Das Ende der PKK?

28.02.2025, Lesezeit 9 Min.
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Foto: Alexandros Michailidis // shutterstock

Abdullah Öcalan, der inhaftierte Anführer der PKK, hat eine historische Botschaft gesendet. Die PKK solle sich auflösen und ihre Waffen niederlegen. Haben wir es mit dem Ende der kurdischen Guerilla zu tun?

Gegründet am 27. November 1978 in der kurdischen Stadt Amed, steht die Arbeiterpartei Kurdistans (kurdisch: Partiya Karkerên Kurdistan), die seit 1984 einen Guerillakrieg führt, an einem historischen Wendepunkt:

Der Zusammenbruch des Realsozialismus in den 1990er Jahren aus internen Gründen sowie der Zerfall der Politik der Verleugnung von ethnischen Identitäten im Land und die Fortschritte bei der Meinungsfreiheit führten die PKK in einen Zustand der Bedeutungslosigkeit. Infolgedessen hat sie, wie ähnliche Bewegungen, ihr natürliches Ende erreicht und ist an einem Punkt angelangt, an dem ihre Auflösung unausweichlich ist.

steht in dem Brief von Öcalan, der von der Delegation der DEM-Partei (ehemalige HDP) vorgelesen wurde. 

Wie kommt es dazu, dass Öcalan inmitten einer Phase der großen Repression gegen die Kurd:innen in der Türkei und Rojava eine solche Initiative ergreift? 

Friedensprozess reloaded?

Das heutige Klima erinnert an die Situation von 2013, als Öcalan bereit war, die PKK zur Entwaffnung aufzurufen. Der Friedensprozess manifestierte einen Versuch, Kurdistan mit „diplomatischen Mitteln“ zu kolonialisieren bzw. den Widerstand zu liquidieren. Doch der elektorale Aufschwung ermöglichte der ehemaligen HDP in den türkischen Metropolen an Einfluss zu gewinnen. Besonders unter Jugendlichen konnte sie schnell wachsen. Die nordkurdische Region konnte sie mehrheitlich anführen und bildete ein starkes Gegengewicht zur AKP. Gerade die Selbstverwaltung in Rojava und der Widerstand gegen Daesh in Kobane hat der kurdischen Bewegung eine Bühne geschaffen, wovon sie medial und politisch kurzfristig profitieren konnte. Doch der sogenannte Friedensprozess scheiterte im Jahr 2015, als Erdoğan die Wahlen verlor und die HDP sich weigerte, das von Erdoğan angestrebte Präsidialsystem zu unterstützen. Während die HDP unter Selahattin Demirtaş eine klare Abgrenzung von Erdoğan verfolgte, sah Öcalan die Möglichkeit eines Kompromisses: Er deutete an, dass eine Unterstützung des Präsidialsystems die Kurd:innen in eine vorteilhafte Situation bringen würde. Diese Meinungsverschiedenheit sorgte damals für Spannungen zwischen Demirtaş und Öcalan. Erdoğan bildete in dieser Phase eine Allianz mit der ultrarechten MHP, kündigte Neuwahlen an und begann mit einer Militäroffensive Richtung kurdische Städte. Die Politiker:innen der damaligen Delegation wie Sırrı Süreyya Önder, Ahmet Türk und Selahattin Demirtaş wurden verhaftet und/oder von ihren Ämtern suspendiert.  

Heute werden erneut Hoffnungen über einen neuen Friedensprozess geschürt. Der ganze Prozess begann interessanterweise mit dem Anstoß von Devlet Bahçeli, der die ultrarechte MHP anführt und seit 2015 ein Regierungspartner von Präsident Erdoğan ist. Er hatte Ende 2024 eine mögliche Freilassung Öcalans in Aussicht gestellt, sollte die PKK die Waffen niederlegen. Daraufhin stellte die DEM-Partei eine Delegation auf, die damit beauftragt wurde, Verhandlungen mit den Regierungsparteien aufzunehmen und Öcalan im Gefängnis zu besuchen. Ironischerweise befinden sich Sırrı Süreyya Önder und Ahmet Türk erneut in dieser Delegation. Im Zuge dessen besuchte die Delegation Öcalan zweimal. Beim dritten Besuch wurde der Brief von Öcalan veröffentlicht.

