Causa Maaßen: Die Große Koalition ist eine politische Leiche

26.09.2018, Lesezeit 7 Min.
1

Wie in einem schlechten tragikomischen Drama hat sich die GroKo mit Hans-Georg Maaßen beschäftigt. Ein Paradebeispiel dafür, wie verdorben die GroKo ist: Trotz der Unruhe an der Basis beharrt der SPD-Vorstand darauf, in der Bundesregierung zu bleiben.

Die Zeiten gewöhnlicher Koalitionen in der Bundesregierung scheinen vorbei zu sein. In Deutschland herrscht eine Krise der Repräsentation. Die Causa Maaßen zeigt das sehr klar.

Wochenlang haben sich die Parteien der Großen Koalition über Maaßens profaschistische Äußerungen zu den rechten Hetzjagden in Chemnitz gestritten. Als klar wurde, dass er selbst für die Regierungsparteien nicht mehr als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz tragbar ist, berieten sie, welchen Posten Maaßen stattdessen bekommen soll. Der gesellschaftliche Druck auf die Bundesregierung war enorm hoch; der Verfassungsschutz wurde teilweise offen in Frage gestellt. Für Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ist Maaßen jedoch ein „kompetenter, integrer Mitarbeiter“, der unter allen Umständen in Schutz genommen werden soll. Ihm glückte das Manöver, Maaßen in sein Ministerium zu holen – und sich bei dieser Gelegenheit auch noch des einzigen SPD-Mannes in der Riege der Staatssekretäre zu entledigen. SPD-Chefin Andrea Nahles und der SPD-Vorstand haben diesen Kurs letztlich akzeptiert – und damit ihr eigenes Grab noch ein klein wenig tiefer geschaufelt.

Die Causa Maaßen ist kein persönliches Problem

Statt auf die Forderungen der aufgrund der Ereignisse in Chemnitz empörten Massen einzugehen, nämlich Maaßen aus allen Ämtern zu entfernen, hat die Bundesregierung die ganze Situation in widerlicher Art und Weise dramatisiert und auf ein persönliches Problem reduziert.

Der erste Vorschlag basierte darauf, Maaßen zum Staatssekretär im Innenministerium zu ernennen. Er wäre für die Bundespolizei, Cyber- und Informationssicherheit und öffentliche Sicherheit zuständig gewesen und hätte dafür sogar rund 30.000 Euro jährlich mehr bekommen. Dieser Beschluss der deutschen Bundesregierung war dermaßen dreist, dass er auf eine neue Welle des Protestes stieß. Die „Beförderung von Maaßen“ füllte zurecht die Schlagzeilen. Überfordert von der Empörung über die skandalöse Entscheidung schrieb Nahles daraufhin einen persönlichen Brief an Merkel, um die Entscheidung zu überdenken: „Es ist offensichtlich mit dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen nicht vereinbar, dass Herr Maaßen als Ergebnis seiner Arbeit zwar abgezogen werden muss, gleichzeitig aber – wenn auch an anderer Stelle – befördert wird.“ Noch tags zuvor hatte Nahles offenbar nicht dasselbe „Gerechtigkeitsempfinden“ – hatte sie doch Maaßens Beförderung ebenso zugestimmt.

Nun haben sich die GroKo-Spitzen darauf geeinigt, Maaßen zum Sonderberater zu ernennen – ohne Lohnerhöhung. Für die rechte Innenpolitik ist Maaßen in dieser Position zweifellos gut geeignet. Aber auch wenn Maaßen nun nicht mehr Verfassungsschutz-Chef ist, ignoriert die Bundesregierung das zentrale Problem: die Aufklärung der Verstrickung des deutschen Staates in den faschistischen Terror. Nicht nur in Sachsen, sondern auch in NRW, Berlin – kurzum bundesweit. Um diesen Prozess sauber durchzuführen, den wieder aufstrebenden deutschen Faschismus zu bekämpfen und denjenigen, die vom Verfassungsschutz und Staat kriminalisiert werden, eine politische Entfesslung zu ermöglichen, ist die Auflösung des Verfassungsschutzes eine dringende Notwendigkeit.

Maaßen ist kein individuelles Problem, sondern ein Produkt der Verstrickung des deutschen Staates in den faschistischen Terror. Die faschistischen Brandanschläge auf die Lager, wo Geflüchtete im Auftrag der Bundesregierung eingesperrt bleiben, haben in den letzten Jahren enorm zugenommen. Die NSU-Morde und der Schlussstrich unter den Prozess haben zum einen die Dimension der faschistischen Gefahr, zum anderen den rechten Charakter der deutschen bürgerlichen Justiz veranschaulicht. Maaßen widerspiegelt also die strukturellen Fragen des Verfassungsschutzes, der nicht reformierbar ist. Er gehört aufgelöst.

