Das Gespenst des Antikommunismus
Die Kanzlerkandidatin der AfD nennt Hitler einen Kommunisten und die Linke schweigt dazu. Warum Marxist:innen keine Angst haben sollten, "alte Geister" zu wecken und die Rolle der Vergangenheitspolitik.
Man möchte meinen, wir befänden uns in einem Fiebertraum. Alice Weidel, die Kanzlerkandidatin der AFD für die Bundestagswahl 2025 und Elon Musk, seines Zeichens rechtslibertärer Kapitalist und designierter Sonderberater von Donald Trump, unterhalten sich auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) über Politik. Diesen hatte Musk im Jahre 2022 unter großem Medienecho gekauft und währenddessen zu einem rechten Propagandanetzwerk umgebaut. Infolge dieses, ansonsten recht vergessenswerten Gesprächs, schweifen Weidel und Musk auch in Richtung deutsche Vergangenheit und ökonomische Ideengeschichte ab. Dort führt Weidel dann aus, Hitler sei ein Kommunist gewesen. Es wird ergänzt, dass dieser ,,alles andere als rechts‘‘ gewesen sei, darüber hinaus der ,,sozialistisch- kommunistische Typ‘‘. Ein kleiner Aufschrei zieht sich darauf durch die bürgerliche Presselandschaft. Es folgen vereinzelte Faktenchecks von öffentlich-rechtlichen und bürgerlichen Formaten, die dies widerlegen wollen, aber einer tatsächliche Begründung fernbleiben. Mehrere konservative und rechte Verlage publizieren sogar, dass man Weidel da nicht zustimmen könne, sie aber schon irgendwie recht habe. Von der radikalen insbesondere dezidiert marxistischen Linken hört man dazu wenig. Zu groß sei die Gefahr sich die Finger zu verbrennen. Einige Genoss:innen formulieren die Gefahr einer Legitimation dieses Diskurses durch Formulieren einer Gegenposition.
Ich fürchte jedoch, dass es dafür schon zu spät ist, und zwar seit über 100 Jahren. Denn diese Position von Weidel ist keine spontane Entgleisung, kein einmaliger Vorgang über den wir als Marxist:innen hinwegschauen können. Er steht in einer langen Tradition antikommunistischer Politik, welcher stets als Instrument der Klassenherrschaft gegen die Arbeiter:innenbewegung ins Feld geführt wurde und über die Jahrzehnte einem wechselnden, sich aber wiederholenden Zweck diente. Nur indem wir dies materialistisch untersuchen und verstehen, können wir diesen auch kontern und sozialistische Gegenmacht aufbauen.
Die Ursprünge des deutschen Antikommunismus liegen im späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhundert. Infolge der erfolgreichen Mobilisierung der deutschen Arbeiter:innenbewegung unter Bildung einer Arbeiterpartei mit starker Präsenz im deutschen Reichstag, erließ die deutsche Reichsregierung unter Kanzler Otto von Bismarck die Sozialistengesetze. Diese kriminalisierten sozialistischen Parteien und Vereine und drängten diese in die Illegalität bzw. ins Ausland. Trotz dieser eigentlichen Schwächung konnte die damals vorherrschende Partei der deutschen Arbeiterklasse, SAP (ab 1890 SPD) ihren Stimmenanteil im Reichstag auf 19, 7 % steigern und zur größten Fraktion werden. Besonders ihre fundamentale Politik der Budgetverweigerung, enge Bindung an die Gewerkschaften und starke Verankerung in den Massen drängten Bismarck zur Einführung der Kranken- und Unfallversicherung (1883 bzw. 1884) und schließlich zur Legalisierung der Partei im Jahr 1890. Ab diesem Zeitpunkt war die, damals noch über einen starken revolutionären Flügel verfügenden, deutsche Sozialdemokratie ein politischer Machtfaktor innerhalb der deutschen Politik, der die herrschende Klasse bis zur Burgfriedenspolitik unter Druck setze und in dieser Rolle dann von der USPD und dem Spartakusbund ersetzt wurde.
