Bürgerkrieg im Sudan: Frauen begehen Massensuizid, um Vergewaltigungen zu entkommen

30.10.2024, Lesezeit 7 Min.
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Women and children displace from Abyei town / Tim Freccia (Flickr)

Über 100 Frauen im Sudan haben sich gemeinsam an einem einzigen Tag das Leben genommen, um nach Massenmorden in Jazeera nicht Opfer sexualisierter Gewalt zu werden. Waffenlieferungen befeuern den wütenden Bürgerkrieg.

Im Sudan wurde vor wenigen Tagen eine Massenexekution an Zivilist:innen durchgeführt. In einem Dorf in Jazeera zerrten Soldaten der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) etwa 500 Männer aus ihren Wohnungen und richteten sie öffentlich hin. Daraufhin nahmen sich circa 130 Frauen in einer gemeinsamen Aktion am selben Tag das Leben, um nicht Opfer von Vergewaltigungen zu werden. Darüber berichtet eine sudanesische Frau in Jazeera in einer Videoaufnahme – in den deutschen Medien findet sich wieder einmal nichts dazu.

Was ist gerade im Sudan los?

Seit April 2023 leidet der Sudan unter einem verheerenden Machtkampf zwischen den staatlichen Streitkräften des Sudan (SAF) und der paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF). Zehntausende Menschen, überwiegend Frauen, wurden bereits getötet und Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Der Machtkampf entbrannte nach einem fragilen Friedensprozess, der die beiden rivalisierenden Militäreinheiten in die staatliche Armee integrieren sollte. Spannungen zwischen dem SAF-Führer General Abdel Fattah al-Burhan und RSF-Kommandant Mohamed Hamdan Dagalo eskalierten jedoch, da beide Seiten die Kontrolle über zentrale Regionen wie Khartum und Darfur beanspruchten.

Burhan und Dagalo haben bei der Zerschlagung der Massenmobilisierung, die die Diktatur von Omar Al-Bashir 2019 zu Fall brachten, zusammengearbeitet. Die anhaltenden Proteste und Streiks wurden getragen von Arbeiter:innen-,Studierenden- und Nachbarschaftskomitees und die sudanesischen Frauen standen in der ersten Reihe des Kampfes

Die liberalen Parteien, welche nach al-Bashirs Sturz eine Übergangsregierung bildeten, zeigten sich allerdings als unfähig, die demokratischen, sozialen und feministischen Forderungen der Demonstrant:innen umzusetzen. Fatal war, dass die Macht der Armee unangetastet blieb und das Monopol auf Waffen, strategische Geschäfte und die Entscheidungen in der internationalen Politik behielt. Diese Tatsache fand ihren blutigen Ausdruck im 2021 von SAF und RSF gemeinsam ausgeführten Militärputsch, der die Reste der zivilen Übergangsregierung und der Selbstorganisation der Massen zerschlug. 

Hinter dem Machtkampf von Burhan und Dagalo stehen keine grundlegenden politischen Differenzen – beide streben autokratische Regime an, die sich durch den Verkauf der Bodenschätze an ausländisches Kapital bereichern. Die Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, wer an der Spitze eines solchen Regimes steht und sich den Zugang zu lukrativen Geschäften sichern kann. Dieser reaktionäre Machtkampf wird auf Kosten der sudanesischen Arbeiter:innen, Armen und Jugend –insbesondere der Frauen– ausgetragen, die durch den Bürgerkrieg in unvorstellbares Elend gestürzt wurden.

Die SAF führt vermehrt Flächenbombardierungen mit Kampfjets aus, lässt mit Kampfdrohnen gegnerische Soldaten und Zivilist:innen töten. Auf der anderen Seite nehmen Bodentruppen der RSF Zivilist:innen, darunter mehrheitlich Frauen und Kinder, als Geiseln. Die Opfer werden gefoltert, vergewaltigt und getötet. In der Darfur-Region haben die Massaker der RSF gegen die massalitische Bevölkerung genozidale Ausmaße angenommen.

Die Bomben der SAF und die Panzer beider Seiten haben bereits den Großteil der Städte Khartum und Al-Fashir in Darfur zerstört und unbewohnbar gemacht. Über 11 Millionen Menschen sind auf der Flucht, kommen jedoch selten aus dem Kriegsgebiet, weil sowohl die SAF als auch RSF die Stadtgrenzen und humanitäre Korridore blockieren und kontrollieren. Von den Angriffen bleiben auch die Hunderten Geflüchtetenlager nicht verschont – sie werden genauso wie die restlichen Teile der Städte dem Erdboden gleichgemacht.

