C.L.R. James und Leo Trotzki: Eine Schwarze Organisation
Am 5. April 1939 diskutierte C.L.R. James mit Leo Trotzki in Coyoacán in Mexiko über die Bedingungen, unter denen die Socialist Workers Party [Partei sozialistischer Arbeiter*innen] in den Vereinigten Staaten eine revolutionäre Organisation für Schwarze Arbeiter*innen gründen konnte.
(Vor der Diskussionsrunde schickte Genossen James ein Manuskript, das von allen anwensenden gelesen worden war.)1
Trotzki: Die sehr wichtige Frage ist, ob es empfehlenswert und ob möglich sei, eine solche Organisation aus unserer eigenen Initiative heraus zu gründen. Unsere Bewegung kennt sich aus mit solchen Strukturen wie denen einer Partei, einer Gewerkschaft, einer Bildungsorganisation, einer Kooperative; aber das hier ist eine neue Art der Organisation, die nicht mit den traditionellen Strukturen übereinstimmt. Wir müssen die Frage, ob es also zu empfehlen ist oder nicht und wie unsere Beteiligung in dieser Organisation aussehen sollte, von allen Seiten beleuchten.
Wenn eine andere Partei eine solche Massenbewegung organisiert hätte, würden wir sicherlich als eine Fraktion teilnehmen, vorausgesetzt sie umfasst Arbeiter, das arme Kleinbürgertum, arme Bauern, und so weiter. Wir würden dort hineingehen, um für unsere Partei zu arbeiten. Aber das ist anders. Hier wird vorgeschlagen, dass wir die Initiative ergreifen. Auch ohne die konkrete Situation in Schwarzen Kreisen in den Vereinigten Staaten zu kennen, glaube ich, dass wir zugeben können, dass niemand außer unserer Partei in der Lage ist auf einer realistischen Basis eine solche Bewegung zu bilden. Selbstverständlich haben die von provisorischen Schwarzen Anführer geführten Bewegungen, wie wir sie in der Vergangenheit gesehen haben, mehr oder weniger den Unwillen oder die Unfähigkeit, die Niederträchtigkeit aller bestehenden Parteien ausgedrückt.
Keine der Parteien kann eine solche Aufgabe annehmen, weil sie Imperialisten sind, entweder für oder gegen Roosevelt. Eine solche Organisation der unterdrückten Schwarzen bedeutet für sie eine Schwächung der „Demokratie“ und der Großunternehmen. Das trifft auch auf die Stalinisten zu. Daher ist unsere Partei die einzige Partei, die fähig ist eine solche Aktion zu beginnen.
Aber es bleibt die Frage, ob wir die Initiative einer solchen Selbstorganisation von Schwarzen auf uns nehmen können – nicht für den Zweck, einige Elemente für unsere Partei zu gewinnen, sondern für den Zweck der systematische politischen Ausbildung, um ihr politisches Niveau anzuheben. Was sollte die Form – was die richtige Linie unserer Politik sein? Das ist unsere Frage.
Curtiss: Wie ich Genosse James bereits gesagt habe, die Kommunistische Partei hat den American Negro Labor Congress [Amerikanischer Kongress der Schwarzen Arbeit] und die League of Struggle for Negro Right [Liga des Kampfes für die Rechte der Schwarzen] organisiert. Keiner der beiden war besonders erfolgreich. Beide waren sehr schlecht organisiert. Ich persönlich denke, dass eine solche Organisation initiiiert werden sollte, aber ich denke es sollte sorgfältig getan werden und auch nur nach einem Studium aller relevanten Faktoren und auch der Gründe für den Zusammenbruch der zwei oben genannten Organisationen. Wir müssen uns einer Massenbasis sicher sein. Einen Schatten unserer selbst zu schaffen würde nur dazu dienen, die Idee zu diskreditieren und niemandem nützen.
Trotzki: Wer waren die Anführer dieser Organisationen?
Curtiss: Fort-Whiteman, Owen, Haywood, Ford, Patterson; Bob Minor war der Anführer der Arbeit der Schwarzen der Kommunistischen Partei (CP).
Trotzki: Wer sind heute die Anführer?
Curtiss: Die meisten von ihnen sind in der CP, soweit ich weiß. Einige von ihnen haben die Bewegung verlassen.
Owen: Genosse James scheint zu denken, es gäbe eine gute Chance in der nahen Zukunft eine solche Organisation aufzubauen. Ich möchte mehr dazu von ihn hören.
