Chile: Boric-Regierung lässt Gedenkmarsch zum 50. Jahrestag des Putsches angreifen
Jedes Jahr findet in Chile der Gedenkmarsch an den Putsch vom 11. September 1973 statt. Dieses Jahr schloss die reformistische Regierung von Gabriel Boric Organisationen aus, die nicht zu ihren Unterstützer:innen zählen und ließ sie mit Wasserwerfern angreifen.
Ein Marsch, der 50 Jahre nach dem Putsch historisch hätte sein sollen, wurde von der Regierung in einen Tag der Repression für die Teilnehmer:innen verwandelt. Doch die Repression galt nicht allen. Im Vorfeld des Marsches bemühte sich die Regierung aktiv darum, ihn so regierungsfreundlich wie möglich zu gestalten, sodass nur ihre Parteien und die von ihnen geführten Organisationen anwesend sein sollten. Die Regierung wollte einen Marsch, der ihr entsprach und demnach nur den Regierungsparteien überlassen sollte, einen Marsch, der eigentlich eine Tradition der gesamten Linken ist.
Angriffe der Polizei
Die Regierung versuchte die Demonstrant:innen in „gute“ und „schlechte“ zu spalten, abhängig von ihrer Unterstüzung für den aktuell regierenden „linken“ Präsidenten Gabriel Boric. Einer der Gründe hierfür ist der Druck von rechts. Die Rechten nutzt jeden Vorwand, um die Regierung der „Polarisierung des Landes“ zu beschuldigen. Gabriel Boric wollte ein Zeichen der „Normalität“ setzen und zeigen, dass er an diesem Tag in der Morandé-Straße demonstrieren konnte, wo sich der Regierungssitz befindet. Und von dort aus wurde der Ton für den Aufruf angeben: Ein Aufruf zur nationalen Einheit, um der Gedenkfeier einen „republikanischen“ und staatlichen Charakter zu verleihen, indem er die gemeinsame Erklärung hervorhebt, die er zusammen mit den ehemaligen Präsidenten, darunter Sebastián Piñera, abgegeben hat.
Die Regierung suchte dieses taktische Bündnis mit dem ultrarechten Piñera, um Druck auf die Unión Demócrata Independiente (UDI, “Unabhängige Demokratische Union”) und die Renovación Nacional (“Nationale Erneuerung”) auszuüben, die einen härteren, rechteren Diskurs führen und den Putsch als unvermeidlich rechtfertigen. Aber dieses Manöver hat seinen Preis. Erstens muss Boric seinen Vorgänger Sebastián Piñera als republikanischen und demokratischen Politiker darstellen und ihn von seiner Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen während der sozialen Explosion 2019 freisprechen.
Zweitens muss die Regierung einen Sündenbock suchen und die Repression gegen „die Gewalttätigen“ legitimieren, indem sie „die Gewalt ohne Nuancen verurteilen“ und gerichtliche Prozesse gegen Demonstrant:innen fördert. Wir alle, die wir ihre Regierung nicht unterstützen, sind Teil dieses Diskurses. Die Repression richtete sich gegen alle Organisationen, die nicht „regierungsfreundlich“ sind und sich gegen die polizeiliche Belagerung von Anfang an richteten.
Natürlich rechtfertigen und verurteilen wir, wie wir es immer getan haben, Aggressionen gegen Angehörige von Opfern der Diktatur und linke Organisationen durch andere Demonstrant:innen. Die Kommunistische Partei, die mit Boric in der Regierung sitzt, erklärte, dass die polizeilichen Maßnahmen zum Schutz der Tausenden von Landsleuten, die an der Gedenkfeier teilnahmen, „schwach und unzureichend“ waren. Doch bedeutet dies, die willkürliche Unterdrückung und Beschränkung der von den Regierungsparteien selbst organisierten und koordinierten Demonstration zu legitimieren. Der Polizeieinsatz war natürlich eine Provokation gegenüber Tausenden von Demonstrant:innen, viele von ihnen mit Familien und Kindern, die an der Teilnahme der Demonstration gehindert wurden.
Gedenken an die sozialistischen Arbeiter:innen von 1973
Wir von der Revolutionäre Arbeiter:innen-Partei (Partido de Trabajadores Revolucionarios, PTR) nahmen erneut an dem Marsch teil, mit dem Ruf „Keine Straffreiheit, kein Vergeben und Vergessen“. Fünfzig Jahre später lassen wir das Erbe des Kampfes für den Sozialismus von unten und die Revolution wieder aufleben. Wie tausende von Genossinnen und Genossen mussten wir die polizeiliche Belagerung und Repressionen über uns ergehen lassen, um frei demonstrieren zu können, während wir mit unserer Kolonne zusammen mit anderen politischen und sozialen Organisationen marschierten. Unser Genosse Dauno Totoro wurde absichtlich mit Pfefferspray im Gesicht angegriffen. Dennoch konnten die verschiedenen Organisationen den Friedhof im Gedenken an die Opfer der Diktatur betreten und die verschiedenen Orte aufsuchen, die sie besuchen, allerdings unter starker Repression, die auch in der Mitte der Gräber lange Zeit anhielt.
Trotz der Repression zeigte der Marsch eine starke Moral, bei dem der Kampf der Arbeiter:innen für den Sozialismus nach 50 Jahren bestätigt wurde, von jener Klasse, die die Cordones Industriales aufstellte, die eine Bedrohung für die kapitalistische Ordnung war, weit entfernt von jeglichem staatlichen Gedenken an die Opfer. Im Gegenteil, es war ein kämpferisches Gedenken, das sich nicht auf das Nunca Más (“Nie wieder”) einlässt, jener Farce, die den Großunternehmern und der Rechten das Gesicht wäscht, die genau dasselbe wieder tun würde, wenn sie auf dieselbe Weise bedroht wären.
Aus diesem Grund organisierte die PTR am Ende des Marsches eine Veranstaltung in ihrem neuen Kulturhaus, um dieses historische Datum weiter zu würdigen, bei der alte Kamerad:innen der Cordones Industriales anwesend waren und verschiedene Führungspersönlichkeiten der Organisation, darunter Dauno Tótoro selbst, sowie unsere Jugendorganisation, Vencer, zu Wort kamen. Zu den Aktivitäten gehörten auch eine Ausstellung über die Cordones Industriales, eine Vorführung einer Tanzgruppe, Live-Musik und ein Gedichtvortrag.
Dieser Artikel erschien am 10. September auf unserer chilenischen Schwesterseite laizquierdadiario.cl.