Brasilien: Rechtsruck bei Kommunalwahlen und Niederlage der PT

05.10.2016, Lesezeit 6 Min.
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FILE PHOTO - Brazil's suspended President Dilma Rousseff attends the final session of debate and voting on Rousseff's impeachment trial in Brasilia, Brazil, August 29, 2016. REUTERS/Ueslei Marcelino/File Photo

Nach dem institutionellen Putsch gegen Ex-Präsidentin Dilma Rousseff (PT) waren die Kommunalwahlen die erste Probe für die neue Rechtsregierung. Doch das brasilianische Regime ist weiterhin in der Krise. Auch die antikapitalistische Linke schaffte sich und ihren Forderungen Gehör.

Im Gegensatz zu den Tagen des institutionellen Putsches verlief der Wahlkampf für die Kommunalwahlen in Brasilien relativ ruhig. Als sich Michel Temer an die Regierung putschte, fanden im ganzen Land große Demonstrationen statt – gegen und für den Staatsstreich.

Vor den Wahlen am vergangenen Sonntag blieben die Straßen dagegen leer. Ein großer Teil derjenigen, die vorher gegen die neue Regierung demonstriert hatten, ist frustriert von der Passivität der großen Gewerkschaften und der PT. Denn diese hatten nicht zum Kampf aufgerufen.

So hatten die bürgerlichen Parteien leichtes Spiel, mit falschen Versprechen und reaktionärer Hetze für sich zu werben. Die vorher von der Regierung beschlossene Wahlreform benachteiligte zudem besonders linke Parteien, indem ihnen der Zugang zu den Massenmedien beschränkt wurde. Gegen die Finanzierung der bürgerlichen Parteien durch Unternehmen wurde jedoch nichts Ernsthaftes unternommen.

Trotzdem konnten die Wahlen die Repräsentationskrise der traditionellen Parteien nicht beenden. Besonders die PT wurde hart abgestraft und verlor in fast allen Städten, in denen sie das Bürgermeister*innenamt besetzte. Der Korruptionsskandal beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras hatte ans Licht gebracht, dass die PT an der Macht die typischen Methoden der „Demokratie für Reiche“ – Bestechung, Schmiergeld und Vetternwirtschaft – übernimmt.

Damit schadete sie sich jedoch nicht nur selbst, sondern ermöglichte erst den Aufstieg der Rechten. In der größten südamerikanischen Stadt, São Paulo, konnte der Kandidat der neoliberalen PSDB João Doria sogar Geschichte schreiben: Mit 53,4 Prozent ist er der erste Bürgermeister seit dem Ende der Diktatur, der nicht in einen zweiten Wahlgang gehen muss. Dies sieht die Verfassung sonst vor. Dazu trägt auch das schlechte Abschneiden seines Vorgängers, dem PT-Politiker Fernando Haddad, bei. Dieser konnte nur 16,67 Prozentpunkte holen.

Doch die Rechten konnten bei weitem nicht den Raum einnehmen, den die PT durch ihren Rückgang frei ließ. Gerade Doria hatte sich als „Anti-Politiker“ dargestellt und sich als „guter Verwalter“ gegeben. Die PSDB befindet sich zudem in einem internen Richtungsstreit und die Partei von Temer, die PMDB, hat große regionale Unterschiede. Deshalb stärkten die Kommunalwahlen weder die Regierung, noch trugen sie zu einer Erholung des angeschlagenen politischen Regimes bei. Im Gegenteil: Die Fragmentierung der Parteienlandschaft nahm weiter zu – stellten vor vier Jahren noch 29 Parteien Kandidat*innen für die Hauptstädte der 26 Bundesstaaten auf, sind es jetzt 35. Und 16,6 Prozent der Wähler*innen wählten ungültig – ein klares Indiz für eine Stimme des Protests gegen das politische Establishment.

