Ceuta: Abschiebungen an den EU-Außengrenzen
In der vergangenen Woche blickte Europa nach Ceuta, als tausende Menschen sich auf den Weg machten, um ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben und einer Zukunftsperspektive zu folgen. Wieder einmal zeigt Europas Grenzpolitik, dass ihr Menschenleben egal sind.
Was war also los in Ceuta? Kurz: politische Machtspiele. Der Streitpunkt ist, dass der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara in Spanien gesundheitlich behandelt wird. Marokko beansprucht die Westsahara für sich. Natürlich nicht wegen der Flora und Fauna, sondern wegen des weltweit größten Phosphat-Vorkommens. Deshalb wurden auf marokkanischer Seite kurzzeitig die Grenzen geöffnet. Mehr als 8.000 Menschen machten sich auf, die letzten Meter bis zu europäischem Boden zu überwinden. Die letzten Meter nach Ceuta bedeuten, knapp 2.000 Meter im Meer um eine Landzunge zu schwimmen.
Was geht wohl in einer Mutter vor, die mit ihrem wirklich wenige Wochen alten Baby auf dem Rücken versucht durch das fucking kalte Meer über 2.000 Meter weit zu schwimmen? 2.000 Meter, das sind 40 Bahnen im Schwimmbad. Weiter als olympische Triathlet:innen schwimmen müssen. Und die sind austrainiert, ausgeschlafen und fit. Und haben kein Baby auf dem Rücken.
Ceutas Kolonialgeschichte
Ceuta ist ein Überbleibsel aus Spaniens Kolonialgeschichte – in der bürgerlichen Presse wird das kurzum Exklave genannt – denn die Stadt liegt an der Küste Nordafrikas. Rund um Ceuta ist entweder Meer oder Marokko, ebenso bei Spaniens zweiter Exklave Melilla. Wie es bei Küstenstädten an geostrategisch wichtigen Orten so ist, gehörten die beiden Städte im Laufe ihrer Geschichte verschiedensten Ländern an. Seit 1668 ist Ceuta – Melilla seit 1497 – in spanischem Besitz. Die beiden Städte stellen also klassische Kolonien dar.
Von dort aus verteidigten sich die Besatzungsmächte zum einen gegen eine arabische Rückeroberung des spanischen Festlandes, zum anderen waren diese Stützpunkte Ausgangspunkt für eigene Eroberungsversuche des afrikanischen Kernlandes.
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war es Nichtchristen untersagt, sich in den Städten anzusiedeln. Das änderte sich erst, als die Einwander:innen als billige Arbeitskräfte und für die Fremdenlegion rekrutiert wurden. Die räumliche Segregation blieb jedoch weitgehend erhalten und ging mit einer sozioökonomischen und politischen Segregation einher. Die Muslim:innen blieben auf bestimmte Wirtschaftssektoren beschränkt, erhielten nicht den kollektiven Zugang zu schulischer Allgemeinbildung, die sich für die spanisch-christliche Bevölkerung mehr und mehr zur Selbstverständlichkeit entwickelte.
Öffentliche Reaktionen
Die Reaktion der bürgerlichen Presse ist vorhersehbar, sie schreibt von diplomatischen Konflikten, analysiert warum die marokkanische Regierung die Menschen nicht aufhält und berichtet wie irgendwer von der EU irgendetwas über Einhaltung von Grenzverpflichtungen faselt.
Das Baby wurde von einem spanischen Polizeitaucher gerettet, die Bilder dazu gehen um die Welt. Eine Heldengeschichte ist einfach schöner, als das menschenverachtende Abwehrsystem aus Zäunen, Grenzsoldat:innen und gepanzerten Fahrzeugen. Und so eine Heldengeschichte transportiert auch eine positive Botschaft von Menschlichkeit an den Außengrenzen. Nach eigener Aussage ist die eigentliche Arbeit des Helden dieser Geschichte aber Leichen zu bergen. Und das zeigt, wie Menschlichkeit an den EU Außengrenzen eigentlich aussieht.
Statt sich also auf die Heldentat zu stürzen, muss der Blick auf das kranke System geworfen werden, das eine Mutter erst in so eine Aussichtslosigkeit drängt, ihr eigenes und das Leben ihres Säuglings zu riskieren, für den Hauch einer Chance, einen Asylantrag stellen zu können. Wenn sie überhaupt einen Asylantrag stellen kann, denn die meisten Geflüchteten wurden schon wieder nach Marokko abgeschoben, ganz gleich ob ihnen das Recht zustand einen Asylantrag zu stellen oder nicht. In Politiker:innen-Sprache klingt das so:
Europa lässt sich nicht einschüchtern und wird kein Opfer solcher Taktiken sein
Mit Spanien ist nicht zu spaßen
Das ist ein Akt der Auflehnung
Mein vorrangiges Ziel ist es, die Normalität in Ceuta wieder herzustellen
Normalität.
