C.L.R. James, Walter Rodney und Leo Trotzki: Die Frage der Macht

09.08.2017, Lesezeit 7 Min.
1

Eine kritische Würdigung der Lektion „Walter Rodney and the Question of Power.”

„Du musst wissen, wie die Macht zu erobern ist.” Am 30. Januar 1981 stellte der marxistische Revolutionär C.L.R. James diese Aufforderung an sein Zuhörer*innen an der University of California. Hintergrund war die Ermordung Walter Rodneys am 13. Oktober 1980 durch das bürgerliche Regime des Präsidenten Forbes Burnham in Guyana.

Walter Rodney führte einen kompromisslosen Kampf für die soziale Revolution, machte jedoch gleichzeitig eklatante Fehler, die letztlich seine Ermordung begünstigten. C.L.R. James setzte auf dem Symposium zu Ehren des gefallenen guyanischen Revolutionärs die Frage der Machteroberung in den Vordergrund, mahnend und eindrucksvoll zugleich.

„Die Revolution kommt wie der Dieb in der Nacht“

Der Aufstand, der sich über die Revolution erhebt wie ein Gipfel in der Bergkette, kann ebensowenig willkürlich hervorgerufen werden wie die Revolution in ihrer Gesamtheit. Die Massen vollziehen wiederholte Angriffe und Rückzüge, ehe sie sich zum entscheidenden Sturm entschließen. – Leo Trotzki

Gemeinhin ist die Passage berühmt, als Lenin am 22. Januar 1917 bei einem Referat über die Russische Revolution von 1905 in Zweifel zog, ob er und seine Generation noch die „entscheidenden Kämpfe der kommenden Revolution” miterleben würden. Keine zwei Monate später brach die Februarrevolution aus, ein Ereignis, das Lenin so nicht vorausgesehen hatte und ihn natürlich dazu bewog, so schnell wie möglich irgendwie nach Russland zu gelangen. In den kommenden Monaten bis zum Oktober waren die verschiedenen bürgerlichen Regierungen so schwach, dass die Macht wie selten zuvor in den Straßen lag.

C.L.R. James bewog diese Passage der unerwarteten Revolution zu der Annahme, dass die plötzliche, spontane Aufwallung der revolutionären Massen nach diesem unvorstellbaren Schema zu geschehen habe.

Er leugnet nicht die Vorbereitung, die zur erfolgreichen Machteroberung notwendig ist, jedoch schließt er die subjektive Komponente der revolutionären Explosion fast vollständig aus. „Die Revolution kommt wie der Dieb in der Nacht”, so Karl Marx. Dies verleitet James zu der Überzeugung, dass eine revolutionäre Situation nicht vorhergesehen werden könne. Die Folge dieses Objektivismus wird schnell klar: Auch die Notwendigkeit einer revolutionären Partei wird zwar als nützlich, jedoch nicht als condition sine qua non, das heißt als essentielle Bedingung zur Machteroberung betrachtet. Es leuchtet ein, warum dieser brillante Historiker die Reihen der IV. Internationale verlassen hatte.

Nichtsdestotrotz ist sein Studie eine wichtige Lehre für revolutionäre Marxist*innen. Das tragische Ende Rodneys ist ein wichtiges Kapitel in unserer Bibliothek des Widerstandes und der Vorbereitung für das Ende der Herrschaft der Bourgeoisie.

Gefährliche Brandung

Was Marxist*innen von vielen anderen Linken unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir mit dem Aufbau einer revolutionären Partei die Macht erobern wollen. Es kann in diesem Punkt mit C.L.R. James keine größere Gemeinsamkeit geben, der in der Lektion ständig und wiederholend die Notwendigkeit des Studium der revolutionären Machteroberung anmahnt. Er selbst nennt hierzu historische Beispiele einer revolutionären Situation, wo sich die Machtfrage konkret und dringend stellte: Jamaika 1937/38, Trinidad 1970 sowie die damals naheliegenden Beispiele der Massendemonstrationen im Iran und Polen.

Rodney selbst kam aus Guyana und sah sich mit dem Präsidenten Forbes Burnham einem Regime konfrontiert, welches eine antiimperialistische Rhetorik benutzte, nachdem Guyana erst 26.Mai 1966 seine Unabhängigkeit vom britischen Kolonialismus erkämpfte. Der antiimperialistische Duktus spielte umso mehr eine Rolle, als britische Truppen auch 1953 militärisch intervenierten, um den Premierminister Cheddie Jagan aus dem Amt zu jagen, weil dieser mit seiner Peoples Progressive Party (PPP) einen moskaufreundlichen Kurs pflegte.

