#Coronarealität: Leben im Lockdown als Student und Pizzalieferant

08.08.2020, Lesezeit 9 Min.
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Während 40 Prozent aller Studierenden mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie ihre Jobs verloren, fing Fabian an zu arbeiten. Der 22-jährige Lehramtsstudent aus Berlin liefert Pizza aus und sprach mit uns über Uni, Arbeit und Unsicherheit.

Lass uns im März anfangen: Es waren Semesterferien. Dann kamen die Ausgangsbeschränkungen, es wurde klar, dass die Uni online stattfindet, die Schulen wurden geschlossen, der Lockdown ging los. Wie hat sich dein Leben innerhalb von wenigen Tagen dann geändert?

Zu Beginn hab ich noch gar nicht richtig realisiert, was passiert und inwiefern das mein Leben verändern wird, weil ich Corona am Anfang total unterschätzt habe. Wir haben zwei Wochen vor dem Lockdown bei uns in der WG noch eine ironische sogenannte „Corona-Party“ veranstaltet. Nachdem die ersten Infektionszahlen in Berlin erkennbar waren, haben wir dann doch gemerkt, dass es deutlich ernster wird und auch uns tangieren kann. Dann kam der Zeitpunkt, wo es hieß „Bleibt alle zuhause“ — was wir auch die ersten zwei, drei, vier, fünf, sechs Wochen relativ konsequent ausgehalten haben.

Ich hab am Anfang des Semesters noch die Utopie im Kopf gehabt, ich könne relativ nah an der Regelstudienzeit dran bleiben. Zwei/drei Wochen später kam die bittere Erkenntnis, dass es für mich nicht möglich ist, das gleiche Lernpensum oder die gleiche Punktzahl in diesem Semester zu erreichen, wie in jedem anderem. Die ersten Wochen Online-Uni haben noch halbwegs gut funktioniert — bis ich merkte, dass ich — und viele andere auch — nicht vorm Laptop produktiv arbeiten kann, weil ein flimmerndes Bild vor mir eine verzerrte Realität darstellt. Es kann sein, dass manche Menschen das voll gut können, aber für mich selbst war es über mehrere Stunden am Tag kaum schaffbar. Srärkere Kopfschmerzen kamen hinzu und meine so oder so schon da gewesenen Konzentrationsschwächen verschlimmerten sich. Am Ende beendete ich zwei von sechs gewählten Kursen. Nach zwei Wochen hab ich die ersten zwei geschoben und nach weiteren zwei Wochen zwei weitere.

Auf meinem eigenen Schreibtisch und innerhalb der eigenen 4 Wände, welche voller Ablenkungen stecken, konnte ich schwerlich effektiv für die Uni arbeiten. Ich bin ein Mensch, der sehr stark davon abhängig ist, dass Menschen um ihn herum beschäftigt sind. Ein Mensch, der davon abhängig ist, dass er eine Aufgabe hat und Druck verspürt, diese zügig zu erledigen. Eigentlich waren die Räume der Uni und die Kommiliton*innen neben mir immer der Ansporn, der Druck, der von außen kommt, das durchzuziehen — und das war nicht mehr da. Zwei Prüfungen hatte ich zum Glück schon geschrieben, die dritte hätte ich dann online nachholen können, aber dazu reichte am Ende die Motivation auch nicht, weil die Prüfungsvorbereitung am eigenen Schreibtisch sich stark von der Prüfungsvorbereitung in der Bib unterscheidete oder mit anderen Kommiliton*innen, die einen unterstützen oder die ich unterstützen kann. Der Arbeitsaufwand ist auch gewachsen. Viele Sachen, die man in Interaktion mit Menschen machen konnte, haben sich auf Alleinarbeit verschoben und dadurch hat es deutlich mehr Zeit benötigt, Texte vorzubereiten. Über Zoom Texte ordentlich zu besprechen, war schwierig, und so hat die Vor- und Nachbereitung der Texte deutlich mehr Zeit gekostet. Es gab deutlich mehr Hausaufgaben und Arbeitsaufträge als im Präsenzsemester, die dann auch deutlich mehr Zeit kosteten. Ich finde das gemeinsame Lernen sehr wichtig, denn durchs Erklären lernt man und durchs Erklärt-bekommen auch. Das sind viele Aspekte, die in meiner WG nicht möglich waren, weil ich mit einer biochemischen Laborassistentin und einem Veranstaltungstechniker zusammen wohne, die, wenn ich denen was von Politik und Deutsch erzähle, nur mit den Augen rollen und nicht wissen, was ich überhaupt meine.

Wie war’s denn in deiner WG?

Meine Mitbewohner*innen waren Vollzeit Zuhause. Der Veranstaltungstechniker ist immer noch Zuhause, weil er immer noch keine Arbeit hat und meine Mitbewohnerin ist teilzeit wieder auf Arbeit. Es war auch schon relativ belastend. Ich hab meine Mitbewohner*innen nie als nervende Personen wahrgenommen, weil ich sie vor Corona zwei bis drei Tage die Woche gesehen habe. Die Umstellung von zwei bis drei Tage auf sieben Tage die Woche, 24/7 — mit Ausnahme von Einkaufen oder mal im Park sitzen — war eine Belastung, zwischenmenschlich und interaktiv. Es gab Tage, wo wir uns nur in unseren Zimmern verkrochen und mit niemandem sprachen, weil die Personen, die man jeden Tag sah, zu viel wurden.

Anders als die beiden bist du ja auch während des Lockdowns arbeiten gegangen.

