbildung in diesem Themenfeld zu bekommen. Aktuell etwa können Lehrer:innen an der Fortbildungsreihe „Eskalation im Nahen Osten: Politische, historische und pädagogische Perspektiven auf ‚den Nahostkonflikt'“ teilnehmen, da die „aktuellen Ereignisse im Nahen Osten […] auch in bayerischen Klassenzimmern und Kollegien große Bestürzung und mitunter aufgeladene Diskussionen [hervorrufen].“ Gefördert werden soll dabei auch der Austausch zwischen Lehrkräften über aktuelle antisemitische und israelfeindliche Vorkommnisse, worunter dem ZIS zufolge Handlungen und Aussagen von Schüler:innen fallen, die „in Zusammenhang mit der derzeitigen Situation […] stehen und sich aus Nähen zu den israelfeindlichen Positionen speisen“.

Personen und Positionen am ZIS

Personen, die am ZIS lehren, forschen oder anderweitig eingebunden sind, verlassen gelegentlich den akademischen Raum, insofern sie in bürgerlichen Medien Artikel veröffentlichen oder als Interviewgäste auftreten. Dies ist auch für den universitären Rahmen interessant, da sie dort als Expert:innen schreiben, das heißt, Positionen vertreten, die in ihrer eigenen Forschung und Lehre eine Rolle spielen dürften. In einem Interview in der Zeit vom 26. Oktober beispielsweise legt Prof. Dr. Michael Brenner seine Thesen zum Feindbild Israel, das in der Linken angeblich Tradition hat, ausführlich dar. Mit dem Feindbild Israel ist Antizionismus gemeint; jedenfalls wirkt es in den Fragestellungen der Journalistin, die das Interview führt, so. Sie zeigt sich verwundert über antizionistische Strömungen, sei der Zionismus doch ursprünglich eine linke Bewegung gewesen. Brenner gibt zwar zu, dass der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, selbst kein Linker war, führt dann aber aus: „Der Zionismus, also die Idee eines eigenen jüdischen Staates, war eigentlich ein linkes politisches Projekt. Es war im Kern eine Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes gegen den Antisemitismus […].“ Die Idee des sozialistischen Zionismus gab es tatsächlich; was allerdings nicht erwähnt wird, ist, dass es sich dabei nicht um eine Strömung handelte, die in der Linken prominent oder unhinterfragt war.

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gab es (jüdische) Marxist:innen, die einen sozialistischen Zionismus ablehnten und kritisierten, darunter beispielsweise Rosa Luxemburg und Leo Trotzki. Sie betonten, dass ein sozialistischer Zionismus einen Klassenkompromiss mit einem bestimmten Teil der Bourgeoisie sowie eine Unterstützung von Kolonialismus und Imperialismus bedeuten würde. Weiterhin waren in zionistisch-„sozialistischen“ Kibbuzim arabische Arbeiter:innen ebenso wenig geduldet wie im zionistisch-„sozialistischen“ „Gewerkschaftsverband“ Histadrut, der von Beginn an einem Instrument zur Unterdrückung der Palästinenser:innen und Klassenkollaboration glich. Nicht nur wurde der sozialistische Zionismus von Anfang an demnach von linken Marxist:innen kritisiert; heutzutage spielt er darüber hinaus keine politische Rolle mehr, da er sich gegen die (extrem) rechten Strömungen und Positionen nicht durchzusetzen vermochte. All das findet in dem Zeit-Interview keinen Ausdruck.

