Das Streikrecht herausfordern, um den Planeten zu retten
Die Debatte über einen Generalstreik gegen die drohende Klimakatastrophe ist in Deutschland in vollem Gange - vor allem wird diskutiert, ob sich die Gewerkschaften ernsthaft daran beteiligen sollten oder nicht. Dürfen wir das oder nicht? Warum dies die falsche Frage ist und welche Schritte wir zur Durchsetzung eines politischen Streiks gehen müssen.
Die jugendlich dominierte Massenbewegung Fridays For Future (FFF) sorgt weiter für Schlagzeilen. Auf ihrem Sommerkongress in Dortmund haben die Aktivist*innen angesichts der existenziellen Bedrohung durch den von Menschen gemachten Klimawandel unter anderem beschlossen, die deutschen Gewerkschaften zum Aufruf zum ”Klimageneralstreik” am 20. September zu bewegen.
Noch immer existiert bei vielen Gewerkschafter*innen die Vorstellung, dass Klima und Ökologie nichts mit den Interessen der Arbeiter*innen zu tun hätten oder gar ein zentrales Anliegen der sie vertretenden Gewerkschaften sein sollte. Doch jeden Tag häufen sich weitere erschreckende Berichte oder Studien darüber, wie die jetzigen und künftigen Auswirkungen der Naturzerstörungen oder des Klimawandels die große Mehrheit der Menschheit beeinträchtigt und bedroht – vor allem arbeitende Menschen auf der ganzen Welt.
Das “ureigenste Feld” der Gewerkschaften, die Wirtschaft, ist weder theoretisch noch praktisch zu trennen von den biogeophysikalischen Prozessen, die dem Wirtschaften zugrunde liegen. Die ökologische Krise ist ganz zentral auch eine soziale Frage und die tiefgreifenden Umwälzungen, die uns in Zukunft erwarten, brauchen weitreichende soziale Forderungen, die wiederum von den Massen an arbeitenden Menschen durchgesetzt werden müssen, in deren Interesse sie aufgestellt sind. Der treffendste Slogan von FFF und der ökologischen Gewerkschaftsbewegung hierzu macht dies deutlich: “There are no jobs on a dead planet” (Es gibt keine Jobs auf einem toten Planeten).
Nachdem selbst Joko Winterscheid auf dem FFF-Kongress zur Arbeitsniederlegung aufrief, hat der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft, Frank Bsirske, seine Mitglieder dazu angehalten, “auszustempeln” und am 20. September bei den Klimaprotesten mitzudemonstrieren. Ver.di ist also dabei, aber nur ein bisschen. Von einem ordentlichen Streikaufruf distanzierte sich Bsirske ausdrücklich. Er argumentierte, dies hätte negative Konsequenzen für die Streikenden. Abmahnungen bis hin zu Kündigungen seien die Folgen.
Diese Darstellung ist falsch. Wie auch der Anwalt Jon Heinrich gegenüber Bento sagte, hätte ein Streikaufruf – wenn überhaupt – vor allem negative Folgen für die aufrufende Gewerkschaft. Sie könnte im Zweifelsfall für den wirtschaftlichen Schaden finanziell haftbar gemacht werden. Glaubt man den Drohungen der Bosse, der staatlichen Institutionen und der Gewerkschaftsführungen, so könnten diese je nach Ausmaß der von deutschen Gerichten dann verhängten Strafen sogar den Bankrott der Gewerkschaft bedeuten. Eine reale Gefahr oder total aus der Luft gegriffen?
Politisch streiken oder nicht?
Die große Bedrohung des als illegal geltenden politischen Streiks steht also erneut im Raum und so wird dieses Thema momentan auch äußerst lebhaft in den sozialen Netzwerken und an der Basis der Gewerkschaften debattiert. Ein Beispiel dafür sind die Tweets des Historikers Uwe Fuhrmann, die großen Widerhall fanden und energische Debatten auslösten. Fuhrmann zeigt – wie viele vor ihm -, dass der politische Streik im engeren Sinne überhaupt nicht per Gesetz verboten ist, und gibt einen geschichtlichen Rückblick auf die Entwicklung des Streikrechts und darüber, wie viele zentrale politische, wirtschaftliche und soziale Errungenschaften auch hier in Deutschland über die entschlossene Tatkraft von millionenfach streikenden Arbeiter*innen und unterdrückten Massen erkämpft wurden.
