CFM-Streik: Erzwungener Waffenstillstand

22.02.2012, Lesezeit 25 Min.
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// Eine kritische Bilanz von 13 Wochen Streik in einem prekarisierten Betrieb //

Nach drei Monaten Streik kehrten die KollegInnen der Charité Facility Management (CFM), die ausgegliederte Dienstleistungstochter des Berliner Universitätsklinikums Charité, Mitte Dezember wieder an ihre Arbeit zurück. In einer Urabstimmung hatte die Mehrheit aller Gewerkschaftsmitglieder für eine Aussetzung des Streiks gestimmt. Im Gegenzug wurden geringe Verbesserungen und Verhandlungen über einen Tarifvertrag angeboten – natürlich mit völlig offenem Ausgang. Im offiziellen „Streikkurier“ wurde dieser Zustand als„Waffenruhe“ betitelt. Bei der letzten „Streikversammlung“ am 9. Dezember wurde dagegen eher Abschiedsstimmung vermittelt.

Von Seiten der GewerkschaftsfunktionärInnen wurde die starke Gemeinschaft gelobt, die bestanden habe, und die StreikführerInnen überreichten sich gegenseitig Geschenkkörbe und Blumen. Andererseits herrschte nicht gerade Euphorie unter den verbliebenen Streikenden. Teilweise gab es auch Verärgerung, u.a. bei KollegInnen der Reinigung, die von einer ausgehandelten Einmalzahlung ausdrücklich ausgenommen wurden.

Angesichts dieser widersprüchlichen Situation betonte die kleine anwesende Solidelegation aus GenossInnen von RIO und unabhängigen Studierenden, dass auch für die Zukunft sowohl Aufmerksamkeit gegenüber den VerhandlungsführerInnen als auch weitere Kampfbereitschaft notwendig seien.

Doch was ist nun die Bilanz dieses Streiks? Ist es ein Sieg, wie die GewerkschaftsfunktionärInnen behaupten? Oder braucht es eine kritischere Bilanz der Ereignisse? Wie steht es um die Zukunft der CFM- ArbeiterInnen? Und vor allem: Welche Lehren können aus diesem Streik gezogen werden, für zukünftige Kämpfe bei der CFM und bei anderen Betrieben?

Der Streikverlauf

Mit 13 Wochen Länge war der Streik eine Ausnahme in der BRD. Hierzulande gibt es wenige Beispiele von harten Arbeitskämpfen, erst recht nicht in den wachsenden prekären Sektoren. Der Streik war auch in seiner (relativ) großen Außenwirkung eine Besonderheit. Es gab während der Streikwochen zahlreiche Demonstrationen, auch gemeinsam mit den streikenden KollegInnen von Alpenland (Altenpflege). Es gab Solidarität aus anderen Betrieben und auch eine „offene Streikversammlung“ – eine große Soli-Veranstaltung mit Redebeiträgen in der ver.di-Zentrale. Mehrfach wurde der an der CFM beteiligte Konzern Dussmann behelligt, dessen repräsentatives „Kulturkaufhaus“ an der Friedrichstraße Ziel mehrerer Aktionen wurde. In die Landeszentrale der SPD wurde ebenfalls demonstrierend eingedrungen. Wichtige Aktionen waren außerdem die teils mehrstündigen Blockaden am Zentrallager der CFM, die dem Aufbau wirtschaftlichen Drucks gegenüber der Geschäftsführung am nächsten kamen. Diese Aktionen wurden jedoch nur selten durchgeführt und reichten nicht, um die CFM tatsächlich in Bedrängnis zu bringen.

Gleichzeitig war der Streik von Anfang an ein Minderheitenstreik (knapp 10% der 2500 direkten oder indirekten CFM-Beschäftigten), wodurch sich der wirtschaftliche Schaden für die CFM-Geschäftsführung trotz aller mehr oder weniger radikalen Aktionen in engen Grenzen hielt.