Die ganze normale Trennung zwischen denen, die einfach Pech hatten, außerhalb Europas geboren worden zu sein, und uns. Diese Art von Normalität ist es, die wir mit Sicherheit erwarten können. Denn diese Normalität braucht es, damit das kapitalistische System funktioniert. Für den Profit weniger Kapitalist:innen müssen Mensch und Natur ausgebeutet werden. Und damit die Ausgebeuteten nicht vor der eigenen Tür stehen, braucht es Zäune und Frontex. Zäune und Grenzschützer:innen, gebaut, eingesetzt und bezahlt durch europäische Gelder, beschlossen von europäischen Politiker:innen. 27 Milliarden Euro lässt sich die EU ihr Programm „Migration und Grenzmanagement“ kosten.
Abschiebungen in Deutschland
Grenzmanagement, das gibt es in Deutschland natürlich auch. Deutsches Grenzmanagement erzeugt weniger dramatische Bilder, hier kommen halt keine Menschen halb ertrunken an die Strände geschwommen. Deutsches Grenzmanagement findet auch eher in den frühen Morgenstunden statt und möglichst ohne Öffentlichkeit. In 2019 hat Deutschland über 20.000 und in 2020 über 10.000 Abschiebungen durchgeführt, im ersten Quartal 2021 sind es auch schon knapp 3.000. Deutschland schiebt ab, ganz egal, ob es eine weltweite Pandemie gibt, oder Krieg im Heimatland ist. Auch egal ist, wie „gut integriert“ die Abgeschobenen sind, wie lange sie im Land leben, ob sie einen Arbeitsplatz haben oder in Ausbildung sind. Abschiebungen sollen abschrecken. Häufig wird bei der Debatte um die Außengrenzen der EU auch von einer „Sogwirkung bei Grenzöffnung“ gesprochen. Als würde die gesamte Welt nur darauf warten europäischen Boden zu betreten. Dass aber weder Abschiebungen noch Zäune, Maschinengewehre, Nato-Draht oder 2.000 Meter Meerwasser die Menschen abschrecken, liegt an den Zuständen im Herkunftsland.
Auch ist egal, wer an der Landesspitze ist. In Deutschland sind vermeintlich linke Parteien wie SPD, Linke und die Grünen an Abschiebungen beteiligt. In Spanien ist es die von linksliberalen gepriesene “Podemos” Partei und die PSOE, das spanische Pendant der SPD. Solange Parteien weiterhin die Interessen der Kapitalist:innen vertreten, ist auch keine Änderung zu erwarten, denn sie werden die rassistische, menschenverachtende und letzten Endes auch tödliche Politik weiterhin durchsetzen, in Spanien, in Deutschland, oder sonst wo in Europa. Sei es direkt durch Abschiebungen, oder indirekt durch die monetäre Unterstützung von Frontex oder den EU-Anrainerstaaten, bei denen dann auch beide Augen vor den Menschenrechtsverletzungen verschlossen werden, solange die Grenzen auch wirklich dicht gehalten werden.
Wenn jetzt also Politiker:innen ihr „volles Entsetzen“ bekunden, Marokko zur Einhaltung von Gesetzen auffordern und sich damit als Beschützer:innen von Menschenleben ausgeben, ist das nichts weiter, als geheuchelte Moral. Die Grenzen zu öffnen und sichere Fluchtrouten zu ermöglichen liegt in der Macht eben jener Politiker:innen. Stattdessen werden 12 Meter hohe Zäune mit Nato-Draht gebaut, Abschiebungen durchgeführt und den Menschen wird beim Ertrinken zugeschaut. Um Menschlichkeit geht es hier Niemandem.
Daher bringt es auch nichts, wenn wir unsere Hoffnung auf vermeintlich progressive Koalitionen setzen. Das Prinzip der Abschottung, Ausgrenzung und Teilung ist fest im kapitalistischen System verankert und wird durch Institutionen und Strukturen aufrecht erhalten. Ein menschlicher Umgang mit Geflüchteten lässt sich genauso wenig im Kapitalismus verwirklichen, wie Fluchtursachen zu bekämpfen. Wie auch, wenn die Gründe von Flucht in der kapitalistischen Ausbeutung und Kriegstreiberei liegen?
Gewerkschaften müssen sich mit den Geflüchteten solidarisieren und für eine menschenwürdige Behandlung streiken. Die Gewerkschaft der Polizei, deren Mitglieder regelmäßig Abschiebungen durchführen, muss aus dem DGB ausgeschlossen werden. Und auch die sozialen Bewegungen müssen sich für Geflüchtete stark machen. Immer mehr Menschen fliehen vor Naturkatastrophen. Der Kampf gegen den Klimawandel, für bezahlbares Wohnen und gegen Rassismus geht Hand in Hand mit dem Kampf der Geflüchteten für ihre Rechte.
Deshalb fordern wir die Abschaffung von Frontex, die Anerkennung aller Asylanträge und die Öffnung der Grenzen.