Bulu und Özil: Erdoğans Freunde mobilisieren
In der Türkei spricht man derzeit über zwei Männer: Melih Bulu und Mesut Özil. Wie kommt ein mittelmäßiger Professor zu so viel Aufmerksamkeit wie Fußball-Weltstar Mesut Özil kurz vor dem Transfer in die Türkei?
Der 51-jährige Professor Melih Bulu ist der neue Rektor der Boğaziçi-Universität. Dies ist erstmal wenig spektakulär, wäre er nicht auch gleichzeitig Mitgründer der Istanbuler AKP und ihr ehemaliger Vize-Vorsitzender. Die Boğaziçi-Universität gilt als eine Elite-Universität im Lande: liberal, demokratisch und kritisch. Hier erfolgt auch eine Auseinandersetzung mit dem Völkermord an den Armeniern. Das passt natürlich nicht zu den Ansichten des Erdoğan-Regimes.
Die türkischen Universitäten waren bis vor einigen Jahren komplett einem Hochschulrat (YÖK) unterworfen, der nach dem Militärputsch 1980 gegründet wurde. So kontrollierte der Staat die Universitäten, die in den 70er Jahren Hochburgen der linken studentischen Bewegung waren. Durch dieses Vorgehen wurden sehr viele kritische Dozent:innen und Studierende aus den Universitäten verbannt. Zuletzt wurden in 2017 viele Akademiker:innen von Erdogan selbst aus den Universitäten geworfen und ihnen wurden Arbeits- und Reiserechte entzogen. Der Grund ist, dass sie sich öffentlich gegen die Angriffe der Türkei auf kurdische Städte ausgesprochen hatten.
Eine logische Schlussfolgerung aus Sicht des Bonaparte Erdoğan, ist, dass die Wahlen der Rektor:innen und somit die Kontrolle der Universitäten durch die YÖK nicht ausreiche. Deshalb erklärte er sie dann auch für überflüssig. Die gewählten Stadtverwaltungen der HDP wurden durch diese Methode abgesetzt und stattdessen wurden Bürokrat:innen ernannt, die in der Gunst von Erdoğan stehen. Erdoğan regiert das Land praktisch mit Dekreten – im letzten Jahr hat er so 22 Rektor:innen selbst ernannt.
Dazu gehört nun auch Melih Bulu. Ein weiterer Freund Erdoğans, der erst im letzten Jahr für die AKP ins Parlament wollte, nur leider nicht gewählt wurde. Er soll die Universität nun endlich auf AKP-Kurs bringen. Doch Melih stößt in Boğaziçi auf Widerstand. Die Dozent:innen haben sich in einem offenen Brief gegen Melih ausgesprochen und auch auf studentischer Ebene wird protestiert.
Gegen die Protestierenden wurden Wasserwerfer und Tränengas eingesetzt. Es gab Festnahmen und Hausdurchsuchungen und daraufhin weitere Festnahmen. Der alleinige Tatbestand der Anklage scheint zu sein, gegen die Ernennung des Rektors protestiert zu haben.
Hier die Hausdurchsuchung bei einem der protestierenden Studenten:
Von Studierenden wurde berichtet, dass sie demütigenden Nacktuntersuchungen unterzogen wurden. LGBTQI, die mit Regenbogenfahnen demonstrierten, wurde sogar mit Vergewaltigung und Tod gedroht.
Ein weiterer großer Freund und – so munkelt die Boulevardpresse – bald direkter Nachbar Erdoğans ist Mesut Özil. Sein Vereinswechsel in die Türkei steht kurz bevor. Gestern kamen der Präsident des Fußballvereins Fenerbahce und der Präsident der Türkei zusammen. Wahrscheinlich will der Vereinspräsident, wie es in der Türkei üblich ist, einige Verbesserungen für seinen eigenen Verein aushandeln. Vor allem, da sein Verein in finanziellen Schwierigkeit, mit ungeheuren Schuldenrest steht. Erdogan habe sich laut der Presse, über Özils Transfer erkundigt. Wenn der Transfer zustande kommt, wird sich erst beim lieben Gott bedankt und dann bei Erdoğan für seine Unterstützung. Ob Özil wieder fußballerisch glänzen kann, steht in den Sternen geschrieben. Wenn er nach Istanbul wechselt, wird er sicher Tausende Menschen mobilisieren.
Erdoğans anderer Freund Melih Bulu mobilisiert gerade auch Tausende junge Menschen – allerdings gegen sich. In der Türkei scheint jede:r, der:die aufsteigen will oder „oben“ bleiben möchte irgendwie mit Erdoğan verbunden zu sein.
Während Özil sein berufliches Schicksal jedoch auf dem Fußballfeld selbst in der Hand hat, liegt das Schicksal über Melih Bulus Werdegang – zumindest teilweise – in der Hand der Protestierenden, die diesen Angriff hoffentlich abwehren können. Die 40 Festgenommenen wurden inzwischen wieder freigelassen.
Ein Angriff auf die Universitäten ist ein Angriff auf die Forschung und Bildung. Dass es dazu keinen Bonaparte Erdoğan braucht, können wir gerade an den Plänen Hochschulen zu privatisieren sehen. Wir solidarisieren uns mit den Kämpfen um freie Bildung und Forschung in der Türkei und führen gleichermaßen den Kampf gegen die neoliberale Hochschulreform in Bayern.