Das Angebot, mit dem nun das Ende des Streiks erkauft wurde, blieb in allen Punkten hinter den ursprünglichen Forderungen zurück. Das Wichtigste: Dem Ziel eines einheitlichen Tarifvertrag ist man kaum näher gekommen als vor dem Arbeitskampf. Zudem kam im Streik die Forderung nach der Wiedereingliederung der CFM in die Charité auf, welche aber seitens der Gewerkschaften gar nicht erst als offizielle Forderung aufgenommen wurde. Stattdessen mussten sich die Streikenden mit einer Anhebung des Mindestlohns auf 8,50 Euro (was zumindest etwa 500 Beschäftigten zu Gute kommt) und einer Einmalzahlung von 300 Euro abfinden, die auch nicht allen KollegInnen gezahlt wird[1].

Der Mai-Streik

Um den Widerspruch zwischen dem kämpferischen Streik und dem mageren Ergebnis zu verstehen, muss die Vorgeschichte des CFM-Streiks einbezogen werden. Denn unzureichend wäre jede marxistische Erklärung, die die Ursache allein in der Prekarität der Arbeitsverhältnisse suchte. Zwar war die Angst vieler Beschäftigter – insbesondere der LeiharbeiterInnen – über einen möglichen Jobverlust groß. Aber auf internationaler Ebene gab es bereits erfolgreichere Streiks unter noch prekäreren Bedingungen. Einer der wesentlichsten Gründe für die geringe Streikbeteiligung war der Verlauf des Mai-Streiks.

Denn bereits Monate früher hatten die KollegInnen der CFM schon einmal ihre Arbeit niedergelegt. Am 2. Mai 2011 hatte ein gemeinsamer Streik der CFM-KollegInnen und der Charité-Angestellten begonnen. Nach einer Woche Ausstand und Millionen Euro wirtschaftlichen Schadens für die Charité-Geschäftsführung setzte die Streikleitung jedoch durch, dass Verhandlungen mit der Charité begonnen wurden, ohne dass die CFM-KollegInnen ein Ergebnis hatten. Trotz aller vorherigen Bekundungen, man werde sich nicht spalten lassen, wurden die relativ gut organisierten und dadurch kampfstarken Bereiche wieder an die Arbeit geschickt und die CFM-KollegInnen ohne Angebot alleine gelassen. Aus dieser deutlich geschwächten Position ließen sich die Streikenden der CFM nach kurzer Zeit ebenfalls zu Verhandlungen überreden, in denen es jedoch kein einziges ernstzunehmendes Angebot gab und die deswegen im September in einen neuen Streik mündeten. Dessen Probleme und Schwierigkeiten waren stark durch die Erfahrungen und die Spaltung im Mai bestimmt. Denn nun fehlte nicht nur die Unterstützung der Pflegekräfte, sondern auch all jener KollegInnen, die der Verrat im Mai abgeschreckt hatte.

Vor diesem Hintergrund wollen wir die Rolle der einzelnen AkteurInnen des Streiks analysieren, um konkretere Lehren aus diesen wichtigen Ereignissen ziehen zu können.

Geschäftsführung und Gewerkschaftsführung

Die Geschäftsführung der CFM war fest entschlossen, den Streik zu brechen und einen Tarifvertrag zu verhindern, und war bereit, sich das einiges kosten zu lassen. Die „Gespräche“ vor Streikbeginn waren eine Farce und schwächten die Streikenden. Die CFM-Geschäftsführung war von Anfang an immer in einer Machtposition und nutzte verschiedenste Waffen: Bestechung durch minimale Lohnerhöhungen für StreikbrecherInnen; Lügen über das Streikrecht; massiver Einsatz von LeiharbeiterInnen; private Sicherheitsdienste zur Einschüchterung und Beobachtung der Streikenden; persönliche Briefe an KollegInnen; bis hin zu rechtlich fragwürdigen Kündigungen. Kurz: Die AusbeuterInnen nutzten alle erdenklichen Mittel, um die Streikfront zu brechen. Doch die Repression der Bosse war bei Weitem nicht allein dafür verantwortlich, dass der Streik nicht erfolgreicher war. Wie immer im bundesrepublikanischen Modell der „Sozialpartnerschaft“ spielten die Gewerkschaftsbürokratien eine besondere Rolle – auch wenn sie sich dieses Mal sehr viel kämpferischer gaben als sonst.

