Chile: „Für einen aktiven Generalstreik bis zum Sturz von Piñera!“

23.10.2019, Lesezeit 8 Min.
1

Erklärung der Partei revolutionärer Arbeiter*innen (PTR) aus Chile, Sektion der Trotzkistischen Fraktion - Vierte Internationale (FT-CI), zum Generalstreik am 23. und 24. Oktober.

Für einen aktiven Generalstreik mit Mobilisierungen bis zum Sturz von Piñera!

Am Montag, den 21. Oktober fanden im ganzen Land massive Demonstrationen statt. Im Zentrum der Hauptstadt Santiago kamen trotz der brutalen Repression der Polizei und der Armee mehr als 100.000 Menschen zusammen. Angeführt wurden sie erneut von der Jugend. Am Dienstag versammelten sich erneut Tausende auf den wichtigsten Plätzen des Landes. Dem „Krieg“, von dem Präsident Sebastián Piñera sprach, wurde mit großer Kraft entgegengetreten. Nicht nur die Schüler*innen und Studierenden, sondern auch die zentralen Bataillone der Arbeiter*innenklasse traten in den Kampf. 90 % der Häfen des Landes wurden durch die Hafenarbeiter*innen stillgelegt, die sich mobilisierten. Auch die Minenarbeiter*innen der größten privaten Mine der Welt, Minera Escondida im Norden des Landes, traten in den Ausstand.

Diese Beispiele brachten weitere Teile der Arbeiter*innenklasse und der Studierendenbewegung dazu, Versammlungen abzuhalten und sich mit den Methoden des Streiks und der kämpferischen Mobilisierung an der Massenrebellion zu beteiligen. Diese Einheit auf der Straße zwischen Arbeiter*innen, Studierenden und breiten Teilen der Massen hat die Regierung ins Wanken gebracht. Der Ruf „Weg mit Piñera“ wird immer lauter.

Deshalb musste Piñera um „Verständnis“ für seine Aussage bitten, dass in Chile aktuell ein „Krieg“ herrsche. Gleichzeitig versuchte er es mit einer Politik der „Einheit“ mit den Parteien des Regimes [die rechten Regierungsparteien und die Parteien der bürgerlichen Mitte-Links Opposition Ex-Concertación, Anm. d. Ü.], um einige „soziale“ Maßnahmen zu beschließen und die Rebellion zu beenden. Doch seine Schwäche wurde am Dienstag deutlich, als er daran scheiterte, die Parteien des Regimes für diese „Einheit“ zusammenzubringen.
Das hat die Gewerkschaftsbürokratie des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, des Bündnisses gegen das private Rentensystem No+AFP, die Studierendenkonföderation Confech und das Bündnis „mesa social“ dazu gezwungen, für diesen Mittwoch und Donnerstag zu einem „Generalstreik“ aufzurufen, der von verschiedenen Sektoren gefordert wurde. Zuerst hatten sie nur zu einem „Streik der leeren Straßen“ ohne Mobilisierung aufgerufen. Das ist ihre wahre Politik. Doch die massiven Versammlungen am Montag zwangen sie dazu, sich neu zu orientieren. Wir müssen diesen Aufruf mit aller Kraft verbreiten und ihn uns zu eigen machen, um Piñera niederzuringen.

Der Aufruf ermöglicht die Intervention der Arbeiter*innen- und Massenbewegung und erhält progressive Forderungen wie die nach dem Rücktritt von Piñera, dem Ende des Ausnahmezustandes und nach einer Verfassungsgebenden Versammlung und dringenden sozialen Maßnahmen wie Lohn- und Rentenerhöhungen. Doch das Ziel ist nicht, diese massenfeindliche und autoritäre Regierung auf den Straßen zu besiegen, sondern die Regierung zum „Dialog“ mit den sozialen Organisationen zu bringen und eine institutionelle Lösung mit den alten Parteien und Institutionen des Regimes zu erreichen, um „die demokratische Institutionalität“ wiederherzustellen. Doch so ist es nicht möglich, die Forderungen zu erreichen, die sie selbst aufstellen. Wir können den Parteien, die jahrzehntelang für die Unternehmer*innen und Reichen regierten und das Erbe der Militärdiktatur von Augusto Pinochet verwaltet haben, nicht vertrauen.

Auch wenn die CUT, die Confech und andere Organisationen zu Mobilisierungen und Protestaktionen aufrufen, nehmen sie sich nicht vor, die gesamte Kraft der Arbeiter*innenklasse mit einem aktiven Streik auf die Straße zu bringen. Sie weigern sich dazu, demokratische Koordinierungsorganismen mit Versammlungen, Aktionskomitees und von jedem Arbeits- oder Studienplatz gewählten Delegierten ins Leben zu rufen und so dem Streik eine Kontinuität zu geben, die es wirklich ermöglichen würde, die Regierung zu stürzen. Und dass, obwohl diese Möglichkeit zum Greifen nah ist. Wir fordern die Organisierung von Versammlungen und offenen Koordinierungsinstanzen am 25. Oktober, um über die Weiterführung des Streiks und einen Kampfplan zu diskutieren.

