Corona-Lockerungen kommen: Kniefall vor Querdenken und der Wirtschaft

17.02.2022, Lesezeit 6 Min.
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Sah das Ende der Pandemie schon im August 2020 gekommen: ein Querdenker auf einem Protest in Frankfurt. Bild: 7CO.

Die Ministerpräsidentenkonferenz beschließt zum 20. März fast alle Corona-Maßnahmen aufzuheben – ein weiterer Sieg der Durchseuchungsbefürworter:innen.

Nur noch etwas mehr als ein Monat, dann soll er kommen: der „Freedom Day“. Gestern wurden auf der Ministerpräsidentenkonferenz weitreichende Lockerungen der Maßnahmen zur Pandemieeindämmung beschlossen. Auf einer Pressekonferenz stellte Bundeskanzler Scholz (SPD) heute Vormittag den „Drei-Stufen-Plan” vor.

Schon ab morgen werden Kontaktbeschränkungen für Geimpfte und Genesene aufgehoben, auch die 2G-Regel im Einzelhandel fällt weg. In einem zweiten Schritt soll unter anderem in der Gastronomie nur noch die 3G-Regel gelten, Clubs für Genesene und Geimpfte werden wieder öffnen. Ab dem 20. März sollen dann schließlich „alle tiefgreifenden Schutzmaßnahmen” entfallen.

Die in Aussicht gestellten Lockerungen schließen bei Vielen an ein völlig verständliches Bedürfnis nach „Normalität” an. Eine endlos wirkende Serie von Teillockdowns, in denen stets hauptsächlich das Privatleben, jedoch kaum das Wirtschaftsleben eingeschränkt wurde, haben ihren Tribut gefordert. Nur: Die Pandemie ist eben noch nicht vorüber. Die Omikronwelle mag allmählich zurückgehen. Doch noch immer liegt die Inzidenz im mittleren Tausenderbereich, im Wochenschnitt waren gestern noch immer 182 Todesopfer des Virus zu beklagen. Dass die neue Omikron-Variante BA.2 die derzeitige Welle verlängern könnte, ist außerdem längst nicht ausgeschlossen.

Eine „Rückkehr zur Normalität” wird auch der 20. März nicht bringen. Vielmehr sind die angekündigten Lockerungen letztlich vor allem eine weitere Steigerung der Durchseuchungsstrategie. So verständlich das Gefühl der Erleichterung durch mehr Freiheit im Alltag auch sein mag, es kommt mit einem bitteren Beigeschmack.

Besonders für vulnerable Gruppen, für die auch eine Infektion mit dem „milderen“ Omikron hochgefährlich sein kann, wird der 20. März kein „Freedom Day“ werden. Um sich selbst zu schützen, bleibt dann nur die scheinbar selbst gewählte Isolation. Auch mögliche Langzeitfolgen einer Infektion (Long-Covid) nimmt der Beschluss der MPK für etliche Menschen billigend in Kauf, schließlich hat nicht jede:r einen milden Verlauf. Und auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen bedeuten dauerhaft hohe Inzidenzen eine zusätzliche Belastung zum ohnehin grassierenden Personalmangel.

Selbstredend werden die Maßnahmen nicht ewig aufrechterhalten werden können – und sollen es auch nicht. Doch statt einem klaren Plan, wie auch in den kommenden Monaten ein wirksamer Schutz aussehen kann, bleibt für uns nur die Aussicht auf eine Ansteckung und die Hoffnung auf einen milden Verlauf.

Zwei Elemente stellen derweil eine wirkliche Beruhigung des Pandemiegeschehens in Aussicht. Einerseits ist im April oder Mai mit der Auslieferung des auf die Omikron-Variante angepassten mRNA-Impfstoffs von Biontech zu rechnen. Zuerst hatte das Unternehmen in Aussicht gestellt, den Impfstoff schon Ende März bereitstellen zu können. Andererseits verspricht der kommende Frühling mit steigenden Temperaturen einen saisonalen Effekt, wie er auch in den Vorjahren zu beobachten war.