Bei der CFM gibt es drei aktive Gewerkschaften: IG BAU, ver.di (beide DGB) und die gkl (DBB). Besonders perfide war die Rolle des Apparats der IG BAU: Als gewollter Alleinvertreter der ReinigerInnen war ihm die Konkurrenz zu ver.di wichtiger als die unmittelbaren Interessen seiner Mitglieder bei der CFM und der gesamten Belegschaft. Statt sich am Streik zu beteiligen, stellte sich die IG BAU auf die Seite der StreikbrecherInnen, indem sie Propaganda gegen den Streik verbreitete und ihren Mitgliedern verbieten wollte, mitzustreiken.

So führten nur ver.di und die kleinere gkl den Streik. Doch auch bei den kämpfenden Apparaten wurde ihr Bürokratismus immer wieder deutlich. Hauptamtliche GewerkschaftssekretärInnen hatten wie sonst auch die zentrale Führungsrolle inne, und die Streikleitung wurde nicht von Streikenden gewählt, sondern aus Mitgliedern der Tarifkommission besetzt. Zwar war die Streikleitung – sicherlich dank des Einflusses der trotzkistischen Organisation Sozialistische Alternative (SAV) – „offen“, d.h. engagierte Streikende konnten sich direkt an der Führung des Streiks beteiligen, jedoch fehlte eine demokratische Kontrolle durch die Streikenden. Und während es – anders als bei vielen anderen Streiks – beim CFM-Streik auch offene Streikversammlungen gab, hatten diese jedoch meist den Charakter von „Morgenandachten“, also Informationsrunden ohne tatsächliche Diskussion, die insbesondere in den ersten Streikwochen sehr bürokratisch geführt wurden. Aber während bürokratische Manöver zur Zeit des Streiks zumindest offen angesprochen und kritisiert werden konnten, hat die Gewerkschaftsbürokratie seit Beginn der „Waffenruhe“ das Spielfeld für sich alleine. Die Tarifkommission (TK) ist unter undurchsichtigen Bedingungen gewählt worden. Selbst für interessierte KollegInnen ist es schwierig, darüber Auskunft zu erhalten. Die eigentlichen Verhandlungen führt zudem nur eine Verhandlungskommission, die von FunktionärInnen ernannt wird. Informationen bekommen selbst TK-Mitglieder kaum.

Indes: Die unteren GewerkschaftsfunktionärInnen, die den Streik vor Ort geführt haben, waren kämpferischer als es sonst bei deutschen Gewerkschaften üblich ist. Deshalb arbeitete die SAV auch so stark mit ihnen zusammen, in der Hoffnung, sie nach links zu drücken. Allerdings scheiterte diese „kämpferischere“ Perspektive am restlichen ver.di-Apparat. Forderungen nach bundesweiten Solidaritätskampagnen und mehr Anstrengungen seitens der Gewerkschaftsspitze wurden von der bürokratischen Maschinerie zermalmt.

Dass es während des Streiks große Probleme bei der Berechnung des Streikgeldes gab und die Forderungen nach Beseitigung der befristeten Arbeitsverhältnisse nie offiziell in Betracht kamen, zeigte zudem auf, dass die auf Sozialpartnerschaft getrimmten Gewerkschaften keine Strategie für prekäre Betriebe besitzen.

Dass die Gewerkschaften in der Charité bei der Gründung der CFM keinen Widerstand organisierten, jetzt aber gegen die Folgen angehen, wurde von enttäuschten KollegInnen als Grund für ihre StreikbrecherInnen-Tätigkeit vorgeschoben. Dies deutet auf die ganze Widersprüchlichkeit der heutigen Gewerkschaften hin: Einerseits sind sie Apparate, die sich um ihren Selbsterhalt kümmern, und sich dabei durch Streikablehnung und komplizierte Verhandlungen besonders wichtig machen, sowie durch reaktionäre Regelungen die Basis völlig entmachten. Dies äußert sich dann auch in der bevormundenden, geringschätzigen Haltung gegenüber den KollegInnen. Andererseits können die Apparate auch nicht immer auf kampflose Kompromisspolitik setzen, da der sonst folgende Mitgliederverlust die finanzielle Basis der Bürokratie selbst untergraben würde. So hat denn der gewerkschaftliche Riese ver.di die Stärke einer Maus. Um das zu ändern, brauchen wir eine antibürokratische Bewegung an der Basis – dann können die Gewerkschaften jene mächtigen Werkzeuge werden, die sie sein sollten.

