China und die Europäische Union in der Corona-Krise

26.03.2020, Lesezeit 5 Min.
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Der serbische Präsident prangert die fehlende Solidarität der Europäischen Union an und wendet sich China zu. In dem aktuellen Kampf gegen die Pandemie sieht die chinesische Wirtschaftsmacht eine Möglichkeit, als Gegenangebot ihre Ambitionen auf dem Balkan auszubauen.

In einer Rede hat der Präsident von Serbien, Aleksandar Vučić, die Europäische Union dafür kritisiert, dass die Solidarität nur auf dem Papier existiere und lediglich ein „schönes Märchen“ sei. Das Land auf dem Westbalkan ist seit 2012 EU-Beitrittskandidat. Nach dem 89 Corona-Fälle offiziell registriert wurden, wollte die serbische Staatsführung Schutzkleidung aus der EU einführen. Sie scheiterte aber an Ausfuhrbeschränkungen. Hilfe kommt nun aus China.

Die chinesische Strategie auf dem Balkan

Vučićs Hinwendung zu China ist nicht vom Himmel gefallen. Der Regierung in Belgrad unterhält gute Verbindungen nach Peking. So tätigte China seinen größten Waffendeal in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges an die ehemalige jugoslawische Teilrepublik. Die Hauptstadt der ehemaligen sozialistischen Föderation wird vom chinesischen Technologiekonzern Huawei zur Smartcity umgebaut. Unter dem Vorwand, das subjektive Sicherheitsempfinden chinesischer Tourist*innen zu steigern, patrouillieren chinesische Polizisten auf den Straßen Belgrads.

China verfolgt seine eigene Strategie auf dem Balkan. Das Gebiet ist der Teil der Neuen Seidenstraße. Der Hafen von Piräus, der größte Seehafen Griechenlands befindet sich bereits in chinesischer Hand. Auf dem Balkan investiert China in die Hinterlandanbindung mit Investitionen in neue Schienenstrecken und Autobahnen. Das aufstrebende China unterhält sogar ein eigenes Büro für Investitionen in den Balkan. Hierbei geht es um einen Verkehrskorridor vom Mittelmeer bis zur Ostsee auf dem Gebiet des ehemaligen Ostblocks.

Nur das osteuropäische Land Polen wehrt sich bis jetzt gegen die chinesischen Annährungsversuche. Das Land, das seit der bürgerlichen Restauration eine bedeutende wirtschaftliche Entwicklung durchgemacht hat und dessen Gehälter und Löhne vor allem in den letzten Jahren massiv gewachsen sind, hat sich verstärkt dem US-Präsidenten Donald Trump zugewandt.

Zudem gibt es weitere Wackelkandidaten im Mittelmeerraum. Die italienische Regierung ist noch unter der Regierung mit Salvini dem Projekt der Neuen Seidenstraße beigetreten. Schon im Ringen um die Schuldenbremse und die Sparpolitik der Troika haben sich die Gräben zwischen Italien und Deutschland vertieft. Die aktuelle Corona-Pandemie könnte die Tendenzen vertiefen. Gleiches gilt für Portugal.

Nun schickt China 500.000 Atemmasken nach Griechenland. Auch in Italien sind Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken aus China per Flugzeug angekommen. Der Alibaba-Gründer Jack Ma versprach persönlich zwei Millionen Atemmasken für Italien und weitere medizinische Hilfsmittel. In der Situation wird die Lage zusätzlich angespannt, weil ein Teil der Lieferungen von polnischen und tschechischen Grenzbeamten konfisziert wurden. Es soll sich angeblich nur um ein Versehen handeln, das man nun auf diplomatischem Weg zu lösen sucht. Allerdings wird daran ersichtlich, wie der Protektionismus mit abgeschotteten Grenzen für Widersprüche sorgt.

Der europäische Binnenmarkt versus die Neue Seidenstraße

Derzeit offenbaren sich in Europa die Tendenzen zur Abschottung. Das Fehlen eigener Infrastruktur, die totale Abhängigkeit von In- und Export zeigen die strukturellen Schwächen europäischer Staaten. Hier kann China als Produktionsland mit hohen Stückzahlen und verhältnismäßig niedrigen Lohnkosten punkten. Mit drastischen Maßnahmen und dem Abklingen der Corona-Pandemie in China werden Ressourcen frei, um vorhandenen Stellungen weiter auszubauen.

Es offenbart sich eine weitere Schwäche des europäischen Binnenmarktes, wenn an der deutsch-polnischen Grenze der Güterverkehr in kilometerlangen Staus zum Erliegen kommt. Die auf diesem Boden entstandenen wirtschaftlichen Beziehungen sind besonders anfällig für Grenzschließungen, wie sie infolge der Corona-Pandemie stattfinden. Die wirtschaftlichen Verflechtungen innerhalb der EU sind auch der Grund, warum die Sorge vor einem Brexit ohne Handelsabkommen dermaßen groß ist.

Gleichzeitig konnte beispielsweise das deutsche Kapital dank des europäischen Binnenmarktes seine Profite maximieren. Für den deutschen Imperialismus ist er Fluch und Segen zugleich.

Dem europäischen Binnenmarkt gegenüber steht das Projekt der Neuen Seidenstraße. Das weltweite Infrastrukturprojekt der chinesischen Regierung funktioniert trotz der Corona-Pandemie tadellos, vor allem weil sowohl Verkehrswege zu Land als auch zu Wasser genutzt werden. Der Seehandel ist von Grenzschließungen weniger betroffen als der Güterverkehr auf der Straße. Selbst die Züge der Neuen Seidenstraße brausen ungehemmt durch die kasachische Steppe, während sich an der deutsch-polnischen Grenze die Lastkraftwagen stauen. Der große Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene ist selbst ein Produkt des europäischen Binnenmarktes und der Just-In-Time Produktion. Die Corona-Pandemie zeigt die große Anfälligkeit dieses Systems, wo die Neue Seidenstraße ihr volles Potential entfalten kann.

Die Europäische Union ist derweil unfähig, auf die nationalen Alleingänge entsprechend zu reagieren und eine gemeinsame europäische Gesundheitspolitik vorzuschlagen. Stattdessen beschleunigt die Corona-Pandemie die Auflösungserscheinungen an ihren Rändern nur noch. Die Grundlagen dafür sind ökonomischer Natur. Alle wichtigen europäischen Länder sind auf den Import von Atemschutzmasken angewiesen. Die Coronakrise weist nicht nur auf eine fehlende europäische Gesundheitspolitik hin, sondern ebenso auf eine fehlende europäische Industriepolitik. Mit der Hegemonie-Krise der USA offenbart sich zunehmend die Krisenanfälligkeit des supranationalen Projekts der Europäischen Union.

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