Corona für alle – Impfung für wenige

12.11.2023, Lesezeit 6 Min.
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Symbolbild Impfung / BaLL LunLa (Shutterstock)

Ein neuer Impfstoff ist verfügbar, der gegen aktuelle Varianten einen Schutz geben soll. Der Zugang zur Dose gilt erstmals nur für Personen der Risikogruppe nach der STIKO. Dabei ist die Methode längst veraltet.

Dass Corona nicht von der Erdfläche verschwunden ist, zeigen leicht steigende Zahlen der Neu- und Reinfektionen in der BRD. Die Situation ist zwar eine andere als noch vor zwei Jahren, als sich täglich Tausende mit dem Virus ansteckten und auf den Intensivstationen Patient:innen mit schweren Coronaverläufen wiederfanden. Nichtsdestoweniger gibt es immer wieder neue Varianten, die von der Weltgesundheitsorganisationen (WHO) als „besorgniserregend“ eingestuft und unter Beobachtung gestellt werden. Darunter fallen aktuell besonders die Variante BA.2.86 („Pirola“), EG.5 („Eris“) und XBB.1.16. Da die große Mehrheit der Bevölkerung jedoch durch vorherige Impfungen und durchgemachte Infektionen eine gewisse Immunität aufgebaut hat, sind schwere Fälle äußerst selten. Dieses Argument wird von vielen Expert:innen herangezogen, um Schutzmaßnahmen abzubauen und Mittel einzustellen, mit denen man sich selbst und andere schützen könnte. Nach der gleichen Logik wird nun auch der neue Impfstoff vermarktet, der auf die aktuellen Varianten einen Schutz bieten soll (was er nur teilweise kann) und besonders von Gesundheitsminister Karl Lauterbach empfohlen wird, um gut durch die kalten Monate zu kommen.

Dass es einen neuen Impfstoff gibt, der an die neuen Entwicklungen angepasst wurde, ist wichtig und begrüßenswert. Und dass besonders Personen von Risikogruppen aufgerufen werden, sich mit einer Dosis gegen Komplikationen und weiteres zu schützen, gilt es zu unterstützen. Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat dabei wenig verwunderlich nur Risikogruppen in Sicht, die durch eine potentielle Infektion eine erhöhte Gefahr haben, einen schweren Verlauf zu bekommen oder daran versterben. Darunter fallen Personen ab 60 Jahren, Bewohner:innen und Personal in Pflege- und medizinischen Einrichtungen sowie Familienangehörige als auch (enge) Kontaktpersonen von Personen, die durch eine Impfung keinen zusätzlichen Schutz vor einer Infektion erhalten. Zusätzlich fallen darunter Personen mit Grunderkrankungen, die einen schweren Verlauf begünstigen, zum Beispiel bei Stoffwechselerkrankungen, Adipositas, Erkrankungen der Atmungsorgane, aber auch neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Damit greift die STIKO ein breites Spektrum von Menschen auf, die kostenlosen Zugang zum Impfstoff haben. Diese Einordnung hat jedoch ein kleines Problem: Es begreift den Impfstoff nur als Mittel zur Verhinderung eines schweren und tödlichen Verlaufs der Infektion. Das heißt: Langzeitfolgen einer Infektion werden hier nicht in Betrachtung genommen. Warum ist das falsch und gefährlich?

Vorgabe für Krankenkassen

Die Empfehlung der STIKO ist nicht verbindlich, das heißt, Ärzt:innen, die impfen, müssen sich nicht an sie halten. Sie dient als Richtlinie und soll den Blick auf Personen in Risikogruppen lenken. Doch wie wir seit Ausbruch der Pandemie gesehen haben, werden die Empfehlungen der STIKO als verbindliche Vorgaben verstanden. Nach der STIKO gesunde Personen, die nach der Basisimmunität (Grundimmunisierung plus eine Infektion beziehungsweise Auffrischimpfung) eine dritte beziehungsweise vierte Impfung haben wollten, wurden mit Verweis auf die Empfehlungen abgewiesen. Es war durchaus nicht unmöglich, Ärzt:innen zu finden, die sich nach den Menschen und nicht der Empfehlung richten; doch diese zusätzliche Hürde machte es vielen Menschen unmöglich, ihren eigenen Schutz zu erhöhen.

