Corona-Ausschreibung: Zerschlagung der Berliner S-Bahn rückt näher

15.05.2020, Lesezeit 7 Min.
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Anfang Mai haben sich die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg im Schatten der Corona-Krise über Details zur Ausschreibung des S-Bahn-Netz geeinigt. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Zerstückelung und Privatisierung des Berliner Nahverkehrs.

von Wolfgang Wendt, ehemaliger Busfahrer der BVG

Die S-Bahn als GmbH geführtes Tochterunternehmen der Deutschen Bahn (DB) ist bereits vor einigen Jahren negativ in die Schlagzeilen geraten. Damals stand das Mutterunternehmen kurz vor dem Börsengang, die Tochter war soweit heruntergewirtschaftet, das in 2009 eine Panne die andere jagte. Der S-Bahn Ring war 2013 der erste Versuch die S-Bahn insgesamt auszuschreiben, es blieb bei der Ringausschreibung wobei die Berliner S-Bahn-GmbH als letzter verbliebener Bieter den Auftrag gewann, somit hatten sich die Arbeitsbedingungen und Löhne für die Beschäftigten nicht grundlegend geändert.

Unter Federführung der Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) ist im vergangenen Jahr unter der Rot-Rot-Grünen Senatsregierung die Ausschreibung der Berliner S-Bahn beschlossen worden. Die Kosten dafür belaufen sich auf insgesamt ca. 8 Milliarden Euro der Steuerzahler*innen. Hierbei ist geplant das Netz in drei Teile zu zerstückeln. Jeder Teil kann an Privatfirmen vergeben werden, die natürlich mit einer gewissen Rendite-Erwartung in den „Ring“ steigen werden.

Die S-Bahn Berlin befördert jedes Jahr ca. 500 Millionen Fahrgäste, nicht nur in Berlin, sondern bis hinein in das Land Brandenburg. Dementsprechend ist die Ausschreibung nicht nur für Berlin von Bedeutung, sondern auch für das Land Brandenburg, auch wenn der Anteil rein rechnerisch nur 10% beträgt. Die Senatspläne sehen nunmehr eine Drei-Teilung der S-Bahn vor, die Nord-Süd-Trasse einerseits, die Stadtbahn (Ost-West-Verbindungen) andererseits und die Vergabe der Instandhaltung. Dies bedeutet faktisch die komplette Zerschlagung der S-Bahn-GmbH als Unternehmen.

Der Fahrgastverband PRO BAHN begrüßt diese Ausschreibung grundsätzlich. In seinem Positionspapier vom 1. Mai 2020 heißt es: „die Grundidee des Wettbewerbs auf dem Eisenbahnnetz ist richtig – dazu ist Trennung von Netz und Betrieb notwendig“.

Das „Aktionsbündnis Eine S-Bahn für alle“ hat auf Grund der aktuellen Corona-Krise mit einhergehenden Demokratieeinschränkungen im März diesen Jahres mehrere Anschreiben an den brandenburgischen Verkehrsminister und an verschiedene Berliner Senatspolitiker*innen verfasst, mit den Forderungen:

– Sofortiger Stopp des Ausschreibungsverfahrens in allen seinen Einzelheiten

– Alle bisherigen Senatsaktivitäten zu diesem Thema komplett einzustellen

Doch was machen Politiker, wenn es keinen Sturm zu ernten gibt? Am Samstag, den 2. Mai 2020 wurde bekannt, dass sich Brandenburg und Berlin auf das Ausschreibungsverfahren für das Netz geeinigt haben. Der brandenburgische Verkehrsminister Guido Beermann (CDU) erklärte gegenüber Neues Deutschland, dass über den Wettbewerb ein hochwertiges und leistungsfähiges S-Bahn-Angebot gesichert wird. „Damit wollen wir für die Nutzerinnen und Nutzer der S-Bahn dauerhaft eine hohe Qualität zu angemessenen Preisen gewährleisten“. Was jedoch angemessene Preise bedeutet, wird wohl sein Geheimnis bleiben. Fest steht schon heute, dass es nicht wenige Berlinerinnen und Berliner gibt, die sich den ÖPNV nicht leisten können.

In groben Zügen ist die Einigung beider Bundesländer wie folgt zu sehen: Die Ausschreibung bleibt weiter komplex und enthält vier Lose. Je zwei für Wartung und Instandhaltung sowie den Zugbetrieb auf jedem der zwei Teilnetze. Theoretisch können also vier verschiedene Betreiberfirmen zum Zuge kommen. Die andere Möglichkeit, dass die Berliner S-Bahn GmbH den Zuschlag erhält, besteht weiterhin. Doch angesichts der Tatsache, dass das Land Berlin weiter Kosten und Zuschüsse einsparen „muss“, ist dies nicht sehr wahrscheinlich.
Bei den Vergaberichtlinien schreibt PRO BAHN zwei zu hinterfragende Ansichten.

