Das Atomabkommen: Gewinner, Verlierer und historische Perspektive

20.07.2015, Lesezeit 8 Min.
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// Die Wiedereinführung diplomatischer Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, die seit der Revolution 1979 unterbrochen waren, biegt die Balken der geopolitischen Struktur, die den Nahen Osten seit rund 40 Jahren prägt. //

Am 14. Juli unterschrieben die USA, an der Spitze der sogenannten 5-Plus-1-Gruppe aus den fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland, ein Abkommen mit dem Iran. Es schränkt Irans Nuklearprogramm für mindestens 15 Jahre ein, im Gegenzug lassen die Westmächte ihre Wirtschaftssanktionen fallen. Der sogenannte Joint Comprehensive Plan of Action schließt den fast zweijährigen Prozess durchgehender Verhandlungen, Verlängerungen und geheimer US-Diplomatie auf verschiedenen Ebenen ab.

Der Kern des Abkommens, Irans Verpflichtung, die Anzahl der Maschinen zur Anreicherung von Uran von aktuell 19.000 auf 6.000 zu verringern, nicht mehr als 300 kg angereichertes Uran von den 10.000 kg, die sie heute besitzen (und wahrscheinlich nach Russland exportieren), herzustellen und sich über 15 Jahre hinweg den Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde zu unterwerfen.

Das Abkommen wird erst in Kraft treten, wenn der UNO-Sicherheitsrat ihn in eine Resolution gießt und die erste Runde der Inspektionen abgeschlossen sein wird. Also wird das tatsächliche, graduelle Fallenlassen der Sanktionen erst in bis zu fünf Monaten beginnen, auch wenn das iranische Regime anderes behauptet.

Auf der anderen Seite wird das Embargo für konventionelle Waffen, das auf dem Iran lastet, fünf weitere Jahre in Kraft bleiben, während die USA weiter ihre strategischen Partner bewaffnen: Im Mai beschloss der Kongress den Verkauf von Waffen in Höhe von 1,9 Milliarden US-Dollar an Israel; Saudi-Arabien gab im Jahr 2014 eine Summe von 80 Milliarden US-Dollar für Waffen aus.

Beide Seiten feierten den Sieg und benutzten dafür den Teil des Abkommens, der ihnen lieb war. Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif sprach sogar von einer „Win-Win-Situation“. Bei der Analyse der unmittelbaren Verhandlungsergebnisse machen die meisten KommentatorInnen eine erste Einteilung in Gewinner und Verlierer.

Auf der Seite der Sieger stehen:

Barack Obama: Die Unterschrift unter das Abkommen ist vielleicht, zusammen mit der Normalisierung der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen mit Kuba, der einzige wirkliche außenpolitische Erfolg aus zwei Legislaturperioden.

Vom innenpolitischen Gesichtspunkt aus versucht Obama der republikanischen Opposition zu beweisen, dass er kein lame duck ist und hofft, wie er es im Interview in der New York Times kundtat, ein Vermächtnis zu hinterlassen, das sich mit dem Nixon-Abkommen mit China oder dem von Reagan mit der Sowjetunion vergleichen lässt. Das und die bessere wirtschaftliche Situation lassen die DemokratInnen hoffen, die kommenden Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.

Iran, besonders Präsident Hassan Rouhani: Für die Islamische Republik bedeutet das Abkommen das Abstreifen des Status als Ausgestoßener, in das ihn Präsident Bush 13 Jahre lang verdammte, indem er ihn gemeinsam mit Nordkorea und dem Irak in seine berühmte „Achse des Bösen“ einordnete.

Das Abkommen legalisiert Irans Nuklearprogramm international, das mit Einschränkungen weiter läuft. Die beiden Flügel des Regimes – die Reformorientierten in der Präsidentschaft und die konservativeren Sektoren, die den Staat durch den religiösen Anführer Ali Khamenei anführen und im Militär und der Wirtschaft vorherrschen – benutzen das Abkommen für ihre Zwecke. Sie können vorweisen, die nationale Demütigung verhindert zu haben, die eine komplette Ablehnung des Nuklearprogramms bedeutet hätte. Dieser Erfolg verhindert bisher größere Risse innerhalb des Regimes.

Vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus wird sich der Iran von den Sanktionen der USA und der EU befreien, die in den letzten Jahren das Land erdrückten, was zu inneren Kämpfen und zum Unmut der Massen betrug. Diese Elemente sind ausreichend, um Irans Rolle als Regionalmacht angesichts ihrer traditionellen Rivalen, vor allem Saudi-Arabien, zu festigen und Verbündeten wie Hizbollah neuen Aufwind zu verschaffen.

Russland: gewinnt doppelt. Geopolitisch gesehen hat es in der internationalen Politik Spielraum zurückgewonnen, auch wenn es sich in seiner schlimmsten Auseinandersetzung mit dem Westen mit dem Ukraine-Konflikt befindet. Obama hat nicht nur Russlands Rolle in den Verhandlungen positiv bewertet, sondern auch seine Bereitschaft zu einer Verhandlungslösung in der Syrienkrise. Putin erwartet nicht mit den fallenden Sanktionen einerseits Waffenverkäufe nach Iran, andererseits hofft er, angereicherten Urans kaufen zu können, das der Iran nicht mehr auf seinem Gebiet horten darf.