Brenners nächste These besteht darin, dass deutsche Linksradikale seit dem Sechstagekrieg Verbündete in den Palästinenser:innen sehen würden; beispielsweise ließen sich RAF-Mitglieder im Libanon in Trainingscamps ausbilden. In der gleichen Antwort stellt Brenner noch dazu Anschläge von Linken Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre auf ein jüdisches Gemeindehaus und ein Altenheim der jüdischen Gemeinde heraus. Die heutige Palästina-Solidarität der radikalen Linken wird also in den Kontext dieser Angriffe gestellt, so, als gäbe es eine Art Erbschuld, als seien alle heutigen linken Gruppen automatisch Nachfolgeorganisationen der 1968er Bewegung beziehungsweise der RAF. Kein Wort verliert Brenner außerdem über die rassistischen Anschläge, die in den 1990er Jahren von Rechten verübt wurden. Palästinensischer Widerstand und palästinensische Solidarität werden hier als Terrorismus deklariert, bei dem die nicht-antideutsche Linke angeblich mitmischt. Es ist ein Wunder, dass das Interview ohne die haarsträubende These des „importierten Antisemitimus“ auskommt. Gegenwärtig werden etwa 84 Prozent der antisemitischen Straftaten von Rechtsradikalen begangen. Vielleicht würde sich für Brenner und weitere „Die Linke ist so antisemitisch“-Vertreter:innen ein Blick in diese Statistik lohnen. Stattdessen diagnostiziert er lieber einen Anstieg sowie einen neuen Anstrich des linken Antisemitismus.

Bei der Bezeichnung von Israel als Apartheidstaat hält er sich hingegen zurück: Als Historiker sei er „vorsichtig mit der Anwendung von Begriffen, die auf bestimmte regionale und zeitliche Räume gemünzt sind.“ Konkret meint Brenner damit, dass Apartheid auf Südafrika zutraf; dies sei ein Staat gewesen, „der auf rassistischen Prinzipien beruhte und der von europäischen Siedlern begründet wurde, die absolut keinen Bezug zu diesem Land hatten […].“ Dies sei grundlegend anders als im Falle Israels. In der dazugehörigen Frage nennt die Journalistin sogar die Analysen von Human Rights Watch und Amnesty International, die Israel als Apartheidregime bezeichnen – eigentlich eine Steilvorlage, die Brenner nur hätte abnicken müssen. Stattdessen verstrickt er sich in einigermaßen bemerkenswerte Aussagen: Beispielsweise könne man auch in Polen und Ungarn in den letzten Jahren eine rechtspopulistische und autokratische Entwicklung feststellen; im Gegensatz zu Israel werde aber weder Polen noch Ungarn das Existenzrecht abgesprochen. Selbstverständlich ist diese Tendenz nach rechts bedenklich, betrifft sie doch sehr viel mehr Staaten als nur die beiden. Allerdings betreiben sie eben gerade keinen Siedlerkolonialismus wie Israel, sind kein Apartheidstaat. Auch beim Vergleich zwischen Israel und Südafrika scheint latent der Mythos durch, Palästina sei 1948 ein leeres Land gewesen, zu dem die Siedler:innen und Zionist:innen aber ein enges Verhältnis gehabt hätten. 1948 – das Jahr der Staatsgründung Israels – ist für Palästinenser:innen die ‚Nakba‘, eine Katastrophe. Und diese setzt sich seit 75 Jahren fort. Dies festzustellen aber, fällt nach Brenner sicherlich auch in die Kategorie antisemitisch: „Ich würde schon meinen, es ist im Kern antisemitisch, wenn Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Denn man darf nicht übersehen: Die Hälfte aller Juden weltweit leben heute in Israel. Sie haben keinen anderen Staat, in den sie auswandern könnten.“ Faktisch ist letzteres Argument nicht wahr, insofern viele Israelis eine mehrfache Staatsbürgerschaft besitzen. Weiterhin lässt eine solche Aussage im Kontext dessen, dass Palästinenser:innen weltweit bis heute das Rückkehrrecht untersagt wird, sie dennoch bei politischem Engagement Gefahr laufen, abgeschoben zu werden, dass Siedler:innen fortlaufend Landraub betreiben, die Westbank besetzt und Gaza ein Freiluftgefägnis ist, tief in die deutsche Staatsräson blicken, die auch vor akademischen Kreisen keinen Halt macht. Zudem läuft sie letztlich auf die Behauptung hinaus, jüdische Menschen könnten ohne den Staat Israel nicht mehr leben. In einem multiethnischen, laizistischen und sozialistischen Palästina könnten jüdische Menschen allerdings sehr wohl leben. Diese Perspektive hat Brenner allerdings nicht.

