Das Problem an Wagenknecht ist nicht, dass sie Sanktionen ablehnt

15.09.2022, Lesezeit 7 Min.
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Foto: Juergen Nowak / Shutterstock.com

Sahra Wagenknecht hielt eine enthusiastische Rede vor dem Bundestag für die deutsche Wirtschaft. Die Empörung in der Linkspartei ist derweil riesig, jedoch nicht aus den richtigen Gründen.

Im Bundestag feuerte Sahra Wagenknecht vergangenen Donnerstag gegen Wirtschaftsminister Habeck, weil dieser weder einen Preisdeckel noch eine Übergewinnsteuer durchsetzt. Außerdem forderte sie die Rücknahme der Sanktionen gegen und die Aufnahme von Verhandlungen mit Russland. Das sorgt für Streit innerhalb der Partei DIE LINKE. Einige, teils prominente, Mitglieder verlassen deshalb die Partei, andere fordern Wagenknechts Austritt. Doch was ist wirklich das Problem mit der Politik des Wagenknechtflügels?

Die Bundestagsrede der Linken-Politikerin prangert die Regierungspolitik an, da sie nicht nur zur Verarmung vieler Familien führe, sondern auch den deutschen Mittelstand untergrabe. Dies sorge für die Abwanderung von Unternehmen in die USA, wo die Energiepreise viel niedriger sind als in Deutschland. Sie kritisiert, dass das Entlastungspaket unzureichend ist und bei weitem nicht die sozialen Folgen der Preissteigerungen aufhalten kann. Doch das Hauptproblem bleibe der Wirtschaftskrieg gegen Russland, weshalb sie die Rücknahme der Sanktionen sowie Verhandlungen mit dem Kreml fordert. Ihre Rede schließt sie mit folgenden Worten ab:

Deshalb: Treten Sie zurück, Herr Habeck! Denn Ihre Laufzeitverlängerung führt mit Sicherheit zum Supergau der deutschen Wirtschaft.

Bezug nahm sie dabei auf Habecks Pläne, die Laufzeit einiger Atomkraftwerke in Deutschland zu verlängern. Die Empörung in der Linkspartei ist groß. Allerdings nicht, weil Wagenknecht offen die Interessen der deutschen Wirtschaft verteidigt, sondern weil sie die Sanktionspolitik der Bundesregierung kritisiert und sich so über die Parteilinie hinwegsetzt. Das Problem an Wagenknechts Position ist aber nicht die Ablehnung der Sanktionen. Denn keine der verhängten Sanktionen verbessert die Situation der großen Mehrheit der Bevölkerung der Ukraine, die unter Russlands Kriegseinsatz leiden. Sie sorgen nur für weitere kriegerische Eskalation und treffen vor allem die Arbeiter:innen in Russland, die sich gegen Putin auflehnen sollten, aber auch Arbeiter:innen weltweit. Das wichtigste Argument für Wagenknecht bleibt: “Preiswerte Energie ist die wichtigste Existenzbedingung unserer Industrie.”

Wagenknecht verurteilt zwar den Krieg Russlands gegen die Ukraine, allerdings lautet ihre Forderung dabei die Aufnahme von diplomatischen Verhandlungen. Doch diese laufen letztendlich nur auf einen Kompromiss zwischen westlichen und russischen Kapitalfraktionen hinaus. Sie stellen keine Lösung für die ukrainischen Arbeiter:innen dar, denn egal ob Russland oder NATO, beide versuchen die Ukraine in ihre Abhängigkeit zu bringen. Insofern ist die Forderung von Diplomatie eine Anpassung an die Interessen der Machtblöcke und kein Garant für Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Region. Stattdessen wäre es notwendig, für eine Anti-Kriegs-Bewegung in Russland zu werben, die der Ausgangspunkt für ein revolutionäres Ende von Putins reaktionärer Regierung wird, und zugleich in den NATO-Staaten gegen die Aufrüstungspolitik und den Militarismus der imperialistischen Mächte zu kämpfen. In der Ukraine selbst braucht der Widerstand gegen die russische Besatzung eine Perspektive, die unabhängig von der von Selenskyj gepredigten Unterordnung unter die NATO ist.

Die Linkspartei hätte Grund genug, den Kuschelkurs Wagenknechts mit der deutschen Industrie und dem russischen Regime zu kritisieren. Doch sie hängt sich ausgerechnet an einer der richtigen Forderungen Wagenknechts auf: der Ablehnung der Sanktionen. Kein Wunder, da die Partei selbst auf die soziale Krise keine Antworten geben kann, denn auch sie selbst ist weiterhin in einer tiefen Krise. Nachdem sie den Einzug in den Bundestag nur haarscharf schaffte, versucht sie in der aktuellen Situation nicht wirklich der Inflation und der zunehmenden Verarmung der Arbeiter:innen in Deutschland etwas zu entgegnen. So mobilisiert sie unzureichend Arbeiter:innen auf die Straße, fordert kaum eine wirkliche Entlastung mit ihrem “Notfallprogramm” zur Inflation und beschäftigt sich lieber mit Flügelkämpfen anstatt den aktuellen Krisen. Statt massiv zu Protesten und Demonstrationen gegen die Politik der Regierung aufzurufen, bleibt sie überwiegend passiv – im Gegensatz zu Wagenknechts Flügel. Es wurde zwar ein bundesweiter Aktionstag der Partei am 17. September angekündigt, doch notwendige große Mobilisierungen der Partei, gemeinsam mit den Gewerkschaften und anderen linken Organisationen, bleiben aus.