Diese Angst vor einem tatsächlichen Umsturz der Verhältnisse erreichte ihren Höhepunkt in der Endphase des 1. Weltkriegs. Die Revolution in Russland im Jahr 1917 und die Errichtung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik angeführt von den Bolschewiki, erschufen eine faktische Alternative zum kapitalistischen System sowie bürgerlichen Staat und bildeten einen positiven Bezugspunkt für alle Akteure, die sich gegen Kapitalismus und Imperialismus wendeten. Dies versetzte die obrigkeitsstaatlichen und antidemokratischen Kräfte im deutschen Reich in eine regelrechte Panik. Dies wurde noch durch die Agitation der Bolschewiki verstärkt, die mit ihren Agitation aktiv die deutsche Revolution befördern wollten. Angesichts von Kriegsniederlage, revolutionären Erhebungen in Europa und radikalisierter Arbeiter:innenbewegung versuchten die alten Eliten sich der Revolution entgegenzustellen und verbrüderten sich, unter Beteiligung der MSPD (der Rechte Flügel der SPD) mit der extremen Rechten. Diese mündete nach Ausbruch der Novemberrevolution in der Niederschlagung des Spartakusaufstandes und der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg durch protofaschistische Freikorps.
Diese Angst vor einem Umsturz und der Emanzipation der Arbeiter:in manifestierte sich in einem fundamentalen Wechsel der Agitation der herrschenden Klassen: Sämtliche Facetten sozialistischer (und damit auch demokratischer) Politikentwicklung wurden mit dem Stalinismus und damit dem später entstehenden stalinistischen Regime in Verbindung gebracht. Dies zeigt den antidemokratischen Kern des deutschen Antikommunismus, der im Verlauf der 20er Jahre von dem reaktionären Bürgertum, Deutschnationalen und Völkischen radikal betrieben wurde. Zu diesem Zeitpunkt lässt sich der Antikommunismus als Abwehrideologie gegen die Arbeiter:innenbewegung einstufen, der die herrschenden Klassen vor dissidenter Politik und gesellschaftlichen Alternativen immunisieren sollte. Dabei zielte dieser auf das marxistische Denken insgesamt.
Mit dem Beginn des Aufstiegs der Nationalsozialisten wurden dann dieser Antikommunismus mit anderen rassistischen, völkischen und antisemitischen Ideologien zusammengefasst und wahlpolitisch verwertet. Im Folgenden sprach man von einem ,,jüdischen Bolschewismus‘‘ oder einer ,,jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung‘‘. Dieser wurde dann zu einer eliminatorischen Ideologie gegen Marxist:innenn (neben den anderen Opfern des Nationalsozialismus) das Lebensrecht absprach und im dritten Reich fanatisch befeuert wurde. Schon wenige Tage nach der Machtergreifung erklärte Hitler in einer Rede den ,,Marxismus ein für allemal ausrotten‘‘ zu wollen. Ebenso am Reichstagsbrand sei ein Kommunist schuld gewesen. Der Zweck der damit verfolgt wurde, war den Kommunismus bei den Massen zu diskreditieren, sie zu ,,Volksfeinden’’ zu erklären und auf lange Sicht die, in Deutschland historisch starke, Arbeiter:innenbewegung zu zerschlagen. Dieses Ziel stimmte mit den Interessen des deutsche Großkapitals überein, welche seit der deutschen Revolution in stetiger Angst vor einer sozialistischen Umwälzung standen und in dem Fachismus , nachdem Versagen der bürgerlichen Parteien in der Deflationskrise, den idealen Verbündeten sahen. Diese sicherte zwar ihre Profite ab, forderte jedoch auch Gefolgschaft und finanzielle Unterstützung, Forderungen denen das Kapital gerne nachkam.
Der Antikommunismus der Nazis hatte den Charakter eines Kreuzzuges, Kommunist:innen kamen als erstes in die Konzentrationslager, wurden gefoltert und ermordet. Der Überfall auf die Sowjetunion wurde als Weltanschauungskrieg begründet und als antibolschewistischer Feldzug geführt. Der Antikommunismus lieferte kombiniert mit Antisemitismus die Legitimation für einen entgrenzten Vernichtungskrieg gegen die sowjetische (Zivil)Bevölkerung mit 20 Millionen Toten. Auch im zivilen Alltag der deutschen Gesellschaft während des Faschismus spielte der Antikommunismus eine große Rolle. Der Marxismus wurde dämonisiert und neben dem Antisemitismus zum Bezugspunkt der Feindpropaganda, welches sich auch in der Kindeserziehung in den Jugendverbänden des NS- Staate widerspiegelt. Spätestens mit der Niederlage von Stalingrad erfuhr dieser noch einen Höhepunkt, der bis zur Kapitulation 1945 anhielt. So wurde Angst vor ,,roten Horden‘‘ geschürt und sowjetische Kriegsgefangene wurden massenhaft hingerichtet.
