Calle 13 in Berlin

20.08.2012, Lesezeit 3 Min.
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Die "Neue Welt" in Neukölln sah am Mittwoch Abend wie ein Familientreffen der lateinamerikanischen Community Berlins aus: In der ausverkauften Halle schwenkte man Fahnen von Kolumbien, Venezuela, Argentinien, Uruguay usw. Doch auf der Bühne war nur die Fahne Puerto Ricos aufgehängt, denn es spielte "Calle 13": sie sind zur Zeit die erfolgreichste Band in der Latino-Welt und gleichzeitig die bekanntesten BefürworterInnen der Unabhängigkeit ihrer US-amerikanischen Kolonie.

Die Musik war eine Mischung aus Hiphop, Rock, Reggaeton – vor allem mit den schweren Schlaginstrumenten, die den "ritmo puertorriqueño" ausmachen. Wer einen Eindruck davon haben will, wie beängstigend dieser Rhythmus auf einen weißen US-Amerikaner haben kann, sollte die nachgestellte Erfahrung des Journalisten Hunter S. Thompson auf der Insel im Film "Rum Diary" sehen.

Die Texte waren auf Spanisch aber die Ansagen waren auf bestem "Spanglish" – der Sänger "Residente" wechselte fließend zwischen den beiden Sprachen, sich selbst übersetzend. Im Publikum hatte die große Mehrheit jedoch keine Mühe, die spanischen Texte mitzusingen.

Calle 13 erlangte Berühmtheit, als die Untergrund-Rapper im Jahr 2005 ein Lied für den puertoricanischen Revolutionär Filberto Ojeda Ríos aufnahmen, nachdem der Kopf der bewaffneten Gruppe "Los Macheteros" von der US-Bundespolizei erschossen wurde. Das Lied "Querido FBI" ist eine hasserfüllte Antwort auf diese Besatzungsmacht. In den Jahren danach hat die Band nach eigener Angabe "viele Todesdrohungen und zwölf Grammys" bekommen.

An Stelle eines offenen Aufrufs zum bewaffneten Kampf gegen das Imperium sind die subversiven Botschaften inzwischen etwas massentauglicher verpackt. Jetzt heißt es etwa: "Wir werden uns schlecht benehmen!" Doch die Gruppe hat ihre Verbindung zur linken Basis nicht verloren. Ihren Grammy widmeten sie dem jungen trotzkistischen Aktivisten Mariano Ferreyra, der bei Protesten streikender EisenbahnerInnen in Buenos Aires von der Gewerkschaftsbürokratie erschossen wurde. Bei einem Besuch in Argentinien sind sie mit T-Shirts für Mariano aufgetreten, und besuchten bei der Gelegenheit auch die besetzte Keramikfabrik Zanon.

Auch beim Auftritt in Berlin waren die meisten Lieder "den kämpfenden Studierenden in Chile" oder der Bewegung der Empörten in Mexiko, "yosoy132", gewidmet. Calle 13 ist sicherlich nicht sozialrevolutionär – ihre Politik erinnert eher an Eduardo Galeano mit seinen "Offenen Adern Lateinamerikas" als an José Carlos Mariátegui mit seinem marxistischen Revolutionsprogramm – und klingt für hiesige Verhältnisse nicht wenig sexistisch, ist aber ein kämpferischer antikolonialer "Tanz der Armen", wie die Band es selbst nennt.

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