Buenos Aires: Revolutionäre Avantgarde gegen die G20
Am Wochenende kamen die G20-Staatschefs in Argentinien zusammen. Das Land wird aktuell vom IWF ausgeplündert. Dagegen wehrt sich eine der größten linken Formationen der Welt.
Von Freitag bis Samstag war es mal wieder so weit: Die Staatschefs der 20 mächtigsten Staaten der Welt trafen sich wie alle Jahre wieder zu einem der teuersten und elitärsten Spektakel, um hinter dem Rücken der Weltbevölkerung über die Zukunft dieser Entscheidungen zu treffen.
Während fast ein Drittel der argentinischen Bevölkerung in Armut lebt und die soziale und wirtschaftliche Krise immer höhere Ausmaße annimmt, lud die Regierung des Neoliberalen Mauricio Macri zu einem 70 Millionen Euro Spektakel Gäste aus den 20 mächtigsten Nationen ein. Das Hauptthema: die Zukunft der Arbeit.
Die größte Leistung des Gastgebers, Argentiniens Präsident Mauricio Macri, war es wohl, dass ein gemeinsames Dokument mit 31 Punkten unterschrieben wurde: dies erscheint im Gegensatz zu den letzten Gipfeln, die Trump „sabotierte“, als eine Errungenschaft. Jedoch besteht dies aus 31 phrasendreschenden Allgemeinheiten wie der „Bekräftigung des Engagements“ zur Beendigung des Welthungers und der „Fortführung von Initiativen zur Beendigung aller Diskriminierung gegen Frauen“.
Heikle Themen, wie der Krim-Konflikt oder der Handelskrieg zwischen China und den USA, kommen im Dokument nicht vor, weswegen wir (wie zu erwarten war) nicht von einer substanziellen Veränderung in der Welt nach zwei Tagen Polit-Showbiz reden können. Hinzu kommt, dass US-Präsident Trump seine Unterschrift nicht beim puncto Klimawandel setzte.
Es ist wohl ein sehr (un)glücklicher Zufall, dass Argentinien als Gastgeberland genau 2018 drangekommen ist. Macri sieht den Gipfel in dieser Hinsicht als ein “Zeichen der Unterstützung des Wandels in Argentinien”. Dem ist tatsächlich so. Oder warum hätte sonst Christine Lagarde, Präsidentin des Internationalen Währungsfond (IWF), als Gästin anwesend sein sollen, wo der IWF die Institution ist, aufgrund deren Druck Macris Regierung das Land in die soziale Krise stürzt?
Vorbereitungsklima: „Terrorismusgefahr“ und Polizeimorde
Bevor die Mächtigsten der Welt in der Metropole ankamen, trafen Macri und seine Sicherheitsministerin Patricia Bullrich die nötigen Maßnahmen, um Trump & Co. einen schönen Aufenthalt in ihrem Hinterhof zu ermöglichen. 112 Millionen US-Dollar wurden für dieses Wochenende ausgegeben. Dazu wurden Helikopter, bewaffneten Motorboote, Panzerwagen und Motorräder gekauft.
Offenbar hat sich Bullrich auch typische Muster von europäischen Sicherheitsministern abgeschaut: zwei anarchistische Hausprojekte wurden zwei Wochen vor dem Gipfel von der Polizei gestürmt und antimuslimische Hetze verbreitet. Mitglieder der libanesischen Gemeinde von Buenos Aires beklagten die willkürliche Festnahme von zwei jungen Männern. „Wir sind Muslime, keine Terroristen“, meinten die Eltern der Angeklagten Brüder Axel Abraham Salomon und Kevin Gamal Abraham Salomon.
Aber die Polizei machte nicht bei Razzien und Verhaftungen Halt: In den Wochen vor dem Gipfel wurden zwei Aktivisten der CTEP (Vereinigung der Arbeiter*innen der “populären” Wirtschaft), Rodolfo Orellana in Buenos Aires und Marcos Jesús Soria in Córdoba, von der Polizei ermordet.
Um in Ruhe den Gipfel verbringen zu können, wurde eine fünf Kilometer lange Sperrzone an der Küste eingerichtet, einer wichtigen Personentransportachse für die Metropole mit einem Ballungsraum von 12 Millionen Personen. Hinzu fiel der U-Bahn- und Zugverkehr sowie ein Großteil der Buslinien aus, und der 30. November wurde zum Feiertag erklärt. Bullrich riet der Bevölkerung, die Stadt für das Wochenende zu verlassen. Zudem stationierte die USA Truppen in Uruguay, auf der anderen Seite des La Plata Flusses.