Linkspopulismus: Sozialpolitik durch Chauvinismus

Schon vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hatte sich der Wagenknechtflügel der gleichen Logik bedient. Ihre Sozialpolitik sollte vor allem durch die Gewinne von deutschen Unternehmen gesichert werden. “Und was hilft es den Menschen in der Ukraine, wenn hierzulande Familien verarmen und unsere Industrie ruiniert wird?“ Sätze wie diese zeigen, dass der Hauptantrieb der Politik der “populären Linken” – Wagenknechts Flügel in der Linkspartei – auf eine Absicherung der Profite der deutschen Wirtschaft abzielt. Die Logik ihrer Argumentation ist, dass eine starke Wirtschaft zu einem starken Mittelstand führt und so zu guten Lebensbedingungen. Statt internationalistische Lösungen zu geben, argumentiert sie nationalistisch.

So zeigt sie ihr wahres Gesicht auch immer wieder in Sachen Migrationspolitik. Sie stellt sich gegen offene Grenzen und spricht sich für Abschiebungen aus. Schließlich liegt die Ursache der Krise der Linkspartei ihrer Meinung nach darin, dass es einen zu großen Fokus auf Kämpfe gegen Unterdrückung gebe, statt für die Verbesserung von Lebensbedingungen der Arbeiter:innen – als wäre das ein Widerspruch. Tatsächlich regierte die Linkspartei in mehreren Landesregierungen in Deutschland ununterbrochen seit ihrer Gründung und verteidigt als solche die Interessen des deutschen Kapitals inklusive Abschiebungen – dieselbe Logik, die auch Wagenknecht anwendet, führt in der Realität dazu, dass die Linkspartei immer und immer wieder die Interessen von Arbeiter:innen verrät, wie beispielsweise auch bei Deutsche Wohnen & Co enteignen in Berlin. Aber auch die Krankenhausbewegung, die seit Jahren gegen Outsourcing kämpft, während die rot-grün-rote Regierung weiterhin das Outsourcing aufrecht erhält.

Wagenknecht: Wegbereiterin der Rechten

Gerade in Bezug auf die anstehenden sozialen Proteste hat dieser linkspopulistische Kurs eine verheerende Wirkung. Es ist kein Zufall, dass die rechte Zeitung Compact mit Wagenknechts Porträt zur ersten Montagsdemonstration in Leipzig mobilisiert hat. Dort sollte Wagenknecht für DIE LINKE eine Rede halten, wurde jedoch vom Parteivorstand wieder ausgeladen. Statt sich von rechts abzugrenzen, passt sich Wagenknecht an die Politik der Rechten an. Die Arbeiter:innenklasse verkommt bei ihr zu einem vermeintlich nationalen Phänomen. Der Nationalstaat dient als soziale Lösung und damit das deutsche Kapital. Das kann keine Lösung für die Probleme der Massen sein, sondern ist deren Ursprung!

Um den Rechten nicht das Feld zu überlassen, braucht es stattdessen Kräfte, die sich von den nationalistischen und bürgerlichen Lösungen klar mit einem sozialistischen Programm abgrenzen. Wir müssen ein Notfallprogramm gegen Inflation und Krieg aufstellen, dass für gemeinsame Mobilisierungen von linken und Arbeiter:innenorganisationen eintritt. Dazu müssen unsere Forderungen ein Ende der Gasumlage und die Verstaatlichung der Energiekonzerne unter der Kontrolle der Arbeiter:innen sein. Nur wenn die Arbeiter:innenklasse gemeinsam kämpft, kann sie ihre Forderungen umsetzen und das über die Grenzen hinweg. Für eine klare Abgrenzung von Rechts und für eine internationale Verbesserung der Arbeiter:innensituation müssen wir uns auch klar antiimperialistisch zeigen: Nein zur Aufrüstung. Weder Putin noch NATO. Für offene Grenzen, überall.

Wir dürfen uns nicht zu den Handlanger:innen des deutschen Imperialismus machen. Wir haben als Arbeiter:innen, Studierende und Schüler:innen nichts mit den Bürgerlichen gemeinsam, sondern mit den Arbeiter:innen weltweit. Wir müssen gemeinsam kämpfen, um unsere Interessen durchzusetzen und den Imperialismus zu schlagen. Der Hauptfeind steht im eigenen Land.

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