Genau. Im Gegensatz zu vielen anderen — 40 Prozent aller Studierenden haben ihren Job verloren — hab ich im April angefangen zu arbeiten, weil ich Glück hatte, dass ich meinen Chef noch von damals kannte und die Auftragszahlen bei PizzaMax und vielen anderen Lieferdiensten mit Beginn der Coronakrise gestiegen sind. Diese Unternehmen brauchten neue Mitarbeiter*innen. Innerhalb von zwei Tagen hatte ich wieder Arbeit, auf 450€-Basis. Mir hat das in meiner finanziellen Situation sehr geholfen. Das erste mal komme ich raus aus dem Kreislauf zwischen broke und komplett broke. Ich konnte mir sogar finanzielle Ressourcen anlegen, die im Falle eines zweiten Lockdowns oder fürs tatsächliche Studieren relativ hilfreich sein dürften.

Viele Menschen, die beliefert wurden hatten, primär im April und Mai, sehr viel Angst vor persönlichem Kontakt. Die meisten haben einen Briefumschlag mit Trinkgeld vor die Tür gelegt, warteten hinter der Tür und sagten, dass ich das Essen hinstellen solle und sie es dann in zwei Minuten reinholen würden. Im Laufe der Coronakrise und der Lockerungen haben dann viel mehr Menschen wieder die Tür geöffnet, Hallo gesagt und mittlerweile gibt es das kaum bis gar nicht mehr, dass Menschen irgendwie Angst hätten vor persönlichem Kontakt mit den Lieferant*innen. Auch auf Arbeit haben am Anfang des Lockdowns viele Maske getragen, in der Küche und auch im vorderen Bereich des Ladens. Mittlerweile trägt kaum noch jemand Maske oder hält sich an Abstandsregeln.

Das ist ja schon auch ein Risiko für dich.

Ja, das ist ein Risiko, eben auch weil ich anders als bei meinen Freund*innen jetzt nicht weiß, wo die Leute sind, was sie machen und wie sie sich verhalten. Ich trage oft immer noch eine Maske, aber das Infektionsrisiko ist natürlich gestiegen, weil die Kolleg*innen sich kaum noch dran halten.

Wie hast du die Lockerungen wahrgenommen?

Ich hab das Gefühl, dass ich viel Zeit hatte, darüber nachzudenken, woraus mein Leben bestand und unabhängig von der Perspektive Uni waren auch weitere feste Bestandteile in meinem Leben wie zu Demonstrationen zu gehen, Freund*innen zu treffen, immer wieder durch Berlin zu cruisen. Dass das weggefallen ist, hat mir selbst total wehgetan und mich belastet. Auf einmal hatte ich das Gefühl, nichts zu tun zu haben und in dieses Loch reinzufallen, keine Aufgabe zu haben. Und dieses Gefühl hat selbst einen psychisch nicht kranken Menschen, als den ich mich sehen würde, frustriert. Ich hatte das erste Mal in meinem Leben kleinere depressive Schübe. Ich könnte jetzt Sport machen, ich könnte jetzt lesen, aber die Zeit alleine Zuhause zu nutzen für eigene Interessen oder neue Interessen zu entwickeln, die außerhalb sozialer Kontakte stehen, war doch schwieriger, als ich zu Anfang gedacht hatte.

Ich bin zufrieden, dass das soziale Leben wieder phasenweise hochgezogen wurde, und ich fühl mich auch mit jeder weiteren Lockerung, mit jeder weiteren Bar, die öffnet, mit jeder weiteren legalen Tanzveranstaltung, mit jeder weiteren Geburtstagsfeier, mit jeder weiteren Person, mit der ich mich treffen darf, freier in meinen Entscheidungen, was ich wann wo tun möchte. Das tut mir gut. Ich seh aber nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit, im Fall von steigenden Infektionszahlen, dass man das wieder einschränken wird. Ich weiß nicht, inwiefern wir aus der ersten Welle gelernt haben, damit umzugehen und ich weiß auch nicht, inwiefern Menschen da anders reagieren. Ich weiß nicht, ob Menschen einen zweiten Lockdown mittragen.

Für die Arbeit wäre ein zweiter Lockdown finanziell positiv, mehr Aufträge, mehr Trinkgeld, mehr Arbeitszeit, mehr Lohn. Für die Uni würde ich mir wünschen, dass es immerhin zum Teil möglich ist, kleine Veranstaltungen in irgendeiner Form in Präsenz abzuhalten. Dass man in die Uni gehen kann, in die Bibs, die Räume. Auch mit Maske und Abstand, mit Hygienekonzept. Dass einfach ein Raum da ist, den man nutzen kann, um selbständig oder in Interaktion mit Menschen zu lernen.

Ich bin relativ enttäuscht darüber, dass sowohl der Unipräsident als auch jegliche Gremien in der Uni auf der einen Seite wenig Informationen freigeben, wann, wie, wo wieder Präsenzlehre möglich ist und wann, wie, wo Online-Kurse stattfinden. Der einzige Kontakt, den ich ansatzweise habe, sind Emails. Ich fühl mich nicht wahrgenommen als einzelner Studi, als Individuum, um da Einfluss zu nehmen im Entscheidungsprozess.

Ich glaube, Studis müssen sich mehr vernetzen, mehr kommunizieren untereinander, nicht nur über inhaltliche Themen, sondern auch darüber, wie das nächste Semester aussehen soll, inwiefern wir uns vernetzen und unterstützen können. Zum Beispiel für Menschen, die weniger gut selbständig lernen können, weniger Motivation haben zu lernen, dass diese Menschen, wenn es wieder einen Lockdown gibt, wenn es wieder ausschließlich Online-Uni ist, sich besser vernetzen, sich untereinander Hilfe suchen und auch mit befreundeten Kommiliton*innen gemeinsam Lehrveranstaltungen zu besuchen, gemeinsam Pläne macht, wie man damit umgeht.

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