Auch Forbes Burnham sollte aus dieser Partei entspringen und sodann seine eigene Partei namens People’s National Congress (PNC) gründen. Die PNC war der Gegenpol zur Partei von Walter Rodney, der People’s Alliance, die mit der Zeit immer mehr der Repression durch die PPP ausgesetzt war.

Über die Revolution

Da die revolutionäre Situation für James nicht vorhersehbar ist, ist die Revolution selbst für ihn ebenso unkontrollierbar:

Die Revolution, der Aufstand der Massen, ist ein gewaltiges Ereignis, welches die Menschen nicht kontrollieren können. Daher haben wir dies zu akzeptieren. Du initiierst solche Ereignisse nicht initiieren.

Der revolutionäre Marxismus geht keineswegs von einer künstlichen Schaffung einer Revolution aus. Doch was den Bolschewismus von der Theorie James‘ unterscheidet, ist die aktiv-initiative Rolle einer Partei, welche die Massen anführt, weil sie die Avantgarde der Arbeiter*innen organisiert hat.

Es ist sogar richtig, dass eine Revolution – Trotzki beschreibt es in dieser Stelle mit dem Synonym „Volksaufstand” – auch ohne eine Verschwörung erfolgreich sein kann. Die Februarrevolution ist ein Beispiel davon, aber auch die Novemberrevolution 1918 in Deutschland. In beiden Fällen zeigt sich eine revolutionäre Gärung in den Vormonaten durch vermehrte Streiks und Demonstrationen ab. Doch das tatsächliche Ereignis war unmöglich vorherzusehen – selbst für hervorragend ausgebildete Revolutionär*innen wie Lenin. Doch damit fängt es erst an.

Leo Trotzki meint: „Es genügt nicht, die macht zu ergreifen. Man muss sie halten.” Und hier scheiden sich die Wege zwischen dem revolutionären Marxismus und C.L.R. James (und zwischen Marxismus und Blanquismus, wie Trotzki in seinem berühmten Kapitel über „Die Kunst des Aufstands” beweist). Trotzki weiter:

Wie es dem Schmied nicht gegeben ist, mit bloßen Händen glühendes Eisen anzufassen, so kann das Proletariat nicht mit bloßen Händen die Macht ergreifen: es braucht eine für diese Aufgabe geeignete Organisation. In der Verknüpfung von Massenaufstand und Verschwörung, der Unterordnung der Verschwörung unter den Aufstand, der Organisierung des Aufstandes durch die Verschwörung besteht jenes komplizierte und verantwortliche Gebiet der revolutionären Politik, das Marx und Engels „die Kunst des Aufstandes“ nannten. Sie setzt voraus eine richtige Gesamtführung der Massen, eine elastische Orientierung in den sich verändernden Bedingungen, einen durchdachten Angriffsplan, Vorsicht bei der technischen Vorbereitung und Kühnheit beim Zuschlagen.

“Er hätte niemals dort sein dürfen“

Bezeichnenderweise unterscheiden wir uns hiermit mehr von C.L.R. James als von Walter Rodney. James analysiert nur kurz die Umstände der Ermordung, die aus taktischen Fehlern resultierten und für die Rodney mit seinem Leben bezahlen musste. Rodney vermochte es nicht, sich im richtigen Moment zurückzuziehen, wenn nötig gar unterzutauchen, da die Schergen von Burnham ihn schon länger in ihrem Visier hatten. Es war letztlich ein Bombenanschlag, der den relativ jungen Revolutionär viel zu früh aus dem Leben riss.

James vergleicht die repressive Situation Rodneys mit jener Lenins vor seiner Flucht Juli 1917 nach Finnland. Diese klandestine Flucht war überlebenswichtig geworden, auch für Rodney. Einerseits, weil er zu jener Zeit noch nicht über die nötigen Kader zur Machteroberung in der ehemaligen britischen Kolonie Guyana verfügte. Andererseits aber selbst mit der Erwartung eines Bürger*innenkriegs gegen das Burnham-Regime (wo der Diktator selbst über 80 Prozent der Wirtschaft kontrollierte) nicht die Vorkehrungen traf, um jeglichen Kontakt mit Burnhams Armee zu vermeiden: „Er hätte niemals dort sein dürfen”, so James zur Stelle der Bombenexplosion, die in einem Auto geschah.

Dabei entging er schon vorher nur knapp dem Tod; es war der mangelnde taktische Rückzug, gepaart mit einem Unverständnis für die Herangehensweise zur Machteroberung. Auf dramatische Art und Weise veranschaulicht also Rodneys Tod das Studium einer Strategie zur Eroberung der Macht. Dies ist ebenso der Zweck der Lektion von C.L.R. James, die er seinen Zuhörer*innen erteilte, immer bedacht, diese Mutter aller Fragen der revolutionären Politik nie aus den Augen zu verlieren.

Mehr zum Thema