Es gibt einige wesentliche Unterschiede zu damals: Erstens ist Erdoğan viel stärker als damals. Er gilt als Gewinner in Syrien nach dem Sturz von Assad und hat in der Türkei das bonapartistische Präsidialsystem aufgebaut. Er hat geopolitische Ambitionen, die regionale Neuordnung entscheidend zu beeinflussen, und intern sucht er nach Bedingungen, um eine Wiederwahl zu erzwingen. Der neue Prozess soll unter anderem dazu dienen. 

Zweitens, es gibt kein Klima der Lockerungen aktuell. Auch damals sah es nicht nach einem Frieden aus, doch heute ist die Lage restriktiver. Selbst Ahmet Türk, Teil der Delegation, wurde im November 2024 seines Amtes enthoben, obwohl er legitim gewählter Bürgermeister war. 

Drittens, der bisherige Prozess enthält keine Forderungen im Gegensatz zu 2013. Die Kurd:innen wissen nicht, was sie im Gegenzug von der türkischen Regierung erwarten können. Das heißt, der sogenannte Frieden ist bisher noch nicht mit einem Inhalt gefüllt. 

Die Sackgasse der Guerilla

In einem kürzlich veröffentlichten Interview betonte Duran Kalkan, ein ranghohes Mitglied der PKK, dass es noch viele offene Fragen gibt:

So etwas wird nicht einfach am Schreibtisch verhandelt und durch Unterschriften gelöst, das sollte niemand denken. Die andere Seite möchte die PKK eliminieren, sie will sie vernichten (…) Es erfordert große Anstrengung und wird einen langen Prozess in Anspruch nehmen. Es wird durch den Kampf geschehen. Deshalb sollte niemand die Erwartung haben, dass der Frieden sofort kommt und die Probleme am Verhandlungstisch durch Gespräche gelöst werden

Die Frage ist, wie die PKK auf den Brief von Öcalan reagieren wird. Denn Öcalan betrachtet die PKK “in einem Zustand der Bedeutungslosigkeit” und “am Ende”, was strategische Konsequenzen mit sich bringen sollte. Die Orientierung am Selbstbestimmungsrecht sei demnach überholt:

Die zwangsläufigen Folgen eines extremen Nationalismus, wie die Forderung nach einem separaten Nationalstaat, Föderalismus, Verwaltungsautonomie oder kulturalistischen Lösungen, können keine Antwort bieten”. Die Lösung sollte an der Demokratisierung der türkischen Republik bestehen:“Es gibt keinen anderen Weg für die Suche nach Systemen und deren Umsetzung außer dem demokratischen. Es kann keinen solchen Weg geben. Demokratischer Konsens ist die grundlegende Methode.

Ein zentrales Motiv für Öcalans Vorstoß scheint seine Einsicht zu sein, dass es in Nordkurdistan keine ausreichende gesellschaftliche Basis mehr für einen Guerillakrieg gibt. Der bewaffnete Kampf, der einst in den ländlichen Gebieten Nordkurdistans starken Rückhalt hatte, hat an Bedeutung verloren. Stattdessen erstarkt die politische Bewegung der Kurd:innen in der Türkei zunehmend durch zivilgesellschaftliche und parlamentarische Mittel. Öcalan erkennt, dass ein Guerillakrieg nicht mehr der geeignete Weg ist. Doch seine Schlussfolgerung bedeutet einen Rechtsruck an seinen politischen Überzeugungen – von etappistischer Volksfront zur liberal-demokratische Integration in die türkische Republik. 

