Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen: Sind Menschenleben weniger wert als Billigfleisch?
Die Schlachthöfe weltweit entwickeln sich zunehmend zu Infektions-Hotspots für Corvid-19. Menschen riskieren ihre Gesundheit und ihr Leben, das Otto-Normal-Verbraucher weiterhin sein Billig-Fleisch täglich essen kann. Die Bedingungen in deutschen Schlachthöfen sind seit Jahren bekannt. Kaum ist ein Skandal aufgedeckt, verschwindet dieser sofort in Versenkung, ehe die Politiker wirklich aktiv werden müssen.
Ein Beitrag für das Netzwerk von Klasse Gegen Klasse, geschrieben von Johanna Descy, Krankenpflegerin und Autorin des Blogs Tamponkollektiv.
Die Firma Westfleisch steht, neben weiteren Schlachthöfen, stark im Fokus der Berichterstattung. Im Werk selbst ist nur ein kleiner Teil der Arbeiter*innen in einem regulären Arbeitsverhältnis angestellt. Etwa 70 bis 80 Prozent der Belegschaft sind mit Werksverträgen von Subunternehmern angestellt. Diese Werkverträge haben es in sich. Einen Kündigungsschutz gibt es nicht. Die Löhne sind niedrig und meist unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Die Arbeiter*innen stammen meist aus Osteuropa und leben in Massenunterkünften, die der Arbeitgeber zur Verfügung stellt. Die Miete wird vom Lohn gleich abgezogen. Wer krank wird, wird nicht weiter bezahlt. Es gibt Schlachthöfe, wo Arbeiter*innen auch die Schutzkleidung (Messer, Schürze, Handschuhe) selbst bezahlen müssen. In den Unterkünften leben mehrere Menschen in einem Raum. Es gibt Gemeinschaftsbäder und -küchen. Eine Einhaltung von Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen ist nicht möglich. Die Arbeiter*innen stehen in einem massiven Abhängigkeitsverhältnis zu ihren Arbeitgebern. Das sind absolut inakzeptable Verhältnisse. Nur die Politik sieht seit Jahren zu. Die von Hubertus Heil geforderten Kontrollen sind mehr als überfällig, hängen aber auch mit dem Sparkurs der letzten Jahre zusammen. Hygienekontrollen von Ämtern, die schon oft wegen mangelnder Durchführung in der Kritik standen, wurden zum Teil wegen der Coronakrise gar nicht mehr durchgeführt.
Die Situation in den Schlachthöfen in den USA ist ähnlich prekär. Hier haben die mangelnden Hygienemaßnahmen in den Schlachthöfen und den Unterkünften bereits Todesopfer verlangt. Corvid-19 verbreitet sich dort in einem rasanten Tempo unter den Arbeiter*innen. Präsident Donald Trump zwingt zwar die Betriebe zur Aufrechterhaltung, aber dafür geht er auch über Leichen. Denn die meisten Arbeiter*innen sind für ihn unbedeutend, womöglich, weil es Migrant*innen sind. Auch hier hagelte es von Trump wieder rassistische Äußerungen, Hauptsache der Herr Präsident kann seinen geliebten Burger weiter essen. Unterdessen müssen sich sowohl die Supermärkte und Fast-Food-Lokale überlegen, wie sie mit den Lieferengpässen umgehen.
Der Irrsinn kommt aber noch, zumindest in Deutschland. Die derzeitigen Lockerungsmaßnahmen sehen vor, dass einzelne Landkreise strengere Auflagen bekommen, sollte eine gewisse Anzahl von Infizierten überschritten werden (aktuell 50 Infizierte auf 100.000 Einwohner). Da nun in den Landkreisen mit den betroffenen Schlachthöfen dies geschieht, wenden die Politiker einen Trick an. Die Menschen in den Massenunterkünften bleiben zusammengepfercht in Quarantäne, damit die Bevölkerung weiterhin alle neugewonnen Freiheiten genießen können. Es erinnert zunehmend an Ghettos.
Der Ruf nach Reihentestungen bei Arbeiter*innen in Schlachthöfen war auch schnell da. Natürlich war das Musterbundesland Bayern ganz vorne mit dabei um stolz zu verkünden, dass es in bayrischen Schlachthöfen nicht so schlimm ist mit den Coronafällen, wie in anderen Bundesländern. Die Oppositionsparteien sehen das freilich anders. Vor allem, wenn an den eigentlichen Ursachen, den Werksverträgen und den Massenunterkünften, nichts geändert wird. Zudem sind Reihentestungen sinnlos, wenn höchsten Maßnahmen getroffen werden, die den Arbeiter*innen schaden, denn auch sie haben das Recht bei Krankheit oder Quarantäne auf Lohnfortzahlung.
Was wäre also zu tun? Laut der Ministerin Julia Klöckner ist sowieso der/die Verbraucher*in an der Misere schuld. Die Menschen geben, laut ihrer Meinung, zu wenig Geld für gute Nahrungsmittel aus. Blöderweise hat sie selbst neulich mit Sternekoch Johann Lafer medienwirksam Billigfleisch für Bild-TV gekocht. Anstatt ständig auf Freiwilligkeit zu beharren und sich von Lobbyisten hofieren zu lassen, könnte Frau Klöckner verbindliche gesetzliche Standards in der Nahrungsmittelherstellung festlegen. Anstatt sich über die Grünen mit ihrem Veggie-Day in Kantinen lustig zu machen, wäre Bildungsoffensive in Sachen Ernährung gut, aber bitte ohne Nestlé und Co. Ein persönliches Überdenken des Fleischkonsums wäre eine Möglichkeit. Ein direkter Boykott der betroffenen Schlachthöfe durch die Bevölkerung, mit dem Ziel die Bedingungen der Arbeiter*innen zu verbessern, ist auch eine Überlegung wert.
Die Politik, allen voran Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD, solltes das Versprechen einhalten und in dieser Branche aufräumen. Unter gar keinen Umständen, sollten sich von den Vertretern der Fleischwirtschaft erpressen lassen, wenn diese nach seinen Vorhaben (Verbot von Werksverträgen, strengere Kontrollen, etc), drohen den Standort Deutschland zu verlassen.
Generell müssten die Kontrollen über Hygiene und Arbeitsbedingungen über die Arbeiter der Schlachthöfe selbst laufen. Arbeiter, die bis zu den Gesetzesänderungen im Jahr 2021 einen Werkvertrag haben, müssen behandelt werden, wie Mitarbeiter mit Tarifvertrag. Auch danach darf es keinen Unterschied geben, zwischen Festangestellten, Leiharbeiter*innen und Saisonarbeiter*innen. Sie brauchen alle das Recht auf einen anständigen Tarifvertrag, Selbstverwaltung sowie arbeitsrechtliche Kontrollinstanzen, wie z. B. einen Betriebsrat.