Diese Propaganda der Faschisten verfing bis zuletzt in einem maßgeblichen Teil der deutschen Politik, welche den Krieg bis zum letzten Tag an der Heimatfront führten. Dass diese nach Gründung der Bundesrepublik gegenüber dem Kommunismus (in Form der zurückgekehrten Widerstandskämpfer) und nicht den Faschismus, der sie in Krieg und Zerstörung geführt hatte, in Feindschaft auftraten, belegt dies. Dies zeigt deutlich wie der Kommunismus bis zuletzt in der faschistischen Propaganda als Sündenbock herhalten musste und das dieser als Rechtfertigung für die Folgen antidemokratischer bzw. faschistischer Politik nutzbar gemacht wurde.
Die deutsche Bourgeoisie und ein bedeutender Teil der Bevölkerung standen bis zum Ende hinter dieser Politik. Dies zeigt deutlich, wie der Antikommunismus für antidemokratische bzw. faschistische Politik nutzbar gemacht wurde und dass der Nationalsozialismus mit dem Kommunismus nichts gemein hatte. Im Gegenteil, ihn sogar als Feind betrachtete und gezielt politischen Terror gegen diesen betrieb.
Nach dem Fall des dritten Reichs und Verbrechen des Nationalsozialismus sollte sich die Handhabe von Antikommunismus und seines Zwecks abermals verändern. In der Frühphase der Bundesrepublik waren sozialistische Ideen auf dem Vormarsch, dass der Monopolkapitalismus dem Faschismus Vorschub leistete, hatte sich vermeintlich auch bei Bürgerlichen durchgesetzt. Dies zeigt sich deutlich an der Einführung eines bundesdeutschen ,,sozialen Rechtsstaats‘‘ sowie der Möglichkeit zur Sozialisierung von Schlüsselindustrien in Art. 15 GG. Auch die CDU konnte sich dem nicht entziehen und nahm die Überwindung des Kapitalismus in ihr politisches Programm (Ahlener Programm, 1947) auf. Der Sozialist Wolfgang Abendroth sprach von der Bundesrepublik als ,,Transformationsfeld zum Sozialismus‘‘. Dies hielt jedoch nicht lange an.
Mit der Gründung der Bundesrepublik und der Übernahme durch die Konservativen veränderte sich die politische Landschaft. Mit dem heraufziehenden Kalten Krieg zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt entwickelte sich eine neue Lesart des Faschismus. Dieser hätte sich nicht aus der deutschen Kleinbürgertum und dem Großkapital entwickelt, sondern sei eine Art ahistorisches Ereignis, welches aus dem gesellschaftlichen Kontext gelöst wurde. Wer dem Faschismus Vorschub leistete, mit ihm koalierte, ihn finanzierte, sich in ihm engagierte, spielte keine Rolle mehr. Es war ein einmaliges Ereignis, welches den Totalitarismus in Deutschland einführte, nun aber überwunden wäre. Konrad Adenauer sprach von einem ,,Schlussstrich‘‘, Narrative einer ,,sauberen Wehrmacht‘‘ und von ,,einzelnen, wenigen Tätern‘‘ lösten die Entnazifizierung ab und läuteten das Zeitalter der Restauration ein. Die alten Eliten aus Politik, Justiz und Wirtschaft waren wieder in Amt und Würde. Oppositionelle und Widerstandskämpfer wurden bewusst übergangen. Da der sowjetische Kommunismus als neue totalitäre Gefahr galt, die bekämpft werden musste, wurden Sozialdemokraten, Kommunist:innen und Sozialist:innen nicht in Erwägung gezogen. Dies waren ja ,,Vaterlandsverräter‘‘ und ,,Bolschewisten‘‘. Der Kommunismus galt als mindestens genauso schlimm wie der NS- Faschismus. Mit diesem Argument verschärfte sich die Politik gegen die deutsche Arbeiter:innenbewegung in den 50er- Jahren. Das Bundeskabinett diskutierte regelmäßig Gegenveranstaltungen gegen einzelne Demonstrationen und 1952 wurde das FDJ- Mitglied Phillipp Müller in Essen von der Polizei erschossen. Dies mündete in einem politischen Strafrecht, welches eigentlich jegliche kommunistische Betätigung unter Strafe stellte („Fahrlässiger Landesverrat“, „Verfassungsverräterische Zersetzung“, Staatsgefährdung, Verfassungsverrat, usw.). Bis 1968 wurden 125.000 Verfahren mit 6.785 verurteilten Personen geführt. Darüber hinaus wurde die KPD 1956 vom Bundesverfassungsgericht