Neben einigen Mitarbeitenden verfügt das ZIS zudem über einen recht großen wissenschaftlichen Beirat, in dem unter anderem Prof. Dr. Stephan Stetter, Professor für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München, Prof. Dr. em. Michael Wolffsohn, ehemals Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, und Prof. Dr. Armin Nassehi, Professor für Soziologie an der LMU, Mitglied sind. Alle drei äußerten sich in den vergangenen Wochen ebenfalls in den  Medien zur Situation in Gaza und Israel. In einem Interview in der Abendzeitung gibt Stetter sogar zu, dass die humanitäre Lage im Gazastreifen eine Katastrophe ist – und das bereits seit 15 Jahren. Daran sei aber nicht Israel, sondern die Hamas schuld: „Die Verantwortung dafür trägt […] vor allem die Hamas. Sie hat militärische Einrichtungen in zivile Gebiete verlegt und missbraucht Menschen als lebende Schutzschilde. Das verstößt gegen Völkerrecht. Israel wird fundamental bedroht und hat ein Recht darauf, sich zu wehren. Gleichzeitig muss es auch das Völkerrecht achten. Nicht nur aus rechtlichen und ethischen, sondern auch aus strategischen Gründen.“ Während Israel also einen Genozid an der Bevölkerung in Gaza durchführt, wobei der Gazastreifen wohlgemerkt einem Freiluftgefängnis gleicht, gibt Stetter hier ohne irgendwelche Anmerkungen IDF-Propaganda zum Besten. Für die militärischen Einrichtungen, die Israel wahlweise in Schulen, Geflüchteten-Camps und Krankenhäusern vermutet, konnten weder Netanjahu noch das israelische Militär bisher handfeste Beweise beibringen. Wer einen Blick in das Westjordanland wagt, in dem die Fatah und nicht die Hamas regiert, wird feststellen: Auch hier werden Palästinenser:innen von IDF und Siedler:innen angegriffen, vertrieben und getötet. Immer noch an dem Recht von Israel auf Selbstverteidigung festzuhalten und den Genozid damit zu rechtfertigen, entspricht ganz und gar der Linie der deutschen Bundesregierung. Wie Brenner warnt auch Stetter vor Antisemitismus, dieses Mal genau genommen vor dem „islamischen Antisemitismus“. Dieses Phänomen sei nicht neu, „sondern tief verankert in gesellschaftlichen Milieus auch über islamistische Gruppen hinaus. Nicht nur Teile von Einwanderern, sondern auch ein zweistelliger Prozentsatz der ‚Biodeutschen‘ setzt Juden mit Israel gleich.“ Das vollkommen Absurde daran ist: Häufig sind es genau diejenigen, die den Zionismus mit allen Mitteln verteidigen, die Jüd:innen mit dem Staat Israel gleichsetzen, wenn sie Antizionist:innen Antisemitismus unterstellen. Antizionismus aber macht gerade diese Gleichsetzung eben nicht. Dies geht so weit, dass auch antizionistische Jüd:innen, die gegen den Genozid demonstrieren, angefeindet und verhaftet werden.

