Bundesarbeitsgericht für mehr Streikbruch – die hässliche Fratze der Klassenjustiz

16.08.2018, Lesezeit 6 Min.
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Am Dienstag entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass die Zahlung von Prämien für Streikbrecher*innen legal ist. Damit können Bosse weiterhin mit der Rückendeckung der Erfurter Richter*innen die Rechte von Gewerkschaften und Arbeiter*innen angreifen.

Zum Bild: Häufig bezahlen Bosse Prämien für Streikbrecher*innen. Das Bundesarbeitsgericht unterstützt diese Praxis.

Der sozialistische Schriftsteller Jack London fand vor über einhundert Jahren klare Worte über Streikbrecher*innen: „Nachdem Gott die Klapperschlange, die Kröte und den Vampir geschaffen hatte, blieb ihm noch etwas abscheuliche Substanz übrig, und daraus machte er einen Streikbrecher.“ Gut vorstellbar, dass sich London einen ähnlichen Hass für diejenigen übrig hätte, die Streikbruch belohnen oder legalisieren. Ganz oben auf dieser Liste stehen da seit Dienstag die Erfurter Arbeitsrichter*innen. Sie haben in ihrem Urteil das Ausloben von Prämien für Streikbruch für rechtmäßig erklärt.

Geklagt hatte ein Kollege eines Einzelhandelsunternehmens, der sich ungerecht behandelt fühlte, da sein Unternehmen in den Jahren 2015/2016 Prämien für Streikbrecher*innen ausgelobt hatte – nicht aber für Streikende. Die Richter*innen wiesen die Klage endgültig ab, nachdem schon sämtliche Landesarbeitsgerichte zuvor dem Unternehmen Recht gegeben hatten. Damit folgen die Richter*innen auch einem Urteil aus dem Jahr 1993, in dem solche Prämien bereits als legal anerkannt wurden. Sie erkannten zwar in der Prämie auch eine Ungleichbehandlung zwischen Streikenden und Streikbrecher*innen. Jedoch sei diese verhältnismäßig. In der Pressemitteilung dazu heißt es:

Der Arbeitgeber wolle mit der freiwilligen Sonderleistung betrieblichen Ablaufstörungen begegnen und damit dem Streikdruck entgegenwirken. Vor dem Hintergrund der für beide soziale Gegenspieler geltenden Kampfmittelfreiheit handele es sich um eine grundsätzlich zulässige Maßnahme des Arbeitgebers.

Klassencharakter des Rechts

Hinter dieser Entscheidung versteckt sich recht unverhohlen der Klassencharakter der heutigen Justiz. Hier insbesondere des Arbeitsrechts. Die „sozialen Gegenspieler“ sind nämlich nicht etwa gleichberechtigte Parteien, sondern getrennt durch den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Auf der einen Seite stehen dabei (nicht selten millionenschwere) Unternehmer*innen, die die Kontrolle über die Produktion und sämtliche Betriebsabläufe sowie das Einstellen und Kündigen von Beschäftigten haben. Auf der anderen Seite stehen die Beschäftigten, die ihre Arbeitskraft an die Bosse verkaufen müssen, um selbst zu überleben und die allenfalls durch Betriebsrät*innen ein Recht auf Mitbestimmung haben. Eine Errungenschaft, die wiederum nur durch den Kampf von Millionen von Beschäftigten erreicht werden konnte. Die Kontrolle über die betrieblichen Abläufe obliegt jedoch den Kapitalist*innen.

Die Geschäftsführungen haben häufig ganz andere Möglichkeiten, den Kampf von Beschäftigten zu brechen, als die Beschäftigten gegen das Unternehmen. Sie können ihre Macht ausspielen und die untergeordnete Stellung von Beschäftigten im Produktionsprozess ausnutzen. Beispielsweise wenn sie Schließungen oder Massenentlassungen androhen – oder eben Streikbrecher*innen einsetzen.