James: Ich denke, dass es erfolgreich sein sollte, weil ich eine große Anzahl an Schwarzen getroffen und mit vielen Schwarzen Organisationen gesprochen habe. Ich habe den Punkt der Vierten Internationalen vorgetragen, insbesondere in Bezug auf die Frage des Krieges und jedes Mal gab es großen Beifall und die Ideen wurden sehr enthusiastisch aufgenommen. Eine große Menge der Schwarzen hasst die Communist Party [Kommunistische Partei] … Bis zur letzten Tagung hatten 79 Prozent der Schwarzen Mitglieder in New York State, 1.579 Menschen, die CP verlassen. Ich traf viele der Repräsentanten und sie waren jetzt gewillt, eine Schwarze Organisation zu gründen, aber sie wollten nicht Teil der Vierten Internationale werden. Ich war zu dem Schluss gekommen, dass die Möglichkeit einer Schwarzen Organisation bestünde, bevor ich New York verließ, aber ich wartete, bis ich mit der Schwarzen Bevölkerung verschiedenster Städte in den Staaten in Kontakt gekommen war. Und ich fand heraus, dass die Eindrücke die ich New York gesammelt hatte, mit denen meiner Tour übereinstimmten…
Trotzki: Ich habe mir zu dieser Frage keine Meinung gebildet, weil ich nicht genug Informationen habe. Das, was uns Genosse James gerade erzählt, ist sehr wichtig. Es zeigt, dass wir einige Elemente für eine Zusammenarbeit in diesem Bereich haben können, aber gleichzeitig schränkt diese Information die unmittelbare Perspektive der Organisation ein. Wer sind diese Elemente? Ein Großteil sind Schwarze Intellektuelle, ehemalige stalinistische Funktionäre und Sympathisanten. Wir wissen, dass breite Schichten von Intellektuellen in jedem Land den Stalinisten den Rücken zukehren. Wir haben Leute beobachten können, die uns sehr wohlgesonnen sind: Eastman, Solow, Hook und weitere. Sie waren uns insofern wohlgesonnen, als sie uns als Objekt ihres Schutzes betrachteten. Sie haben die Stalinisten verlassen und suchten ein neues Handlungsfeld, insbesondere während der Moskauer Prozesse, und so waren sie für die Phase unsere Freunde. Da wir aber jetzt eine energische Kampagne begannen, sind sie uns feindlich gesinnt.
Viele von ihnen kehren zu allen möglichen vagen Dingen zurück – Humanismus etc. Plisnier, der berühmte französische Autor, kehrte zu Gott und auch zur Demokratie zurück. Aber als die weißen Intellektuellen zu Roosevelt und zur Demokratie zurückkehrten, suchten die enttäuschten Schwarzen Intellektuellen nach einem neuen Feld auf der Grundlage der Frage der Schwarzen. Natürlich müssen wir sie nutzen, aber sie sind keine Basis für große Massenbewegungen. Sie können nur genutzt werden, wenn es ein klares Programm und gute Slogans gibt.
Die wahre Frage ist, ob es möglich ist oder nicht, eine Massenbewegung zu organisieren. Ihr wisst, dass wir für solch enttäuschte Elemente FIARI 2geschaffen haben. Dies ist nicht nur eine Organisation für die Künstler; jeder darf eintreten. Es ist etwas wie ein moralischer oder politischer „Ausweg“ für die enttäuschten Intellektuellen… Das ist eine Sache: Aber du siehst drei Schwarze Intellektuelle als Leitung einer Massenbewegung.
Dein Projekt würde so etwas wie eine vor-politische Schule erschaffen. Was bestimmt die Notwendigkeit? Zwei fundamentale Fakten: Dass die großen Masse der Schwarzen rückständig gehalten wird und unterdrückt und diese Unterdrückung ist so stark, dass sie sie in jedem Moment spüren muss; sie spüren sie als Schwarze. Wir müssen eine Möglichkeit finden, diesem Gefühl einen politisch organisierten Ausdruck zu verleihen. Ihr werdet vielleicht sagen, dass wir in Deutschland oder in England nicht solch halb-politische, halb-gewerkschaftliche oder halb-kulturelle Organisationen machen; darauf antworten wir, dass wir uns den echten Schwarzen Massen in den Vereinigten Staaten anpassen müssen.
Ich werde euch ein weiteres Beispiel nennen: Wir sind stark gegen die „Französische Wende“3.Wir haben unsere Unabhängigkeit aufgegeben, um in eine zentristische Organisation eingetreten. Ihr seht, dass diese Schwarze Frau schreibt, dass sie nicht Teil einer trotzkistischen Organisation sein wird. Es ist das Ergebnis der Enttäuschungen, welche sie von den stalinistischen Organisationen hat und auch der Propaganda der Stalinisten gegen uns. Sie sagen „Wir werden schon verfolgt, nur weil wir Schwarze sind. Wenn wir uns nun den Trotzkisten anschließen, werden wir noch mehr unterdrückt werden.“
Warum sind wir in die Socialist Party und die PSOP 4 eingetreten? Wenn wir nicht der linke Flügel wären, den schwersten Schlägen ausgesetzt, könnte unsere Anziehungskraft zehn oder 100 Mal stärker sein; Die Menschen würden zu uns kommen. Aber jetzt müssen wir in andere Organisationen eindringen, mit erhobenem Haupt und ihnen sagen, dass wir nicht so schlimm sind, wie sei es sagen.
