Das Märchen von 500 verletzten Cops

15.07.2017, Lesezeit 4 Min.
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"476 verletzte Polizist*innen!", heißt es. "Gute Genesung" wünscht man den Cops. Die Bild-Zeitung sammelt sogar Spenden. Das einzige Problem? Die Zahl ist frei erfunden.

Woran denke ich, wenn ich das Wort „verletzt“ höre? Eine Bandage um den Kopf, ein Gips am Bein – sowas halt. Aber die Polizei hat eine völlig andere Definition. Ein Cop gilt als verletzt, sobald er*sie das eigene Tränengas atmet und husten muss. Ich musste auch in Hamburg husten – bin ich nun auch ein „Verletzter“?

Gegenüber der taz sagte die Berliner Polizei: 133 Berliner Polizist*innen seien in Hamburg „verletzt“ worden – aber davon konnten 126 ohne Unterbrechung ihren Dienst fortsetzen. Das heißt: Gerade mal sieben Bullen (weniger als fünf Prozent!) hatten im herkömmlichen Sinne des Wortes irgendeine Verletzung.

Wenn wir diese Zahlen hochrechnen, heißt das, dass insgesamt weniger als 25 Polizist*innen in Hamburg irgendwie verletzt wurden. Es ist auch stark zu vermuten, dass kein einziger Cop stationär im Krankenhaus behandelt werden musste.

Wie kamen diese Verletzungen zu Stande? Wir sollen an heroische Krieger*innen denken, die mitten in der Schlacht mit Terrorist*innen von einem Stein oder einem Molotow-Cocktail getroffen wurden.

Aber nein. 130 Polizist*innen haben ihr eigenes Tränengas eingeatmet. Teilweise bauten sie Verkehrsunfälle. Manche bekamen nach Stunden in der Sonne – unter schwerer Panzerung und schwarzen Masken – einen Sonnenstich.

BuzzFeed hat als einziges Medium in Deutschland diese Zahlen ernsthaft untersucht. Da stellt sich heraus: Mehr als die Hälfte der „Verletzungen“ passierte schon vor den Protesten! Nur 231 Einsatzkräfte wurde in der „heißen Phase“ verletzt. Und jede*r Polizist*in, der*die sich eine Woche vor dem Gipfel erkältete, wurde in diese absurde Statistik aufgenommen.

Es kommt noch schlimmer. Laut der taz kam es bei der antikapitalistischen Demonstration am Donnerstag zu einer „Häufung der Verletzungen“ unter den Cops. Jede*r Mensch mit einem Internetzugang kann sehen, wie ein Heer von Polizist*innen brutal auf die 10.000 Teilnehmer*innen dieser Demo einprügelt, bevor sie überhaupt einen Schritt laufen durfte.

Das heißt in Klartext: Selbst die wenigen Polizist*innen, die sich tatsächlich verletzt haben, haben sich bei ihren gewaltsamen Übergriffen auf friedliche Demonstrant*innen selbst verletzt. Denkbar wäre etwa, das ein*e Schläger*in in Uniform einen Fingerbruch erlitten hat, während er*sie wie ein*e Berserker*in mit dem Schlagstock wedelte. Und für solche „verletzten Polizist*innen“ sollten wir noch Mitleid haben?!?

Dieses Märchen wird von den Parteien von AfD bis zur SPD trotzdem fleißig verbreitet. Und leider fallen auch manche Linke darauf ein. Die sozialchauvinistische Spitzenkandidatin der Linkspartei, Sahra Wagenknecht, war bereits voller Lob für die gefährlichen Hooligans des Staates.

Aber auch die Linkspartei in Hamburg, die eher zum linken Flügel der Partei zählt, schrieb in einer beschämenden Pressemitteilung:

Die Polizei hatte einen schweren und gefährlichen Einsatz. Wir wünschen allen Verletzten eine schnelle und vollständige Genesung.

Kein Wort über die Demonstrant*innen, die teilweise wirklich schwer verletzt wurden. Man möchte fast glauben, dass diese reformistischen Politiker*innen naiv sind. Aber nein, sie wissen genau, welche Lügen sie hier mit verbreiten. Ihnen geht es darum, gegenüber der herrschenden Klasse zu signalisieren, dass sie jede Scheiße mittragen, wenn sie bloß an der Regierung teilnehmen dürfen.

Wir als revolutionäre Marxist*innen glauben nicht, dass es ansatzweise so viele verletzte Cops gab, wie die Boulevardpresse behauptet. Und falls irgendwelche wirklich verletzt sind: Dann können sie kündigen und anständige Arbeit suchen. Dann würden sie sogar unsere Solidarität bekommen.

Doch Schläger*innen, die für ihren Lebensunterhalt Arbeiter*innen, Jugendliche und Geflüchtete verprügeln, verdienen kein bisschen Sympathie. Wir glauben, im Sinne W.I. Lenins, dass die Polizei nur das Eigentum und die Macht der herrschenden Klasse schützt. Die einzige linke Haltung dazu ist: Wir wollen die Herrschenden enteignen und ihre Polizei zerschlagen.

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