China: Die Wirtschaft verlangsamt sich, neue Proteste kommen auf
Die Arbeiter*innen leiden unter den Folgen des Einbruchs der Wirtschaft und den Entwertungen der vergangenen Monate. Immer mehr streiken und protestieren gegen Entlassungen und Lohnkürzungen. Die „soziale Frage“ besorgt die Führung der Kommunistischen Partei.
Es ist nichts neues, dass die Wirtschaft des asiatischen Riesen nicht mehr so läuft wie in den vergangenen Jahren. Jede Woche füllen neue Nachrichten über den Einsturz der Börsen oder geringere Wachstumsprognosen die internationale Presse. Fabrikschließungen, Entlassungen und Lohnkürzungen vermehren sich. Erst kürzlich verkündete die chinesische Regierung Stellenstreichungen von 1,8 Millionen Arbeitsplätzen in der Metallindustrie. Gleichzeitig verwandelt es sich zum Land mit den meisten Multimillionär*innen auf der Welt.
Weniger bekannt ist jedoch der sich ausweitende Unmut in der chinesischen Arbeiter*innenklasse. Die Entwertung des Yuan traf die schon vorher niedrigen Löhne, tausende Unternehmen schließen auf der Suche nach billigeren „Arbeitsmärkten“, tausende Arbeiter*innen verlieren ihre Jobs unter anderem in der Kohleindustrie.
Dieser Verfall der Lebensbedingungen lässt den Widerstand der Arbeiter*innen wachsen, der sich in einer immer kräftigeren Streikwelle ausdrückt, die die wichtigsten Industriezentren des Landes mit sich reißt.
„Ich würde mehr verdienen, wenn ich unter einer Brücke um Geld betteln würde“
Dieser Satz wurde von einem Arbeiter der Metallindustrie – genauer gesagt von Ansteel in Guangzhou, die nicht-oxidierendes Stahl herstellen – gegenüber einem Reporter der Washington Post gesagt. Die Belegschaft streikte sieben Tage lang mit Streikposten vor den Toren der Fabrik, um gegen Entlassungen und eine neue, auf der Produktivität basierenden, Lohnskala zu protestieren.
Die Probleme begannen, nachdem die taiwanischen Unternehmer*innen den Betrieb an eine staatliche chinesische Firma verkauften, berichten die Arbeiter*innen. „Wir haben uns nicht beschwert, da wir wussten, dass es dem Unternehmen schlecht ging“, sagte der Arbeiter Chen der Washington Post weiter. „Jetzt wurden unsere Löhne auf die Hälfte reduziert… doch mit 2.200 Yuan im Monat kann man in Guangzhou nicht leben“.
Eine Woche lang mussten sich die Arbeiter*innen gegen die Unternehmensleitung zur Wehr setzen, die ihnen Entlassungen und Gefängnisstrafen androhte. Dazu kam der Boykott der Medien und die polizeiliche Verfolgung. Nach direkten Konfrontationen von hunderten Arbeiter*innen und Sondereinheiten der Polizei verpflichtete sich das Unternehmen, die Lohnveränderungen fallen zu lassen. Die Arbeiter*innen feierten diesen wichtigen Sieg.
Ähnliche Fälle wie bei Ansteel verbreiten sich immer mehr. Die Unternehmen entlassen, führen Kurzarbeit ein oder streichen Löhne und Sozialdienstleistungen von Millionen Arbeiter*innen. Dafür werden sie nicht bestraft – im Gegenteil werden sie von den staatlichen Behörden und der Kommunistischen Partei beschützt. Das ist zwar nichts neues. Doch angesichts der schwierigen Wirtschaftslage fällt es den entlassenen Beschäftigten immer schwieriger, neue Jobs zu finden. Deshalb wächst der proletarische Widerstand in den letzten Monaten.