Die Rolle der Solidarität

Eine Besonderheit des CFM-Streiks war die relativ große und aussichtsreiche Solidarität. VertreterInnen verschiedener Betriebsräte und -gruppen erklärten sich solidarisch, FahrerInnen der BVG verteilten Flugblätter für die Solidaritätsdemonstration in ihren Bussen und Streikende von Alpenland besuchten das CFM-Streiklokal. Im von der SAV gegründeten und geführten Solidaritätskomitee versammelten sich VertreterInnen aus den Streikleitungen von CFM und Alpenland mit Interessierten, v.a. VertreterInnen der radikalen Linken. Das Solidaritätskomitee war jedoch letztlich in seiner Aktionsfreiheit immer durch das beschränkt, was die Gewerkschaftsspitze von ver.di vorgab. So konnten die AktivistInnen zwar einzelne, sehr gute Solidaritätsaktionen wie Demos und Delegationen und einen Spendenaufruf zur Streikunterstützung organisieren, deren Wirksamkeit wurde aber vom ver.di-Apparat so gut wie gar nicht gefördert. Es konnte auch kein Druck aufgebaut werden, der ver.di dazu gezwungen hätte, selbst eine große Solidaritätskampagne in die Hand zu nehmen. Auch wenn dies angesichts des riesigen Apparats tatsächlich schwierig ist, war der Kuschelkurs gegenüber den unteren GewerkschaftsbürokratInnen seitens des Solikomitees sicher nicht hilfreich.

Eine weitere Dimension der Solidaritätsarbeit waren die Versuche, massive studentische Solidarität für den CFM-Streik zu organisieren. Für uns von RIO ist es von strategischer Bedeutung, das Bündnis von Studierenden mit den ArbeiterInnen wiederzubeleben, dessen revolutionäre Stärke aus internationaler und historischer Perspektive deutlich wird. Der CFM-Streik stellte einen kleinen, aber wichtigen Schritt zur Etablierung dieses Bündnisses dar. Beim Bildungsstreik an der FU Berlin gab es nicht nur allgemeines Interesse am CFM-Streik, es war auch ganz natürlich, dass man sich solidarisch zeigte. Dies stand in starkem Kontrast zu früheren Bildungsstreiks, deren Perspektive beschränkte Selbstbezogenheit war. Die Teilnahme von vielen CFM-KollegInnen an der Bildungsstreik-Demo, und umgekehrt die Teilnahme von Studierenden an der CFM-Alpenland-Solidemo sind erste Anzeichen einer notwendigen Entwicklung. Dennoch werden Arbeitskämpfe von Studierenden immer noch zu selten als mitreißendes und fruchtbares Thema der politischen Intervention wahrgenommen. Das reflektiert durchaus auch das Niveau des Klassenkampfes und des Klassenbewusstseins der Lohnabhängigen in Deutschland insgesamt. Es ist dabei auch ein Ergebnis eines Mangels an gemeinsamer Kampferfahrung, wie sie in Frankreich bei der Bewegung gegen das CPE 2006 oder der Bewegung gegen die Rentenreform 2010, oder in Chile bei der Bewegung für kostenlose Bildung 2011 gesammelt werden konnte[2]. Eine größere Solidaritätsbewegung hätte den Streikenden massiv den Rücken stärken und den Druck auf die Geschäftsführung und die bürgerliche Politik erhöhen können.

Die Rolle der radikalen Linken

Eine wichtige Frage für den CFM-Streik ist die, welche Rolle die Organisationen der radikalen Linken (nicht) gespielt haben. Für eine studentische Solidaritätserklärung gab es viele Unterschriften von linken Gruppen wie Linke.SDS[3], aber leider nur wenig Bereitschaft, die angekündigte Solidarität vor Ort zu vermitteln. Der Großteil der Gruppen der radikalen Linken, die sich auf die ArbeiterInnenklasse beziehen, war bei diesem Streik fast nicht vorhanden; Autonome und AnarchistInnen ließen sich gar nicht blicken.

