Das Lehrerzimmer: Nicht nur im Film wird Schule zum Albtraum

22.05.2023, Lesezeit 5 Min.
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Shutterstock.com / Mo Photography Berlin

Aktuell wird "Das Lehrerzimmer" in den Kinos gezeigt, ein beklemmender Film über das gegenwärtige Schulsystem. Das Drama von großer gesellschaftlicher Tragweite wurde vielfach preisgekrönt und konnte sich beim deutschen Filmpreis sogar gegen den Oscar prämierten "Im Westen nichts Neues" durchsetzen, zu Recht!

„Was im Lehrerzimmer passiert, bleibt im Lehrerzimmer!“, heißt es im Film. Glücklicherweise gibt es diesen Film, damit genau das, was in den Schulen passiert, einmal der Öffentlichkeit zugänglich wird. Seit Jahren gibt es immer wieder Proteste und auch Streiks von Lehrer:innen, in diesem Kontext sollte „Das Lehrerzimmer“ auch betrachtet werden. Der Film schafft im Zuge der Bildungskrise Öffentlichkeit und einen breiten Diskurs darüber, was in der Schule schief läuft.

Die junge Lehrerin Carla Nowak unterrichtet an einem Gymnasium in der siebten Klasse Mathematik und Sport und fällt an der Schule immer wieder durch ihren Idealismus auf, aber auch durch Alleingänge, die im Kollegium nicht gut ankommen. Die Stimmung wird durch eine Serie von Diebstählen weiter getrübt. Aus dem verhältnismäßig kleinen Ereignis, entwickelt sich eine bedrückende und spannungsgeladene Dynamik, welche immer intensiver an Tragweite zunimmt und gesellschaftliche Verhältnisse wie beispielsweise Rassismus, sowie die gegenwärtige Pädagogik und das System Schule diskutiert.

Das gewählte 4:3-Bildformat verdeutlicht die Enge und den Druck dieses Systems, die Schule wird als ein Gefängnis oder Labyrinth inszeniert, aus dem es kein Entkommen gibt. Lediglich eine Szene spielt sich außerhalb des Schulgeländes ab. Die Drücke und Belastungen unter denen Lehrer:innen und Schüler:innen leiden, der soziale Moshpit indem sie sich befinden kommen zum Ausdruck. So werden Konflikte immer zwischen Tür und Angel, beziehungsweise in der Pause, die es eigentlich gar nicht gibt, geklärt. Gesprächsbedürfnisse werden nicht erfüllt, denn Gespräche werden im Schulstress allzu häufig unterbrochen.

Als Frau Nowak aufgrund „ihres Scheiterns“ die Schule verlassen möchte, wird dieses Vorhaben sogleich abgewunken. Aufgrund des Lehrkräftemangels sei das ja völlig ausgeschlossen. Auch demokratische Fragen werden gestellt, die Schulleitung erscheint wie eine absolutistische Institution, die alle Vorgaben macht. Lehrkräfte und Schüler:innen werden zum dirigierten Orchester. In diesem Kontext wird auch die Schüler:innen-Zeitung, welche selbstorganisiert herausgegeben wird und auch politische Fragen aus dem Schulalltag in den Mittelpunkt stellt, zensiert. Alle Exemplare müssen beschlagnahmt werden!

Im Zuge der Diebstahlserie werden Schüler:innen dazu gebracht, ihre Portemonnaies zu zeigen. Natürlich sei das alles ja freiwillig, aber „wer nichts zu verbergen hat, der braucht sich auch keine Sorgen machen“. Genauso wird also auch das Verhältnis zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen, welches ebenso von Druck und Autorität geprägt ist, dargestellt. Frau Nowak probiert im Angesicht dieser Maßnahmen, welche sie kritisch sieht einfach einen „freundlichen Unterricht“ zu gestalten, doch es helfen auch „moderne Methoden“ nichts, wenn das grundlegende System marode und falsch ist. Im Zuge dessen ist auch der Streik kurz ein Thema, allerdings nur am Rande des Geschehens, denn der Film möchte keinen Ausweg aus dem Drama preisgeben, er ist analytisch konzipiert.

Lehrkraft sein erfüllt wie viele „soziale“ Berufe in unserer Gesellschaft eine Art doppelte Aufgabe. Einerseits werden die Schüler:innen gebildet, andererseits werden sie verwertbar gemacht für den Kapitalismus. Es wird äußerst gut herausgestellt, wie diese Aufgabe im Gegensatz zu den Matheaufgaben im Unterricht einen unlösbaren Widerspruch darstellt. Muss am Ende die Polizei gerufen werden, um den rebellierenden Schüler aus der Schule zu tragen?

Zu Recht wurde der Film mehrfach ausgezeichnet, er folgt einem klaren Konzept, in dem die Ästhetik des Gezeigten mit den sozialen Fragen, welche aufgeworfen werden, zusammengeht. Die Dramatik kann mit Hitchcock Filmen verglichen werden. Auch in sozialen Netzwerken wird der Film gut aufgenommen, bei Letterboxd schreibt ein User: „Dieser Film motiviert nicht unbedingt ein Lehrer zu werden, denn er zeigt knallhart die Schattenseiten des Berufs […] Wirklich ein bockstarkes Brett.“

Ein weiterer User schreibt dort ebenfalls:
“Manchmal ist es gut, wenn die eigenen Erfahrungen von außen bestätigt werden, um zu spüren, dass man sich die eigenen Erinnerungen nicht nur eingebildet hat. Für mich war ‚Das Lehrerzimmer‘ von ilker Çatak so eine Bestätigung. Schule ist für mich ein Leben lang ein belasteter Ort geblieben, eine Erkenntnis, die ich erst hatte, als ich selbst Lehrer werden wollte. Wenn ich gefragt werde, warum ich mich letztlich dagegen entschieden habe, antworte ich: Es war nicht der Unterricht, es war die Zeit im Lehrerzimmer.“

Die Grenzen zwischen „Täter und Opfer“ verschwimmen in diesem Film, wodurch die Thematik auf eine tiefergehende Ebene gebracht wird. Allen, die sich mit Pädagogik oder guten Dramen befassen möchten, sei dieser Film empfohlen!

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