Wolffsohn ist zwar bereits emeritiert, hat dafür aber umso mehr Kapazitäten, Reden im Bundestag zu halten. Anlässlich der Gedenkstunde am 9. November sprach er dort offen vom „Hamas-Massenmord“ am 7. Oktober sowie „den diesbezüglichen Jubel- oder zumindest Sympathiebekundungen“, die Hamas habe eine „Mord- und Blutorgie“ begangen. Der Zionismus habe Jüd:innen mit dem Staat Israel innenpolitisch Sicherheit gebracht, nicht aber außenpolitisch: „Heute brüllt der Mob nicht nur auf Deutschlands Straßen, sondern weltweit ‚Tod Israel!‘ und ‚Tod den Juden!'“ Dieses „‚Tod-den-Juden‘-Gebrüll“ will Wolffsohn im Juli 2014 auf dem Berliner Kurfürstendamm ebenso gehört haben wie im Oktober 2023 in Berlin-Neukölln. In geradezu beschämender Art und Weise stimmt Wolffsohn hier in die Lügen von Bild Zeitung & Co. ein, die seit Wochen gegen jede pro-palästinensische Demo hetzen. Und weiter sagt Wolffsohn: „Nicht nur der Mob grölt jene Parolen. Vergleichbares unter den vermeintlichen Eliten. Nicht nur an der FU Berlin, nicht nur heute.“ Im Bundestag kann Wolffsohn ungehindert seine Lügen verbreiten; die Kundgebung, auf die er anspielt, hat er offensichtlich nicht besucht: Hier fanden sich am 3. November Studierende, die unter anderem bei Waffen der Kritik aktiv sind, ein und hielten solidarische Reden, um für die Demo am nächsten Tag, an der sich mehrere Zehntausende beteiligten, zu mobilisieren. Auch ein Mitglied der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost sprach dort; die Organisation ist eine derjenigen, die für ihre antizionistische Ausrichtung offen angefeindet werden. Wolffsohn hingegen konstatiert: „Judenhass und Israelhass gehören zusammen. Ein Inhalt, ein Begriff eint sie: Antisemitismus. Von Anfang an war das so, denn: ohne Judenhass, kein Zionismus und Israel. Und seit Israel bezieht sich der Judenhass sowohl auf Israel als auch auf die Juden der Diaspora.“ Er setzt damit Jüd:innen mit dem Staat Israel gleich; nicht umsonst gibt es seit Längerem die Mär vom ‚Selbsthass von Jüd:innen‘, wenn diese sich gegen Israels Siedlerkolonialismus oder dessen Apartheidregime stellen.

Die deutsche Staatsräson verlangt bedingungslose Solidarität mit Israel, selbst während eines Genozids, auch von Jüd:innen. Wolffsohn macht schließlich drei Gruppen aus, die nicht nur Jüd:innen gefährdeten, sondern „alle aufgeklärten Bürger Europas“: Die „Internationale der radikalfaschistischen Rambos“, die „extremistische Linke, einschließlich ihrer linksliberalen, kulturbürgerlichen Legitimation“ und schließlich „die islamistischen Fundamentalisten“. Was ihn dazu befähigt, für alle Bürger – oder jedenfalls die ‚aufgeklärten‘ – zu sprechen, wird nicht erläutert. Dass Wolffsohn hier mit Stereotypen der billigsten Art arbeitet, zeigt der Verfassungsschutz-Sprech, wenn er die angeblich „extremistische“ Linke so betont. Das Klischee von den islamistischen Fundamentalisten geht bei Hetze seit 9/11 jedenfalls immer. Gegen Ende seiner Rede verweist er dann noch, ähnlich wie Brenner, auf die RAF – dies trifft im Herzen des deutschen bürgerlichen Staates stets auf Zustimmung, wenn Linke diskreditiert werden sollen.

Man möchte meinen, die Rede von Wolffsohn sei kaum mehr zu übertreffen; wäre da nicht Nassehi, der bekannt ist für seine konservativen Positionen und aktuell gerne mit Urteilen wie „kaum zivilisierbar“ über die „migrantische Realität in Deutschland“ schreibt. In seinem bei Zeit Online erschienenen Artikel bedient Nassehi kolonialrassistische Stereotype mit einer Normalität, die man so weniger bei einem immer noch tätigen Professor für Soziologie, sondern eher am AfD-Stammtisch vermuten würde – auf Klasse Gegen Klasse haben wir bereits eine Antwort an Nassehi veröffentlicht. Nassehis Artikel stellt an sich bereits eine Aneinanderreihung derjenigen Thesen und Positionen dar, die Brenner, Stetter und Wolffsohn vertreten. Schamlos relativiert er außerdem den Holocaust, indem er der Hamas die Absicht der „physischen, […] existentiellen Auslöschung der Juden“ zuschreibt; sicherlich, die Hamas vertritt eine reaktionäre Ideologie, ihre Taten aber in die Nähe derjenigen der NSDAP zu rücken, kommt einer politischen Instrumentalisierung des Menschheitsverbrechens der Nazis an Jüd:innen gleich. Hinzu kommt noch ein Rundumschlag gegen Judith Butler, Akademiker:in, Antizionist:in und Jüd:in, sowie gegen die kritische Migrationsforschung. In dem von Nassehi zitierten Text, fordert Butler eine Kontextualisierung, was als „simple Vereinfachung des Sachverhalts“ ignorant abgetan wird. Statt eine seiner Meinung nach angemessene Kontextualisierung selbst zu liefern, verfällt Nassehi lieber in die Erzählung, wonach Israel die einzig wahre Demokratie im Nahen Osten sei, und blendet dabei vollkommen aus, dass Netanjahus Regierung aus einer Koalition von rechts-konservativen, extrem rechten und streng religiösen Parteien besteht. Für die Demokratie ist diese sicherlich kein Segen, dafür aber für die Siedler:innen, die ihr Projekt vor allem im Westjordanland seither noch brutaler vorantreiben können.