Der Expertenrat der Bundesregierung warnt aber bereits jetzt vor einer neuen Infektionswelle, die uns im kommenden Herbst erwarten wird. Schließlich bleibt das Risiko neuer Virusvarianten bestehen, solange das Virus in vielen Teilen der Welt aufgrund niedriger Impfquoten und fehlender eindämmender Maßnahmen frei zirkulieren kann.

Vorausschauend zu handeln, muss deshalb heißen, die Patente auf Corona-Impfstoffe und Medikamente umgehend aufzuheben. Jetzt sollte auch der Zeitpunkt sein, um Testkapazitäten aufzubauen, was im vergangenen Sommer sträflich vernachlässigt wurde. Klar ist auch, dass bis zum Herbst die Impfrate deutlich angehoben werden muss. Dafür ist das richtige Mittel jedoch nicht die noch immer diskutierte Impfpflicht, sondern eine aufsuchende Impfkampagne an jeder Haustür mit umfangreicher Information – und nicht nur ein paar lustlos designte Plakatwände.

Darüber hinaus ist es endlich an der Zeit, den Protesten der Beschäftigten endlich Gehör zu verschaffen und die Löhne und Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen drastisch zu verbessern, um die Zahlen zu senken und eine wirklich umfassende Pflege herzustellen.

Darf die Querdenken-Bewegung jetzt jubeln?

Mit den angekündigten Lockerungen werden viele der Forderungen, die von den „Querdenker:innen” in den vergangenen Monaten auf die Straßen getragen wurden, umgesetzt. Auch an der Umsetzbarkeit einer Impfpflicht im Gesundheitswesen gibt es von den Bundesländern immer größere Zweifel. Ob eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden wird, bleibt weiterhin unklar, wirkt aber angesichts der allgemeinen Sorglosigkeit der Ampelregierung im Umgang mit dem Virus zunehmend unwahrscheinlich.

Hat sich damit der Zweck der „Querdenken-Proteste” erfüllt? Werden sie wieder von den Straßen verschwinden? Erkenntnisse einer heute vorgestellten Studie des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) deuten an, dass es so einfach nicht ist. Die repräsentative Befragung, die Ende Januar durchgeführt wurde, kommt zu dem Schluss, dass mehr als vier Prozent der Menschen in Deutschland bereits an einem Protest gegen die Schutzmaßnahmen teilgenommen haben. Mehr als jede:r Zehnte kann sich die Teilnahme an einem solchen Protest in der Zukunft vorstellen. Die Studie bestätigt die Annahme, dass Verschwörungsmythen unter den Teilnehmer:innen der Proteste weit verbreitet sind. 43,7 Prozent derjenigen mit einer häufigen Teilnahme an Protesten stimmen der Aussage zu, dass es viele Impftote gebe, die von den „Eliten” systematisch vor der Gesellschaft verheimlicht werden.

Kaum vorstellbar, dass all jene, die solche Positionen vertreten, sich mit der Rücknahme der Schutzmaßnahmen zufrieden geben werden. Die Studie zeigt auch, wie tiefgehend der Einfluss rechter Positionen in den Protesten ist. Die Bewegung ist organisiert und hat sich über die Pandemie hinweg Kommunikationskanäle und – u.a. mithilfe der AfD – eine finanzielle Infrastruktur aufgebaut. Damit wird sie sich in Zukunft auch anderen Themen zuwenden können. Und auch eine erneute Viruswelle im Herbst dürfte der Bewegung weiteren Auftrieb geben.

In Ländern, wo der „Freedom Day“ bereits gekommen ist, war die Ankündigung für die jeweiligen Pendants zu „Querdenken“ Anlass zum Feiern. Umso nötiger sind auch weiterhin Gegenproteste, die sich sowohl den „Querdenker:innen” als auch der Durchseuchungsstrategie der Regierung entgegenstellen.

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