Auf der Seite der Verlierer stehen:

Saudi-Arabien: Die saudische Monarchie fürchtet, dass die Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und dem Iran die bevorzugte Rolle gefährden, die sie bisher für die Aufrechterhaltung der US-Interessen in der Region spielte.

Historisch war der Iran der Hauptfeind der saudischen Monarchie. Diese Rivalität spitze sich nach der Revolution von 1979 zu, dessen Auswirkungen in der gesamten muslimischen Welt zu spüren waren. Die regionale Stärkung des Iran als Nebeneffekt der US-Intervention in den Irak, des Sturzes von Saddam Hussein und des Wiederaufflammens des Konflikts zwischen SchiitInnen und SunnitInnen verschärfte den Zwist mit Saudi-Arabien. Zahlreiche AnalystInnen sprechen inzwischen von einem kalten Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, der BürgerInnenkriege von Syrien über Irak bis in den Jemen anfeuert. Die Möglichkeiten der Öl- und Gasproduktion des Iran als Folge der Aufhebung der Sanktionen bilden die wirtschaftliche Ebene dieses geopolitischen Konfliktes.

Israel: Die Beziehungen zwischen Obama und dem ultra-rechten israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu sind schwer beschädigt, sodass Netanyahu gemeinsam mit der republikanischen Opposition im Kongress offen gegen das Abkommen mit dem Iran kämpft. Der israelische Premier will einerseits verhindern, dass ein palästinensischer Staat entsteht, und andererseits, dass der Iran sich als Regionalmacht stärkt. Noch viel weniger will er, dass der Iran Atomwaffen in seinen Besitz kommt, was als direkte Bedrohung für die Sicherheit Israels gewertet würde. Gemeinsam mit den HardlinerInnen der RepublikanerInnen übte er ohne Erfolg Druck auf Obama aus, eine härtere Linie einzuschlagen, die von Sanktionsverschärfungen bis zu einer irgendwie gearteten militärischen Intervention gereicht hätte. Deshalb bezeichnete Netanyahu das Abkommen jetzt als „einen historischen Fehler“.

Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass die strategische Allianz zwischen den USA und Israel infrage steht. Jedoch werden die Beziehungen bis zum Ende Obamas Mandats angespannt bleiben, was zu einem taktischen Wechsel der Politik gegenüber Israel führen könnte.

Der US-Kongress: Der Kongress hat nun 60 Tage zur Diskussion des Abkommens. Es ist höchstwahrscheinlich, dass die republikanische Mehrheit in beiden Kammern mit Nein stimmen wird. Nichtsdestotrotz kündigte Obama schon jetzt an, dass er jegliches Abstimmungsergebnis, das das erreichte Abkommen infrage stellen würde, mit einem Veto blockieren wird. In diesem Fall bräuchten die RepublikanerInnen eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um das Präsidenten-Veto außer Kraft zu setzen – was ihnen fehlt. Auch wenn sie die Debatte im Kongress als weiteres Argument in ihrer Wahlkampagne benutzen und das Sanktions-Gesetz (das genauso wie das Embargo gegen Kuba nur durch den Kongress geändert werden könnte) aufrecht erhalten, werden sie den vom Präsidenten eingeschlagenen Kurs nicht ändern können, zumindest nicht bis zum Ende von Obamas Mandat.

Eine Sache ist das „Foto“ des Abkommens, eine andere der ganze „Film“

Der pragmatische Schwenk von Obama soll die Zusammenarbeit des iranischen Regimes zur Lösung von regionalen Konflikten ermöglichen, die die US-amerikanischen Ressourcen seit mehr als einem Jahrzehnt verschlingen: Die BürgerInnenkriege in Syrien und im Irak, die Besetzung von Afghanistan, das Problem des Islamischen Staats.

Nach der Niederlage der kriegerischen und einseitigen Strategie von Bush und den neocons scheint Obama wieder zum traditionellen Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Mächten im Nahen Osten zurückzukehren, das den USA ermöglicht, ihre diplomatischen und militärischen Kräfte dem asiatischen Pazifik hinzuwenden.

Doch abseits der Stellungnahmen zeigte die Situation auch die Grenzen der nordamerikanischen Macht auf: Die USA konnten ihre traditionellen Verbündeten, vor allem Saudi-Arabien und Israel, nicht kontrollieren. Diese verfolgen ihre eigenen Interessen durch wechselnde, die der US-Politik nicht immer zuträglich sind. Das kündigt weitere Konflikte in einer von Instabilität und Chaos verworfenen Region an – mit Staaten, die vor der Auflösung stehen und einem BürgerInnenkrieg innerhalb des Islam, der noch lange nicht zu Ende ist. Deshalb wird sich die wirklich historische Reichweite des Abkommens erst noch zeigen.

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