Klar sind bei den Vorbehalten gegen einen politischen Streik für das Klima nicht nur die rechtlichen Fragen relevant. Die Angst von Teilen der Gewerkschafter*innen, dass eine grün angemalte Neuauflage des neoliberalen Kapitalismus nur noch mehr Stellenabbau, schärfere Prekarisierung und Verarmung mit sich bringen würde, ist mehr als berechtigt. Genau an dieser Schnittstelle von sozialen und ökologischen Fragen gilt es deshalb, konsequente Forderungen aufzustellen. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich mit einer Verteilung der Arbeitsstunden auf alle Arbeitenden und Arbeitslosen würde Schluss machen mit Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV auf der einen und Burnouts durch Überarbeitung auf der anderen Seite. Diese Maßnahme sollte für alle Arbeiter*innen gelten, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. So können auch Geflüchtete, die momentan unter extrem prekären Bedingungen leben und arbeiten, Arbeit finden, zum Beispiel in einem massiv ausgebauten öffentlichen Verkehrssystem. Das schafft Raum, die Wirtschaft auf neuer Grundlage demokratisch zu organisieren. Genau hier gilt es, nicht nur den Kampf um das richtige politische Programm für unsere Gewerkschaften zu führen, sondern um die Köpfe in den Betrieben, um das Bewusstsein der Kolleg*innen.
Die Rolle der Bürokratie
Einige machen die angebliche Untertanen-Mentalität, also das Obrigkeitsdenken und den Gehorsam, sowie den Legalismus für die fehlende Kampfbereitschaft der deutschen Arbeiter*innen verantwortlich. Jedoch ist die große Konformität und die vorherrschende Verunsicherung an der Basis der Gewerkschaften nicht einfach eine Natureigenschaft “des Deutschen an sich”. Es ist vor allem, wie Aktivist*innen des Frauenstreiks nicht müde wurden zu erklären, ein Produkt von jahrzehntelanger gezielter Falschinformation und Passivierung durch die Gewerkschaftsführungen; ein Produkt eines Kurses der Gewerkschaften, die auf einen “Frieden” im Kampf zwischen den Klassen setzen, der auf einer kompletten Vermittlung der sich feindlich gegenüberstehenden Interessen von Lohnabhängigen und Kapitalist*innen setzt und damit letztlich grundsätzlich immer den Interessen eben dieser Kapitaleigner*innen nutzt. Dieses Modell der Klassenkollaboration nennt sich in Deutschland Sozialpartnerschaft. Das ist der Grund, weshalb die bürokratischen Führungen der Gewerkschaften das Streikrecht nicht herausfordern wollen.
So wie vielerorts noch Verunsicherung und nur eine vage Sympathie mit dem Vorhaben vorherrschen, gibt es andernorts auch mutige Kolleg*innen in verschiedensten Sektoren und Betrieben, die sich gar nicht abschrecken lassen und sich klar vorgenommen haben, den politischen (General-)Streik für den Erhalt eines intakten Planeten in die eigenen Hände zu nehmen. Selbst einige offizielle Gewerkschaftsstrukturen zeigen sich nicht abgeneigt:
Die Legitimität der Entscheidung ist ganz klar an der Basis in den jeweiligen Betrieben verortet. Doch wenn die Basis tatsächlich mutig die Sache in die Hand nimmt, was ist dann also mit dem drohenden finanziellen Bankrott der Gewerkschaften durch Sanktionen der Gerichte, sollten sie tatsächlich einen massenhaften Aufruf von ver.di und anderen DGB-Gewerkschaften im Einzelfall für illegal erklären? Wir müssen die Frage richtig herum stellen. Selbst wenn die Gewerkschaften zu saftigen Geldstrafen verurteilt werden sollten: Worin besteht die Notwendigkeit sie zu zahlen? Die deutschen Gewerkschaften vertreten mächtige Sektoren der internationalen Arbeiter*innenklasse. Ihre Kampfkraft ist potenziell so groß, dass es ein Leichtes wäre, sie zu verteidigen und die Strafzahlungen erneut mit den Kampfmethoden der Arbeiter*innenklasse wie Massenstreiks, Besetzungen, Demonstrationen etc. abzuwehren.