Die Beschäftigten haben hingegen auf ökonomischer Ebene nur ihre Arbeitskraft, die sie im Streik verweigern können, um Druck auf die Unternehmen auszuüben. Für sie steht dabei weitaus mehr auf dem Spiel als für Unternehmer*innen, da der monatliche Lohn regelmäßig die Existenzgrundlage bildet und mit dem Arbeitskampf immer das Risiko einhergeht, auf der Abschussliste der Unternehmen zu landen.

Wie aktuell dabei der Einsatz von Streikbrecher*innen ist, zeigen nicht allzu entfernte Beispiele. Beim Streik der VSG in Berlin wurden ungelernte Beschäftigte in der Sterilisation eingesetzt, um die Arbeiten der Streikenden zu verrichten. Dabei war der Geschäftsführung die Gefahr egal, die durch nicht ordnungsgemäß gereinigtes Besteck für Patient*innen entstehen könnte. Auch bei Halberg Guss setzte die Geschäftsführung auf Streikbrecher*innen, bis das Gewerbeaufsichtsamt den Betrieb stilllegte, weil es viel zu gefährlich war, ungelernte Beschäftigte die Arbeiten verrichten zu lassen. Und auch die Fluggesellschaft Ryanair ist ein unrühmliches Beispiel für Streikbruch. Als im letzten Jahr das Bodenpersonal an deutschen Flughäfen in den Streik trat flogen sie extra Streikbrecher*innen aus Irland ein, um die Streiks zu brechen. Hier antworten die Kolleg*innen mittlerweile mit europaweiten Streiks.

Was sagt das alles nun über das Urteil des BAG?

Erstens: Das Urteil drückt den tiefen Klassencharakter der Justiz und des bürgerliches Rechts aus, indem es die gesellschaftliche Macht von Kapitalist*innen legitimiert und erweitert. Denn der Einsatz von Streikbrecher*innen hat eine Schwächung von Streiks der Gewerkschaften zum Ziel und kann zusätzlich eine langfristige Spaltung der Belegschaften zur Folge haben.

Zweitens: Fast in jeder Auseinandersetzung versuchen Unternehmen Streiks durch Streikbrecher*innen zu schwächen. Das Beispiel aus dieser Entscheidung zeigt, dass Unternehmen dabei nicht immer streng ökonomisch denken, sondern wiederum den Streikbruch durch Prämien belohnen, die oft überproportional zum Monatslohn sind. Die Gewerkschaftsfeindlichkeit wird immer mehr zum Prinzip, um strategisch die Kampffähigkeit der Belegschaft zu beeinträchtigen.

Drittens: Dieses Beispiel zeigt, dass wir uns nicht auf bürgerliches Recht und dessen Vertreter*innen in den Gerichten verlassen können. Das bürgerliche Recht ist das Instrument der herrschenden Klasse zur Sicherung der eigenen materiellen Position im Produktionsprozess. Was wir aber gerade brauchen, ist das Umwerfen der Verhältnisse durch die Eroberung der Macht in Betrieben und der Gesellschaft durch die Arbeiter*innen selbst. Das wird durch Klagen vor Gericht im Rahmen des aktuellen bürgerlichen Rechts nicht möglich sein, sondern nur durch den aktiven Kampf der Klasse gegen die Machtverhältnisse in den Betrieben, durch Streiks und durch die breitest mögliche Solidarisierung von allen Teilen der Klasse. Die Beschäftigten von Ryanair, von Halberg Guss und von den Krankenhäusern sind leuchtende Beispiele in diesem Kampf gegen die Gewerkschaftsfeindlichkeit des Kapitals.

Viertens: Wir müssen für den Aufbau einer Justiz im Dienste der Ausgebeuteten und Unterdrückten kämpfen, die von gewählten Vertreter*innen ausgeübt wird und nicht von Karrierist*innen und Handlanger*innen des bürgerlichen Staates. Dafür müssen wir auch die alltäglichen Kämpfe der arbeitenden Bevölkerung politisieren und gegen die Regierung und ihr Recht wenden.

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