So wurde der Streik allein von drei trotzkistischen Organisationen unterstützt: von der SAV, der SAS und von RIO. Unsere kleine Gruppe, die in erster Linie aus Studierenden besteht, versuchte außerhalb des direkten Streikgeschehens, beim Bildungsstreik den Arbeitskampf zum Thema zu machen – immerhin gehört die Charité den Berliner Universitäten – und über Solidarität den Streik zu stärken. In diesem Sinne versuchten wir auch bei den Occupy-Bewegten vor dem Reichstag einzugreifen, was allerdings auf Grund unserer personellen Schwäche, aber vor allem der teilweise schockierenden Gleichgültigkeit von Occupy-AktivistInnen gegenüber den tagtäglichen, unmittelbaren Problemen der Lohnabhängigen, kaum Erfolg haben konnte. Gleichzeitig waren wir so oft wie nur möglich bei den Streikenden, um ihren Kampf vor Ort zu unterstützen, bei Aktionen mitzumachen und politische Elemente der Streikdemokratie zu erreichen. Insbesondere Letzteres versuchten wir durch gemeinsame Interventionen mit Streikenden in Flugblättern, aber auch direkt bei den stattfindenden Streikversammlungen zu erkämpfen. Die Sozialistische Arbeiterstimme (SAS), Schwesterorganisation der französischen „LO-Fraktion“ L‘Étincelle, war dabei eine Bündnispartnerin, auch wenn sie sich leider rein auf die Betriebsebene beschränkte und sich so zurückhaltender verhielt als wir es für sinnvoll gehalten hätten. So hielt sie sich bei Streikversammlungen unnötig zurück, weil sie keine politischen Vorstöße machen wollte, die über das momentane Bewusstsein der Beschäftigten hinaus gingen.

Eine weitaus bedeutendere Rolle hatte die SAV. Diese Organisation konnte bereits im Mai-Streik über den Charité-Personalratsvorsitzenden und SAV-Mitglied Carsten Becker einigen Einfluss ausüben (wobei die SAV in ihrer politischen Auswertung des CFM-Streiks die fragwürdige Rolle von Becker beim Abbruch des Streiks völlig verschweigt und die negativen Folgen allein mit dem Halbsatz kommentiert, dass „dies in Teilen der Belegschaft heftige Diskussionen auslöste“[4]). Beim (zweiten) CFM-Streik hatte sie eine deutlich einflussreichere, nahezu tragende Position. Sie erstellte in Zusammenarbeit mit der Streikleitung das Flugblatt „Streikkurier“, das die KollegInnen mehrmals wöchentlich bekamen. An der Solidaritätsarbeit hatte die SAV großen Anteil, ihr Bundessprecher führte das Solidaritätskomitee an und war ein wichtiges Mitglied der Streikleitung. Im Vergleich zu ihrer personellen Stärke war die Intervention jedoch überraschend schwach. Neben den positiven Konsequenzen ihrer Intervention gab es in ihrer Politik im Streik jedoch auch Aspekte mit teilweise sehr negativen Folgen: Denn die Politik der SAV im Streik war es, die untere Gewerkschaftsbürokratie nach links zu drücken. Einerseits fortschrittliche Vorschläge in die Streikleitung einbringen, andererseits einen Propagandablock mit der gewerkschaftlichen Streikführung formieren und offene Kritik zurückhalten, statt den Finger in die Wunde zu legen und Probleme deutlich zu machen.

Insbesondere in der Frage der Streikversammlungen wurde die widersprüchliche Position der SAV deutlich. Sie schlug der Streikleitung zwar Streikversammlungen vor und spielte so eine Rolle dabei, dass überhaupt Streikversammlungen stattfanden. Allerdings verteidigte sie auch die Haltung, dass Streikversammlungen in diesem Kampf (mit der SAV als Teil der Streikleitung) nicht so wichtig wären, u.a. mit dem Argument, dass die KollegInnen dies selbst nicht fordern würden. In den ersten drei Wochen mussten streikende KollegInnen ein Flugblatt verteilen, um tägliche Streikversammlungen zu fordern[5], und bekamen erst dann Unterstützung von der SAV, als alle Mitglieder der Streikleitung ihren Widerstand gegen Streikversammlungen aufgaben.