Seehofer vs. Merkel: Round 2

Nach dem letzten Seehofer-Aufstand ist der Fall Maaßen die nächste offene Konfrontation zwischen der Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und dem Bundesinnenminister und CSU-Chef. Während Merkel sich immer wieder von rechts unter Druck gesetzt sieht, versucht Seehofer mit seinem ultrarechtem Gepolter, seine stark kriselnde CSU vor einem völligen Debakel bei den anstehenden Landtagswahlen in Bayern zu bewahren. Ob Seehofers Kurs aufgeht, ist fraglich: Ungeachtet seiner Hetztiraden und Manöver steuert die CSU auf das schlechteste Wahlergebnis seit 1950 zu. Doch Merkel bleibt nicht unbeschadet: Ihre Fähigkeit, die Koalition zu stabilisieren, ist stark vermindert – der Merkelismus als Synonym für Stabilität kommt unaufhaltsam an sein Ende. Die nächste Verschärfung der Unionskrise war die Wahl Ralph Brinkhaus‘ als Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag. Nach 13 Jahren ist damit der Merkel-Vertraute Volker Kauder abgewählt. Nach Seehofers Maaßen-Manöver ist das ein weiterer Sieg für die Rechten in der Union. Nach den Landtagswahlen wird sich zeigen, ob es Merkel temporär gelingt, ein neues Kräfteverhältnis innerhalb der Union zu etablieren – oder ob der Untergang der CSU auch die Kanzlerin in die Tiefe reißt.

Die GroKo polarisiert die SPD

Und welchen Einfluss hat die Causa Maaßen auf die SPD genommen?

In einem Brief an die SPD-Mitglieder schrieb Nahles: „Die SPD sollte diese Bundesregierung nicht opfern, weil Horst Seehofer einen Beamten anstellt, den wir für ungeeignet halten“. Es gibt einen Riesendruck auf den SPD-Vorstand, aber der Inhalt reduziert sich auf die Ebene des politischen Schicksals von Maaßen. Die Basis wollte eine Strafe – Nahles und der Vorstand hingegen akzeptierten Seehofers Kurs.

Die Unruhe innerhalb der SPD gegenüber der Anpassung an die Koalitionspartner wächst. Die SPD-Führung beharrt darauf, um jeden Preis in der GroKo zu bleiben. Ihre bisherige Handlungskrise drückt sich in faulen Kompromissen und Einschränkungen der Sozialpartnerschaft aus. Dabei gibt es unterschiedliche Ansätze: Während es an der Basis einen realen Unmut gegen die Politik der GroKo gibt, geht es den Karrierist*innen wie Kevin Kühnert darum, die Unzufriedenheit der Basis für den eigenen Aufstieg in der SPD zu instrumentalisieren. Doch die Krise der SPD-Führung ist offensichtlich.

Der Mehrwert der SPD bestand aus Sicht der herrschenden Klasse historisch darin, dass sie mit Hilfe der Sozialpartnerschaft die Arbeiter*innenklasse in das System eingebunden hat. Doch sie verliert Unterstützung an der Basis der Gewerkschaften, weil sie für die Arbeiter*innenklasse keine sozialen Reformen mehr erkämpfen kann. Sie wird daher im fortschreitenden Maße nutzlos und verliert massiv an Unterstützung. In der Folge wird sie auch als staatstragende Partei für die herrschende Klasse irrelevant.

Der letzte Versuch der degenerierten Führung, mit Martin Schulz linksreformistische Politik zu machen, hat sich schnell diskreditiert. Nun ist sie in der Bundesregierung eine Partei, die mit dem Parteirechten Olaf Scholz auf der schwarzen Null besteht, d.h. die Forderungen nach Lohnerhöhungen und Verbesserungen von Schulen und Krankenhäusern ignoriert. Bleibt die SPD auf ihrem Kurs, wird sie weiter absinken.

Raus aus der GroKo!

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil hat die Entscheidung im Fall Maaßen als akzeptables Ergebnis bezeichnet und Seehofer dazu aufgerufen, sich um die Lösung der Probleme im Land zu kümmern.
Dabei ist Chemnitz und der Rechtsruck allgemein aktuell das wichtigste Problem, das einen sozialen Einfluss auf die Gesellschaft nimmt. Der faule Maaßen-Kompromiss bedeutet jedoch die Anerkennung der rassistischen Aussage von Seehofer, Migration sei die „Mutter aller Probleme“. Der profaschistische Maaßen steigt auf, der Verfassungsschutz und die Faschist*innen in Chemnitz bleiben unangetastet und die Zusammenarbeit mit Seehofer geht weiter.

Die allererste Voraussetzung für die Lösung der Probleme im Land ist der Austritt aus dieser Koalition, um als Opposition gemeinsam mit den Gewerkschaften zu kämpfen.

Mehr zum Thema