Brexit: Mit Cameron für’s Ja oder mit der UKIP für’s Nein?

09.03.2016, Lesezeit 8 Min.
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Die Europäische Union (EU) befindet sich in der größten Krise seit ihrer Gründung. Neben der Migrationskrise bringt das Referendum über Großbritanniens Verbleib in der EU den imperialistischen Staatenblock in Spannung. Doch welche Position braucht die revolutionäre Linke?

„Wir würden weinen“. So drückte Wolfgang Schäuble seine Besorgnis über einen möglichen Brexit aus. Noch vor einem Jahr war er einer der Politiker*innen, die öffentlich über die Vorteile eines Ausschlusses von Griechenland aus der Währungsunion (Grexit) sprach. Jetzt ist die Situation jedoch umgekehrt. Während an der Themse die Stimmung gespalten ist, spricht sich das europäische Establishment klar gegen den Austritt von Großbritannien aus der EU aus.

Um genau dieses Szenario zu verhindern, hatte sich ein EU-Gipfel vor zwei Wochen alleine mit der Frage beschäftigt, Großbritannien weitere Zugeständnisse zu machen. Schon jetzt ist das Vereinigte Königreich weder Teil des Schengen-Raums noch der Eurozone. Die versprochenen Regelungen würden London erlauben, neu ankommenden EU-Ausländern für vier Jahre die Sozialleistungen zu kappen. So soll zum Beispiel das Kindergeld an die Standards des Herkunftslandes angepasst werden. Nach dem Gipfel überlegte Angela Merkel, einige dieser Reformen auch für Deutschland anzuwenden. Diese Maßnahmen treffen besonders Arbeiter*innen aus den osteuropäischen Ländern, die auf der Suche nach besseren Löhnen massenhaft nach Großbritannien, aber auch nach Deutschland ausgewandert sind.

Bürgerliches „Ja“

Mit diesen reaktionären Zugeständnissen im Gepäck kündigte Premierminister David Cameron den 23. Juni als Termin für das Referendum an und verkündete, dass er für das „Ja“ kämpfen würde – also den Verbleib in der EU. Dies begründete er damit, dass Großbritannien „außerhalb der EU ist, die für uns nicht funktioniert – die der offenen Grenzen, der Rettungen und des Euro“. Als Teil der EU könnten sie jedoch effektiver „den Aggressionen aus Russland, Nordkorea und dem Islamischen Staat Einhalt gebieten“.

Für Cameron bietet der Verbleib in der EU die Möglichkeit, die Rolle von Großbritannien als imperialistische Macht beizubehalten und auszubauen. Dazu gehört die Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen oder die Intervention in geopolitische Brennpunkte mit Unterstützung der „internationalen Gemeinde“.

Dazu gehört aber auch die Ausweitung wirtschaftlicher Einflusszonen. Dies ist aktuell nur als Teil der Freihandelszone der EU zu denken, die den britischen – ebenso wie den deutschen, französischen, spanischen, etc. – Kapitalist*innen nie dagewesene Gewinnspannen ermöglichte. In diesem Sinne unterstützen viele Unternehmer*innen die Kampagne „Britain Stronger in Europe“. Der Gründer von Virgin, Richard Branson, der Chef von Rolls Royce, Torsten Müller-Ötvös, die City of London – Sprachrohr des Finanzkapitals –, sie alle treten für das „Ja“ bei der Abstimmung am 23. Juni ein.

Doch die Stärkung des britischen Kapitalismus ist nicht im Interesse der Arbeiter*innen, wie schon im kleinen das Abkommen zwischen Großbritannien und der EU zeigt. Die Rechte, die heute für Arbeiter*innen aus anderen EU-Ländern gekürzt werden, werden morgen den britischen Lohnabhängigen entrissen werden. Zudem würde ein Sieg des „Ja“ die Cameron-Regierung enorm stärken und gegen Kritiker*innen außerhalb und in den eigenen Reihen festigen.

Reaktionäres „Nein“

Denn auch bei den regierenden Tories mehren sich die Stimmen, die für den Austritt aus der EU werben. Das aktuellste Beispiel ist Boris Johnson, Bürgermeister von London, der sich schon jetzt für die Nachfolge von Cameron ins Rennen bringen will, sollte das „Nein“ gewinnen. Immer mehr konservative Abgeordnete werden Teil der „Leave.eu“-Kampagne, die von der fremdenfeindlichen und nationalistischen UKIP angestoßen wurde.

Diese rechtsextreme Partei ist Gegnerin der gleichgeschlechtlichen Ehe und setzt sich für ein Punktesystem ein, dass die Einwanderung steuern soll, als würde es sich bei den Personen um Waren handeln. Sie argumentieren, dass ein Austritt aus der EU Großbritannien mehr Freiheit und Sicherheit geben würde, und jährlich acht Milliarden Pfund eingespart werden könnten. Auch diese Kampagne wird von Kapitalfraktionen unterstützt, wenn auch wesentlich weniger.