Obwohl sich die Vorteile von Streikversammlungen in Ansätzen zeigten, sah die SAV es nicht als zentrale Aufgabe für sich an, die Beteiligung der (an Obrigkeit gewöhnten und daher zurückhaltenden) KollegInnen bei den Streikversammlungen zu fördern. Die Streikdemokratie als Waffe gegen den Bürokratismus zu nützen, kam den GenossInnen nicht in den Sinn, da ihnen scheinbar die Streikleitung doch ganz gut gefiel. (Ein SAV-Mitglied wurde auch ohne Wahlen in die Streikleitung kooptiert.) Der schon angesprochene teilweise offene Charakter der Streikleitung war im Vergleich zu sonstigen ultra-bürokratischen Streikführungen zwar ein wichtiges progressives Element zur Politisierung einiger AktivistInnen, an dem die SAV einigen Anteil hatte. Doch mit dem Hinweis auf die „Offenheit“ der Leitung wurde die politisch wichtige Frage der demokratischen Kontrolle des Streiks durch die Streikenden selbst oftmals beiseite geschoben. Denn trotz einer angeblichen „Offenheit“ der Streikleitung ist es für sich formierende oppositionelle Strömungen innerhalb eines Streiks so nicht möglich, in die Streikleitung hineinzukommen. Stattdessen hatte die Streikleitung selbst immer das letzte Wort darüber, wer Teil der Streikführung werden darf und wer nicht. Fundamentale Prinzipien der ArbeiterInnendemokratie zur Bekämpfung von Bürokratisierung wie die jederzeitige Wahl und Abwahl von FunktionärInnen, die die SAV abstrakt auch verteidigt, hatten in diesem konkreten Kampf für sie also untergeordnete Bedeutung.

Diese Politik der Anpassung an das bestehende Bewusstsein lässt die SAV und ihre Interpretation der Übergangsmethode nicht gerade gut aussehen. Sie hat mit zur aktuellen Situation geführt, in der die KollegInnen während der Verhandlungen sich über das Schicksal des Kampfes völlig im Unklaren befinden. Der Informationsfluss liegt einzig in den Händen von GewerkschaftsfunktionärInnen, in die die SAV scheinbar vollstes Vertrauen hat. Das ist alles ziemlich weit weg vom politischen Erbe der Vierten Internationale, auf die sich die SAV – wie auch RIO – bezieht.

Die KollegInnen

Es bleibt die wichtigste Frage: Was bedeutete der CFM-Streik für die Beschäftigten? Zunächst ist klar festzuhalten, dass viele KollegInnen durch den CFM-Streik ein deutlicheres Bewusstsein über ihre Lage bekommen haben. Der Kampf schuf ein klareres Verständnis für den Charakter des Feindes, für die Unvereinbarkeit der Interessen von Beschäftigten und der Geschäftsführung. Ebenso machten die (u.a. internationalen) Solidaritätserklärungen und -aktionen den gesellschaftlichen Charakter des Kampfes sowie die Notwendigkeit deutlich, dass die Lohnabhängigen zusammen kämpfen müssen. Wichtig war aber vor allem die Erkenntnis, dass die Ohnmacht der Beschäftigten nur eine scheinbare ist und dass kämpfen selbst unter schwierigen Umständen möglich ist.

Doch es gibt auch negative Bilanzen: Der Minderheitscharakter des Streiks und die Spaltung der Belegschaft anhand künstlich unterschiedener Betriebszugehörigkeiten (Charité, CFM, Gestellte, LeiharbeiterInnen) konnte nicht wirklich überwunden werden. Dazu kam auch die sinkende Kampfbereitschaft insbesondere in den letzten Wochen des Streiks, durch die sich die negativen Folgen des Mai-Streiks und des Fehlens einer wirklichen Solidaritätskampagne bemerkbar machten. Aber vor allem: Dass ArbeiterInnendemokratie eine Antwort auf die Macht der Gewerkschaftsapparate sein kann, dass bürokratische Strukturen demokratischer Kontrolle unterworfen werden müssen, dies konnte nicht ausreichend vermittelt werden. So haben die VerhandlungsführerInnen der Beschäftigtenseite nicht den Druck einer entschlossenen Basis hinter sich. Im Falle eines Ausverkaufs wird ihnen kaum jemand offensiv und organisiert widersprechen können. Eher werden sich Enttäuschung und Demoralisierung unter den KollegInnen weiter verfestigen.

