Das Pfefferspray vor Augen: Revolutionäre Abgeordnete in Argentinien stellen sich gegen Polizeigewalt

15.02.2024, Lesezeit 6 Min.
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Nicolás del Caño, trotzkistischer Abgeordneter der PTS, Foto: Enfoque Rojo

An den Protesten gegen die Maßnahmen der rechtsextremen Regierung beteiligen sich auch trotzkistische Abgeordnete. Sie werden mit Pfefferspray und Gummigeschossen angegriffen.

Die rechtsextreme Regierung von Javier Milei in Argentinien versucht, eine neoliberale Schocktherapie durchzuführen. Die Arbeiter:innenklasse hat darauf mit einem Generalstreik und tagelangen Straßenprotesten reagiert, die zur Rücknahme von Mileis Omnibus-Gesetz führten. Dieses Gesetz hätte der Regierung enorme Machtbefugnisse gegeben und die Rechte der Arbeiter:innen beschränkt.

An vorderster Front der Proteste standen die parlamentarischen Vertreter:innen der Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit (FIT-U), ein Wahlbündnis aus vier trotzkistischen Organisationen, das fünf Sitze im Nationalkongress errang. Nicolás del Caño, Myriam Bregman, Alejandro Vilca und Christian Castillo gehören der Partei der Sozialistischen Arbeiter:innen (PTS) an, der Schwesterorganisation von RIO / Klasse Gegen Klasse in Argentinien. Die fünfte, Romina del Plá, ist von der Arbeiterpartei (PO).

Als der argentinische Kongress über das Omnibus-Gesetz debattierte, demonstrierten Tausende von Arbeitern vor dem Gebäude. Die Militärpolizei war im Einsatz und setzte Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschosse ein. Die FIT-U-Abgeordneten nutzten ihre Bühne im Kongress, um ihre Solidarität mit den Mobilisierungen zu bekunden. Am ersten Tag der Proteste wurde Vilca, ein indigener Sanitärarbeiter aus der nordwestlichen Provinz Jujuy, mit Pfefferspray aus nächster Nähe angegriffen, als er sich gegen eine Reihe von Polizist:innen stellte. Trotz des Angriffs nahmen Vilca und die übrigen Abgeordneten der FIT-U jeden Tag an den Protesten teil.

Später in dieser Woche erklärte Castillo im Kongress, als der Präsident der Kammer versuchte, ihm das Wort zu entziehen: „Wir werden gehen. … Wir werden diese Sitzung nicht akzeptieren, während draußen Gummigeschosse und Unterdrückung herrschen.“ Alle Vertreter:innen der FIT-U verließen den Kongress aus Protest.

Eine unabhängige sozialistische Koalition statt Anpassung an das „kleinere Übel“

Die Zeitschrift Jacobin erklärte, jemanden in den Kongress zu bringen, sei wie das „Reiten eines Tigers“: „Wenn man den Tiger reitet, kommt man sehr schnell voran! Aber du bist ein Narr, wenn du glaubst, du hättest die Kontrolle über diesen Tiger“. Sie wollen reformistische Politiker:innen wie Alexandria Ocasio-Cortez von den Demokraten in den USA in den Kongress bringen – danach solle man sich aber nicht beschweren, wenn diese einen verraten.

Die Genoss:innen der FIT-U zeigen, dass eine ganz andere Art von revolutionärem Parlamentarismus möglich ist. Sie haben ihre Sitze als Teil einer sozialistischen Koalition der Arbeiter:innenklasse auf der Grundlage der Klassenunabhängigkeit gewonnen. Sie sind nicht Teil einer bürgerlichen Partei. Sie lehnen jede Zusammenarbeit mit Ausbeuter:innen und Unterdrücker:innen ab. Sie wollen nicht dem „kleineren Übel“ unter den bürgerlichen Politikern helfen – ihr Ziel ist eine Regierung der Arbeiter:innen auf der Grundlage von Mobilisierungen.