Die PKK hat niemals ernsthafte Versuche unternommen, sich unter Arbeiter:innen organisch zu verankern, um sie zum Subjekt ihrer Befreiung zu machen. Es wurde mittels einer voluntaristisch-subjektivistischen Theorie die Illusion verbreitet, dass die bewaffnete Propaganda objektive Bedingungen schaffen könnte, um Kurdistan zu befreien. Zwar organisierte sie die verarmten und landlosen Kurd*innen an der Basis, aber auch Teile der kurdischen Landbesitzer gehörten zu den Verbündeten. Auf dem 7. Parteikongress im Jahr 2000 entfernte die PKK die Reste der ohnehin schwachen sozialistischen Elemente endgültig aus dem Programm. Die neue strategische Orientierung basierte auf demokratischer Autonomie im Rahmen einer demokratischen türkischen Republik. Seitdem sind alle organisierten Kräfte der kurdischen Bewegung bemüht, die Regierungen von einem Friedensprozess zu überzeugen und den gesamten Fokus auf das türkische Parlament zu legen. Daher wurde die PKK allmählich zu einer passiven Kraft im Nordkurdistan, während die parlamentarische Partei (unter unterschiedlichen Namen angesichts der Verbotsverfahren) die Bühne betrat. Die heutige Entwicklung muss in diesem Zuge betrachtet werden. 

Ob die Guerillas ihre Waffen niederlegen, oder sich den Kräften im Iran oder Rojava anschließen, ist eine taktische Frage. Das strategische Problem ist, dass sich die kurdische Bewegung als Ganze in einer Sackgasse befindet.

Auffällig ist, dass Öcalan in seinem angeblichen Aufruf keinerlei Bezug zu Rojava, der autonomen kurdischen Region in Nordsyrien, nimmt. Mazlum Abdi, Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), betonte diesbezüglich:

Öcalans Aufruf richtet sich direkt an die PKK, er ist auf die Entwaffnung der PKK-Guerillas gerichtet. Er ist nicht direkt an unsere Region und unsere Kräfte gerichtet. (…) Wenn dieser Prozess erfolgreich ist, wird dies eine positive Auswirkung auf uns haben, und die Türkei wird keinen Vorwand mehr haben, um in unsere Region anzugreifen.

Doch die Hoffnung von Abdi scheint nicht realistisch zu sein. Denn der sogenannte Übergangspräsident Syriens Mohammed al-Julani ist ein enger Verbündeter Erdoğans, der immer wieder betont, dass sie es nicht akzeptieren werden, “dass irgendeine Gruppe Waffen in der Hand hält.“ Die Selbstverwaltung Rojavas entspricht auch nicht dem neuen syrischen Modell, weshalb der Druck auf die SDF nach wie vor bestehen bleiben wird.

Die kurdische nationale Unterdrückung bleibt ungelöst

Der Brief von Öcalan hat eine neue Phase in der Türkei und Nordkurdistan eingeleitet. Ob er damit das Ende der PKK eingeleitet hat, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Entscheidend wird sein, wie die PKK selbst auf diesen Aufruf reagiert und ob ihre Führungsstruktur bereit ist, diesen radikalen Schritt mitzutragen. Spaltungen innerhalb der kurdischen Bewegung sind wahrscheinlich.

Die Annahme der kurdischen Politiker:innen ist, dass die türkische Regierung nun dazu verpflichtet ist, mit einem demokratischen Angebot dem Aufruf von Öcalan entgegenkommt. Verweigert sie dies, würde sie sich demnach selbst diskreditieren. Die kurdische Bewegung betont nämlich, dass sie die Waffen nicht mehr aus strategischer Überzeugung, sondern aus Notwendigkeit trägt, da es ihr nicht ermöglicht wird, auf legalem Boden Politik zu machen. Die Vorstellung, dass die türkische Regierung dadurch unter Druck gesetzt würde, ein demokratisches Angebot zu unterbreiten, hat keine seriöse Grundlage. 

Dass der Brief keine Forderung enthält, nicht mal auf demokratischer Ebene wie Kurdisch als Amtssprache, Anspruch auf Autonomie, Amnestie für politische Gefangenen etc., klingt wie eine Bankrotterklärung. Es spricht aktuell nichts dafür, dass die rechte Regierung in der Türkei den unterdrückten Kurd:innen ihre demokratischen Rechte zugesteht, geschweige denn ihr die Ausübung der Selbstbestimmung gewährt. Der gesamte Prozess wirkt eher wie Zwang als ein Friedensprozess. Das bedeutet, dass die kurdische Bewegung unter enormen Druck gesetzt wird: Entweder die PKK wird aufgelöst (und letztlich auch die SDF in Rojava/Syrien), oder die DEM-Partei sieht sich verstärkter Repression ausgesetzt und eine neue Militäroffensive wird eingeleitet.

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