(Zwischen-)Bilanz und Schlussfolgerungen

Vor diesem Hintergrund ist die Aussetzung des CFM-Streiks nach 13 Wochen trotz des mageren Angebots einerseits verständlich. Die SAV schreibt dazu: „Eine Ablehnung dieses Erfolgs wäre nur gerechtfertigt gewesen, wenn man hätte sicher stellen können, dass der Streik kurzfristig noch deutlich steigerungsfähig ist, um den Druck auf die Arbeitgeber massiv zu erhöhen. Realistisch eingeschätzt war das nur schwer möglich.“[6] Dies ist zum Teil sicherlich richtig. Einen Minderheitenstreik bis zur völligen Demoralisierung weiterführen zu wollen, wäre kaum mehr als ein Kamikaze-Kommando. Andererseits ist es heuchlerisch zu behaupten, dass nicht mehr herauszuholen gewesen wäre. Der Druck auf die CFM-Geschäftsführung hätte nicht erst in den letzten Wochen deutlich erhöht werden dürfen. Schon zu Beginn hätte offensiv die Frage der Blockade des CFM-Zentrallagers angesprochen und eine massive Solidaritätskampagne seitens der Gewerkschaft gefordert werden müssen. Und nicht zuletzt hätte der konsequentere Aufbau einer Streikdemokratie vom ersten Tage des Streiks an die Beteiligung massiv erhöhen und so auch eine größere Schlagkraft aufbauen können, die die zehrende Länge des Streiks möglicherweise gar nicht notwendig gemacht hätte. Zentral aber bleibt die Feststellung, dass der CFM-Streik im Herbst ohne den heuchlerischen Streikabbruch im Mai überhaupt nicht notwendig gewesen wäre.

Wie es nun weitergeht, liegt leider in der Hand der Gewerkschaftsapparate. Eine Fortsetzung des Arbeitskampfes wird es so kaum geben: Es mangelt sowohl an Strukturen, die den Beschäftigten Einfluss auf die Verhandlungen geben, als auch an Absprachen über eine Wiederaufnahme des Streiks.

Insofern müssen wir eine gemischte Bilanz des CFM-Streiks ziehen: Als ungewöhnlich langer und kämpferischer Arbeitskampf konnte er zumindest ein Zeichen für die ArbeiterInnenbewegung in Deutschland setzen. Darauf kann man aufbauen, um in Zukunft schlagkräftigere Streiks zu führen, die den scharfen Angriffen, die unweigerlich kommen werden, etwas Substanzielles entgegensetzen. Doch dazu ist es gerade notwendig, die Schwächen des Streiks zu analysieren und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Nur so kann dieser Teilerfolg tatsächlich eine positive Ausstrahlung auf die ArbeiterInnenklasse haben und einen Schritt in die Richtung zur Rückeroberung der besten Traditionen der deutschen und weltweiten ArbeiterInnenbewegung weisen.

Der Streik zeigte eine ArbeiterInnenklasse, in der nicht die stärksten Elemente zum Kampf blasen, sondern deren schwächste, am meisten ausgebeutete und prekarisierte Sektoren zum ersten Mal nach 30 Jahren bürgerlicher Restauration mit dem ewigen Mantra „Es gibt keine Alternative“ etwas entgegenzusetzen versuchen. Dies alles in Mitten der größten Krise des Kapitalismus seit 80 Jahren, die früher oder später auch hier in Deutschland massiv einschlagen wird. Die Kampfbereitschaft von Teilen der CFM-Belegschaft zeigt uns RevolutionärInnen Anknüpfungspunkte, die wir nutzen müssen, um die fortschrittlichsten Sektoren der ArbeiterInnenbewegung und der Jugend miteinander zu verbinden, um uns gemeinsam mit ihnen auf die kommende Periode vorbereiten zu können.