Cholera-Ausbruch und Hungersnot

Über zwei Drittel der Krankenhäuser sind geschlossen oder schwer beschädigt, was die Gesundheitsversorgung fast unmöglich macht. Es mangelt an grundlegenden Versorgungsgütern wie Wasser und Strom, während medizinische Einrichtungen und Helfer:innen gezielt angegriffen werden. In Darfur kommt ein verheerender Cholera-Ausbruch dazu, der wegen fehlender medizinischer Versorgungsmöglichkeiten nicht unter Kontrolle gebracht werden kann, und dem über drei Millionen Kinder zum Opfer fallen könnten.

Gleichzeitig herrscht eine der weltweit extremsten Hungersnöte. Aufgrund des Krieges und der Vertreibung von Bäuer:innen und ländlichen Gemeinden ist die Landwirtschaft stark eingeschränkt. Felder können nicht mehr bewirtschaftet werden und Vieh wird oft sowohl von SAF als auch RSF beschlagnahmt oder getötet. Die Preise für Nahrungsmittel sind rasant gestiegen, sodass sie für viele unerschwinglich sind. Aktuell leben über 25 Millionen Menschen an der Hungergrenze, fast vier Millionen Neugeborene und Kleinkinder sind unterernährt und potenziell in Lebensgefahr.

Waffenlieferungen befeuern den Krieg immer weiter

Trotz der humanitären Katastrophe werden beide Seiten weiterhin mit Waffen aus aller Welt beliefert und auch militärisch unterstützt. Die RSF genießt die Unterstützung durch russische und chinesische Waffen. Die SAF wird vor allem von der Türkei beliefert, die sich in den letzten Jahren als einer der wichtigsten Waffenexporteure weltweit etablieren möchte.

Gleichzeitig handelt auch Saudi-Arabien mit Waffen und Munition mit der SAF – ein lukratives Geschäft für den reichsten Staat in Südwestasien. Saudi-Arabien bekommt seit Januar 2024 übrigens wieder deutsche Waffen geliefert, nachdem sie ihre Beziehungen zu Israel verbessert haben – welcher auch wiederum Waffen aus Deutschland bekommt, um seinen Genozid in Gaza auszuführen.

Russland unterstützt nicht nur mit Waffen, sondern auch militärisch. Die „Afrikanski Korpus“ – bis November 2023 besser bekannt als der Wagner-Söldnertrupp – unterstützt als offizieller Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums die RSF-Soldaten und verwaltet damit das Elend in Sudan mit. Ihr Hauptziel: Gold-, Uran- und Diamantenminen schützen, um Bedingungen für gute Geschäfte russischer Unternehmen zu gewährleisten.

Ihre Kriege sind unsere Toten

Damit wird auch Sudan zum Schauplatz der weltweiten Waffengeschäfte auf Kosten von Menschenleben. Internationale Militärs nutzen den Machtkampf zwischen der SAF und RSF, um ihren Einfluss auf das ganze Land zu vergrößern. Die Minen Sudans sind kostbar für die Wirtschaftsinteressen von Ländern wie Saudi-Arabien, China, Russland und der Türkei. Vor allem für China und Russland ist das Interesse an Sudan groß, um ihre Wirtschaftsmacht gegen die USA und Europa auszubauen. Doch auch die EU trug zum Aufstieg der RSF bei. Im Rahmen des Khartum-Prozesses finanzierte sie die Miliz, um die innerafrikanischen Grenzen zu militarisieren und Geflüchtetenbewegungen abzuwehren.

Dieser Krieg – genauso wie jeder andere Krieg der heutigen Zeit – wird nicht einfach enden, solange sich kapitalistische Militärmächte direkt und indirekt an ihm beteiligen. Heute ist es wichtiger denn je, sich gegen Imperialismus, Militarisierung und Kriegstreiberei zu organisieren.

Um den reaktionären Bürgerkrieg im Sudan zu beenden, dürfen wir keine Hoffnungen auf „humanitäre“ Interventionen von UN-Truppen setzen, die nur darauf abzielen, die Kontrolle des Imperialismus über das Land zu erweitern. Stattdessen muss an die Erfahrungen der Massenmobilisierungen und revolutionären Prozesse von 2019 angenknüpft werden. Dabei ist die zentrale Lehre, dass die Revolution niedergeschlagen werden konnte, weil die Macht des Militärs nicht gebrochen wurde und die Widerstandskomitees sich bürgerlich-liberalen Parteien unterordneten, anstatt ihre eigene Kraft zu entwickeln. Gleichzeitig braucht es internationale Mobilisierungen und Streiks, um die Komplizenschaft der verschiedenen kapitalistischen Regierungen, welche SAF oder RSF militärisch, finanziell und politisch fördern, zu brechen.

Wir als Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) haben in diesem Sinne ein klares Programm: Nein zu ihrer Kriegstreiberei! Egal ob Machtkämpfe zwischen reaktionären Militärfraktionen, egal ob NATO-Interventionen oder Putins Unterstützung – es sind ihre Kriege, aber unsere Toten. Hoch die internationale Solidarität und Freiheit für die sudanesische Zivilbevölkerung!

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