verboten. Dieses Verfahren wird heute einhellig als politisch motiviert eingeschätzt. Geführt wurden diese Verfahren von Juristen, die im Dritten Reich zu großem Teil Amtsträger waren und den Faschismus stützten. Den westdeutschen Kommuist:innen gelang es infolge dieser staatlichen Repression nicht, politischen Widerstand in der Masse zu organisieren. Dies lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass die KPD während des deutschen Faschismus keine nennenswerte Nachwuchsarbeit leisten konnte, ihre ehemaligen Funktionäre durch Flucht und Ausweisung über den Globus verteilt waren (oder in die DDR abgewandert) und die Überlebenden der KZs oft zu politischer Arbeit aufgrund physischer und/oder psychischer Leiden nicht in der Lage waren. Zusätzlich trat die KPD zumeist mit Gedenkdemonstrationen für verstorbene Kommunist:innen in Erscheinung, welche den Unmut der Bevölkerung im Rahmen der eigenen Schuldverdrängung weckte. Eine soziale Disposition, welche flächendeckend gegenüber Widerstandskämpfern auftrat. Darüber hinaus hatte die KPD sich strategisch in eine Sackgasse manövriert. Diese orientierte sich politisch immer stärker an der UdSSR und der DDR, hatte jedoch im eigenen Land mit einem spürbaren wirtschaftlichen Aufschwung zu tun und konnte daher den (real existierenden) Sozialismus nicht als gewinnbringende Alternative für die werktätigen Massen verkaufen. Durch den ständigen Druck gewerkschaftlicher Kämpfe hatte sich der Lebensstandard der westdeutschen Arbeiter:in auf ein Niveau angehoben, welches in der Wirtschaftsgeschichte durchaus als einmalig zu beschreiben ist und deren Bindung an den bürgerlichen Staat erhöhte. In derselben Zeit verblieb der Lebensstandard in der DDR, unter dem Druck der Reparationszahlungen und ausbleibenden diplomatischen und ökonomischen Beziehungen, aber auch bürokratischer Fehlplanung und Ungleichheit, auf dem Stand der späten 40er- Jahre. Allein die schlechtere wirtschaftliche Lage der sozialistischen Staaten mehrte die Akzeptanz antikommunistischer Politik in der Bevölkerung, dies wurde noch die Kritiklosigkeit der KPD gegenüber dem stalinistischen Regime verstärkt. Auch die Ereignisse des 17. Juni 1953 verstärkten diese Tendenz und führten zu einer immer weitergehenden Schwächung sozialistischer Politik insgesamt.
So diente der Antikommunismus der Bundesrepublik auf der einen Seite der politischen Gegnerschaft, auf der anderen jedoch der Geschichtsklitterung, der Vergangenheitspolitik. So sollte der Antikommunismus der Nationalsozialisten relativiert werden und die deutsche Bevölkerung und ihre Eliten von der Schuld des Faschismus freigesprochen werden. Dies führt uns wieder zu Alice Weidel. Der Antikommunismus hat sich in Deutschland seit den 50er- Jahren ideologisch systematisch nicht verändert und taucht immer auf, wenn die DDR mit dem Faschismus gleichgesetzt , die Taten des dritten Reichs verharmlost, die eigene Schuld und die Rolle des Kapitals verdeckt werden sollen. Gut verfolgen lässt sich dies an der Bundestagsdebatte um die Entschädigung kommunistischer Opfer des NS- Staates (2006), die sich nur um die DDR drehte oder an den neueren Äußerungen von Weidel und Musk. Dies ist Totalitarismustheorie in Reinform, die Kommunismus und Faschismus zu einem ,,linken‘‘ Regime verschweißt, um die faschistische AFD in maximaler Ferne zum Faschismus zu positionieren.
Dieser Widerspruch muss jedoch kontinuierlich aufgemacht werden, um diese Ideologie zu bekämpfen und die Massen in seine politische Arbeit einzubinden. Nur dann wird eine revolutionäre Politik auf Basis der Arbeiterinnen:bewegung möglich sein. Denn nur wenn wir Antikommunismus als antidemokratische Konstante begreifen, der in regelmäßigen Abständen gegen die Arbeiter:innenbewegung ins Feld geführt wird, um eine andere Politik zu verhindern, können wir Antikommunismus als Ideologie delegitimieren.