Zentral für diese Aufgabe ist es, sich nicht mit erzwungenen Waffenstillständen zufrieden zu geben, sondern ein klares Programm und eine klare Strategie für den Kampf zu entwickeln, um diejenigen Teile der Klasse zu fördern, die für den Aufbau einer revolutionären Partei in Deutschland gewonnen werden können. Dies kann nur durch die konsequente Entwicklung und Anwendung einer sowjetischen Strategie geschehen – einer Strategie, die die direkte ArbeiterInnendemokratie und den unerbittlichen anti-bürokratischen Kampf als zentrales Element zur Wiedererlangung des historischen Erbes der internationalen ArbeiterInnenbewegung in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung stellt. Wir laden herzlich dazu ein, diese Strategie mit uns zu diskutieren.

Fußnoten

[1]. Für eine ausführliche Bewertung des angenommenen Angebots der Geschäftsführung siehe: Stefan Schneider: „CFM-Streik: Was bedeutet das Angebot?“

[2]. Zu Frankreich siehe: http://www.revolution.de.com/zeitung/zeitung38/frankreich.html; und: https://www.klassegegenklasse.org/frankreich-brennt/. Zu Chile siehe: https://www.klassegegenklasse.org/kampf-um-kostenfreie-bildung-in-chile/.

[3]. https://www.klassegegenklasse.org/solidaritatserklarung-fur-die-streikenden-cfm-kolleginnen/.

[4]. Sascha Stanicic: „89 Tage Streik an der Berliner Charité. Eine politische Bilanz“. Siehe im Kontrast dazu unsere Kritik der Rolle der SAV im Mai-Streik: Wladek Flakin: „Die SAV beim Charité-Streik“.

[5]. https://www.klassegegenklasse.org/fur-tagliche-streikversammlungen/.

[6]. Stanicic: Ebd.

Solidaritätsdelegationen

An den drei studentischen Solidaritätsdelegationen für den CFM-Streik beteiligten sich neben Mitgliedern von RIO auch unabhängige Studierende. Wir sprachen mit Natalie von der Freien Universität Berlin über ihre Eindrücke.

Was hast du über den CFM-Streik gelernt?

Ich habe begriffen, dass institutionalisierte Gewerkschaften mit hohen Mitgliederzahlen nicht sicherstellen, dass ArbeiterInnen sich für ihre Rechte organisieren und aktiv werden. Damit meine ich nicht, dass die CFM-Streikenden sich nicht organisiert hätten, im Gegenteil. Ich meine, dass die zentrale Komponente zur erfolgreichen Durchführung eines Streiks massiv von der inneren Selbstorganisation der Streikenden abhängt – sie müssen ihre Forderungen gegen die Vorgesetzten aber auch gegen die GewerkschaftsbürokratInnen durchsetzen.

Was ist dir bei der Solidelegation aufgefallen?

Ich war froh darüber, dass wir uns tatsächlich um 9 Uhr morgens getroffen haben, obwohl unser Treffen nichts mit Credit Points zu tun hatte. Außerdem ist mir nochmal klar geworden, was ich dachte zu wissen: dass ich mich als Studentin in einem absoluten Mikrokosmos bewege und denke. Es war eine gute Erfahrung, aus diesem Mikokosmos herauszukommen.

Wie können Studierende und ArbeiterInnen gemeinsame Sache machen?

Indem sie begreifen, was sie trennt und was sie vereint. Studierende und ArbeiterInnen trennen die Beschäftigung, der sie nachgehen. Sie vereint ihre Zukunft: Sie werden gemeinsam zum BIP beitragen und sie werden eben nicht frei entscheiden können, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Gemeinsame Sache können sie machen, indem sie sich nicht primär über ihre Tätigkeit definieren und somit isolieren, sondern über gesellschaftspolitische Anliegen. Die praktische Solidarität und der dadurch entstandene Dialog ist ein erster Schritt.

Berichte und Fotos von den Solidelegationen finden sich unter der Kategorie „CFM-Streik“ auf unserer Website.

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