Diese Vorgehensweise führte letztlich dazu, dass bestellte Impfdosen abgelaufen sind und vernichtet wurden. Bis Ende März 2023 wurden hierzulande dadurch 83 Millionen Impfdosen vernichtet. Woran liegt das, dass der Staat bestellte und bezahlte Dosen lieber vernichtet, statt sie zu verimpfen? Ein Grund ist sicherlich, dass besonders der deutsche Staat mehr bestellte, als es (gesteuerte und freiwillige) Nachfrage gab. Doch ein weiterer wichtiger Grund ist die Finanzierung, die besonders in der jetzigen Zeit von bedeutender Relevanz ist. Die Gesetzlichen Krankenkassen bezahlen die Auffrischimpfung gegen Corona nur denjenigen, die nach der Empfehlung der STIKO geimpft werden sollten – also Teil der definierten Risikogruppe sind. Alle anderen müssen in die eigene Tasche greifen – es sei denn, Ärzt:innen begründen gegenüber der Gesetzlichen Krankenkasse die Notwendigkeit. Das wirkt alles bizarr, wenn Lauterbach sich öffentlich wirksam impfen lässt und dazu aufruft, dass sich Personen der Risikogruppe impfen lassen sollen. Die STIKO mag also zwar Empfehlungen auszusprechen, doch sie entscheidet faktisch darüber, wer in den Genuss des kostenfreien Zugangs kommt und lässt dabei diejenigen im Stich, die sich als von der STIKO definierte gesunde Menschen impfen lassen wollen, für die Dose jedoch kein Geld haben. Dabei ist es irrelevant, wie teuer die Dose ist, denn die Spaltung bleibt: Gesundheitsschutz nur für diejenigen, die es sich leisten können.

Zugang für alle

Doch was ist eigentlich das Problem mit der definierten Risikogruppe der STIKO? Sie beschränkt sich nur auf den Verlauf der Infektion und ignoriert die Langzeitfolgen. Es ist mittlerweile mehrfach belegt, dass viele Patient:innen mit Post- oder Long-Covid einen leichten beziehungsweise milden Infektionsverlauf hatten. Auch gibt es immer wieder Fälle – auch prominente – in denen deutlich wird, dass auch Menschen, die keinerlei Vorerkrankungen oder Ähnliches hatten, heute mit den Langzeitfolgen der Infektion zu kämpfen haben. Nach der Definition der STIKO wären diese Menschen nun Teil der Risikogruppe, die einen kostenlosen Anspruch auf eine Impfung hätte – davor waren sie es nicht. Das zeigt offenkundig, wie bizarr und zynisch diese Einordnung und Logik ist. Es ist schlicht nicht zeitgemäß, eine restriktive Empfehlung auszusprechen, die de facto keine ist, sondern Handlungsanleitung Gesetzlicher Krankenkasse bei der Finanzierungsfrage.

Gerade angesichts der Tatsache, dass es angesichts der unterfinanzierten Forschung von Langzeitfolgen noch keine ausgebauten Therapien gibt, um mit der Erkrankung umzugehen, ist eine Prävention unausweichlich. Es ist also unabdingbar und notwendig, dass jedem Einzelnen ein unbürokratischer und kostenloser Zugang zum Impfstoff gewährt werden muss. Statt 100 Milliarden Euro für Krieg und Vernichtung auszugeben, müssen Milliarden in den Gesundheitssektor gesteckt werden, um nicht nur Risikogruppen vor Krankheiten zu schützen, sondern auch präventiv alle anderen. Die STIKO muss nicht nur ihre Kriterien an die aktuelle Lage anpassen, ihre Empfehlungen dürfen auch keine faktischen Verbindlichkeiten mehr zur Folge haben – weder finanziell noch organisatorisch. Darüber hinaus gilt es auch, Gelder in die Forschung von Post- und Long-Covid zu stecken, um Therapien zu entwickeln und mit diesen Erkrankungen umzugehen. Auch wenn derzeit eine Verschlimmerung der Pandemie nahezu ausgeschlossen ist, bleibt die omnipräsente Gefahr bestehen, die durch neue Subvarianten ausgelöst werden kann.

Es braucht unbürokratischen und freien Zugang zur Impfung für alle! Milliarden für die weitere Forschung von Langzeitfolgen sowie die Entwicklung von Therapien und Maßnahmen! Keine Impfpflicht und Maskenzwang, sondern eine allgemeinverständliche Aufklärung und kostenloser Zugang zu FFP2-Masken!

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