Doch in Umfragen konnte das „Nein“ zuletzt bis auf wenige Punkte an das „Ja“ herankommen. Das führt dazu, dass die Spannungen in der Regierung weiter zunehmen und die Rechte mit ihren frauen- und fremdenfeindlichen Ideen immer offensiver an die Öffentlichkeit treten kann. Der Sieg des „Nein“ wäre zwar eine Niederlage Camerons, doch würde er die chauvinistische Rechte stärken, die eine Bedrohung für alle Ausgebeuteten und Unterdrückten darstellt.

Was sagt die Linke?

In den linken Organisationen findet eine rege Debatte über die Position angesichts des Referendums statt und es gibt bedeutende Anhänger*innen auf beiden Seiten. In dem „Pro-Europa-Lager“ befindet sich der neue Vorsitzende der Labour-Party Jeremy Corbyn. Er lehnte die Verhandlungen zwischen Cameron und der EU ab, da sie eingewanderte Arbeiter*innen aus Osteuropa diskriminieren und tritt für den bedingungslosen Verbleib in der EU ein. Der Schwesterorganisation der Gruppe Arbeitermacht Red Flag kommt dabei eine besonders tragische Rolle zu: In ihrem Anpassungskurs an die neue Labour-Führung beschönigen sie deren Positionen und treten selbst für ein Ja beim Referendum ein. Zwar soll dies ihrer Meinung nach in Verbindung mit dem Kampf für ein sozialistisches Europa stehen, doch die Verbindung zwischen einer Stimme für die EU der Banken und Konzerne und dieser Perspektive ist nicht klar.

Etwas weiter links davon befindet sich die Kampagne „Another Europe is possible“, die von Akademiker*innen, Aktivist*innen aus sozialen Bewegungen, Mitgliedern von Syriza und der Green Party gegründet wurde. Sie beziehen sich positiv auf die Konferenzen für einen Plan B zur Demokratisierung der EU, die in den vergangenen Wochen in verschiedenen europäischen Hauptstädten stattfanden. Sie wollen den Kampf „gegen die Austerität in ganz Europa“ mit der Verteidigung sozialer und Arbeitsrechte verbinden, die mit einem Austritt aus der EU verloren gehen würden.

Im Rahmen der EU des Kapitals, die die undemokratischen Spardiktate von Merkel und der Troika durchsetzt und aktuell ihre Grenzen gegen die Geflüchteten hochrüstet, eine Demokratisierung zu erringen und der Kürzungspolitik ein Ende zu setzen ist jedoch eine reine Illusion, die nur zu neuen Enttäuschungen führen wird. Die Geschichte von Syriza hat eindrucksvoll bewiesen, wie der Versuch einer leichten Veränderung der neoliberalen Sparpolitik im Rahmen der EU zum Scheitern verurteilt ist. Im Gegenteil wird ein Sieg des „Ja“, wie oben erläutert, die imperialistischen Züge des Vereinigten Königreichs stärken. Cameron seinerseits wird die gewonnene politische Stärke für seine arbeiter*innenfeindlichen Projekte ausnutzen.

Andere Teile der Linken rufen dazu auf, für den Austritt aus der EU aufzurufen. In einem offenen Brief begründen bekannte Figuren wie Tariq Ali oder Lindsey German ihre Position mit dem reaktionären Charakter der Festung Europa und der Politik der Privatisierungen, Kürzungen und der Aushöhlung gewerkschaftlicher Rechte. Die Socialist Workers Party (SWP, Schwesterorganisation von marx21) ruft zum „Nein“ auf, um die britische Regierung zu schwächen. Die Socialist Party (SP, Schwesterorganisation der SAV) wiederum will „die EU verlassen, um ein sozialistisches Europa aufzubauen“.

Auch wenn diese Positionen eine vollkommen korrekte Kritik an der EU ausüben, stehen sie in letzter Instanz für einen „linken Souveränismus“, der sich von der Rückkehr zum Nationalstaat Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung erhofft. Doch genauso wie die „europäistische“ Option ist dies eine Illusion: Ein „Nein“ stärkt direkt die fremdenfeindlichen Parteien und ihre reaktionäre Agenda.

Dies zeigt, dass sich eine revolutionäre Position weder hinter das bürgerliche Ja, noch das reaktionäre Nein stellen kann. Bei dem Referendum handelt es sich um eine Falle: in jedem Fall wird die herrschende Klasse härter gegen Geflüchtete und Migrant*innen vorgehen und bessere Ausbeutungsbedingungen schaffen. Nur eins ist sicher: die Ausgebeuteten und Unterdrückten haben bei dem Referendum nichts zu gewinnen. Deshalb ist es wichtig, dass die revolutionäre Linke nicht auf die Falle der Kapitalist*innen hereinfällt und stattdessen für eine internationalistische und klassenkämpferische Position eintritt.

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