Das Selbstbestimmungsgesetz ist da, der Kampf für queere Befreiung muss weitergehen

13.04.2024, Lesezeit 5 Min.
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Protest für Selbstbestimmung vor dem Bundestag im Sommer 2020. Bild: Lucas Werkmeister / CC BY 4.0 DEED

Der Bundestag hat das Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet. Wenngleich es eine Verbesserung im Vergleich zum bisherigen Transsexuellengesetz darstellt, ist der Kampf für tatsächliche Selbstbestimmung noch lange nicht vorbei.

Nachdem die Bundesregierung im August letzten Jahres einen Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) vorlegte und dieser im November in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde, blieb es lange still. Jedenfalls in Bezug auf die Verabschiedung des SBGG – die transfeindliche Hetze in bürgerlichen Medien sowie durch Parteien wie die AfD, CSU/CDU und das Bündnis Sahra Wagenknecht verstummte hingegen nie. Erst Anfang dieser Woche wurde bekannt, dass der Bundestag am Freitag über das Gesetz namentlich abstimmen wird. Mit 372 Stimmen für das SBGG – gegenüber 251 dagegen sowie elf Enthaltungen – wurde es schließlich angenommen und ersetzt damit nach 42 Jahren endlich das Transsexuellengesetz (TSG). Dies ist ein längst überfälliger Schritt. Dennoch beendet auch das neue SBGG gesetzlich verankerte Diskriminierung, Misstrauen und ein gewisses Maß an Fremdbestimmung nicht.

Im Einzelnen sieht das SBGG vor, dass volljährige Personen ab November 2024 ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen durch eine einfache Erklärung beim Standesamt ändern können. Das TSG hingegen sah dafür einen Antrag beim Amtsgericht vor, wobei das Gericht zwei Gutachter:innen bestellte, die Befragungen mit teils herabwürdigenden Inhalten durchführten. Auf Basis der Gutachten und eines persönlichen Gesprächs mit der:dem Betroffenen hatte ein:e Richter:in dann über den Antrag zu entscheiden. Jenes Verfahren war nicht nur lang, sondern kostenintensiv: durchschnittlich mussten hierfür mehr als 1.800 Euro aufgewendet werden. Dass angesichts dieser Ausgangslage bei weiten Teilen der queeren Community Erleichterung über die Annahme des SBGG besteht, dürfte nicht verwundern. Bei Minderjährigen bis 14 Jahren kann die Änderungserklärung ausschließlich von den Sorgeberechtigten abgegeben werden; ab dem fünften Lebensjahr bedarf es zusätzlich des Einverständnisses des Kindes. Minderjährige ab 14 Jahren sollen künftig die Änderungserklärung selbst abgeben können, benötigen allerdings die Zustimmung der Sorgeberechtigten. Wird diese nicht erteilt, so ermöglicht das Gesetz, dass die Zustimmung durch ein Familiengericht ersetzt wird. Darüber hinaus müssen Jugendliche versichern, dass sie beraten worden sind beziehungsweise sich umfassend informiert haben. Wie dies in der Praxis ausgestaltet wird, bleibt abzuwarten. 

Im Gegensatz zum von der Bundesregierung im August 2023 vorgelegten Entwurf, beinhaltet das SBGG die zunächst vorgesehene Regelung zur automatischen Datenweitergabe bei jeder Änderung des Geschlechtseintrags und Vornamen an sämtliche Sicherheitsbehörden wir das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, die Bundespolizei, den Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst und weitere nun nicht mehr. Gegen diesen Passus hatte es im Vorfeld massive Kritik durch Verbände, Organisationen und Aktivist:innen gegeben. Frei von Diskriminierung, Misstrauen und Fremdbestimmung ist das SGBB in seiner jetzigen Form jedoch nicht: So gilt weiterhin eine dreimonatige Warte- und Sperrfrist, bevor die Änderung gültig wird, im Spannungs- und Verteidigungsfall wird die Änderung des männlichen Geschlechtseintrags ausgesetzt, Betreiber:innen von Einrichtungen wie etwa Frauensaunen bekommen das Recht eingeräumt, trans Personen den Zutritt zu verweigern. 

Explizit nicht angetastet werden durch das Gesetz die Vorgaben zu Maßnahmen der medizinischen Transition. Hier bleiben demnach die nervenaufreibenden Prozesse, die insbesondere hinsichtlich der Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu langwierigen Kämpfen führen, bestehen. Ein kürzlich vom Bundessozialgericht (BSG) gefälltes Urteil schafft in diesem Zusammenhang zusätzlich große Unsicherheit. Denn während bisher zumindest für binäre trans Personen die Kosten für die medizinische Transition übernommen wurden, steht dies nun in Frage. Geklagt hatte zunächst eine nicht-binäre Person, der die Kostenübernahme für eine geschlechtsangleichende Operation verweigert wurde. Das Gericht argumentierte, es handle sich in diesem Falle um eine „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“. Darauf habe eine Person erst nach einer entsprechenden Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – dem höchsten Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bestehend aus Ärzteschaft, Krankenhäusern und Vertreter:innen der Krankenkassen – ein Anrecht. Das BSG-Urteil geht jedoch noch weiter und bezieht auch binäre trans Personen insofern mit ein, als es auf die von der S3-Leitlinie vorgeschlagene partizipative Entscheidungsfindung verweist. Gemeint ist damit, dass Behandelnde und Behandelte gemeinsam über die Behandlung beraten, trans Personen also in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden. Dem BSG zufolge seien die „Kriterien für die medizinische Notwendigkeit einer geschlechtsangleichenden Operation […] danach nicht nach [einem] objektiven – einem Sachverständigengutachten zugänglichen – Maßstab vorgegeben“. Daher subsumiert das Urteil binäre trans Personen nun ebenfalls unter die Kategorie „neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode“, sodass gleichermaßen die Empfehlung des G-BA abgewartet werden müsse. Wohlgemerkt handelt es sich beim G-BA um ein Gremium, in dem sowohl eine Patient:innenvertretung als auch Mediziner:innen mit entsprechender Expertise fehlen. Die Fremdbestimmung von trans Personen wird mit einer Bewertung durch den G-BA letztlich demnach fortgeführt. 

Deutlich wird, dass der Kampf für queere Befreiung mit dem nun verabschiedeten SBGG noch lange nicht vorbei ist. Denn zu einer tatsächlichen Selbstbestimmung führt es nicht. Vor allem aber lässt es das System des Kapitalismus unberührt, dem Ausbeutung und Unterdrückung inhärent sind. Es sind die materiellen Bedingungen, die es zu ändern gilt. Diesen Kampf müssen Queers, die ohnehin mehrheitlich Teil der Arbeiter:innenklasse sind, und Arbeiter:innen gemeinsam führen. Es liegt in ihrer beider Interesse, das kapitalistische System und mit ihm das Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden. Hierin liegt die Voraussetzung, um eine echte queere Befreiung erreichen zu können.

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