Der Kontrast zu diesen pompösen Machtdarstellungen bildet das Elend und die Armut der Bevölkerung, die die Kosten der Wirtschaftskrise trägt.
Die Regierungspartei Cambiemos („lasst uns verändern“), eine Zusammensetzung aus Managern, Großgrundbesitzer*innen und Unternehmer*innen samt Gefolgschaft, versucht seit Amtsbeginn den Weg für einen erneuten Ausverkauf des Landes an ausländische Konzerne und Gläubiger zu ebnen.
Die Ursprünge der Wirtschaftskrise
Die rasante Inflation von über 40 Prozent, zunehmende Arbeitslosigkeit und Armut und starke Kürzungen im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitssektor, die dieses Jahr die argentinische Bevölkerung immer mehr in die Krise stürzen, sind ein Produkt der Unterwerfung des Landes an die Interessen des Imperialismus und der multinationalen Konzerne. Die Kredite in Höhe von insgesamt 56 Milliarden Dollar, die die Regierung dieses Jahr vom IWF erhielt, fungieren als Notstandsmaßnahmen, damit die Spekulanten und Gläubiger, die von der Krise profitieren, ihre Kredite zurückerhalten. Jene Institution stellt als Bedingungen für die Kredite starke Kürzungsprogramme auf, die Macris Regierungspartei Cambiemos durchführt, mit Hilfe der bürgerlichen „Opposition“, die seine Gesetze im Kongress und Senat bewilligt, und der Passivität der Gewerkschaftsbürokratien, die nicht zu starken Kampfmaßnahmen aufrufen.
Seit einigen Jahren nehmen soziale Probleme zu und die Unzufriedenheit brodelt immer mehr. Während das südamerikanische Land zwischen 2003 und 2011 eine relative Wohlstandsphase hatte, die den hohen Rohstoff- und Sojapreisen geschuldet war, kam es in den darauf folgenden Jahren als Nachbeben der Weltfinanzkrise von 2008 wieder zu vermehrten Spannungen und Kürzungen. Um die Konflikthaftigkeit und Instabilität des Landes zu verstehen, müssen wir den historischen Moment begreifen, in dem sich Argentinien und Lateinamerika befindet.
Die neoliberalen Maßnahmen der Mitte-links-Regierung von Cristina Fernández de Kirchner wurden nach der Amtsübernahme von Mauricio Macri 2015 weiter vertieft. Die Privatisierungen nahmen zu, Tarife für Strom, Gas, Wasser und ÖPNV stiegen für die Bevölkerung unermesslich an, Armut und Arbeitslosigkeit wachsen.
Von Gegengipfeln und symbolischem Protest
Im August lag die Ablehnungsrate der Regierung bei fast 60 Prozent, zudem kamen weltweit verhasste Figuren ins Land. Der Großteil der Bevölkerung lehnt das Abkommen mit dem IWF und die Kürzungen ab. Man könne also denken, die Proteste wären gigantisch geworden, oder? Leider war dem nicht so.
Die Anführer*innen der „sozialen Opposition“ in Lateinamerika versammelten sich hingegen vor zwei Wochen in der Fakultät für Sozialwissenschaften der Universität von Buenos Aires und dem Stadion Ferro zum „Gegengipfel“ und „Ersten Forum des Kritischen Denkens“. Mit dabei waren die Expräsident*innen von Brasilien, Argentinien und Uruguay, Dilma Rousseff, Cristina Fernández de Kirchner und José Mujica.
Große Töne kamen gegen die Rechte, den Neoliberalismus und die „Krise der Demokratie“. Jedoch scheinen Rousseff und Fernández vergessen zu haben, dass sie selbst bis vor ein paar Jahren am kriminellen Spektakel der G20 teilnahmen. Um es noch weiter zu treiben, rief Fernández de Kirchner in der Woche vor dem Gipfel dazu auf, nicht an den Gegenprotesten teilzunehmen. Dies muss man im Kontext des Vorwahlkampfes verstehen: nächstes Jahr könnte die Ex-Präsidentin die Möglichkeit haben, ihr Amt zurückzuerobern.