1. Es müssen deutsches und europäisches Vergaberecht eingehalten werden. Zu diesem Punkt darf daran erinnert werden, dass jede Rechtsverordnung nicht wie Regen vom Himmel fällt, sondern es sind Gesetze, die von Menschenhand gefasst und umgesetzt werden.
Also: Wer steckt dahinter? Mit welchen Zielen?

2. Bei der Ausschreibung gibt es zwei Wege, die Wettbewerbsvergabe oder die „Inhouse-Vergabe“ ohne Wettbewerb, was am Beispiel BVG (Bus, Tram und U-Bahn) zitiert wird. Jedoch ist in diesem Positionspapier kein Sterbenswörtchen von dem im Jahre 2005 eingeführten Tarifvertrag Nahverkehr bei der BVG die Rede. Denn diese „Inhouse“-­Vergabe­richtlinie war gekoppelt an die Einführung des Tarifvertrages Nahverkehr (TV-N), mit dem Ziel der Absenkung der Löhne, inklusive Verschlechterungen der gesamten Arbeitsbedingungen. Dies hatte die Teilung der Belegschaft in „Altbeschäftigte“ und „Neubeschäftigte“ zur Folge, da letztere deutlich weniger Lohn erhalten sollten. Soll die Ausschreibung der S-Bhan auch als Druckmittel dienen, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern?

Im Einigungsschreiben der beiden Länder heißt es richtigerweise, dass weiterhin mit Protesten von Seiten der Gewerkschaften zu rechnen ist, auch wenn die Verkehrsverwaltung versichert: „Der Arbeitnehmerschutz ist maximal gewährleistet.“

Das Bündnis »Eine S-Bahn für Alle« fordert die sofortige Rücknahme der Ausschreibung.

Nun ist jedoch zumindest der politische TAG X der S-Bahn-Ausschreibung 2.0 eingetreten. Auch wenn der rein formelle Stichtag der S-Bahn-Ausschreibung im EU-Amtsblatt noch fehlt, so sind jetzt neben dem bereits angesprochenen Statement auch sichtbare Taten in Richtung Politik und Öffentlichkeit gefragt.

Diese gesamte Ausschreibung und letztlich auch Zerschlagung der S-Bahn Berlin GmbH läuft nach den Vorgaben des Vorsitzenden der Verkehrsministerkonferenz Meyer, der bereits 2014 die Hoffnung aussprach, das seine Ressortkolleg*innen sich zusammenraufen und „endlich raus aus der Fachministerkonferenz und hinein in das Gesetzgebungsverfahren kommen“.

Die gesamte S-Bahnbelegschaft, insbesondere die in der GDL und in der EVG organisierten Kolleg*innen, haben den wichtigsten Hebel in den Händen: Durch ein gesteigertes Klassenbewusstsein jedes einzelnen Kollegen und jeder Kollegin kommt es nun darauf an, den Weg des Vertrauens auf die eigene Kraft mit den Gewerkschaften zu beschreiten, mit der einzig wirksamen Waffe, dem Streik. Um somit die Ausschreibung und Zerschlagung zu verhindern. Es spielt auch eine zentrale Rolle, inwieweit der solidarische Gedanke überspringt, mit dem Blick auf die jüngere Generation. Der Rot-Rot-Grüne Senat möchte sich gerne mit einer erfolgreichen Verkehrswende brüsten und behauptet, die Interessen der Beschäftigten zu vertreten. Doch was jetzt passiert, ist pure Heuchelei und totale Ignoranz gegenüber eben jenen Beschäftigten, den Gewerkschaften und ebenso gegenüber den Nutzerinnen und Nutzern der S-Bahn. Im Falle eines Arbeitskampfs wäre auch die breite Solidarität der Fahrgäste wichtig – gerade dabei könnte das Bündnis „Eine S-Bahn für Alle“ einen zentralen Beitrag leisten.

Unterstützung in Worten gibt es bereits: Der ver.di Landesbezirk spricht sich gegen die Ausschreibung und Zerschlagung der S-Bahn aus. Und es gibt eine gemeinsame Resolution des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, des BUND Berlin und der Naturfreunde Berlin die mit dem Hinweis, dass sie die Ausschreibung in Hinblick auf Klimaschutz und eine klimagerechte Verkehrswende für „nicht geeignet“ halten. Die Jugendlichen der FFF-Bewegung gehen sogar noch einen Schritt weiter und fordern den kostenlosen ÖPNV.

Doch wie kann die Ausschreibung wirklich noch zurückgedrängt und solche Forderungen durchgesetzt werden? Nur, indem sich die S-Bahn-Kolleg*innen organisieren und mit einem Streik samt Unterstützung der Öffentlichkeit gegen die Zerschlagung kämpfen!

Bild: „zurückbleiben…“ von spurlos, lizensiert unter CC BY-NC-ND 2.0

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