Doch diese Aussicht verheißt für die bürokratische Führung der Gewerkschaften, wie sie von Frank Bsirske vertreten wird, nichts Gutes. Sie scheut den offenen Klassenkampf wie der Teufel das Weihwasser. Statt des offenen Konflikts leben sie davon, faule Kompromisse mit der Regierung und den Bossen auszuhandeln. Das heißt, dass ihre ganzen Posten, ihr luxuriöser Lebensstil und ihre Privilegien darauf aufgebaut sind, im Interesse des Kapitals schlechte Ergebnisse und grundlegend falsche Verhältnisse gut zu verkaufen. In ihrer Logik ist der Streik nicht die natürlichste Waffe der Arbeiter*innen, sondern das „allerletzte Mittel“ bei stockenden Verhandlungen in ihren eigenen Händen, unter ihrer Kontrolle.
Genau diese Kontrolle will die Gewerkschaftsführung nicht verlieren; deshalb will sie nicht zum politischen Streik oder gar zum Generalstreik aufrufen. Denn dieser zeigt der Arbeiter*innenklasse ihre Stärke und gleichzeitig die potentielle Überflüssigkeit der Bürokratie. Gleichwohl ist klar, dass ein einzelner Streiktag, selbst wenn er die gesamte Wirtschaft lahmlegen würde, niemals allein die fundamentalen Veränderungen herbeiführen kann, die die Klimakatastrophe erforderlich macht. Es geht darum, eine internationale Massenbewegung aufzubauen, die weitere Generalstreiks umsetzt und im Zuge dessen schrittweise Klassenmacht erzeugt. Letztendlich müssen wir Arbeiter*innen die Gewerkschaften von der Bürokratie zurückerobern, um selbst über den Kurs unserer Organisationen bestimmen zu können. Die Durchsetzung des politischen Streiks ist dafür ein erster Schritt.
Wie setzen wir den politischen Streik für das Klima durch?
Der politische Streik – egal ob auf einzelne Tage oder Sektoren beschränkt, oder als unbefristeter Generalstreik zum Sturz der Regierung – ist eine Frage des Kräfteverhältnisses. Und zwar in zweierlei Hinsicht: Einerseits ist die Frage, ob die Arbeiter*innenbewegung stark genug ist, um ihren Willen und ihre legitimen Forderungen gegen den Widerstand von Staat und Kapital durchzusetzen. Doch genauso wichtig ist: Sind diejenigen Kräfte an der Basis der Gewerkschaften, die diese Orientierung vertreten, stark genug, um die Gewerkschaftsführungen zum Aufruf und zur Mobilisierung für den politischen Streik zu zwingen?
Wir sehen heute, wie wir oben beschrieben haben, die ersten regen innergewerkschaftlichen Debatten über die Notwendigkeit politischer Streiks. Auf diese Dynamik müssen wir aufbauen. Denn ohne Druck von unten werden Bsirske und Co. ganz bestimmt nicht zu einem Generalstreik aufrufen – und zwar völlig unabhängig davon, ob es technisch legal ist oder nicht.
Deshalb ist es die Aufgabe aller kämpferischen Gewerkschaftssektoren und der gesamten Linken, die Debatte über den Klimastreik in die Betriebe, Schulen und Universitäten zu tragen. Betriebsgruppen sollten offene Versammlungen organisieren, Betriebs- und Personalräte sollten zu Betriebs- und Personalversammlungen der gesamten Belegschaft aufrufen – um über Mittel und Wege der Teilnahme am Streiktag am 20.9. zu diskutieren, aber auch, um zu thematisieren, wie die Gewerkschaftsführungen dazu gezwungen werden können, einen offiziellen Streikaufruf zu formulieren und effektiv für den Klimastreik zu mobilisieren.
Der Weg dahin ist nicht leicht, doch wenn wir es in einigen Betrieben und einigen Branchen schaffen, eine Debatte anzustoßen und eine starke Beteiligung bei den FFF-Protesten zu organisieren, kann aus diesen Beispielen eine Kraft erwachsen, auf die wir in den kommenden Monaten aufbauen können.