Charité: Jetzt starke Streiks organisieren!

07.08.2017, Lesezeit 7 Min.
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An der Charité hat ver.di für den morgigen Dienstag (8.8.) einen Warnstreik angekündigt. Die Pflegekräfte am größten Berliner Krankenhaus leiden seit Jahren am Personalmangel. Dagegen wollen sie sich wehren. Allerdings verbirgt sich hinter der Aktion alles andere als ein vollwertiger Streik.

Bereits im Aufruf heißt es: „Ziel ist nicht, den Betrieb an der Charité ernsthaft einzuschränken.“ Damit zeigt die Gewerkschaftsführung keine Stärke, sondern drückt sich vor einer ernsthaften Auseinandersetzung.

Dabei wäre die Ausgangslage drängend und vielversprechend zugleich: Im vergangenen Jahr konnten die Pfleger*innen der Charité in ihrem Arbeitskampf ein richtungsweisendes Ergebnis erzielen. Im Mai 2016 trat der „Tarifvertrag Gesundheitsschutz“ (TV GS) in Kraft, den sie mit in einer langen Auseinandersetzung – inklusive mehrtägiger Warnstreiks – durchgesetzt hatten. Im Gegensatz zu bisherigen Tarifverträgen waren darin explizite Regelungen zur Mindestbesetzung von Stationen enthalten. So sollte es nicht mehr vorkommen, dass nachts eine einzige Person für eine ganze Station zuständig ist. Auch im restlichen Betrieb sollte es eine Obergrenze geben, für wie viele Patient*innen ein*e Pfleger*in zuständig ist.

Doch die Regelungen aus dem Tarifvertrag wurden von der Geschäftsführung regelmäßig unterlaufen. Formulierungen wurden umgedeutet, um trotzdem kein neues Personal einstellen zu müssen. Und selbst bei eindeutigen Verstößen fehlte es bisher an konkreten Sanktionsmöglichkeiten.

Der Tarifvertrag Gesundheitsschutz ist nun zum 30. Juni wieder ausgelaufen. Damit endete die Friedenspflicht und ver.di hätte die Möglichkeit, mit Streiks für eine verbesserte Regelung einzutreten.

„Aktionsstreik“ ohne Streik

Trotzdem sah es wochenlang so aus, als wenn nichts passieren würde. Nun kündigt ver.di einen „Aktionsstreik“ an. Aber mit einem Streik hat die Aktion nicht viel zu tun, denn weiter heißt es: „Ziel ist an diesem Tag nicht, den Betrieb an der Charité ernsthaft einzuschränken. Wir wollen ein Zeichen setzen.“ Ein wesentliches Element eines Streiks – nämlich die Demonstration der Kontrolle über den Betriebsablauf – wird also von vornherein ausgeschlossen.

Nun können auch symbolische Aktionen eine positive Ausstrahlung haben. Doch wie viel Mobilisierungskraft und Stärke kann von einer Aktion ausgehen, die weniger als 100 Beschäftigte von über 4000 Pflegekräften zusammenbringt? Der Aufruf macht nämlich klar, dass aus jeder Station nur einzelne Vertreter*innen teilnehmen dürfen.

Als Begründung für die Begrenzung der Aktion wird angeführt, dass die Charité sich weigert, eine Notdienstvereinbarung abzuschließen. Darin sollte geregelt werden, dass im Falle eines Streiks vorsorglich Betten gesperrt und verschiebbare Operationen abgesagt werden, damit keine Patient*innen gefährdet werden. Ohne diese Notdienstvereinbarung könne ver.di nun nur eine symbolische Aktion verantworten.

Doch wird nicht umgekehrt ein Schuh daraus? Wenn nicht nur zaghafte Aktionen angekündigt wären, sondern ein breiter Streik, dann könnte sich die Geschäftsführung so eine Verweigerung kaum mehr leisten, da sie sonst selbst als diejenige dastehen würde, die Patient*innen gefährdet.

An Kampfbereitschaft mangelt es nicht

Die Situation an der Charité ist sicher kompliziert: Während auf manchen Stationen starke Streikbereitschaft herrscht, mögen woanders noch Zweifel bestehen. Aber dass mehr möglich wäre, als nur einzelne Vertreter*innen der Stationen zu einer symbolischen Aktion zu schicken, sollte eigentlich klar sein. Im Jahr 2015 beteiligten sich viele Kolleg*innen an den Streiks für den TV Gesundheitsschutz. Der Personalmangel ist aber weiterhin zu spüren und dementsprechend wird es auch weiterhin Bereitschaft geben, dagegen zu kämpfen. Auch die Pflegerin Grit Wolf sagte dazu in einem ND-Interview: „Die Kollegen meinen schon jetzt: Wir müssen das durchstreiken. „

Stattdessen werden Kolleg*innen jetzt aufgefordert, in ihrer Freizeit an der Aktion teilzunehmen, aber bloß nicht „den Betrieb an der Charité ernsthaft einzuschränken“.