Universitäten und die herrschende Ideologie 

Diese und ähnliche Positionen werden demnach von Personen vertreten, die am ZIS lehren oder zumindest in dessen Ausrichtung involviert sind. Karl Marx und Friedrich Engels schreiben bereits im Manifest der Kommunistischen Partei, dass „die herrschenden Ideen einer Zeit […] stets nur die Ideen der herrschenden Klasse [waren].“ Es verwundert daher nicht, dass diejenigen Ideen beziehungsweise Analysen, die von der herrschenden Klasse vertreten werden, auch vor Universitäten keinen Halt machen. Vielmehr werden sie dort produziert wie reproduziert, insofern Universitäten keine von der gesellschaftlichen und politischen Realität abgegrenzte eigene Universen bilden.

Im neoliberalen, auf Konkurrenz basierenden Universitätssystem ist es ein Leichtes, kritische Stimmen zu unterdrücken; und sollten sie sich dennoch erheben, so bleiben immer noch Instrumente der Repression, um sie zum Schweigen zu bringen. Zahlreiche Hochschulleitungen in verschiedenen Städten bekundeten nach dem 7. Oktober ihre Solidarität und verurteilten den Angriff der Hamas auf Israel. Umgekehrt aber verlieren sie kein Wort über das Leid der Palästinenser:innen und vermitteln weiter, was die Politik vorgibt: Deutsche Staatsräson. Als sich an der FU Studierende und Beschäftigte zu der bereits erwähnten Kundgebung versammeln wollten, distanzierte sich die Universität bereits einen Tag zuvor präventiv auf X (vormals Twitter) von der Veranstaltung. In den USA werden Studierende, die sich gegen den Genozid an der Bevölkerung in Gaza engagieren, sanktioniert, suspendiert und sogar aus ihren Studierendenwohnheimen geworfen.

Und dennoch gelingt es auch in der derzeitigen Situation nicht vollkommen, studentischen Widerstand und studentische Solidarität mit Palästina unsichtbar zu machen. In Neapel besetzten Studierende ein Universitätsgebäude und forderten die Leitung auf, öffentlich die Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen zu verurteilen, sowie sämtliche Kooperationen mit israelischen Universitäten, die der kolonialen Unterdrückung und der Apartheid durch den Staat dienen, zu beenden. In vielen anderen Ländern haben sich Studierende und Beschäftigte bereits in selbstorganisierten Treffen zusammengefunden und Komitees in Solidarität mit Palästina an ihren jeweiligen Universitäten aufgebaut, beispielsweise auch in München und Berlin. Woche für Woche gehen weltweit Millionen von Menschen auf die Straße und während die Bundesregierung Rüstungsexporte im Wert von über 300 Millionen Euro an Israel genehmigt hat, haben Arbeiter:innen in mehreren Ländern solche Waffenlieferungen blockiert. Universitäten sind keine neutralen Orte – umso wichtiger ist es, auch in ihnen und aus ihnen heraus für die Freiheit von Palästina zu kämpfen!

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