#CoronaRealität Nr. 2: „Unsere Gesundheitsversorgung ist auf Krisen wie diese nicht vorbereitet“

16.03.2020, Lesezeit 6 Min.
Gastbeitrag

Weitere Zusendungen zu unserer neuen Serie #CoronaRealität: Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, unhaltbare Zustände im Krankenhaus. Postet unter #CoronaRealität oder in Kommentaren eure eigene Erfahrungen aus dem Alltags- und Arbeitsleben. Lasst uns unsere Stimmen stärken, damit nicht die Arbeiter*innen für diese Krise bezahlen.

1

„Die Auswirkungen der sich verschärfenden Maßnahmen sind spürbar bei uns in der Arbeit angekommen. Aber auch die Stimmungen der Bevölkerung.
Täglich gibt es Veränderung: neue Hygieneanweisungen, Informationen über die aktuelle Situation und grobe Pläne, wie wir weiter machen sollen. Aber wie auch in der normalen Bevölkerung, denken wir darüber nach, was noch auf uns zukommt. Die Situation ist unsicher und es gibt keinen vorstellbaren Plan, der für uns Beschäftigte und die Patient*innen gut sein könnte.

Es gibt jetzt schon materielle Probleme. Desinfektionsmittel wird viel aus den Lagern geklaut und die Vorräte werden weniger. Scheinbar gibt es Lieferengpässe bei den Schutzmasken, die wohl in absehbarer Zeit nicht mehr verfügbar sein werden. Wir müssen sparsam sein und deswegen jetzt schon so arbeiten, wie es eigentlich nicht sein darf.

Wie sollen wir uns schützen? Wie sollen wir unsere Patient*innen schützen?
Wir wollen weiterhin gute Arbeit machen, aber diese Kapazität hat das Gesundheitssystem nicht.

Seit Ende letzter Woche gibt es das Besuchsverbot. Die Stimmung im Krankenhaus wird anders, aber wir wollen in Ruhe weiter arbeiten.

Doch in der Stationsarbeit müssen wir fachfremde Patient*innen versorgen, zum Beispiel geriatrische und unfallchirugische Patient*innen. Dafür sind wir nicht ausgebildet und unsere Patient*innen werden nicht angemessen betreut. Ich muss Situationen einschätzen und Pflegearbeit übernehmen, die ich maximal theoretisch gelernt habe. Der Bettenmangel und der Personalmangel, lang vor der Coronakrise bestehende Probleme, verschärfen sich jetzt. Wir und unsere Patient*innen sind die Leidtragenden.

Wir wissen noch nicht, wie es für uns als Personal weiter gehen soll. Ich habe Angst vor der kommenden Krise, wenn ich weiß, was die aktuellen Maßnahmen schon sind. Angst, in Bezug auf die Arbeitssituation.

Momentan sollen Eltern bzw. Mütter für die Kinderbetreuung unbezahlten Urlaub oder Freizeitausgleich nehmen. Es wird von einem Urlaubsverbot für Beschäftigte gesprochen, wenn sich die Situation weiter zuspitzt. Die Richtung ist klar, wir arbeiten in systemerhaltenden Berufen und müssen vor allem in Krisenzeiten arbeiten.

Doch das Gesundheitssystem kann die Coronakrise nicht stemmen, die Verantwortung lastet auf den Beschäftigten. Jahrelang wurden akute Probleme bewusst nicht beachtet. Genau diese Probleme werden jetzt noch akuter. Und das macht mich wütend, weil unsere Gesundheitsversorgung auf Krisen wie diese nicht vorbereitet ist.

Wir sind die, die so viel von dieser Gesellschaft am Laufen halten. Immer und auch jetzt müssen wir es tun. Jetzt besonders die Beschäftigten im Gesundheitssystem. Wir tragen viel Verantwortung, die uns normalerweise nicht zugestanden wird. Wir wollen jetzt nicht die sein, die die Verantwortung alleine tragen müssen. Wir sind die, die jetzt weiterarbeiten und kompensieren müssen, damit alles weiter funktioniert. Und wir haben nicht das, was wir brauchen. Uns hilft kein Dankeschön. Auch jetzt, wie immer, sollten wir umso mehr klare Forderungen für die Berufe im Gesundheitssystem haben.“
– Hebamme im Krankenhaus

„Ich arbeite in einer heilpädagogischen Wohngruppe der Kinder- und Jugendhilfe.
Bei uns leben neun Kinder, die auf verschiedene Schulen gehen und unterschiedliche Jahrgangsstufen besuchen. Jedes einzelne kam durch den Schulausfall mit einem riesigen Stapel an Arbeitsaufträgen und Schulstoff nach Hause. Die Beschulung zuhause, die in einem normalen Haushalt mit Eltern und 1-3 Kindern noch ganz gut zu handhaben ist, müssen wir in unseren Diensten, bei denen wir maximal zu zweit, teilweise alleine sind, jetzt mit neun Kindern bewerkstelligen. Mit Kindern, die auch allesamt „sozialpädagogische Bedürfnisse“ haben, aufgrund von diversen psychischen und traumatischen Belastungen, eine denkbar utopische Aufgabe.

Darüber hinaus gibt es bisher keine Information vom Arbeitgeber, Jugend- oder Gesundheitsamt für uns, was im Falle einer Infektion bei Pädagogen oder Kindern passiert.“
– René, Instagram

„My mother has a slightly sore throat and is not allowed to work (at the hospital). At the official place for getting tested they won’t test her because she has not been in contact with someone known to be infected and has not been in one of the countries of risk. So far so good.

At the hospital they don’t have tests for the staff because it’s too expensive and the state won’t pay for it unless 50% of the staff are in quarantine!!! Why????? I get that testing people with heavy symptoms is more important but hospital staff?????? Nooooo it’s too expensive, let’s wait…🤦🏻‍♀️🤦🏻‍♀️🤦🏻‍♀️“
– Paula, Instagram

„Hi, ich würde auch gerne sagen inwieweit sich Corona auf mein Leben und Umfeld auswirkt.

Erstmal gehöre ich einerseits, durch Asthma, zu einer Risikogruppe. Andererseits kann ich aus vielen verschiedenen Gründen nicht in Quarantäne bleiben und habe Angst krank zu werden. In meinem Umfeld ist es inzwischen so schlimm, dass einige Leute ihre Jobs verloren haben, weil der Umsatz fehlt (Gastronomie) durch das Absagen von Veranstaltungen etc. Die müssen jetzt schauen wo sie bleiben, meist ohne Erspartes. Ich frage mich, wie solche Menschen aufgefangen werden sollen.“
– Anonym, Instagram

„Es ist halt lächerlich, dass keiner davon redet, Kassierer*innen jetzt Krisengehälter zu zahlen. Die Bundesregierung spricht von unbegrenzten Krediten für riesige Firmen und wir sitzen 6-8 Stunden pro Tag, 4 Tage die Woche. in einem Laden und fassen pro Stunde 100 Hände und unendlich Geld an. Das ist für unter 12 Euro die Stunde halt einfach nicht machbar, wenn man sich quasi direkt der Gefahr aussetzt.“
– Anonym, Supermarktbeschäftigter

„Meine Kollegin saß weinend am Schreibtisch, weil sie zwei kleine Kinder hat und niemanden für die Betreuung…unser Chef meinte nur: das ist ihr persönliches Problem. Wir sind bei einer großen kirchlichen Einrichtung beschäftigt und beraten Menschen in persönlichen Krisen, aber wir Mitarbeiter*innen erfahren keine Solidarität oder christliche Nächstenliebe. Es ist so enttäuschend.“
– Mary Jane

Mehr zum Thema