Die CFM bleibt außen vor

Ebenfalls auffällig an der geplanten Aktion: Es wird auf jegliche Verbindung mit den Streikenden der Charité Facility Management (CFM) verzichtet. Die nicht-medizinischen Beschäftigten kämpfen seit Jahren für bessere Bedingungen und sind aktuell ebenfalls in Verhandlungen über einen Tarifvertrag.
Erst im Mai zeigten etwa 200 CFM-Kolleg*innen mit einem 10-tägigen Streik, dass sie entschlossen sind, ihre Forderungen durchzusetzen. Trotzdem handelt es sich bisher um einen Minderheits-Streik, der von jeglicher Unterstützung massiv profitieren könnte. Eine stärkere Solidarisierung zwischen Pflege-Personal und CFM-Beschäftigten wäre dafür ein wichtiger Schritt – nicht nur in Worten, sondern auch in der Praxis. Anstatt die Gräben, die durch die Aufspaltung der Kämpfe 2011 entstanden sind, noch zu vertiefen, wäre es das Mindeste, zu der Aktion am Dienstag auch CFM-Kolleg*innen aufzurufen. Darauf wurde allerdings verzichtet.

„Bundesweiter Pflegestreik“ – gedrosselt, statt durchgezogen

Wenn die angekündigte Aktion nur ein erster Schritt hin zu härteren Maßnahmen wäre, dann gäbe es sicherlich weniger zu kritisieren. Aber es sieht angesichts der Strategie des ver.di-Apparats in Sachen „Pflegestreik“ nicht danach aus: Der Erfolg an der Charité im vergangenen Jahr hatte zwar Belegschaften in vielen anderen Bundesländern dazu inspiriert, ebenfalls für mehr Personal zu streiken. So organisierten sich Pflegekräfte im Saarland, an Hamburger Kliniken und andernorts. Doch anstatt eine bundesweite Streikbewegung zu schmieden, fuhr die ver.di-Führung eine Strategie der Drosselung: Während es Anfang des Jahres noch möglich schien, dass allein im Saarland alle 21 Kliniken gleichzeitig streiken könnten, gibt es mittlerweile nur noch 20 Kliniken in ganz Deutschland, denen ver.di eine Streikerlaubnis erteilt. 80 weitere Kliniken sollen nur mit anderen Aktionsformen Druck machen – sie haben also ein faktisches Streikverbot. Das führte beispielsweise bei den Asklepios Kliniken in Hamburg dazu, dass gut organisierten und streikbereiten Belegschaften plötzlich ihre stärkste Waffe genommen wurde – was für Unmut gegenüber ver.di gesorgt hat. Sieht so eine starke Streikstrategie aus?

Für eine demokratische Kontrolle der Streiks!

Das Problem ist also aktuell nicht, dass ver.di sich mal an einer etwas anderen Aktionsform versucht, sondern, dass diese symbolische Aktion der Ersatz für einen Streik sein soll, den viele Kolleg*innen nach dem Auslaufen des TV GS erwartet haben. Der bunte Anstrich soll darüber hinwegtäuschen, dass die ver.di-Führung die Passivität zur Strategie erklärt.

In ver.di entscheidet letzten Endes allein der Bundesvorstand, ob gestreikt werden darf oder nicht. Und in den letzten Monaten hat dieses Gremium immer wieder Streiktage an den Berliner Krankenhäusern abgelehnt. Im Bundesvorstand sitzen 13 Menschen mit exorbitanten Gehältern und völlig anderen Lebensrealitäten als die Kolleg*innen an der Basis. Dabei wissen diese viel besser, wie sie ihre Forderungen durchsetzen können. Statt kämpferischen Belegschaften Fesseln anzulegen, sollte der ver.di-Apparat deshalb den Kolleg*innen an der Basis die Entscheidung überlassen, wann und wie gestreikt wird. Nur mit demokratischer Kontrolle über einen Arbeitskampf, können die Beschäftigten ihre Interessen wirklich durchsetzen!

Den meisten ist klar: Vor der Bundestagswahl braucht es mehr Druck und nicht weniger. Dafür kann eine Verbindung der Kämpfe von Charité und CFM nur förderlich sein. Statt künstlicher Trennung sollte es heißen: Ein Krankenhaus, eine Belegschaft, ein Streik!

Aktionsstreik für mehr Personal an der Charité


Wann? Dienstag, 8. August, 9-10:30 Uhr
Wo? Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin

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