Die Gewerkschaftsbürokratie ist der wichtigste Wächter des „sozialen Friedens“
Doch der Anstieg von Streiks und Arbeitskämpfen in den wichtigsten Industrieregionen des Landes hat sich nicht in eine breite Kampfbewegung entwickelt. Das liegt vor allem an der Komplizenschaft des Gewerkschaftsdachverbandes ACFTU, die die Kürzungen der Bosse gutheißt. Die Gewerkschaftsbürokratie lebt seit Jahren friedlich mit den Kapitalist*innen in den Vorständen zusammen, wo sie die der Belegschaft zugeschriebenen Sitze besetzt.
Die Ansteel-Arbeiter*innen erklärten, dass der Gewerkschaftsfunktionär von der Unternehmensleitung eingesetzt wurde und deren Positionen unterstützte. „Wir wussten nicht einmal, wer der Vorsitzende der Gewerkschaft war, bis es zum Streik kam“, sagte Chen. „Es ist offensichtlich, dass Gewerkschaftsvertreter*innen gewählt werden müssen.“
In den vergangenen Jahren wurden im Zuge der großen Streiks in der Automobil- und Schuhmarkenindustrie tausende Arbeiter*innen zu Aktivist*innen, die Streiks in ihren Fabriken abseits der Gewerkschaften organisieren. Doch diese sich ausweitenden Erfahrungen sind noch zu schwach, um die Kontrolle der Gewerkschaftsbürokratie zu überwinden. Diese sichert wie eine echte „Polizei“ innerhalb der Arbeiter*innenbewegung die Kontrolle über die wütende Arbeiter*innenschaft. Das Fehlen jeglicher demokratischer Mitbestimmung sichert die Stabilität dieser Bürokratie vom untersten bis zum höchsten Rang ab. Sie sollen die Ausbeutungsverträge sichern, die Aktivist*innen verfolgen und Streiks mit Streikbrecher*innen brechen.
Die „soziale Frage“ wird zur Besorgnis für die chinesischen Autoritäten
Die Ausbreitung der Entlassungen und der Unzufriedenheit unter den Arbeiter*innen besorgt die Regierung immer mehr. Die Perspektive der chinesischen und Weltwirtschaft sind keine gute Nachrichten für den asiatischen Riesen und die Antwort auf die soziale Unzufriedenheit ist von den Aufforderungen bestimmt, „das Gesetz und die Ordnung“ einzuhalten.
Autoritäte Maßnahmen werden damit gerechtfertigt, dass jeder Aufstand gegen die Regierung als „Einmischung ausländischer Mächte mit destabilisierenden Zielen“ bezeichnet wird. Das gilt für die sogenannte „Revolution der Regenschirme“, den Massenprotesten von Studierenden in Hongkong genauso wie für die Festnahme von fünf feministischen Aktivist*innen im März 2015.
Im Dezember letzten Jahres machte sich dieser repressive Kurs der Regierung zur Bekämpfung der Arbeitskämpfe in der Festnahme von gewerkschaftlichen Aktivist*innen bemerkbar. Doch diese Maßnahmen verschrecken die Arbeiter*innen nicht, sondern verstärken ihre Wut auf die willkürlichen Festnahmen ihrer einzigen Verbündeten.
Die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hat auch dazu geführt, dass die tiefgreifende Reform des Hukuo verschoben wurde. Dabei handelt es sich um ein System, dass den Zugang zu sozialen Rechten an den Geburtsort koppelt. Die Reform hätte Millionen von Wanderarbeiter*innen den Zugang zu diesen Rechten gewährleistet. Doch die Kosten, die eine Absicherung von Bildung und Gesundheit für Millionen von Menschen bedeuten, brachten die Gemeinden dazu, die Reform zu verschieben.
Noch ist der wachsende Unmut keine reale Bedrohung für die Zentralregierung. Doch die Komplizenschaft zwischen Gewerkschaftsbossen, der Kommunistischen Partei und der Regierung mit den Unternehmer*innen zur Verletzung der Arbeitsrechte löst immer neue Streiks und Kampfprozesse aus.