Von dieser Ablehnung sowohl der rechten als auch der linken bürgerlichen Parteien konnte die linksreformistische „Partei Sozialismus in Freiheit“ (PSOL) profitieren. In Rio de Janeiro konnte Marcelo Freixo die Unterstützung von Sektoren der Jugend und der Arbeiter*innenklasse ausnutzen. Er wurde mit 18,3 Prozent Zweiter hinter dem Rechten Marcelo Crivella (PRB) werden. In Belém konnte der Abgeordnete Edmilson Rodrigues sogar 30 Prozent der Stimmen gewinnen.

Die PSOL konnte sich als eine nationale Alternative links von der PT profilieren. Sie stellte sich mit Ausnahme einzelner interner Strömungen gegen den institutionellen Putsch. Deshalb sprach sich die „Revolutionäre Arbeiter*innenbewegung“ (MRT), Schwesterorganisation von RIO, für eine kritische Stimmabgabe für die PSOL überall dort aus, wo die PSOL keine Allianzen mit bürgerlichen Politiker*innen eingeht. Denn in zahlreichen Städten machten ihre Kandidat*innen gemeinsame Kampagne mit rechten Politiker*innen. Insgesamt überschritt der Wahlkampf der PSOL nicht den Rahmen einer „verantwortungsvollen“ Verwaltung der Stadt.

Im Rahmen des undemokratischen Wahlsystems gewährte die PSOL auch Anführer*innen der MRT Listenplätze in fünf Städten: São Paulo, Rio de Janeiro, Campinas, Santo André und Contagem. Dort kämpften die Kandidat*innen für ein Programm, das die alltäglichen Probleme der arbeitenden Bevölkerung wie schlechte Bildung, das marode Gesundheitssystem, teure Mieten und Nahverkehr und prekäre Beschäftigung mit einer Agitation für eine antikapitalistische Arbeiter*innenregierung verband. Sie stellten sich an die Seite der Schwarzen, die Opfer von Polizeigewalt werden. Ebenso widmeten sie ihre Kandidatur den Frauen und LGBTI*, die unter den alltäglichen Auswirkungen des Sexismus von Belästigung bis hin zum Frauenmord leiden. Sie richteten sich an die Jugendlichen, die die für gute und kostenlose öffentliche Bildung kämpfen. Und sie stellen ihren Antritt in den Dienst der Arbeiter*innen, die gegen niedrige Löhne und Ausgliederung streiken.

Darüber hinaus stellten sie ein demokratisches Programm gegen die bürgerliche Demokratie und die ihr inhärente Korruption auf. So forderten sie die Begrenzung der Abgeordnetengehälter auf den Durchschnittsgehalt einer*s Arbeiter*in und die Wahl und Abwahl aller politischen Funktionäre, sowie der Richter*innen. Angesichts der großen politischen und wirtschaftlichen Krise im Land traten sie für eine freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung ein. So sollen die großen Probleme des Landes angegangen werden, wie die Abhängigkeit vom Imperialismus oder die undemokratischen Mechanismen des bürgerlichen Regimes.

Dieses Programm verbreiteten sie während des Wahlkampfes massiv in den Kiezen, vor Fabriken oder in Universitäten. Sie organisierten Kundgebungen und Veranstaltungen, die von Hunderten besucht wurden. Mit der linken Tageszeitung Esquerda Diario – die im vergangenen Monat 622.000 Mal abgerufen wurde – verbreiteten sie alle ihre Positionen. Sie berichteten von der Kampagne und verurteilten die Kandidat*innen der bürgerlichen Parteien in Artikeln, die tausendfach gelesen und verbreitet wurden. Bei den Wahlen erzielten die fünf Kandidat*innen insgesamt mehr als 8.000 Stimmen, was im Rahmen des Rechtsrucks und der enormen Zersplitterung der Parteienlandschaft ein achtsames Ergebnis ist. So konnten sie sich als antikapitalistische und revolutionäre Alternative zu der rechten Putschregierung, aber auch der oppositionellen PT positionieren.

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