Das 9-Euro-Ticket ist ein Anfang: Nahverkehr jetzt ausbauen!

01.06.2022, Lesezeit 4 Min.
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Volle Bahnsteige wie hier in Hamburg 2016 sind zumindest heute wohl noch ausgeblieben. Bild: Kevin Hackert

Ab heute kostet der Nahverkehr neun Euro im Monat – aber nur vorübergehend. Viele befürchten volle Busse und Bahnsteige. Es braucht dauerhaft günstige Tickets, den massiven Ausbau des Netzes und engere Takte.

Das Wichtigste zuerst: Das befürchtete Chaos ist wohl ausgeblieben. Seit heute gilt das von Vielen heiß erwartete, von manchen eher befürchtete 9-Euro-Ticket. Für neun Euro im Monat kann man bis Ende August im Nahverkehr fahren, so viel man möchte. Da das Ticket personalisiert ist, muss man jedoch ein gültiges Ausweisdokument vorweisen können.

Für Pendler:innen, Bewohner:innen von Großstädten und Urlauber:innen stellt das Ticket für die nächsten drei Monate sicherlich eine große Entlastung dar. In Berlin beispielsweise kostet eine 24-Stunden-Karte für das gesamte Stadtgebiet 8,80 Euro, also fast so viel wie das Ticket jetzt für den ganzen Monat und das gesamte Bundesgebiet!

Was bleibt, ist die Frage, was im September kommt. Ingo Wortmann, Präsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), erklärt in einem Interview dem Redaktionsnetzwerk Deutschland:

Wir werden mittelfristig die fehlenden Gelder auf die Fahrpreise umschlagen müssen oder das Angebot einschränken. Die Ticketpreise werden also weiter steigen – nicht direkt zum 1. September, aber in den nächsten Preisrunden. Leider kommen wir dann in die Situation, dass Menschen, die ohnehin schon belastet sind, für ihre Fahrten mehr bezahlen müssen.

Also bedeutet die kurze Entlastung, dass danach die Fahrpreise weiter steigen werden. Für die kurzfristige Entlastung darf sich die Bundesregierung feiern lassen. Die Auswirkungen und Mängel sind hingegen nicht gleich sichtbar.

Denn in ländlichen Regionen nützt es einem wenig, wenn man für eine Strecke von 15 Kilometern immer noch durch Umstiege und langsame Busse anderthalb Stunden benötigt. Es braucht einen massiven Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur auf dem Land. Besonders Schichtarbeiter:innen haben dadurch, dass Busse und Züge auf dem Land ab dem späteren Abend quasi nicht fahren, keine andere Möglichkeit, als das Auto zu benutzen und profitieren nicht von den Vergünstigungen. Oder aber der Takt ist so schlecht, dass trotz kurzer Strecke der Arbeitsweg viel umständlicher wird. Hier wäre eine Taktverdichtung angesagt.

Es geht die Sorge um, dass Züge und Busse nun nach der Einführung des günsitgen Fahrscheins völlig überfüllt sein werden. Vertreter:innen der rechten Lobbyorganisation „Deutsche Polizeigewerkschaft“ haben bereits in Aussicht gestellt, dass die Polizei im Zweifelsfall auch Bahnsteige räumen würde. Sollte das zur alltäglichen Praxis werden würde, wären viele Bahnfahrer:innen potenzieller Polizeigewalt ausgesetzt.

Gegen volle Züge hilft ebenfalls nur eine Taktverdichtung. Diese wäre nicht nur für die nächsten drei Monate eine Entlastung. Sie würde auch insgesamt die Attraktivität des Nahverkehrs massiv erhöhen. Dadurch würden nicht nur die Pendler:innen und Reisenden entlastet, sondern auch das Zugpersonal.

Der Trend weist hingegen in eine andere Richtung. Entgegen allem Lob für den öffentlichen Nahverkehr als umweltfreundliches Fortbewegungsmittel wurde im reichen München erst im April darüber diskutiert, wo das Angebot verkleinert werden könnte. Die Münchner Verkehrsgesellschaft hatte einen Plan vorgestellt, wo die Takte für Busse, U-Bahnen und Trams ausgedünnt werden könnten. Nach einem öffentlichen Aufschrei sind die Pläne nun vorerst vom Tisch.

Ein angemessener Ausbau der Bahn-Infrastruktur und die nötige Taktverdichtung im Nahverkehr kosten erheblich mehr als das 9-Euro-Ticket selbst. Das muss durch Steuern auf große Vermögen und insbesondere auf die Mineralölindustrie, die sich mit dem Tankrabatt die Taschen füllen lässt, finanziert werden. Auch die selbstauferlegte Schuldenbremse hält die Regierung nicht davon ab, für die Projekte, die ihr wirklich wichtig sind, das nötige Geld in die Hand zu nehmen. Das zeigt eindrücklich das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Aufrüstung, das am Freitag durch den Bundestag gehen soll. Mit 100 Milliarden könnte man im Personenverkehr Einiges bewegen.

Damit ab September steigende ÖPNV-Preise nicht wieder zu einer Alltagssorge für Viele werden, muss das bundesweite 9-Euro-Ticket zu einer Dauereinrichtung werden. Letztlich jedoch sollten wir uns Ticketkontrollen, die allzu häufig gewalttätig verlaufen, insgesamt sparen können. Das heißt: kostenloser ÖPNV für alle! Egal ob mit Ausweis oder ohne.

 

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