Angesichts der institutionellen Fallen: freie und souveräne Verfassungsgebende
Versammlung auf den Ruinen des Regimes

Angesichts der Schwäche Piñeras suchen verschiedene Politiker*innen, Unternehmer*innen und Parteien des Regimes einen Ausweg durch Dialog und Zugeständnisse. Sie wollen so die Wut und den Kampf auf den Straßen auf den „institutionellen Weg“ umleiten, nachdem sich die Massen der repressiven Antwort widersetzt haben und zu schwach herausstellte. Einige fordern eine Umbildung des Kabinetts. Andere wollen mit „sozialen Maßnahmen“ kleine Zugeständnisse machen, um die Bewegung umzulenken.

Die Parteien der ehemaligen Concertación hatten die Ausnahmesperren durch ihren reaktionären Deal mit Piñera im Parlament mitgetragen. Später mussten sie ihre Position ändern und haben nun eine „soziale Plattform“ ins Leben gerufen, um so einen „parlamentarischen Ausweg“ anzubieten.

Die KP und die linksreformistische Frente Amplio, die an der Spitze der wichtigsten Massenorganisationen stehen, haben durch die CUT und andere Organisationen zu diesem Streik aufgerufen, nachdem sie von den Massen dazu gezwungen wurden. Auch wenn sie einige richtige Forderungen aufstellen, tun sie dies, um zum „Dialog“ aufzurufen. Sie wollen durch Übereinkünfte mit der Ex-Concertación, Expertin in falschen Versprechungen, Abkommen mit den alten Institutionen des Regimes schließen. Der Streik dient in ihrer Strategie nicht dem Sturz der Regierung und diesem von der Diktatur geerbten Regime, sondern dem Ablassen von Druck und der Schwächung der radikalsten Tendenzen.

Wir als Partei Revolutionärer Arbeiter*innen (PTR) verfolgen eine Politik des aktiven und kämpferischen Generalstreiks mit Versammlungen, Koordinierungsgremien und einer Kontinuität. Nur ein solcher Generalstreik kann die riesige Kraft der Arbeiter*innenklasse gemeinsam mit der Jugend und der armen Bevölkerung in Bewegung setzen. Doch das Ziel dessen kann nicht das „Gespräch mit der Regierung“ sein, sondern der Sturz dieser und der Rückzug der Armee durch den Streik und die Proteste auf der Straße. Nur so können wir sicherstellen, dass sich unsere Forderungen und sozialen Hoffnungen erfüllen.

Doch es geht nicht darum, Piñera zu vertreiben und danach ein Abkommen mit den alten Institutionen des Regimes und der „Opposition“ abzuschließen, das uns von den Straßen locken soll. Es geht darum, den Sturz der Regierung mit den Methoden des Klassenkampfes zu erzwingen. Wir revolutionäre Sozialist*innen kämpfen für eine Arbeiter*innenregierung im Bruch mit dem Kapitalismus, die die Produktionsmittel vergesellschaftet. Wir wissen, dass diese Perspektive noch nicht von der Mehrheit geteilt wird. Deshalb schlagen wir als Notmaßnahme angesichts der aktuellen Situation eine freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung vor, die nach dem Sturz der Regierung auf den Ruinen des Regimes aufgebaut wird. Gewählte Vertreter*innen pro 20.000 Einwohner*innen mit einem durchschnittlichen Arbeiter*innengehalt sollen dort ohne Hindernisse alle sozialen und politischen Notmaßnahmen beschließen, die der arbeitenden Bevölkerung zugute kommen. In dieser Konstituante treten wir ein für den Lebenshaltungskosten entsprechende Löhne und Renten, einen von Arbeiter*innen und Nutzer*innen verwalteten öffentlichen Nahverkehr, ein kostenloses und öffentliches Bildungs- und Gesundheitssystem, die Verstaatlichung unter Arbeiter*innenkontrolle des Kupfers und andere Forderungen. Dafür muss diese Versammlung vollständig souverän sein, also allen anderen staatlichen Institutionen übergeordnet.

Wir wissen, dass die Mächtigen und die Unternehmer*innen ihre Privilegien mit aller Macht verteidigen werden und sich gegen die Maßnahmen stellen werden, die eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung beschließt. Deshalb müssen wir Versammlungen, Koordinierungsstellen und Komitees organisieren, von denen aus die Kräfte ausgehen können, mit denen wir den Widerstand der Bosse und ihrer Parteien brechen können. Dann können wir für eine Arbeiter*innenregierung im Bruch mit den Kapitalist*innen kämpfen, die es ermöglicht, dass wir unsere sozialen und demokratischen Ziele vollständig und tatsächlich erreichen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf La Izquierda Diario Chile.

Mehr zum Thema