Es gibt eine gewisse Analogie mit den Schwarzen. Sie wurden durch die Weißen versklavt. Sie wurden von den Weißen befreit (so genannte Befreiung). Sie wurden von den Weißen geführt und in die Irre geführt und hatten nicht ihre eigene politische Unabhängigkeit. Sie brauchten eine vor-politische Aktivität, als Schwarze. Theoretisch scheint es mir absolut klar dass für besondere Situation eine besondere Organisation gemacht werden sollte. Die Gefahr ist bloß, dass es zu einem Spiel für die Intellektuellen wird. Diese Organisation kann ich nur rechtfertigen, wenn sie Arbeiter gewinnt, Farmpächter, und so weiter. Wenn es nicht erfolgreich ist, werden wir uns eingestehen müssen, dass es ein Scheitern war. Wenn es erfolgreich ist, werden wir sehr glücklich sein, weil wir eine Massenorganisation von Schwarzen haben werden. In dem Fall stimme ich mit Genosse James komplett überein, außer natürlich mit einigen Vorbehalten in der Frage der Selbstbestimmung, wie in unserer anderen Diskussion festgestellt wurde.
Die Aufgabe besteht nicht einfach darin, innerhalb von einigen Wochen eine Organisation aufzustellen. Es geht darum, die Massen der Schwarzen zu erwecken. Es schließt die Rekrutierung nicht aus. Ich halte den Erfolg für recht gut möglich; ich bin mir aber nicht sicher. Doch es ist für uns alle klar, dass unsere Genossen in einer solchen Organisation in einer Gruppe organisiert sein sollten. Wir sollten die Initiative ergreifen. Ich glaube es ist notwendig. Dies setzt eine Anpassung unseres Übergangsprogramms an die Frage der Schwarzen in den Staaten – ein sehr sorgfältig erarbeitetes Programm mit ehrlichen Bürgerrechten, politischen Rechten, kulturellen Interessen, ökonomischen Interesse, und so weiter. Es sollte getan werden.
Ich glaube es gibt zwei Schichten: Die Intellektuellen und die Massen. Ich glaube, dass unter den Intellektuellen dieser Widerstand zur Selbstbestimmung gefunden wird. Warum? Weil sie sich von den Massen getrennt halten, mit dem ständigen Wunsch, die angelsächsische Kultur anzunehmen und ein integraler Bestandteil des angelsächsischen Lebens zu werden. Ein Großteil sind Opportunisten und Reformisten. Viele von ihnen denken weiterhin, dass durch die Verbesserung der Mentalität und so weiter, die Diskriminierung verschwinden wird. Das ist der Grund, weshalb sie gegen jegliche Art von scharfem Slogan sind.
James: Sie werden ein intellektuelles Interesse beibehalten weil die marxistische Analyse der Geschichte der Schwarzen und der Probleme des Tages ihnen einen Einblick in die Entwicklung der Schwarzen geben wird, die ihnen nichts anderes geben kann. Außerdem sind sie sehr isoliert von der weißen Bourgeoisie und die soziale Diskriminierung macht sie daher weniger leicht korrumpierbar als, zum Beispiel, die Schwarzen Intellektuellen auf den Westindischen Inseln. Noch dazu bilden sie einen sehr kleinen Teil der Schwarzen Bevölkerung und sind insgesamt viel weniger gefährlich als die entsprechenden Teile des Kleinbürgertums in jeder anderen Gruppe oder Gemeinschaft. Außerdem hat das, was den Juden in Deutschland passiert ist, die Schwarzen Intellektuellen zum Nachdenken gebracht. Sie werden genug Geld aufbringen, um die Sache in Gang zu bringen. Danach müssen wir uns nicht mehr besondere Sorgen machen. Einige würden jedoch ein intellektuelles Interesse aufrechterhalten und weiterhin Geld geben.
Dieser Text erschien auf unserer US-Schwesterseite Left Voice als ein Teil unserer Kollektion über Marxismus und Schwarze Kämpfe.
Quelle: Bulletin of Marxist Studies No. 4 (New York: Pioneer Publishers, 1962) / Transcription: Marxists Internet Archive (also here)
1 Diese Niederschrift wurde im Juni 1939 im internen Bulletin der Sozialistischen Arbeiterpartei abgedruckt. Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen als Pseudonyme aufgeführt: „Crux“ für Trotzki, „Johnson“ für C.L.R. James und „Carlos“ für Charles Curtiss. diese Pseudonyme sind durch die echten Namen ersetzt worden.
2 The International Federation of Revolutionary Writers and Artists [Die Internationale Föderation Revolutionärer Autoren und Künstler]
3 Die „Französische Wende“ bezieht sich auf die Taktik von Trotzkisten, in die sozialistische Partei in Frankreich einzutreten.
4 Die Workers and Peasants’ Socialist Party war eine von Marceu Pivert 1938 in Frankreich gegründete politische Partei. Die Trotzkisten sind der PSOP 1939 beigetreten.