Im Geiste der Kommunistischen Internationale nutzen die trotzkistischen Abgeordneten in Argentinien die parlamentarische Tribüne, um zu versuchen, Mobilisierungen außerhalb des Parlaments zu stärken. Diese Kombination hat sich als wirksam erwiesen: Während Gewerkschaften, feministische Gruppen und Nachbarschaftsversammlungen auf der Plaza del Congreso protestieren, hat die Bewegung auch innerhalb des Parlaments eine Stimme.

Die FIT-U führte Anfang des Jahres eine Präsidentschaftskampagne durch, bei der Bregman für die Präsidentschaft und Del Caño zum Amt des Vizepräsidenten kandidierten. Bregman war eine von fünf Kandidat:innen auf der Bühne einer landesweiten TV-Debatte. Sie nutzte die Plattform, um zu der Art von Kampf aufzurufen, den die Arbeiter:innen jetzt gegen Milei führen. Sie war die einzige Kandidatin, die Israels völkermörderischen Feldzug in Gaza anprangerte. Sie machte sogar von sich reden, indem sie Milei „keinen Löwen, sondern eine Miezekatze“ nannte und darauf hinwies, dass er, wie jeder andere bürgerliche Politiker, von Großkapitalist:innen unterstützt wird.

Du hasst nicht den Wahlkampf, du hasst die bürgerlichen Parteien

Viele Arbeiter:innen lehnen verständlicherweise die Wahlpolitik ab. „Die sind doch alle korrupt!“ – und das ist wahr, in dem Sinne, dass alle bürgerlichen Politiker:innen korrupt sind. Aber das bedeutet nur, dass wir wirklich sozialistische Arbeiter:innen in den Parlamenten brauchen. Sie würden nur einen durchschnittlichen Arbeiterlohn verdienen und den Rest ihrer exorbitanten Gehälter an einen Streikfonds spenden. Sie würden als Mitglieder einer revolutionären Organisation sprechen, nicht als Kuhhändler, die ihre eigenen Taschen füllen.

Reformist:innen argumentieren gerne, dass es im Moment keine Grundlage für eine unabhängige Partei der Arbeiter:innenklasse gibt. Doch die PTS ist ein wichtiges Gegenbeispiel. Die PTS ist nicht aus dem Nichts entstanden. Sie wurde über Jahrzehnte von Mitgliedern aufgebaut, die in jeden Aufschwung des Klassenkampfes eingriffen und revolutionäre Fraktionen in der Arbeiter:innenbewegung aufbauten. Ihre heutigen Siege beruhen auf ihrer konsequenten Weigerung, sich „fortschrittlichen“ bürgerlichen Parteien oder Koalitionen anzuschließen.

Es gibt sicherlich eine Grundlage für Tausende, vielleicht Zehntausende von Menschen in Europa oder den Vereinigten Staaten, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen: Aktivist:innen aus den antirassistischen Bewegungen und der aktuellen Palästina-Solidaritätsbewegung; Arbeiter:innen, die eine sich in den Gewerkschaften organisieren; und zahllose Jugendliche, die die bürgerlichen und reformistischen Partei hassen und am Sozialismus interessiert sind. Streiks und Klassenkämpfe nehmen zu und viele sehen die Notwendigkeit einer Alternative zum Kapitalismus.

Deshalb wollen wir eine Partei der Arbeiter:innenklasse für den Sozialismus aufbauen. Unsere Kämpfe müssen auch in den Parlamenten gewürdigt werden. Wie Genosse Castillo im argentinischen Kongress sagte:

In allen Teilen Argentiniens, vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen, wächst der Widerstand gegen diese Sparpolitik im Dienste des Internationalen Währungsfonds (IWF) Und wir hoffen, dass aus diesem Widerstand eine grundlegende Lösung hervorgeht. Eine Lösung, die den IWF rauswirft, die Löhne wiederherstellt, den Arbeitstag auf sechs Stunden verkürzt, um die Arbeitslosigkeit ein für alle Mal zu beenden und mit dem Aufbau einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu beginnen, einer sozialistischen Gesellschaft.

Dieser Artikel erschien zunächst auf Left Voice.

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