Hierfür müsste sie jedoch Kompromisse mit den konservativen Gouverneuren und der „Justiz-Partei“ eingehen, und außerdem dem IWF und Unternehmer*innen zeigen, dass sie „regierungsfähig“ sei. Die Zeichen der Versöhnung sind also offensichtlich. Ihr ehemaliger Wirtschaftsminister, der selbstbezeichnete Marxist Axel Kicillof, behauptete, dass der IWF „nicht der Baumeister der Zerstörung des Landes sein will“.
Der „Kirchnerismus“ fällt immer stärker durch seinen Rechtsruck auf, der den Kampf gegen die Krise auf den Sankt Nimmerleinstag verschiebt, unter dem mystischen Slogan „Es gibt 2019“, wo sich durch die Wahl eines anderen Präsidenten angeblich die Lage der Massen auf magische Weise ändern soll. Freilich, ohne ein konkretes Programm aufzustellen, was die Kapitalflucht, die Zahlung der Auslandsschulden und die soziale Degradierung angeht.
Der einzige Ausweg – ein Programm, damit die Kapitalist*innen die Krise bezahlen
Während Cristina Fernández das Wochenende in El Calafate, im südlichen Patagonien verbrachte, demonstrierten dennoch Zehntausende gegen den G20-Gipfel. Eine wichtige Rolle spielte hierbei die Front der Linken und der Arbeiter*innen (FIT), die eine Kundgebung abhielten und an der Großdemonstration teilnahmen, obwohl Aktivist*innen festgenommen und Trucks mit Material für die Demo beschlagnahmt wurden.
Zur Großdemonstration riefen fast 100 Organisationen auf, von Arbeitslosenorganisationen und NGOs bis hin zur FIT und kleinen linken Parteien. Die großen Gewerkschaften fehlten, da sie in Kooperation mit der Regierung den sozialen Frieden zu wahren versuchen. Dennoch waren kämpferische Basisgruppen verschiedener Betriebe anwesend. Arbeiter*innen wie die der Schiffswerft Río Santiago, deren Arbeitskampf ein Beispiel für das ganze Land ist, oder die “Arbeiter*innen ohne Chefs” der Druckerei Madygraf.
Die Wichtigkeit der Mobilisierung einer Kraft wie der FIT, die für die politische Unabhängigkeit aller Werktätigen eintritt, besteht darin, dass die Demo zwar ein wichtiger Punkt des Kampfes gegen den Imperialismus ist, der Schwerpunkt der Politik jedoch in den Betrieben, Schulen und Unis liegt.
In ihrem gemeinsamen Dokument schreiben sie, wie der Ausweg aus der Krise aussehen kann:
Die FIT verurteilt auch die Politik des Kirchnerismus und seiner regionalen Partner, wie Dilma Rousseff und Correa, die auf dem Kontinent den Weg für den Rechtsruck ebneten und später nicht gegen seine Anpassungen kämpften, obwohl sie nicht direkt Komplizen waren.
In Argentinien versprechen kirchneristische Sprecher*innen dem großen Kapital, dass sie, wenn sie wieder regieren, die Auslandsschulden und das Kolonialabkommen mit dem IWF respektieren werden. Als Präsidentinnen nahmen Dilma und Cristina an allen G20-Treffen teil und schlossen sich ihren Äußerungen und ihrer reaktionären Politik an.
Mit ihrer Mobilisierung gegen die G20 schlägt die Front der Linken die Einheitsfront der Arbeiter*innenklasse des Landes und des Kontinents vor, gegen Imperialismus, Krieg und alle Kürzungsregierungen.
Für die politische Unabhängigkeit der Arbeiter*innen angesichts rechter Regierungen und den gescheiterten progressiven Regierungen. Der kapitalistischen Barbarei setzen wir den Kampf für Arbeiter*innenregierungen und den internationalen Sozialismus entgegen
– G20 Raus aus Argentinien!
– Nieder mit dem Imperialismus. Nieder mit den Kürzungen von Macri, dem IWF und den Gouverneuren. Für einen Bruch mit den Abkommen mit dem IWF.
– Für einen Abzug aller imperialistischen Militärbasen in Lateinamerika
– Nein zu den reaktionären Arbeits- und Rentenreformen
– Für die Nichtzahlung der Auslandsschulden
– Für die sozialistische Einheit von Lateinamerika